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Photovoltaik bleibt außen vor

Der Agenturchef aus der Berliner Chausseestraße hat sich auch diesmal zu Wort gemeldet, wieder in der „Berliner Zeitung“ und ieder mit einem Kürzungsvorschlag, wenn auch nur noch halb so rabiat wie im Herbst. Damals, anlässlich der Debatte um die Solarkürzungen im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), hat Stephan Kohler, Geschäftsführer der halbstaatlichen Deutschen Energie-Agentur (Dena) eine Beschränkung des Photovoltaikausbaus auf 1.000 Megawatt im Jahr gefordert: „Dann erreichen wir die gerade noch erträgliche Marke von 30 Gigawatt Solarstrom im Jahr 2020.“ Andernfalls drohe die Überlastung der Netze durch Solarstrom. Jetzt, im Zuge der Energiewende-Debatte nach Fukushima, forderte Kohler eine Beschränkung auf jährlich 2.000 Megawatt. „Damit wir mit dem Strom aus Sonnenkraft wirklich sinnvoll umgehen können, brauchen wir erst einmal einen Umbau der Netzsteuerung, weil Photovoltaik sehr unregelmäßig anfällt. Hohe Leistung, wenig Ertrag, das ist keine gute Kombination.“ Selbst wenn man annimmt, dass schon in diesem Jahr nur noch 2.000 Megawatt zugebaut würden, käme man gemäß Kohlers neuer Forderung 2020 auf insgesamt 37 installierte Gigawatt in Deutschland – eine Größe, die der Dena-Chef noch im Herbst für nicht mehr erträglich gehalten hatte.Die Bundesregierung setzt derzeit auf einen Ausbau von bis zu 3.500 Megawatt jährlich.

Nicht wissenschaftlich motiviert

Kohlers Verdopplung seiner eigenen Ausbauforderung innerhalb eines halben Jahres kann man als Symptom für die Diskussion über die geplante Energiewende nach Fukushima lesen: Zum einen dafür, dass die Photovoltaik nach der letzten Kürzungsrunde etwas aus der Schusslinie geraten ist, aber nicht im Zentrum des Umbaus zu den Erneuerbaren steht. Und zum anderen als Zeichen dafür, dass viele Argumente eher politisch motivierte Wegmarken dennwissenschaftlich unumstößliche Gründe sind.

Dies gilt auch für die verschiedenen Ausstiegsdaten aus der Atomenergie, die derzeit in die Debatte geworfen werden, von 2014 (Linke, Deutscher Naturschutzring – DNR) über 2015 (Greenpeace) und 2017 (Grüne) bis hin zu 2020 (SPD, CSU-Chef Horst Seehofer) und 2021 (Ethikkommission der Bundesregierung), belegt mit Studien und Thesenpapieren. Vor allem die Begründungen für die frühen und späten Ausstiegstermine scheinen von politischen Motiven geleitet.

Bei DNR und Linkspartei, deren Papiere vergleichsweise spät auf den Markt kamen, mag die Notwendigkeit, sich von anderen Organisationen und Parteien noch abzugrenzen, eine gewisse Rolle gespielt haben. Inhaltlich sind beide Papiere eher dünn, in beiden fehlen Vorstellungen, welche der erneuerbaren Energien als Atomersatz ausgebaut werden sollen.

Sanfter Übergang

Bei den Regierungsparteien spielt der Versuch, den großen Energiekonzernen einen möglichst sanften Übergang aus der Atomenergie in das Zeitalter der Erneuerbaren zu ermöglichen, eine Rolle für den späteren Ausstiegstermin. Für die SPD argumentierte Frank-Walter Steinmeier auf dem Höhepunkt der Debatte im „Hamburger Abendblatt“ überraschend offen gegen einen Atomausstieg 2017: „Genauso wichtig wie Klimaschutz und eine gesunde Umwelt“ sei für die Deutschen: „Wir sind nicht irgendein Land, sondern ein bedeutender Industriestandort. Der Erhalt von Arbeitsplätzen hängt von einer sicheren Energieversorgung ab. Und: Energie muss für alle Verbraucher auch bezahlbar bleiben.“Steinmeiers Argument der Bezahlbarkeit des Ausstiegs teilen alle relevanten Akteure. In dem Papier „6 Punkte für eine beschleunigte Energiewende“ des damaligen Bundeswirtschaftsministers Rainer Brüderle (FDP) und Umweltministers Norbert Röttgen (CDU) heißt es zu den Erneuerbaren etwa: „Um bezahlbare Strompreise zu garantieren, muss der Ausbau kosteneffizient erfolgen“ – seit dem vergangenen Jahr eine Umschreibung der Regierungskoalition dafür, dass Solarenergie vergleichsweise wenig gefördert werden soll. Röttgen verteidigte im Oktober 2010 die Kürzungen der Solarförderung wie folgt: „Die Bundesregierung hat beschlossen, den kosteneffizienten Ausbau der erneuerbaren Energien weiter voranzutreiben.“ Die Katastrophe von Fukushima beschleunigt also nur den Ausbaupfad, der schon seit dem vergangenen Jahr bei Regierung aus Kostengründen favorisiert wird: den Run auf Windenergie zu Lande und zu Wasser. Dabei sind die Argumente bein den Kosten nicht so eindeutig, wie ein Gutachten des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) zeigt: Demnach wird 2014 Onshore-Wind zwar die gleichen Stromgestehungskosten haben wie der fossile Energiemix, Offshore-Windparks und kleine Photovoltaikanlagen erst 2030. Strom aus Offshore-Windparks wird noch bis 2030 günstiger sein als der aus kleinen Photovoltaikanlagen. Thomas Schlegl vom Fraunhofer ISE zufolge werden aber spätestens ab 2014 große Photovoltaik-Freiflächenanlagen in Deutschland schon dieselben Stromgestehungskosten haben wie Offshore-Windparks.

Trotzdem setzen fast alle Szenarien, die derzeit in Umlauf sind, setzen – mit Abweichungen im Detail – auf einen mittelfristigen Mix aus grundlastfähigen Gaskraftwerken ergänzt um die schon im Bau befindlichen Kohlekraftwerke und Biomasse, verbunden mit dem massiven Ausbau der Windenergie. In dem Sechs-Punkte-Papier von Brüderle und Röttgen dreht sich alles um den Ausbau von Offshore- und Onshore-Windanlagen, Photovoltaik kommt nicht vor.

Die SPD hat in einem langen und sehr detaillierten Antrag im Bundestag ihre zukünftige Energiepolitik dargelegt. Darin heißt es, dass bis 2050 die Windenergie über 45 Prozent des Strombedarfs decken soll, für den Solarstrom fehlt ein entsprechender Wert. 2020 sollSolarstrom immerhin sieben Prozent Anteil an der deutschen Stromversorgung haben.

Auch die Bundestagsfraktion der Grünen fordert, „insbesondere den Ausbau der Windenergie an Land zu sichern und durch zusätzliches Repowering zu beschleunigen“ sowie „Anreize für den Ausbau der Offshore-Windenergie zu setzen“. Für die Photovoltaik heißt es vorsichtiger, ihr Ausbau solle „weiter angeregt“ werden. Auf Nachfrage erklärt der energiepolitische Sprecher Hans-Josef Fell allerdings, die Grünen befürworteten nach wie vor einen Ausbau von fünf Gigawatt Photovoltaik pro Jahr bis 2020.

Falsche Festlegungen?

Was bedeutet die jetzt angestrebte Energiewende für die Solarbranche? Sie kann, bleibt die Bundesregierung beim vorgestellten EEG-Entwurf (siehe „Versteckte Kürzungen“, Seite 20), voraussichtlich auf einen sicheren, aber vergleichsweise geringfügigen Ausbaupfad vertrauen, der ihr dann, wenn die eigenen System-kosten gesunken sind, den erneuten Kampf um größere Marktanteile ermöglicht. Die Windkraft übernimmt, wenn nicht Proteste aus der Bevölkerung gegen die „Verspargelung“ der Landschaft oder ein anhaltendes Desinteresse der großen Energiekonzerne an Offshore ihren Ausbau verzögern, wieder die Rolle als Schrittmacher der Erneuerbaren.

Die Frage ist aber, ob die im jetzigen Zeitfenster getätigten Investitionen in eine zentrale Infrastruktur wie Höchstspannungsleitungen den Ausbaupfad auch dann bestimmen, wenn die dezentrale Photovoltaik bei den Kosten konkurrenzfähig geworden ist. Gerhard Stryi-Hipp, Leiter Energiepolitik beim Fraunhofer ISE, glaubt das nicht: „Die Erneuerbaren haben alle, wenn sie in bestimmte Dimensionen des Ausbaus hineinkommen, spezifische Nachteile, so dass der Aspekt, dass eine bestimmte Infrastruktur aufgebaut ist, sicher nicht der entscheidende Faktor ist. Letztlich ist die Frage, wie bekommen wir einen Energiemix, der uns eine sichere Energieversorgung gewährleistet, uns unabhängig macht und geringstmögliche Investitionen in Speicher und Netze mit sich bringt.“ Die Wissenschaftler des ISE befürworten langfristig einen Photovoltaikanteil von 30 Prozent an der Stromversorgung.

Martin Reeh

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