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Mehr Markt oder mehr Planung

Auf nur eine Viertelstunde war Gerd Heilschers Vortrag „Wie funktioniert Solarstrom in dezentralen Energiemärkten?“ auf der diesjährigen Staffelstein-Konferenz angesetzt. Das dazugehörige Manuskript umfasst fünf Seiten. Doch das Konzept für die zukünftige Gestaltung des Strommarkts, das der Professor der Ulmer Hochschule vorstellte, hat es in sich. Vorausgesetzt natürlich, es lässt sich realisieren.

Heilscher plant für eine Zeit nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) die dezentrale Vermarktung von Solarstrom. Dieser soll zunächst innerhalb eines bestimmten Gebietes in der Nähe des Anlagenbesitzers verkauft werden, erst ein eventueller Überschuss würde ins weitere Übertragungsnetz eingespeist. Wie groß genau ein solches Gebiet seinkönnte, ist noch im Vagen, Heilscher spricht aber von der Möglichkeit, zunächst einmal die rund 100 bis 150 Häuser, die an einem Einspeisepunkt fürs Niederspannungsnetz hängen, für eine solche Regelung zusammenzufassen. Noch sei zwar der Verkauf über das EEG günstiger, meint er. Aber er setzt darauf, dass bis 2013 ein „innovativer Energieversorger ein genaues Konzept und damit einen entsprechenden Tarif entwickelt“ habe. Er selbst stehe mit Stadtwerken wegen der Umsetzung in Kontakt.

Sein Modell operiert einerseits damit, dass die Preise für den verkauften Strom über die Strombörse ermittelt werden und dafür mit genauen Prognosen der Ertrag einer Solaranlage erstellt werden muss, andererseits mit der Befreiung derTeilnehmer an einem solchen Modell von den Netzentgelten. Hier dürfte allerdings ein großes Hindernis für die Umsetzung liegen: Denn weil, wie Heilscher einräumt, auch bei seinem Konzept am Netzausbau kaum gespart werden kann, müssten die Kosten dafür – ähnlich wie beim umstrittenen Grünstromprivileg – auf die übrigen Strombezieher umgelegt werden.

Das wäre zu verkraften, bliebe es bei wenigen lokalen Experimenten, etwa in Öko-Mustersiedlungen. „Wenn Sie die Projektentwicklung für ein Neubaugebiet machen und die Stromkabel nicht in öffentlichem Grund verlegen, dann geht das Ganze schon heute“, sagt Heilscher. Für andere Gebiete müssten erst gesetzliche Befreiungen von den Netznutzungsgebühren beschlossen werden. Würdenaber einige Stadtwerke das Konzept breit vermarkten, wäre ein geteilter Strommarkt für Verbraucher die Folge. „Wir müssen überlegen, ob eine Umsetzung in großem Stil volkswirtschaftlich sinnvoll ist“, sagt Heilscher selbst. „Noch kann ich nicht überblicken, ob die Vorteile die Nachteile überwiegen.“ Hinzu kommt: Heilschers Berechnung der Strompreise basiert auf dem Börsenpreis von 2005 bis 2010. Der aber lässt sich wegen des wachsenden Anteils der Erneuerbaren und des Atomausstiegs nicht einfach in die Zukunft projizieren. Zudem ist der Eigeneffekt des dezentralen Stromverkaufs nicht berücksichtigt: Die Attraktivität von Photovoltaik dürfte damit anwachsen, die von Offshore- und auch Onshore-Windenergie dagegen sinken. Heilschers Modell würde die in Lobbyverhandlungen mühsam festgezurrten Pläne für den Ausbau der verschiedenen Erneuerbaren wieder in Frage stellen – für ein Experiment, an dessen Ende nicht abzusehen wäre, ob sich etwa für Offshore-Projekte noch Investoren fänden. Für Begeisterung in der Politik dürfte das Modell daher kaum taugen.

Zukünftiges Design des Strommarktes

Alleine steht Heilscher mit einem Vorschlag für eine Neuordnung des Strommarktes aber nicht. Kein Wunder: Die Frage, ob der wachsende Anteil von Erneuerbaren in den bestehenden Energiemarkt integriert werden kann und wie reelle Preissignale entwickelt werden können, treibt die Branche um. Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) hat jüngst den Sammelband „Die Zukunft des Strommarktes“ herausgegeben, in dem namhafte Autoren Vorschläge für neue Elemente im EEG oder eine Nach-EEG-Ordnung des Strommarktes unterbreiten. Damit wappnet sich der Verband auch für mögliche Vorschläge der Bundesregierung. Schließlich hatte im vergangenen Herbst die schwarz-gelbe Koalition in ihrem Energiekonzept ein Forschungsprojekt für ein zukünftiges Design des Strommarktes angekündigt.

Die Vorschläge der BEE-Autoren zielen allerdings in die entgegengesetzte Richtung von Heilscher, nämlich verstärkte Planungselemente statt neuer Unsicherheiten in den weiteren Ausbau der Erneuerbaren einzubauen. Schon die derzeitige Version des EEG beinhaltet gewisse anarchische Züge: Private Unternehmen und Eigenheimbesitzer haben beinahe freie Wahl, wo sie ihre Anlagen errichten, während die Energieversorger sie anschließen und die Verbraucher die EEG-Umlage zahlen müssen. Doch was erfolgreich dazu getaugt hat, die Erneuerbaren am Markt zu etablieren, wirft dann Probleme auf, wenn sie zur Regelenergie werden sollen.

Mindestens zwei Fragen sind mit dem jetzigen EEG kaum zu klären: zum einen, wie entschieden werden soll, welche der regenerativen Energien welchen Anteil erhält, vor allem wenn die letzten Prozente zu einer 80- bis 100-Prozent-Versorgung erreicht werden, zum anderen, welche regenerativen Kraftwerke dann bei einem Überangebot an Strom abgeschaltet werden. Im konventionellen Markt entscheidet sich das nach der sogenannten Merit-Order, die auf den Grenzkosten, also dem Preis für die Produktion einer zusätzlichen Stromeinheit, beruht: Die Kraftwerke, die am wenigsten Brennstoffkosten plus Kosten für Emissionsrechte verursachen, bleiben am längsten am Netz. Erneuerbare Energien wie Wind und Sonne haben aber Grenzkosten von null Euro.

Sven Bode und Helmuth Groscurth vom Arrhenius-Institut für Energie- und Klimapolitik sind so etwas wie dasGegenstück zu Heilscher. Wo Heilscher ein dezentrales Experiment einleitet, bringen Bode und Groscurth ein Markt-Mengen-Modell ins Spiel, das Ähnlichkeiten zum britischen Quotenmodell aufweist: feste Obergrenzen und zentrale Planung für die einzelnen Energiearten, um Überkapazitäten zu vermeiden, verbunden mit Ausschreibungen für einzelne Techniken. Eine noch näher zu bestimmende zentrale Einrichtung soll den Ankauf von festen Strommengen aus einer Anlage über eine feste Anzahl von Jahren vergeben. Den Zuschlag erhält der billigste Bieter. Freunde der Photovoltaik sind die beiden Forscher nicht – sie halten Solarstrom für zu teuer. Groscurth sagt auf Nachfrage sogar, mehr als die derzeit installierten 17 Gigawatt sollten nicht mehr errichtet werden – es sei denn, „die Vollkosten der Photovoltaik sind billiger als die Betriebskosten einer Backup-Technologie“, also Gaskraftwerke.

Bislang setzt die Politik, auch Union und FDP, mehrheitlich auf einen weitgehenden Konsens mit der gesamten Erneuerbaren-Branche. Wichtiger als Extremvorschläge wie die von Groscurth und Bode sowie von Heilscher dürften daher mittlere Positionen werden. In dem BEE-Sammelband nehmen diese Felix Christian Matthes vom Öko-Institut sowie Frank Peter und Leonard Krampe von Prognos ein.

Peter und Krampe beschäftigen sich mit einer weiteren Frage, die das EEG bisher nicht befriedigend lösen konnte: der ungleichen Verteilung von Solar- und Windenergie. Bis 2020 werde sich das nicht wesentlich ändern, dass Solaranlagen vor allem im Süden und Windparks im Norden installiert würden. Hinzu komme allerdings der Ausstieg aus der Atomenergie, der vor allem im bevölkerungsreichen Süden weitere Bedarfslücken reiße, schreiben Peter und Krampe. Die Folgen seien eine Belastung der Netze und immense Kosten für deren Ausbau.

Ungleiche Verteilung

Könnte dieses Ungleichgewicht durch eine andere Regelung des Strommarktes vermindert werden? Ein Problem ist dessen Einheitlichkeit in ganz Deutschland, befinden Peter und Krampe. Weil etwa Braunkohle nach der AKW-Abschaltung in der Merit-Order nach vorne rückt, würden die ostdeutschen Kraftwerke auch dann noch Strom produzieren, wenn der Gesamtstrombedarf im Osten alleine durch die Erneuerbaren gedeckt würde. Für eine Regionalisierung der Stromerzeugung und damit eine Reduktion der Netzlasten bestehe daher kein Anreiz. Als Lösung schlagen sie ein „Zonal Pricing“ vor, also die Einrichtung von drei regional getrennten Strommärkten in Deutschland (Nord-West, Nord-Ost und Süd). Für die fluktuierenden Erneuerbaren hätte dies keine Auswirkungen. Allerdings befürworten die Prognos-Experten eine regionale Differenzierung des EEG, um Anreize zum Ausbau von Photovoltaik und Windenergie dort zu schaffen, wo diese bislang wenig errichtet sind, und sie einzudämmen, wo sie überproportional gebaut wurden. „Wir müssen die Konzentration der Photovoltaik aus Bayern und Baden-Württemberg wegbekommen“, sagt Peter.„Wenn wir in Deutschland bis zu 60 oder 70 Gigawatt Solarstrom wollen, können wir nicht 60 oder 70 Prozent davon in diese beiden Bundesländer nageln.“ Matthes ist zögerlicher, was in Stein gemeißelte Vorschläge angeht. Experimentieren werde man müssen. Er will testen, ob bestimmte Marktelemente funktionieren oder nicht. Für die nächsten sechs Jahre werde man sich dabei zunächst auf den konventionellen Energiemarkt konzentrieren, bei den Erneuerbaren lediglich die Biomasse-Förderung verändern müssen. Neben der jetzt beschlossenen Marktprämie befürwortet er auch eine Kapazitätsprämie, also eine Förderung bereits für das reine Vorhalten der Kraftwerke, auch wenn diese wegen hoher Wind- oder Solarstromanteile nicht einspeisen können.

Was die Photovoltaik angeht, hat Matthes noch kein konkretes Modell. „Aber sobald wir mittags um zwölf Uhr im europäischen Markt negative Preise wegen der Photovoltaik sehen, gibt es eine Rationalität, den Ausbau der Photovoltaik massiv zu dämpfen.“ Gänzlich abschaffen will er das EEG nicht, jedenfalls nicht mittelfristig. „Für die fluktuierenden Energien wie Wind und Sonne wird es noch sehr lange eine Basisfinanzierung geben müssen. Es wird aber nur eine von vier Finanzierungsquellen sein. Das Zweite wird ein Strompreissignal sein, das Dritte ein Kapazitätsmarktsignal und das Vierte ein Systemdienstleistungssignal.“ Letzteres wird derzeit schon in der Windenergieförderung für technische Vorrichtungen zur Stabilisierung des Netzes bezahlt.

Das Ausschreibungsmodell von Bode und Groscurth lehnt Matthes ab – es habe ein zu großes „Perversionspotenzial“, biete also zu viele Missbrauchsmöglichkeiten, bei Technologieentscheidungen Lobbyinteressen zu folgen. Aber wenn sich die Branche einer „rationalen Übergangsdebatte“ nicht stelle, werde sich das EEG „selbst abschießen“ oder ein Bode-Groscurth-Modell befördern, sagt er. Die Branche halte mitunter zu lange an Regelungen fest, weil sie versuche „das Instrument zu retten, und nicht mehr die Frage stellt, welche Funktionalität das Instrument haben muss“. Mit Blick auf die Debatte um das Grünstromprivileg sagt Felix Christian Matthes: „Ein Geschäftsmodell, das darauf beruht, dass andere die Rechnung bezahlen, hat langfristig keine Perspektive.“

Martin Reeh

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