Am vergangenen Samstag kamen Tausende Menschen nach Berlin, um für die konsequente Fortführung der Energiewende zu demonstrieren. Sie werfen der künftigen großen Koalition vor, die erneuerbaren Energien ausbremsen zu wollen.
Mehr als 16.000 Menschen kamen am vergangenen Samstag in Berlin zusammen, um gemeinsam gegen die im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD vereinbarten energiepolitischen Ziele zu protestieren. Es waren nicht nur die Umweltschützer, die an diesem Samstag mit einem langen Marsch vom Berliner Hauptbahnhof durch die Innenstadt bis hin zum Kanzleramt ihre Sorge vor dem Ende der Energiewende zum Ausdruck brachten. Es waren vor allem die Mitarbeiter der Hersteller und Installateure von Solarstrom- und Windenergieanlagen, sie sich um ihre Arbeitsplätze sorgen, wenn die künftige große Koalition den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien mit massiven Sanktion verhindern will. Denn mit den Eigenverbrauch hat die Photovoltaik ein Geschäftsmodell gefunden, dass weder die Stromnetze noch die Geldbeutel der Stromkunden länger zusätzlich belastet. Doch wenn dieser Eigenverbrauch, wie von der großen Koalition geplant, mit Netzentgelten und EEG-Umlage belastet werden soll, wird der Solarbranche auch dieses Geschäftsmodell entzogen.
Photovoltaik entzieht sich dem Diktat der Politik
Es scheint die Angst davor, dass sich die erneuerbaren Energien dem Diktat der Politik und der großen Energiekonzerne entziehen, indem sie auf Eigenverbrauch setzen. „Plötzlich belächeln die großen Energiekonzerne uns mit unseren kleinen Solaranlagen nicht mehr“, betont Luise Neumann-Cosel, Sprecherin von BürgerEnergie Berlin. „Plötzlich sind wir knallharte Konkurrenz. Deshalb ist es kein Wunder, dass die Energiekonzerne gerade mit allen Mitteln versuchen, die Energiewende zu verhindern. Denn ihnen kommt einfach ihr Geschäftsmodell abhanden.“ Die Argumentation, die erneuerbaren Energien würden die Strompreise weiter nach oben treiben, ist für sie eine große Lüge. Sie lässt solche fadenscheinigen Argumente genauso wenig gelten wie Christian Woltering, verantwortlich für fachpolitische Grundsatzfragen beim Paritätischen Gesamtverband. „Die Politik versucht seit geraumer Zeit, die Wohlfahrts- und Sozialverbände zu Kronzeugen gegen die Energiewende darzustellen“, sagt er. „Es heißt, wir prangern die hohen Strompreise an, wir warnen vor Energiearmut. Wir die Sozialverbände wollen die Energiewende und wir stehen dahinter“, betont Woltering. „Die Umwelt- und die Sozialbewegungen lassen sich nicht länger von der Politik auseinander dividieren.“
„Es ist etwas faul im System“
Statt die Energiewende mit dem falschen Argument auszubremsen, durch sie würden die Strompreise nach oben getrieben, fordert er, die energiepolitischen Maßnahmen endlich auch sozialpolitisch zu flankieren, um eine soziale Spaltung in Deutschland zu verhindern. „Wenn mehr als 300.000 Haushalten pro Jahr der Strom abgestellt wird, weil sie sich den Strom nicht mehr leisten können, es auf der anderen Seite aber für die Industrie an allen Ecken und Enden Vergünstigungen gibt, dann ist da etwas faul im System und da müssen wir etwas dagegen machen“, sagt Woltering. „Die Versäumnisse in der Energie- und Sozialpolitik offenbaren schon seit längerem Lücken im sozialen Netz, durch das immer mehr Menschen hindurch zu fallen drohen“, sagt er. „Auch der jetzt vorliegende Koalitionsvertrag ist nicht nur aus umwelpolitischer Sicht ein Armutszeugnis, sonder auch gerade aus sozialpolitischer Sicht.“ Er fordert unter anderem im Wohngeld wieder eine Heizkostenkomponente einzuführen.
Energiewende ist preiswert und sozial
„Wie so häufig ist die Zivilgesellschaft schon viel weiter als die Politik“, betont Woltering. „Es gibt breiten Konsens zwischen Umweltverbänden, Sozialverbänden, Gewerkschaften und weitere zivilgesellschaftlichen Organisationen in energie- und sozialpolitischen Fragen. Alle haben es verstanden. Nur die kommende Bundesregierung hat offenbar noch nichts verstanden. Die Energiewende ist umweltpolitisch sinnvoll und sie ist solidarisch kommenden Generationen gegenüber.“ Noch weiter geht Franz Alt, Publizist, der viele Jahre über die Entwicklung der erneuerbaren Energien berichtet hat. „Solarstrom ist Sozialstrom“, ruft er der Menge von der Bühne zu. „Denn die Sonne schickt uns keine Rechnung. Nichts so preiswert und nichts so sozial wie eine wirklich rasche Energiewende.“ Er wehrt sich dagegen, dass die erneuerbaren Energien als Sündenböcke für Strompreiserhöhungen herhalten müssen. „Wenn wir die Energiewende bis zum Ende gehen, werden wir Energie haben, die nichts kostet“, betont er. „Es ist richtig: Die Energiewende kostet Geld. Aber keine Energiewende kostet die Zukunft“, betont Alt. Wir alle haben in den letzten 13 Jahren etwa 62 Milliarden Euro für die erneuerbaren Energien aufbringen müssen. Das ist richtig. Aber für die alte Energie, für Kohle und Atomstrom, wurden weit über 400 Milliarden Euro an Subventionen aufgebracht, die aber auf keiner Stromrechnung auftauchen, weil es Steuergelder sind. Das sind die wirklichen Zahlen.“ (Sven Ullrich)