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Photoelektrische Träume

Der direkte Vorläufer der modernen Solarzelle erschien zusammen mit der Datenautobahn in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf der Bildfläche, als riesige Geldsummen in den Aufbau eines nahtlosen weltweiten Telekommunikationsnetzes investiert wurden. Man verlegte Unterseekabel und spannte Drähte übers Land, damit weit voneinander entfernte oder durch geografische Hindernisse – Berge und Meere – getrennte Teilnehmer unmittelbar miteinander kommunizieren konnten, zuerst telegrafisch und später per Telefon. Während der Verlegung des transatlantischen Telegrafenkabels um 1860 herum erfand Willoughby Smith, der leitende Elektrotechniker des Projekts, ein Gerät zur besseren Erkennung von Kabelfehlern beim Versenken des Kabels im Wasser. Auf seiner Suche nach einem preiswerten Material für das Testgerät testete Smith Stäbe aus kristallinem Selen. Der Testleiter, Superintendent May, berichtete, dass die Selenstäbe zwar nachts gut funktionierten, unter Sonneneinstrahlung jedoch kläglich versagten.

Kasten mit Schiebedeckel

Smith ahnte, dass das seltsame Verhalten des Selens etwas mit der jeweiligen Lichtmenge zu tun hatte, der es ausgesetzt wurde, und steckte die Stäbe in einen Kasten mit Schiebedeckel. Bei geschlossenem Deckel ohne Lichteinfall war der Widerstand der Stäbe – das Maß, in dem sie den Durchfluss von elektrischem Strom verhinderten – am höchsten und blieb konstant. Aber als der Kastendeckel entfernt wurde, verbesserte sich ihre Leitfähigkeit – die Unterstützung des Stromflusses – sofort „auf zwischen 15 und 100 Prozent, je nach einfallender Lichtstärke.“ Um herauszufinden, ob das Selen durch die Sonnenwärme oder das Sonnenlicht beeinflusst wurde, führte Smith eine Reihe von Experimenten durch. Bei einem davon legte er einen Stab in einen flachen Wassertrog. Das Wasser hinderte zwar die Sonnenwärme, nicht jedoch das Sonnenlicht daran, das Selen zu erreichen. Als er den Trog erst zu- und dann wieder abdeckte, kam er zu ähnlichen Ergebnissen wie zuvor und zog daraus den Schluss, dass „der Widerstand [der Selenstäbe] sich abhängig von der Lichtstärke veränderte, der sie ausgesetzt wurden.“

Als Smith einen Bericht über seine Schwierigkeiten mit dem Selen veröffentlichte, bemerkte 1876 einer der führenden Wissenschaftler Europas: „Die Physiker schenken diesem Material momentan viel Beachtung.“ Die Wirkung von Licht auf Selen wurde unter anderem von dem britischen Wissenschaftler Professor William Grylls Adams und seinem Schüler Richard Evans Day untersucht. Die beiden führten gegen Ende 1870 eine Reihe von Experimenten mit Selen durch, darunter auch eines, bei dem sie Batteriestrom durch das Material fließen ließen.

Rätselhafte Stromrichtung

Nachdem sie das Selen von der Batterie abgekoppelt hatten, stellten Adams und Day erstaunt fest, dass sich die Stromrichtung innerhalb des Selens umgekehrt hatte. Sie wiederholten das Experiment in abgewandelter Form, um herauszufinden, warum sich die Stromrichtung des Selens geändert hatte. Hierzu ließen sie nach dem Abklemmen der Batterie eine Flamme auf das Selen scheinen. Die Flamme ließ den Strom in die entgegengesetzte Richtung fließen wie im Experiment zuvor. „Es schien tatsächlich so, als erzeuge das Licht hier eine elektromotorische Kraft innerhalb des Selens, die in diesem Fall auf Widerstand stieß und der elektromotorischen Kraft der Batterie überlegen war“, beobachteten die Wissenschaftler. Aufgrund dieses unerwarteten Ergebnisses änderten Adams und Day ihre Testreihe und untersuchten umgehend, „ob man mit Licht allein einen Stromfluss innerhalb des Selens erzeugen kann.“ Am nächsten Morgen zündeten sie wenige Zentimeter vom selben Selenstück entfernt eine Kerze an. Der Zeiger auf ihrem Messgerät schlug sofort aus. Wurde das Selen vom Licht abgeschirmt, so fiel die Anzeige auf null. Diese schnellen Reaktionszeiten schlossen die Möglichkeit aus, dass der Strom durch die Kerzenwärme erzeugt wurde (ein Phänomen, das als Thermoelektrizität bezeichnet wird), da bei thermoelektrischen Experimenten die Nadel bei Wärmezufuhr oder -entzug stets langsam steigt oder fällt.

Strom sogar bei Lampenschein

„Aus diesem Grund“, so folgerten die Forscher, „war es klar, dass man in Selen nur über Licht allein einen Stromfluss erzeugen kann“. Sie waren sich deshalb sicher, dass sie etwas ganz Neues entdeckt hatten: dass Licht in einem festen Material einen „Stromfluss" erzeugt. Adams und Day bezeichneten den mit Hilfe von Licht erzeugten Strom als „Photoelektrizität“.Ein paar Jahre später entwickelte der New Yorker Charles Fritts die Technologie weiter und baute das weltweit erste photoelektrische Modul. Er breitete großflächig eine dünne Selenschicht auf einer Metallplatte aus und überzog die Schicht mit einem dünnen, halbdurchsichtigen Blattgoldfilm. Das Selenmodul, so berichtete Fritts, erzeugte einen „kontinuierlichen, konstanten und ziemlich starken“ Stromfluss, „und zwar nicht nur mit Hilfe von Sonnenlicht, sondern auch bei diffusem Tageslicht und sogar bei Lampenschein“. Was die Nützlichkeit seiner Erfindung betraf, so prognostizierte Fritts optimistisch, dass „die photoelektrische Platte es eventuell bald mit den [Kohlekraftwerken] aufnehmen könne“, von denen die ersten 1882, nur drei Jahre vor Fritts Bekanntmachung, von Thomas Edison erbaut worden waren.

Einladung nach Berlin

Fritts sandte seine Solarmodule an Werner von Siemens, dessen Ruf in Elektrizitätskreisen dem von Edison gleichkam und der seine Experimente mit Licht und Selen in den weltweit angesehensten Wissenschaftsjournalen veröffentlicht hatte. Die von den Modulen unter Lichteinstrahlung erzeugte Elektrizitätsmenge beeindruckte Siemens so sehr, dass der berühmte deutsche Wissenschaftler Fritts' Geräte an der Königlich-Preußischen Akademie vorstellte. Siemens erklärte vor der wissenschaftlichen Welt, dass die Module des Amerikaners „uns erstmals die direkte Umwandlung von Lichtenergie in elektrische Energie ermöglichen.“ Siemens hielt die Photoelektrizität für „wissenschaftlich äußerst wichtig“. Ein noch eminenterer zeitgenössischer Wissenschaftler, James Clerk Maxwell, teilte seine Meinung. Er lobte die Photoelektrizitätsstudie als „sehr wertvollen wissenschaftlichen Beitrag“. Aber weder Maxwell noch Siemens konnten sich das Phänomen auch nur ansatzweise erklären. Maxwell fragte: „Ist die Strahlung selbst der Auslöser, oder wird die Wirkung durch eine chemische Zustandsänderung innerhalb des Selens verursacht?“ Siemens machte nicht einmal den Versuch einer Erklärung und drängte stattdessen auf eine „genaue Erforschung der Gründe für das elektromotorische Verhalten des Selens unter Lichteinstrahlung“.

Nur wenige Wissenschaftler schenkten der Forderung von Siemens Beachtung, weil die meisten seiner Zeitgenossen photoelektrische Geräte wie Fritts' „Zauberplatten“ für eine Art Perpetuum Mobile hielten. Sie erzeugten scheinbar ohne Brennstoff und ohne Wärmeabführung Strom. Jeder Viktorianer mit Grips wusste, dass „ein solches Unterfangen unmöglich Erfolg haben könne“. Ein paar mutige Wissenschaftler warfen ihren Kollegen jedoch vor, dass sie die Photoelektrizität nur aufgrund ihrer Unwissenheit verwarfen. So beschwerte sich George M. Minchin, Professor für angewandte Mathematik am Royal Indian Engineering College, bei einem befreundeten Kollegen darüber, dass die zeitgenössische Wissenschaft die Photoelektrizität nur aufgrund ihrer „sehr begrenzten Erfahrung“ als wissenschaftlich untragbar zurückweise. Man handele „aus einer ‚Soweit wir wissen‘-Perspektive heraus, was völlig verrückt ist“. Tatsächlich lieferte Minchin von der Handvoll Experimentalisten des 19. Jahrhunderts die plausibelste Erklärung dafür, was bei einem Blitzeinschlag in einer Selensolarzelle passiert. Vielleicht, so schrieb er, „fungiert sie einfach als Transformator für die bezogene Sonnenenergie, während ihr Eigenmaterial, das den Prozess ermöglicht, vielleicht fast völlig unverändert bleibt“.

Bisher unentdeckte Lichtenergie

Minchins wissenschaftliche Zeitgenossen verwarfen die Möglichkeit, über Photoelektrizität Strom zu erzeugen, auch aufgrund der Ergebnisse ihrer Solarthermie-Messungen mit Hilfe eines mit Glas bedeckten Geräts mit schwarzer Oberfläche, das die Sonnenwärme optimal aufnahm. „Die Annahme, dass alle in einem Sonnenstrahl enthaltenen Energieformen von einer schwarzen Oberfläche aufgenommen und in Wärme umgewandelt werden, könnte doch einfach falsch sein“, argumentierte Minchin. Er glaubte sogar, dass „es vielleicht Formen von Sonnenenergie gibt, die sich nicht um schwarze Oberflächen kümmern“, und dass „die richtigen Oberflächen zu ihrer Messung' eventuell erst noch entdeckt werden müssen“. Minchin hatte das Gefühl, man werde das Potenzial der Photoelektrizität erst dann wissenschaftlich einschätzen können, wenn es der Wissenschaft gelänge, „die Stärke der einzelnen Farben des Lichts“ zu messen.

Albert Einstein stimmte Minchin zu und vermutete, dass die wissenschaftlichen Methoden jener Zeit nicht dazu in der Lage waren, alle von der Sonne ausgehenden Energieformen nachzuweisen. Im Jahre 1905 zeigte er in einer kühnen Veröffentlichung, dass das Licht eine von der Wissenschaft bis dahin unerkannte Eigenschaft besitzt. Licht, so entdeckte Einstein, enthält Energiepakete, die er Lichtquanten nannte (wir bezeichnen sie heute als Photonen). Er behauptete, dass sich die in den Lichtquanten enthaltene Energiemenge, wie bereits von Minchin vermutet, je nach Wellenlänge des Lichts ändert – je kürzer die Wellenlänge, desto höher die Energie. Die Photonen der kürzesten Wellenlänge enthalten zum Beispiel ungefähr viermal soviel Energie wie die der längsten.

Einsteins neue, kühne Beschreibung des Lichts und die Entdeckung des Elektrons mit der ihr folgenden Forschungswelle zur Erkundung seines Verhaltens verhalfen den Wissenschaftlern in der zweiten Hälfte des 20.

Jahrhunderts zu einem besseren Verständnis der Photoelektrizität. Man sah, dass die Energie der stärkeren Photonen in Materialien wie Selen dafür ausreicht, schlecht gebundene Elektronen aus ihrer atomaren Umlaufbahn zu schubsen. Wurden Drähte angeschlossen, so flossen die freigewordenen Elektronen als Elektrizität durch sie hindurch. Während die Vordenker des 19. Jahrhunderts dies noch als photoelektrischen Prozess bezeichneten, wurde das Phänomen ab ungefähr 1920 Photovoltaikeffekt genannt.

Solarzellen wurden zum legitimen Forschungsbereich, und der Traum von Fritts und anderen Selenzellenforschern des 19. Jahrhunderts – eine von der unerschöpflichen Kraft der Sonne angetriebene Weltindustrie, die brennstofflos und umweltverschmutzungsfrei vor sich hin surrt – bekam neuen Auftrieb. Der deutsche Wissenschaftler Dr. Bruno Lange, dessen Solarmodule aus dem Jahre 1931 denen von Fritts ähnelten, prophezeite: „In nicht allzu ferner Zukunft werden riesige Werke tausende dieser Module verwenden, um Sonnenlicht in elektrischen Strom umzuwandeln – genauso wie Wasserkraftwerke und Dampfturbinen Fabriken betreiben und Wohnräume mit Licht versorgen können.“

Auf Euphorie folgt Ernüchterung

Aber Langes Solarbatterie funktionierte auch nicht besser als die von Fritts und wandelte weit weniger als ein Prozent des einfallenden Sonnenlichts in Elektrizität um – kaum genug für eine Verwendung als Stromquelle. Wegen Langes mangelndem Erfolg kamen Experten wie E. D. Wilson von der Photoelektrikabteilung bei Westinghouse Electric zu folgendem Schluss: „Die Photovoltaikzelle ist in der Praxis nicht einmal für den Ingenieur interessant, bis sich ihr Wirkungsgrad mindestens um das Fünfzigfache erhöht hat“. Da er dies nicht für möglich hielt, erklärte Wilson, dass die Selenbatterie „nicht zur Stromumwandlung aus Solarenergie geeignet scheint“. Die Chemikerin Dr. Maria Telkes am Massachusetts Institute of Technology, eine frühe Befürworterin von Solartechnologien, trug in ihrem Bericht an einen Kollegen noch zu Wilsons pessimistischer Einschätzung bei: „Photovoltaikzellen mit Selen degenerieren bei starker Sonneneinstrahlung sehr schnell, was nach Herstellerangabe nicht zu verhindern ist“.

Obwohl die Pioniere der Photoelektrizität die erhofften Solargeräte nicht bauen konnten, war ihre Arbeit doch nicht umsonst. Ein Zeitgenosse Minchins würdigte sie für ihre „teleskopische Vorstellungskraft, der die selige Vision einer Sonnenkraft entsprang, die – anstatt ungenutzt ins All zu fließen und mit Hilfe photoelektrischer Zellen in elektrischen Lagerhäusern gesammelt – Dampfmaschinen völlig aus der Welt schafft und aller Rauchentwicklung Einhalt gebietet“. In seinem 1919 veröffentlichten Buch über Solarzellen machte Thomas Benson den Wissenschaftlern das Kompliment, dass ihre Forschung im Selenbereich als Vorläufer für den „zwangsläufigen Sonnengenerator“ zu betrachten sei.

Das Vermächtnis der Selenforschung ermutigte auch Telkes, die schrieb: „Ich persönlich glaube, dass Photovoltaikzellen sich am besten zur Umwandlung von Solarenergie eignen, sofern ihre Eigenschaften mit Hilfe einer Menge Forschungs- und Entwicklungsarbeit verbessert werden können“.

Copyright John Perlin

johnperlin@physics.ucsb.edu

John Perlin

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