Ab 2020 werden neben kurzfristigen auch saisonale Energiespeicher gebraucht. Wasserstoff und Methan versprechen, Sonnen- und Windstrom günstig zu konservieren. Eine Pilotanlage bei Prenzlau speist bereits regelmäßig Wasserstoff ins Gasnetz ein.
Der alte Gutshof Dauerthal im Landkreis Uckermark besteht aus vier Häusern. Darunter stechen zwei moderne Bürogebäude ins Auge. Das eine ist rund und mit Holz verkleidet, das andere verfügt über einen großzügigen Lichthof. Ein Gang verbindet beide Gebäude. In dieser Idylle befindet sich der Hauptsitz des Wasserstoffpioniers Enertrag. Auf dem Weg in die zehn Kilometer entfernte Stadt Prenzlau liegt das Prestigeobjekt des Projektierers von Windanlagen: ein Hybridkraftwerk. Sogar eine chinesische Delegation war bereits vor Ort, um die Anlage zu besichtigen. Durchsichtige Schläuche auf beiden Seiten führen in zwei runde, längliche Metallbehälter. Auf einem steht in blauer Schrift ein großes „O2“ für Sauerstoff und auf dem anderen ein rotes „H2“ für Wasserstoff. Der Elektrolyseur verfügt über 600 Kilowatt Leistung; er dreht den Prozess in einer Brennstoffzelle um: Strom spaltet dabei Wasser in Wasser- und Sauerstoff. Der Ökostrom kommt von drei Windenergieanlagen mit einer Leistung von 6,9 Megawatt. Zwei Blockheizkraftwerke (BHKW) verbrennen anschließend das Gasgemisch aus Biogas und Wasserstoff.
Als Enertrag-Gründer und Vorstandsvorsitzender Jörg Müller Anfang der 90er-Jahre einen Windatlas für das brandenburgische Umweltministerium erstellte, fand er heraus, dass die Uckermark ein windstarkes Fleckchen ist. Er kaufte das alte Gut, begann sein Büro einzurichten und Windkraftanlagen aufzustellen. „So begann alles“, erzählt Müller, „und nun steht die Energiewende an einer entscheidenden Schwelle.“ Ab einem Ökostromanteil von 25 bis 30 Prozent werden langfristige Speicher gebraucht. „Einen Wert von 70 Prozent Ökostrom erreichen wir nicht ohne die Power-to-Gas-Technologie“, sagt Müller.
Warum Wasserstoffspeicher?
Die derzeit vorhandene Stromspeicherkapazität in Deutschland beläuft sich bei einem jährlichen Verbrauch von etwa 617 elektrischen Terawattstunden auf nur rund 0,04 Terawattstunden. Die Speicher decken rechnerisch den Strombedarf für nicht einmal eine einzige Stunde. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) prognostiziert für Deutschland im Jahr 2025 bis zu 50 Terawattstunden überschüssigen Strom. Das Erdgasnetz verfügt immerhin über eine Kapazität von 120 elektrischen Terawattstunden. Deshalb braucht das Energiewendeland diese neue Speichertechnik.
An dieser Vision arbeitet auch der Wissenschaftler Ulrich Zuberbühler. Der Verfahrensingenieur betreut seit mehr als zehn Jahren das Thema Power to Gas (PtG) am Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) in Stuttgart. Die ersten kommerziellen Anlagen kommen ab 2017 auf den Markt, prophezeit Zuberbühler. „Die Akteure müssen heute ins Feld, damit die Technologie in zehn Jahren kostengünstig zur Verfügung steht.“ Die Erzeugung von Wasserstoff ist von besonderer Bedeutung für den Prozess.
Konkurrenz zu anderen Speichern
Das ZSW arbeitet exklusiv mit der Firma Etogas. Die hieß früher Solarfuel und hat eine Sechs-Megawatt-Pilotanlage für den Autobauer Audi im emsländischen Werlte gebaut. Bei den Stuttgarter Wissenschaftlern steht neben der Elektrolyse auch die Methanisierung im Fokus. Das bedeutet, dass der Wasserstoff mit Kohlendioxid aus einer Biogasanlage reagiert. Im Ergebnis entsteht ein Methangas, Hauptbestandteil des heutigen Erdgases. Bis zu 60 Prozent des Stroms können so als Gas konserviert werden. Durch die Umwandlung von Wasserstoff zu Methan gehen allerdings nochmals rund zehn Prozentpunkte des Wirkungsgrades verloren. „Das Verfahren steht nicht in Konkurrenz zu anderen Energiespeichern wie Schwungrädern, Pumpspeichern oder Batterien“, erklärt Zuberbühler. Die saisonale Speicherung über einen langen Zeitraum, das könne keine Batterie kostengünstig leisten. Der Solarstrom aus dem Sommer kann so im Herbst und Winter verbraucht werden. Im Einfamilienhaus sei die Technik zu komplex, sagt Zuberbühler, dort bliebe die Batterie konkurrenzlos. „Aber Photovoltaikanlagen ab einem Megawatt Anschlussleistung kommen für die Überschussspeicherung in Betracht.“
Zwei Varianten der Elektrolyse
Für eine gesamte PtG-Anlage liegen die Kosten derzeit bei 3.000 Euro pro Kilowatt elektrischer Anschlussleistung, unter 1.000 Euro müssen angepeilt werden, rechnet Zuberbühler vor. Elektrolyseure sind Herz und Achillesferse der Technologie zugleich. Es gibt zwei Varianten: die alkalische und die PEM-Elektrolyse. Das Kürzel steht für Elektrolysezellen mit einer Protonen-Austausch-Membran. Das ZSW arbeitet an der alkalischen Druckelektrolyse ohne Verdichter. Für Anlagen im Megawattbereich werden größere Zellen und der Übergang von Hand- auf Industriefertigung nötig sein. Bei der Elektrolyse liegen die Kosten bei 1.000 Euro pro Kilowatt. Die Technik muss 300 Euro schaffen.
Das Hybridkraftwerk in Prenzlau hat inklusive Gasleitung insgesamt 21 Millionen Euro gekostet. Rund drei Millionen Fördermittel erhielt das Unternehmen. Die industriellen Partner Deutsche Bahn und Vattenfall haben je eine halbe Million Euro investiert. „Als wir 2006 angefangen haben, gab es keine fertigen Elektrolyseure am Markt. Deshalb haben wir selbst einen entwickelt“, sagt Enertrag-Chef Müller. Nun führt das Unternehmen McPhy die Entwicklung fort. Die Franzosen haben die Enertrag-Sparte im September 2013 übernommen und neues Risikokapital bei Geldgebern eingesammelt. Enertrag setzt als Mittelständler nur noch auf die Energieerzeugung. „Anlagenbau ist nicht unser Kerngeschäft“, unterstreicht Müller.
Noch fehlt der Absatzmarkt
Enertrag liefert mittlerweile regelmäßig Wasserstoff für die Tankstelle von Total in Berlin – hier sieht Enertrag auch zünftig sein Hauptgeschäft. Die Einspeisung ins Erdgasnetz ist vorerst nur ein Nebenerwerb. „Was bislang fehlt, ist der Absatzmarkt für Wasserstoff“, sagt Müller. Aufgrund der strengen Abgasvorschriften tanken heute zwar viele Gabelstapler Wasserstoff. Er empfiehlt der Bundesregierung jedoch dringend, nicht nur auf Elektromobilität mit Batterien zu setzen, sondern auf die Brennstoffzelle. (Niels Hendrik Petersen)
Den vollständigen Report lesen Sie in der neuen Ausgabe des Fachmagazins photovoltaik, das am 6. Februar erscheint.