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Marktrealität: Bürgerenergie künftig im Nachteil

Ungemach droht den erneuerbaren Energien derzeit aus vielen Ecken. Für die Bürgerbeteiligung könnten vor allem die verpflichtende Direktvermarktung und das Ausschreibungsmodell das Aus bedeuten, wenn sie ins EEG eingefügt werden.

Die Pläne des Bundeswirtschaftsministers Sigmar Gabriel zur Reform des EEG gefährdet das Engagement kleinerer privater Investoren. Das ist das zentrale Ergebnis einer aktuellen Studie der Leuphana Universität Lüneburg im Auftrag des Bundes für Umwelt- und Naturschutz in Deutschland (BUND) und dem Bündnis Bürgerenergie, die heute in Berlin  vorgestellt wurde. Die Autoren der Studie zur Marktrealität von Bürgerenergieprojekten gehen davon aus, dass inzwischen jede zweite Kilowattstunde Ökostrom, die in Deutschland erzeugt wird, aus Anlagen stammt, die von kleinen privaten Investoren errichtet wurden. Dazu zählen nicht nur die kleinen privaten Photovotlaikanlagen auf den Dächern von Ein- und Zweifamilienhäusern, sondern auch die Projekte der vielen Bürgerenergiegenossenschaften. Diese Akteure sind durch die Novelle des EEG mehr betroffen als andere, wenn Gabriel seine Pläne so umsetzt, wie sie im Referententwurf stehen. „Wir haben in Deutschland über eine Million Menschen, die privat viele Milliarden Euro in die erneuerbaren Energien investiert haben“, betont Hubert Weiger, Vorsitzender des BUND. „Diese vielen kleinen privaten Investoren sind es, die uns schneller von riskanten Atom- und klimaschädlichen Kohlemeilern wegbringen. Energie in Bürgerhand garantiert eine von allen akzeptierte und sozial verträgliche Gestaltung der Energiewende. Der EEG-Reform-Vorschlag der Bundesregierung schafft zusätzliche Risiken für diesen wichtigen Motor der Energiewende. Wir fordern die Bundestagsabgeordneten auf, im weiteren Abstimmungsprozess diese Fehler zu korrigieren.“

Direktbelieferung mit Bürgerenergie

Die größte Gefahr für die Bürgerenergieprojekte droht zunächst vor allem aus der vorgesehenen verpflichtenden Direktvermarktung des regenerativen Stroms. „Die Bundesregierung will Erzeuger von erneuerbarem Strom dazu bringen, die Vermarktung ihres Stroms an den Vorgaben der Strombörse auszurichten“, kritisiert der BUND. Dies mache Bürgerenergieakteure von hochspezialisierten Vermarktungsunternehmen abhängig. „Unsere Markterhebung zeigt, dass aufgrund der geringen Größe Bürgerenergieakteure für die Vermarktungsunternehmen nicht besonders attraktiv sind“, erklärt Heinrich Degenhart, Professor für Finanzierung und Finanzwirtschaft an der Leuphana Universität Lüneburg und Autor der Studie. „Es ist daher zu erwarten, dass sie von den Vermarktern zuletzt und dazu mit den schlechtesten Konditionen bedient werden. Die Folge: Bürgerenergie wird es schwer haben, sich weiter auf dem Markt zu behaupten.“ Als Alternative schlagen die Autoren der Studie neben der Einführung von spartenspezifischen Mindestanlagengrößen, die der Direktvermarktung ausgesetzt sind, vor, die Bürgerenergiegenossenschaften von der verpflichtenden Direktvermarktung auszunehmen oder die Direktversorgung von Kunden aus den Bürgerenergieanlagen zu ermöglichen.

Ausschreibungen benachteiligen die Bürger

Eine zweite Hürde für die Energiegenossenschaften werden die ab 2017 geplanten Ausschreibungen der Einspeisevergütung für neue Großanlagen. Das wird vor allem die Bürger abschrecken, die sich nur mit geringen Beträgen an den Projekten beteiligen können. Immerhin liegt gut die Hälfte aller Beteiligungen an Bürgerenergiegenossenschaften bei Beträgen zwischen 1.000 und 10.000 Euro. Nur wenige Bürger beteiligen sich mit höheren Beträgen an solchen Projekten. „Dies könnte das endgültige Aus für die Bürgerenergie bedeuten“, kritisiert Lars Holstenkamp von der Leuphana Universität und Mitautor der Studie. „Die volkswirtschaftliche Logik und sämtliche Erfahrungen aus der Praxis anderer Länder zeigen: Ausschreibungen begünstigen die größten Anbieter. Mit einer Ausschreibung entstehen Transaktionskosten und Risiken, die größere Unternehmen leichter abfangen können. Bürgerenergieakteure hingegen können weder die Risiken streuen, sie durch eigenes großes Kapital absichern oder die höheren Transaktionskosten zwischenfinanzieren. Bürgerenergie wird daher kaum eine Chance haben, sich im Ausschreibungsverfahren gegen größere Konkurrenten durchzusetzen.“ Schließlich haben die Bürger während der Planungsphase im Ausschreibungsverfahren keinerlei Berechenbarkeit der Gewinnsituation. Denn sie wissen nicht, wie viel Geld sie für die Kilowattstunde eingespeisten Strom bekommen. Diese Situation kann sich aufgrund der Mengenbegrenzung und der langen Planungszeiten für große Anlagen über mehrere Jahre hinziehen. Während dieser Zeit fallen aber schon Entwicklungskosten in sechsstelliger Höhe an. „Bürger, die sich in einem einzelnen Projekt in ihrer Region engagieren, haben während dieser Zeit keine Möglichkeit, dieses Risiko auf mehrere Projekte zu verteilen, wie das bei großen Unternehmen in der Regeln gemacht wird. Das Risiko maximiert sich für die Bürger, da sie keine Garantie haben, nach der langen Planungs- und Ausschreibungsphase auch tatsächlich den Zuschlag zu bekommen. Wenn das Projekt die Ausschreibung verliert, gehen für die Bürger sämtliche bis dahin getätigten Investitionen verloren. „Die Bürgerenergie ist der Marktführer der Energiewende, und so soll es auch bleiben“, betont René Mono, Vorstand des Bündnisses Bürgerenergie. „Die Energiewende ist zu wichtig, um sie großen Konzernen zu überlassen. Die Bundesregierung muss endlich ein Marktumfeld entwickeln, in dem sich Bürgerenergie weiter dynamisch entwickeln kann. Denn dezentrale erneuerbare Energien sind längst konkurrenzfähig – vorausgesetzt, der Wettbewerb ist fair und nicht durch Subventionen für alte Atom- oder Kohlekraftwerke verzerrt“, kritisiert er. (Sven Ullrich)