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Nach der Schlacht

Am Anfang stand ein offener Brief. „Als der Bundesumweltminister im Januar seine Pläne zur Senkung der Einspeisevergütung bekannt machte, haben wir ein Schreiben verfasst“, sagt Bernd Bodmer. Wir, das ist die Geschäftsleitung der Solarfirma Relatio in Balingen im äußersten Südwesten der Republik. Der Brief kam in Form einer Pressemitteilung heraus, adressiert an den Parteigenossen Norbert Röttgen. Der Tenor: Photovoltaik ist ein boomender Markt und eine zuverlässige Energiequelle, aber Politik ist unberechenbar. Die Pläne der Bundesregierung, das EEG zu ändern, untergraben die Planungssicherheit für Investoren und bringen damit laufende Projekte in Gefahr. Mit direkter politischer Einflussnahme hatte Bodmer wenig Erfahrung: „Ich bin zwar Mitglied der CDU, zahle aber eigentlich nur meinen Mitgliedsbeitrag“, erzählt Geschäftsführer Bodmer. Vielleicht hat auch sein weit reichendes Netzwerk in der Region zum Erfolg beigetragen. „Wirklich gute Kontakte habe ich zum Bürgermeister und zu einigen Kunden, die wiederum über politische Drähte verfügen. Umso überraschter war ich über die Reaktion, die unser Brief auslöste.“

Vom Tisch des Umweltministers wanderte das Schreiben zum Abgeordneten Thomas Bareiß. Der CDU-Mann vertritt den Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen, in dem eine Viertelmillion Menschen leben. Dazu gehört auch Balingen. Bodmer und Bareiß stammen aus der gleichen Gemeinde – Meßstetten.

Wertvolles Wissen

„Die Diskussion um die Anpassung der Vergütungssätze hatte gerade begonnen“, sagt Bareiß. „Daher war ich besonders daran interessiert, von Relatio eine Einschätzung über die aktuellen Auswirkungen und Probleme zu bekommen.“

Im Februar reiste Bareiß nach Balingen. Das Gespräch mit Relatio dauerte mehrere Stunden und war „vertrauensvoll und offen“, wie der Abgeordnete rückblickend beschreibt. Diskutiert wurde die Frage, wann die neue Einspeisereglung in Kraft treten sollte, besonders für Freiflächenanlagen auf landwirtschaftlichem Gelände. Relatio ist der Projektentwickler des Tauberlandparks mit 70 Megawatt Solarleistung. Nach den ursprünglichen Plänen von Norbert Röttgen sollte die Vergütung für solche Projekte einheitlich ab dem 1. Juli eingestellt werden. „Wir haben Herrn Bareiß erläutert, wie ein Solarpark geplant und errichtet wird“, sagt Bodmer. „Dass die Planung von großen Anlagen ein langfristiges Projekt ist.“ Die Inbetriebnahme wäre bis zu diesem Datum nicht möglich und das Projekt damit vom Tisch gewesen. Während des Gesprächs kam der Vorschlag auf, einen Stichtag einzuführen und das Vorliegen eines Bebauungsplanes als Kriterium zu nehmen. Der Abgeordnete ist mit einer differenzierteren Sicht auf die Dinge in die Hauptstadt zurückgefahren. „Mein Bewusstsein für die Unsicherheiten, die durch Diskussionen im politischen Berlin vor Ort entstehen, hat sich weiter ausgeprägt“, sagt Bareiß. „Diese Idee hinsichtlich der Übergangsfristen habe ich aufgenommen und mich für mehr Vertrauensschutz eingesetzt.“ Nun ist die Sache durch, der Vorschlag von Relatio steht im Gesetz. Alle Solaranlagen auf Freiflächen, die bis zum 25. März einen Satzungsbeschluss vorweisen konnten, erhalten die ursprünglichen Vergütungssätze bis Ende 2010. Damit war auch der Tauberlandpark gerettet.

Jeder Tag zählte

Georg Nüßlein, der energiepolitische Sprecher der CSU im Bundestag, sieht die Sache trotzdem mit einem weinenden Auge. Er hätte den Stichtag gerne noch weiter hinausgezögert. In seiner Heimat Bayern stellen die Landwirte einen wichtigen Teil der Wählerschaft. Für sie wäre jeder zusätzliche Tag für die Planung und Genehmigung ihrer Anlagen ein Gewinn gewesen: „Ich hätte gern den 6. Mai als Stichtag für Solarparks gesehen, vor allem wegen der Solaranlagen auf landwirtschaftlichen Flächen. Denn man muss sich vor Augen halten: Dieses Geschäft ist nun tot. Aber das war politisch nicht durchzusetzen.“ Die Gegenkräfte waren zu stark. Nüßlein ist an der politischen Linie seiner eigenen Partei gescheitert.

Damit ging es ihm wohl so wie dereinst Fürst Bismarck. Der greise Kanzler hatte geklagt, dass in der Politik der Kampf gegen Freunde oft schlimmer sei als gegen den Feind. Immerhin ist Nüßlein froh, dass es gelang, den Beginn der Degression auf den Juli zu verschieben. „Im April wäre es rabiat gewesen, dann hätte man die Handwerker im Winter auf die Dächer gehetzt“, sagt Nüßlein und greift eine Kritik auf, die unter Handwerkern weit verbreitet ist: „Ich halte es ohnehin für problematisch, dass die Einspeisevergütung jedes Jahr im Januar reduziert wird. So haben wir immer im Winter einen Endspurt. Das sollte man bei der nächsten Novelle ändern.“

Nüßlein, der für 320.000 Menschen im Wahlkreis Neu-Ulm spricht, wartet nicht auf offene Briefe. Er sucht den Kontakt mit den Zünften auf eigene Initiative. Im Februar hatte er rund 250 Handwerker in eine Gaststätte eingeladen: Elektromeister, Dachdecker, Zimmerleute und Heizungsbauer. „Wir haben einen guten Verteiler mit vielen Adressen aus meiner Region“, meint er. „Dennoch war ich erstaunt, wie viele Leute kamen und vor allem, wie sachlich diskutiert wurde.“ Der Abgeordnete nahm aus diesem Abend zwei Erkenntnisse mit. Die erste ist einigermaßen erstaunlich: „Die Höhe der Sonderdegression wurde von den Handwerkern kaum problematisiert.“ Zweitens: „Es ging vor allem um die Frage, wann die neuen Vergütungssätze greifen. Also um den Vertrauensschutz.“ In der Regierungskoalition gilt Nüßlein als Fachmann in Sachen Energie. „In regelmäßigen Treffen mit dem Minister und den Staatssekretären, in den verschiedenen Arbeitsgruppen und auf dem kleinen Dienstweg ist es zumindest gelungen, die Termine für die Abschläge in der Einspeisevergütung vernünftig zu setzen.“

Diese beiden Beispiele zeigen: Regionale Kontakte wirken durchaus bis nach Berlin. „Ich war überrascht, dass wir als kleiner Fisch so ernst genommen werden“, meint Bernd Bodmer heute. Relatio hat 60 Mitarbeiter. „Normalerweise haben wir als kleine Handwerker oder Mittelständler keine Lobby in Berlin.“

Macht der Zentralverbände

Das ist so nicht ganz richtig, denn über ihre Landesinnungen und den Zentralverband des Elektrohandwerks (ZVEH) sind die Installateure durchaus in der Lage, in Berlin mitzumischen. Hochoffiziell, denn die Verbände sind – wie die Parteien – an der politischen Meinungsbildung beteiligt. Der ZVEH vertritt die Interessen der Elektrohandwerker im gesamten Bundesgebiet. Er bezieht seine Informationen aus den Landesverbänden und -innungen. „Wir stehen in engem Kontakt mit dem Zentralverband, der für uns auf Bundesebene spricht“, sagt Stefan Petri vom Landesverband des Elektrohandwerks Hessen und Rheinland-Pfalz. Der Verband vertritt rund 3.000 Mitgliedsbetriebe in den beiden Bundesländern. Petri erklärt, wie die Information von unten nach oben gelangt: „Über Stellungnahmen tragen wir unsere Sachargumente gegenüber den Fachabteilungen der Landesministerien vor. Das haben wir in der Debatte um die Photovoltaik genauso gemacht. Natürlich gehen die Stellungnahmen auch an den Zentralverband.“ Andererseits helfen die Verbände den Installateuren, vor Ort wirksam zu werden. „Wir geben Argumentationshilfen aus, mit denen unsere Mitglieder bei Regionalpolitikern und Kunden Gehör finden“, erläutert Petri. „Das ist vor allem in der ländlichen Handwerkerschaft nicht zu unterschätzen.“ Wer den ganzen Tag auf den Dächern unterwegs ist, hat oft nicht mehr die Zeit, um sich mit den größeren politischen Zusammenhängen zu beschäftigen. Dann hapert es an einer Sprache, die die Gegenseite auch versteht. Petri bestätigt: „Wegen der Einspeisevergütung glühten bei uns die Telefone, täglich gingen unzählige E-Mails ein.“ Und beim Zentralverband in Frankfurt? „Unmittelbar nach Bekanntwerden der Pläne des BMU gingen wir an die Öffentlichkeit“, berichtet Ingolf Jakobi, der Hauptgeschäftsführer des ZVEH. „In einer Stellungnahme des ZVEH wurden sämtliche Bundestagsabgeordnete, die einen Bezug zum Handwerk und zur Energiewirtschaft haben, über unsere Position und Forderungen informiert.“ Hinter dem Verband stehen bundesweit 76.000 Betriebe mit 319.000 Beschäftigten. Davon haben viele mit Solartechnik zu tun. Am 15. Januar intervenierte der Verband bei einer Anhörung vor der Regierungsfraktion gegen die geplante Sonderdegression, ebenso Ende April vor dem Umweltausschuss des Bundestages. „In Pressemeldungen und Veröffentlichungen auf der verbandseigenen Internetseite sowie über verbandsinterne Rundschreiben und in unserer Mitgliederzeitschrift haben wir stets aktuell über die neuesten Entwicklungen und politischen Entscheidungen beziehungsweise unser Vorgehen berichtet“, erzählt Jakobi, der das Verfahren im Bundestag als „enorm holprig und immer wieder erstaunlich“ bezeichnet.

Politiker einbeziehen

Unermüdlich ist Jakobi unterwegs, um die Interessen der rund 15 Landesverbände und bundesweit 400 Innungen in Berlin zu vertreten. Auch er wünscht sich mehr Unterstützung in den Regionen. „Es ist immer gut, wenn Mitglieder der Innung ihren Abgeordneten aus dem Wahlkreis oder der Region persönlich kennen“, sagt er. „Der Politiker erhält einen persönlichen Eindruck, den er authentisch in den politischen Entscheidungsprozess einbringen kann.“ So kann er auf der Basis der Informationen der Organisation vor Ort beurteilen, wie viele Firmen und Arbeitsplätze in seiner Region von der Entscheidung der Bundesregierung in welchem Umfang betroffen sind.“ Der Rechtsanwalt, der in Frankfurt am Main über einen kleinen, engagierten Mitarbeiterstab gebietet, sieht sich als Teamspieler: „Unsere Aufgabe ist es, Informationen und Unterstützung von der Basis abzuholen. Dass es nicht schadet, wenn jeder Betroffene und jede Innung oder die Landesverbände ihre lokalen und regionalen Beziehungsnetzwerke spielen lassen, ist dabei selbstverständlich. Zum guten Lobbying gehört aber auch eine gute Koordination der einzelnen Aktionen, die sich möglichst nicht in die Quere kommen sollten.“

Im Bundestag sind die Würfel gefallen. Aber kommende Schlachten werfen ihre Schatten voraus: Im Jahr 2012 wird die nächste Novelle verhandelt. Jetzt gilt es, die Erfahrungen der letzten Monate umzusetzen, damit sie 2012 Früchte tragen können.

Heiko Schwarzburger

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