Mitten im Winter steht die bunt zusammengewürfelte Gruppe der Kursteilnehmer draußen, vor dem Gebäude, in dem die Kurse stattfinden. Sie richten Photovoltaikmodule nach der nur müde scheinenden Sonne aus. Erst schalten sie die glänzenden Panels in Reihe, dann parallel. Aber das Messergebnis entspricht nicht den Erwartungen. Also nimmt einer den Schraubenzieher und prüft den Sitz der Kabel. Er schraubt sie fest und misst die Spannung erneut. Diesmal stimmen die Werte. „Es stört mich nicht, dass es hier kalt ist“, sagt, gut gelaunt, Andres Acuña aus Santiago de Chile. „Hier sehe ich, welchen Einfluss die Temperatur auf die Leistung der Module hat.“
Weite Wege für exaktes Wissen
Über 12.000 Kilometer ist der Projektleiter aus Chile angereist, um in Berlin an dem Kurs Off-grid Photovoltaic-Systems für Ingenieure teilzunehmen. Acuña ist nur einer von 263 Stipendiaten im TREE-Programm, die in den nächsten Wochen und Monaten in der deutschen Hauptstadt je eine Woche lang über Solarenergie oder erneuerbare Energien weitergebildet werden. TREE, das steht für Transfer Renewable Energy and Efficiency. Mit Botanik hat das nichts zu tun. Vielmehr soll das Programm der deutschen Renewables Academy (Renac) den Teilnehmern aus Asien, Afrika, Süd- und Mittelamerika handfeste Kenntnisse über erneuerbare Energien vermitteln.Das Programm ist im Dezember 2008 zuerst für die Ingenieure angelaufen. Für sie gibt es Kurse über die Gewinnung von Solarstrom. Je eine Woche Off-grid, On-grid oder Solarthermie. Eine andere Reihe von Seminaren gibt Entscheidern aus Wirtschaft und Politik einen Überblick über verschiedene Formen erneuerbarer Energien. Zurückin der Heimat, können die Teilnehmer das neu erworbene Wissen im Anlagenbau oder für die Planung von Projekten umsetzen. „Wir wollen den Wissenstransfer in Richtung Schwellen- und Entwicklungsländer beschleunigen“, sagt Berthold Breid, Leiter der Renac, der das TREE-Programm entwickelt hat. „So wie es bereits 1997 im Kyoto-Protokoll beschlossen wurde.“ Lange Jahre war in dieser Richtung nicht viel passiert. Mit dem TREE-Programm aber fördert die deutsche Regierung ein weltweit wahrscheinlich einzigartiges Projekt. Und es scheint einen zentralen Nerv getroffen zu haben. Nachdem die Renac im vergangenen Oktober die Förderung durch die Internationale Klimaschutzinitiative des Umweltministeriums erhalten hat, hatten sich innerhalb weniger Wochen 850 Teilnehmer auf die 260 Plätze beworben. Dass sie ein Stipendium erhalten, das neben den Kursgebühren auch Flug, Reisekosten und Aufenthalt abdeckt, ist für viele Teilnehmer sicherlich ein wichtiger Anreiz. Aber vor allem ist der Bedarf an Expertenwissen groß. In vielen Ländern gibt es keine Möglichkeiten, sich den Rat von Fachleuten über technische Details einzuholen.
Multiplikatoren sind erwünscht
Trotzdem sind die Stipendien keine Anfängerkurse. „Entscheidend für die Annahme war die Berufserfahrung und wie groß die Multiplikatorwirkung in ihrem Land ist“, sagt Breid. Denn das Wissen, das in den Kursen gewonnen wird, soll sich in den Ländern möglichst schnell weiterverbreiten.
Die Teilnehmer des Off-grid-Kurses kommen aus sieben verschiedenen Ländern, unter anderem Namibia, Mexiko oder China. Sie haben als Ingenieure bereits Erfahrungen mit erneuerbaren Energien und kommen von Firmen, die sich auf Solarinstallationen spezialisieren wollen, oder arbeiten mit den Regierungen zusammen an der Planung und Kontrolle von Projekten.Dabei ist der Klimaschutz gar nicht die alleinige Triebkraft. Die wirtschaftlichen Bedingungen des Landes können eine ebenso entscheidende Rolle spielen. Andres Acuña von Solar Energy Chile, einem kleinen Projektierer in der Hauptstadt Santiago de Chile, der in den vergangenen zwei Jahren vor allem mit Solarthermie gewachsen ist, soll jetzt auch Solaranlagen entwerfen und installieren. Konkrete Projekte hat er zwar bisher noch nicht umgesetzt, aber er bekommt zahlreiche Anfragen. Vor allem von Menschen, die ihre Häuser in entlegenen Gegenden bauen.Bisher sorgen dort dieselbetriebene Generatoren für den elektrischen Strom. „Aber die Menschen sehen ein, dass sie langfristig sehr viel mehr dafür bezahlen werden, und wollen auf Solar umsteigen.“ Allerdings ließen sie sich oft durch die hohen Einstiegskosten abschrecken. Wie er die Anlagen und die Haushaltsgeräte möglichst genau planen könne, um den Kunden Kosten zu sparen, will Acuña in Berlin lernen. „Ich bin im PV-Bereich noch gar nicht so sicher, was ich meinen Kunden empfehlen soll“, sagt er. „Hier lerne ich, das System so genau wie möglich zu planen, um es für die Kunden so günstig wie möglich zu machen.“Chong Chew Fan von der Sepakat Setia Perunding, einem Consulting-Büro für Ingenieure, arbeitet in Kooperation mit der malayischen Regierung. Off-grid-Anlagen sollen in den nächsten Jahren verstärkt gefördert werden. „Es ist nicht einfach, Informationen in diesem Bereich zu bekommen“, sagt Fan. Wissen, das aber notwendig ist, um Fachleute auszubilden, die in der Zukunft die Projekte evaluieren können. Fan selber hat vor allem Erfahrung mit netzgekoppelten Systemen. Er war bisher beim malayischen „Building integrated project“, das 1994 von der malayischen Regierung initiiert wurde. Jetzt bekommt er viele Angebote über Off-grid-Anlagen. „In diesen Angeboten ist uns einiges unverständlich“, sagt Fan. „Das macht es schwierig, die Projekte zu evaluieren.“ Seine Firma will nicht länger von der Einschätzung internationaler Consultants abhängen, sondern selber entscheiden können, ob ein Angebot eine Förderung verdient oder nicht.
Auch die Praxis ist wichtig
Damit die Teilnehmer in der Heimat auch selber mit anfassen können und die Belange der Anlagenbauer und -betreiber verstehen, haben die Kurse einen theoretischen und einen praktischen Teil. Hier probieren die Teilnehmer alles selber aus. Sie messen Spannung, verkabeln Batterien und haben am Ende des Kurses alle entscheidenden Komponenten im technischen Zusammenhang kennen gelernt. Kenntnisse, die auch Paulina Kandall Lyambo aus Windhoek zugute kommen werden, wenn sie in Namibia Solarprojekte leitet und kontrolliert. Sie arbeitet für das nationale Elektrizitätsunternehmen Nampower und sieht in dem sonnigen Land ein großes Potenzial für Solarenergie. On-grid-Anlagen gibt es bisher nicht, sondern vor allem Inselanlagen für den Hausgebrauch. Und hier sind die Kosten der limitierende Faktor. „In Namibia ist es sehr teuer, ein PV-System zu Hause zu haben.“ Das kann sich bisher nur ein Teil der Bevölkerung leisten. Ihr Kollege David Jarret, der ebenfalls für die Nampower arbeitet, glaubt, dass es sich für Namibia trotzdem lohnt, den Stand der Technik zu kennen, da die Preise mit steigender Nachfrage sinken werden.Rahmenprogramme der Regierungen können dazu beitragen, alternative Energien in den Ländern einzuführen und attraktiver zu machen. Vielleicht können die Kurse für die Entscheidungsträger, die Anfang des Jahres beginnen, helfen, die Kosten für Photovoltaiksysteme und andere Technologiender erneuerbaren Energien in der Zukunft zu senken. Denn die Referatsleiter aus Ministerien, Banker und Bauunternehmer erfahren in diesen Kursen nicht nur, in welche Technologie es sich zu investieren lohnt, sondern auch, wie man sie mit gezielter Förderung stärken kann. Je nach Schwerpunkt bekommen sie Einblick in den Stand der Technik bei Solarkraft und Biogas, Geothermie oder Windenergie. „Nach dieser Woche sollen die Teilnehmer eine Idee haben, in welchem Bereich sie in ihrem Land weiterarbeiten wollen“, sagt Berthold Breid. Damit an dem Punkt der Wissensstrom nicht abreißt, sind für das Frühjahr Vertiefungsseminare geplant. Eine zu große Abhängigkeit von der Renac will Breid trotzdem nicht schaffen. Er wünscht sich Eigendynamik. Dafür sollen sich die Stipendiaten bald online vernetzen können. „Ich hoffe, dass die Teilnehmer über das TREE-Programm zu einem guten Austausch kommen und sich gegenseitig unterstützen. Damit nicht jeder wieder alleine von vorne anfangen muss.“