Markus Auerbach vom Referat Umweltschutz der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) in Bergisch Gladbach hat eine Vision: Möglichst viele Lärmschutzwände sollen nicht nur vor Straßenkrach schützen, sondern auch Solarstrom produzieren. Bei Investitionen in Lärmschutzanlagen an Bundesfernstraßen wird geprüft, inwieweit Photovoltaik integriert werden kann. Zur Vorfinanzierung anfallender Mehrausgaben können die Straßenbaubehörden auf einen eigenen PV-Topf zurückgreifen, der dann durch Einnahmen aus dem eingespeisten Solarstrom wieder aufgefüllt wird. Doch die Realität sieht bisher anders aus: Die Zahl der Photovoltaikanlagen entlang von Verkehrswegen lässt sich an zwei Händen ablesen. „Die Straßenbauverwaltung plant nur Straßen und Lärmschutzmaßnahmen. Die Photovoltaik ist da außen vor. Es gibt auch kein Budget“, sagt Auerbach. Und Berlin winkt ab: „Die Installation von Photovoltaik an Bundesfernstraßen ist keine Aufgabe des Bundes“, antwortet der Sprecher des Bundesverkehrsministeriums Richard Schild auf eine Anfrage der photovoltaik lapidar. Auch Staatssekretär Engelbert Lütke Daldrub, der beim Forum Solarpraxis im November 2008 angekündigt hatte, er werde den Einsatz photovoltaisch aktiver Lärmschutzwände systematisch vorantreiben, möchte sich erst gar nicht weiter zum Thema äußern.
Potenzial von 388 Megawatt
Dabei ist das Potenzial für die Kombination von Photovoltaik und Lärmschutz beachtlich. Jährlich werden Hunderttausende von Quadratmetern Lärmschutzanlagen entlang von Straßen und Bahnstrecken in Deutschland gebaut. Über vier Milliarden Euro Steuergelder investierte die Straßenbauverwaltung in den vergangen 30 Jahren in den Bau von über 3.000 Kilometern Lärmschutzwällen und -wänden entlang von Autobahnen und Bundesstraßen. „Circa 80 Prozent davon ließen sich technisch aufrüsten, um zusätzlich Solarstrom erzeugen zu können“, rechnet Thomas Nordmann von der Schweizer TNC Consulting vor. Auf 388 Megawatt veranschlagte der international anerkannte Fachmann schon 1999 im Rahmen einer EU-Studie das PV-Potenzial entlang deutscher Straßen und Schienen. 1989 baute er die weltweit erste PV-Anlage an einer Lärmschutzwand entlang der Autobahn A 13 beim schweizerischen Donat/Ems (Graubünden), die mittlerweile von dem lokalen Elektrizitätswerk gekauft wurde und „problemlos läuft“.Umso mehr trifft es Nordmann, dass sich beim solaren Schallschutz in Deutschland und anderen europäischen Ländern so wenig tut. Die wichtigste Ursache für den schlafenden Markt sieht er in der „sehr zögerlichen Haltung“ der öffentlichen Hand, die fast immer Grundstückseigner und Bauherr für Lärmschutzanlagen an Straßen ist. „Die Tiefbaubehörden sind oft noch zurückhaltender als die Hochbaubehörden“, sagt Nordmann. Zudem werde die Möglichkeit der Photovoltaiknutzung beiPlanfeststellungsverfahren für Schallschutzanlagen entlang von Bundesautobahnen bisher meist nicht erörtert.
Pilotprojekt in Töging
Doch wenn engagierte Unternehmer vor Ort aktiv werden und die Straßenbauverwaltung mitzieht, kann etliches bewegt werden. Dies zeigt das bisher größte PV-Projekt entlang einer Bundesautobahn: Anfang 2008 wurde entlang der A 94 beim südbayerischen Töging eine privat finanzierte Solarstromanlage mit einer Leistung von einem Megawatt auf einem Lärmschutzwall in Betrieb genommen. „Ich kam auf die Idee, kurz nachdem der Bau der Autobahn Ende 2004 begonnen hatte“, sagt Christian Wimmer aus dem benachbarten Garching. Ohne lange zu fackeln, ging der Diplom-Ingenieur auf den Präsidenten der Autobahndirektion Südbayern Paul Lichtenwald zu. Der „zeigte sich sehr aufgeschlossen“.Doch bis das Projekt umsetzungsreif war, galt es noch etliche Hürden zu nehmen. Allein ein Jahr dauerte es, den Vertrag mit der Autobahndirektion über die 25-jährige Verpachtung eines ein Kilometer langen Randstreifens entlang der A 94 unter Dach und Fach zu bringen. Gleichzeitig entwickelten Wimmer und sein Team ein Montagesystem für die schräg montierten Module. Mit gut einem Dutzend Behörden musste verhandelt werden, um den Schallschutz, die Standsicherheit der Anlage, die Windfestigkeit, die Sicherheit bei Starkregen und Schnee, das Vermeiden einer Blendwirkung und der sonstigen Verkehrssicherheit nachzuweisen. Das Regensburger Projektierer Iliotec agierte hierbei als Generalunternehmer, als Investor und Betreiber wurde die Nürnberger MR Solar ins Boot geholt. „Aufregend wurde es noch mal im August 2007, als die ersten Aufbauarbeiten bereits begonnen hatten“, erinnert sich Wimmer. Es wurden drei unter EU-Artenschutz stehende Zauneidechsen auf dem sonnigen Hang gefunden, das Landratsamt schaltete sich ein, und der Bau wurde gestoppt. Weitere Genehmigungen mussten eingeholt werden, und für 60.000 Euro wurden Ausgleichsflächen für die geschützten Echsen geschaffen.
4.000 Module auf 260 Meter Länge
Ende November 2007 konnte es schließlich weitergehen. „In nur drei Wochen“ wurden auf einer Länge von 260 Meter und einer Höhe von 26 Meter rund 4.000 Suntec-Power-Module auf einer Unterkonstruktion aus Stahlbeton, Holz und Aluminium „bei schlechtestem Wetter“ montiert. Eine Fahrspur der Autobahn musste hierbei aus Sicherheitsgründen abgesperrt werden – alles Posten, die in die fünf Millionen Euro Gesamtkosten der Anlage eingeflossen sind. „Wir haben einiges an Lehrgeld bezahlt, Folgeprojekte können wir voraussichtlich kostengünstiger abwickeln“, sagt Wimmer.Entscheidend für die Rentabilität der Anlage sei jedoch, dass sie nach „Abklärung mit dem Bundesumweltministerium“ entsprechend Paragraph 33 EEG wie eine Anlage an einer Lärmschutzwand vergütet werde. Denn sie steht zwar zum größten Teil auf dem Erdwall entlang der Autobahn, doch die obersten Modulreihen ragen zwei Meter über eine bereits vorher gebaute Lärmschutzwand auf der Wallkante hinaus. Dies wirkt auf der Nordseite als zusätzlicher Schallschutz. In Südrichtung wird der Lärm durch dieSchrägstellung der Glasmodule auf einen Winkel von 32 Grad nach oben gelenkt. „Die zulässige Schallbelastung am Boden in Höhe von 54 Dezibel wird hierdurch um mindestens zwei Dezibel unterschritten“, sagt der Ingenieur. Nun hofft er darauf, dass der zweite Bauabschnitt des Projekts mit einem Umfang von 1,3 Megawatt vorankommt, die Genehmigung läuft derzeit. „Traumrenditen im zweistelligen Bereich“ könne man zwar mit einer derartigen Anlage schon wegender Pachtzahlungen an das Autobahnamt kaum erzielen, doch „sechs bis sieben Prozent“ sind laut Wimmer realistisch. Die Erträge des Töginger Projektes seien jedenfalls höher als kalkuliert. Probleme mit der Verschmutzung gebe es bisher nicht. Vorteilhaft wirke sich die Hinterlüftung der in Süd-Südwest-Richtung montierten Module aus, die mit einem Abstand von 1,20 Meter auf dem Wall montiert sind. Eine zu starke Erhitzung im Sommer werde hierdurch verhindert.
Bifaciale PV-Lärmschutzwand
Eine andere Lösung für die Kombination von Photovoltaik und Schallschutz wurde im Bahnhofsbereich im schweizerischen Münsingen bei Bern gefunden. Dort wurde im vergangenen November eine 115 Meter lange Lärmschutzwand entlang den Gleisen der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) mit bifacialen Modulen von Scheuten Solar/Hitachi mit einer Leistung von acht Kilowatt in Betrieb genommen. Sie erzeugen auf beiden Seiten Solarstrom und sind nach Osten und Westen ausgerichtet. „Auf diese Weise können wir senkrechte Schallschutzwände in Nord-Süd-Richtung ohne Ertragsausfälle nutzen“, sagt Planer Thomas Nordmann. Allerdings wurden die Solarzellen in Münsingen „auf Lücke gesetzt, um eine Teiltransparenz zu erhalten, welche von den Anwohnern der Gemeinde und den Fahrgästen der Bahn gewünscht worden ist“. Die 50 Module sind von oben in eine H-Träger-Konstruktion eingesetzt, die Kabelführung ist in die Rahmenkonstruktion integriert. Um die Lärmschutzwirkung zu verbessern, wurden im unteren Wandbereich schallabsorbierende Betonelemente eingesetzt.Neben TNC Consulting waren SunTechnics Fabrisolar, ein Tochterunternehmen derConergy Deutschland, die SBB sowie örtliche Bau- und Elektrofirmen an dem Vorhaben beteiligt. Bauherr und Betreiber ist die „Energiestadt“ Münsingen, an deren Ökostrombörse der Solarstrom von der Ökolärmschutzwand gehandelt wird. „Ohne die enge Zusammenarbeit mit der Gemeinde und der SBB hätte das Projekt niemals verwirklicht werden können“, unterstreicht Nordmann. Die SBB erstattete erstmals die Kosten der substituierten transparenten Schallschutzelemente durch die bifacialen PV-Module, was nach Einschätzung von Nordmann „ein Meilenstein für die Finanzierung derartiger Projekte“ ist. „Davon sind wir in Deutschland weit entfernt“, sagt Frank Treiber, Geschäftsführer der Excelencium GmbH i. G., an der auch die TNC-Consulting beteiligt ist. So konnte das Firmenkonsortium von ihren selbst entwickelten integrierten PV-Lärmschutzwänden bisher keine einzige in Deutschland verkaufen. Nicht nur im Bundesverkehrsministerium, sondern auch bei der Deutschen Bahn herrscht im Übrigen in Sachen solarer Lärmschutz Funkstille, trotz aller Bekenntnisse zum Klimaschutz. „Zu kompliziert und zu teuer“, wiegelt der Leiter des Bahn-Umwelt-Zentrums Peter Westenberger gegenüber der photovoltaik ab.
Behördenleitfaden soll helfen
Doch es ist Hoffnung am Horizont: Engagierte Behördenmitarbeiter wie Markus Auerbach von der BASt versuchen nun, die Kombination von Lärmschutz und Photovoltaik voranzubringen. Er initiierte die Erarbeitung eines entsprechenden Leitfadens, der bei einem Pilotseminar am 19. und 20. Mai in München erstmals Behördenleitern der Straßenbauverwaltung vorgestellt werden soll. „Vor Ort weiß keiner so recht, wie er das Thema angehen soll, hier wollen wir weiterhelfen“, sagt Auerbach. Der BASt-Mitarbeiter sieht beim solaren Schallschutz – trotz aller Anlaufschwierigkeiten – eine „Win-Win-Situation“. Es gebe praxisreife Möglichkeiten, den Lärmschutz durch die Photovoltaik weiter zu verbessern.Zudem könne die öffentliche Hand durch die Einnahmen aus Pachtverträgen mit Investoren zusätzliche Einnahmen erzielen, wie das Beispiel des Töginger Projektes an der A 94 vormache. Auch interessierten sich immer mehr Kommunen für die Kombination von Solarstromerzeugung und Schallschutz, beispielsweise Dortmund, Bürstadt (Hessen) oder Senden (Bayern). Chancen, die PV-Lärmschutzwände voranzubringen, böten auch die anlaufenden Infrastrukturprogramme. Bis allerdings Auerbachs Vision wahr wird, dass sich solare Lärmschutzwände überall durchsetzen, wird es wohl trotzdem noch ein Weilchen dauern.
Technische Anforderungen an PV-Schallschutz
Die Elemente müssen im Schadensfall einfach ausgewechselt werden können. Dabei muss beachtet werden, dass für Auswechslungen auf Autobahnen in der Regel aufwändige Verkehrssicherungen notwendig werden. Eine rationelle Auswechslung ist deshalb sehr wichtig.
Rationelle Montage
Die Montagezeiten auf der Baustelle variieren stark. Eine weitgehende Vormontage in der Werkhalle erweist sich als sehr rationell und qualitätsfördernd. Auf der vom Wetter abhängigen Baustelle dürfen nur noch wenige Arbeitsschritte notwendig sein (Befestigung und Gesamtverkabelung). Hinderlich für eine Vormontage kann sein, dass die sperrigen Elemente nicht auf einem üblichen Lastwagen Platz finden.
Sicherheit
Sicherheitsüberlegungen müssen in jeder Projektphase angestellt werden. Bei der Autobahn sind vor allem die Fragen des Lichtraumes und der Elastizität der Konstruktion sowie die Blendung ein wichtiges Thema. Bei den Zügen ist es die Beeinträchtigung des Bahnbetriebs während Bau und Betrieb sowie die Anlagenerdung.
Kriechströme
Auf Brücken ist es wichtig, ein Augenmerk auf die besonders gute Isolation gegen den Beton zu richten, da diese durch Kriechströme beschädigt werden können.
Verschmutzung
Schmutz ist auf den Modulen zu gewissen Zeiten deutlich sichtbar. Eine dauerhafte Beeinflussung der Ertragswerte konnte bisher aber nicht festgestellt werden.
Diebstahlschutz
Eine gute Integration der PV-Module heißt in der Regel, dass die Art der Befestigung eine unerlaubte Demontage schwierig macht. Das bedeutet aber auch, dass das Auswechseln von defekten Modulen schwierig wird. Zum Diebstahlschutz gibt es heute mehrere Möglichkeiten wie Videoüberwachung oder spezielle Verkabelung.
Modulbrüche
An Autobahnen besteht die Möglichkeit, dass Module an der straßenzugewandten Seite zum Beispiel durch Steinschlag beschädigt werden können. Grundsätzlich ist es vorteilhaft, die Modulunterkante möglichst hoch zu setzen. Die minimale Höhe muss aber projektspezifisch in Abhängigkeit des Abstandes von der Fahrbahn festgelegt werden. Die Anlagen funktionieren aber trotzdem ohne Einbuße weiter.
Graffiti
An zugänglichen Lärmschutzwänden, vor allem bei der Photovoltaik auf der der Fahrbahn abgewandten Seite, ist Graffiti ein Problem. Beobachtungen ergeben, dass die Farbmalereien bis zu einer Höhe von 2,20 bis maximal 2,50 Meter zu verzeichnen sind. PV-Module, die in diesem Höhenbereich liegen, können durch eine teflonartige Beschichtung geschützt werden. Bei Dünnschichtmodulen lässt sich das Farbspray auf dem teflonartigen Material relativ gut entfernen.
Aus: Behördenleitfaden „Erhöhung der Wirksamkeit von Lärmschutzwänden durch Photovoltaik“ (Entwurf), Bundesanstalt für Straßenwesen, www.bast.de