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Vision Netz AG

Angesichts der steigenden Netzeinspeisung von regenerativ erzeugtem Strom rücken Fragen des Netzzugangs, des Netzausbaus und der Betreiberstruktur zunehmend in den Fokus des Brancheninteresses. Solarworld-Boss Asbeck, seit kurzem auch Vorstandsmitglied des Bundesverbands Solarwirtschaft (BSW-Solar), breschte vor und kündigte öffentlich an, „ein Viertel des deutschen Stromnetzes zu kaufen“. Um was geht es?

In Deutschland bieten über 800 Versorgungsunternehmen Strom an. Dieser wird durch das deutsche Stromnetz im gesamten Bundesgebiet zu den Kunden geleitet. Dabei wird zwischen dem Höchst- und Hochspannungsnetz sowie Mittelspannung und Niederspannung unterschieden. Insgesamt sind das 1.650.000 Kilometer Stromleitungen.

Besonders interessant sind davon aber die 36.000 Kilometer Höchstspannungsnetz – die Stromautobahnen. Sie werden zurzeit von den großen Energieversorgungsunternehmen (EVUs) betrieben: Vattenfall, EnBW, RWE und Eon. Wer etwas durchleiten will, zahlt ein Durchleitungsentgelt. Die Platzhirsche haben es in vier Regelzonen eingeteilt, sie haben hier die Kontrolle. Sie stellen die Anträge, wo und wie die Leitungen ausgebaut werden und können auch – wenn technische Gründe vorliegen – über Abriegelungen entscheiden.

Damit können sie effektiv Hindernisse für alle anderen Wettbewerber schaffen. „Ja, natürlich kennen wir das. Das ist ein großes Problem in Nordfriesland“, sagt Ulf Gerder vom Bundesverband Windenergie (BWE). Bei Starkwind nehme der Netzbe treiber „regelmäßig die Windräder vom Strom. Allein im Januar und Februar diesen Jahres verzeichneten deshalb „Anlagenbetreiber im nordwestlichen Schleswig-Holstein Ertragsausfälle von über 2,5 Millionen Euro.“ In Einzelfällen komme es zu Abschaltungen von 20 Prozent. Die EVUs begründen dies mit dem stark schwankenden Aufkommen von regenerativen Energien wie der Windkraft, Netzengpässen und zu bürokratischen Planungsverfahren. BWE-Vertreter Gerder führt dies eher auf den fehlenden Wettbewerb beim Netzbetrieb zurück. „Die großen EVUs nutzen ihre monopolartige Struktur aus und investieren zu wenig in den Netzausbau“, sagt Gerder.

Und nicht nur die Windkraft wird behindert. Immer mehr die EVUs verlangen auch von den Betreibern von Photo voltaikanlagen Einspeiseverträge, obwohl dies nach dem EEG ausgeschlossen ist. Wer sich weigert die Knebelverträge zu unterzeichnen, in denen beispielsweise zusätzliche Anschlussgebühren festgelegt sind, dem wird sogar damit gedroht, die PV-Anlage erst gar nicht ans Netz anzuschließen. Branchenvertreter wie Susanne Jung vom Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV) sprechen deshalb von einer „gezielten Verhinderungstaktik der Netzbetreiber“ (siehe PHOTOVOLTAIK, 08/2008).

Netz AG für mehr Wettbewerb

Die EU-Kommission möchte deshalb mehr Wettbewerb und fordert seit Jahren die Entflechtung der gegebenen Strukturen. Stromanbieter sollen demnach keine Netzbetreiber sein. Diskutiert wird eine deutsche Netz AG. Die Idealvorstellung ist, dass die vier großen Netzbetreiber die Anteile ihres Höchstspannungsnetzes in einem gemeinsamen Unternehmen einbringen – in eine zentrale Gesellschaft. Investoren könnten dann das so übereignete Kapital als Anteile einer Aktiengesellschaft kaufen. Konkrete Schritte zur Ausgestaltung sind noch in Diskussion. Die Eigentümerstruktur ist beispielsweise noch völlig offen. Vor allem aber muss geklärt werden, wer über den Verkauf die Aufsicht hat. In einem Punkt sind sich Netzbetreiber und Regierung auch schon einig: Es soll ohne staatliche Beteiligung laufen. Im Juni noch hat Bundeswirtschaftsminister Glos erklärt: „Das muss ohne Staatsknete laufen.“ Gegen eine von oben verordnete Netz AG laufen sowohl Kanzlerin Merkel als auch die Bundesregierung Sturm. Es wird kräftig über den richtigen Weg zu mehr Wettbewerb gestritten.

Unter französisch-deutscher Federführung haben sich acht EU-Länder zusammengeschlossen, um weitere Einschnitte in die nationalen Strommärkte zu verhindern. Insider nennen es den „dritten Weg“. Demnach soll es den Mitgliedsstaaten überlassen bleiben, ob sie die volle eigentumsrechtliche Aufspaltung der Konzerne wollen oder den Status quo mit stärkerer Regulierung verbinden wollen. Die acht Länder bilden zusammen einen Block gegen die Brüsseler Pläne. Und gemeinsam sind sie stark: Sie erreichen die notwendige Sperrminorität. Brüssel wäre im Ernstfall also machtlos.

In Deutschland hat die Bundesnetzagentur seit 2006 die Aufsicht über die deutsche Energiewirtschaft und sie regelt die Nutzungsentgelte und den Zugang zum Stromnetz. Sie ist es auch, die die Rendite für die Betreiber der Netze festlegt. Seitdem vor zwei Jahren diese staatliche Regulierung eingeführt wurde, seien die Hemmnisse für die regenerativen Stromanbieter spürbar geringer geworden, sagen Experten wie Christian Growitsch vom Wissenschaftlichen Institut für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (WIK).

Der „dritte Weg“ baut auf solch einer Regulierung auf und wurde zuletzt bei dem EU-Ratstreffen der Wirtschaftminister im Juni 2008 erneut vorgeschlagen. Die Pressestelle des Bundeswirtschaftsministeriums spricht von einer positiven Reaktion und allgemeiner Akzeptanz. Das nächste Treffen findet im Oktober diesen Jahres statt. Auch wenn es derzeitig nicht offiziell bestätigt wird, ist wahrscheinlich, dass dann weiter über dieses Thema verhandelt wird.

Pochen auf Pfründe

In dieser Diskussion versucht jeder seine Pfründe zu behalten. So heißt es bei RWE: „Wir sind die besten Netzbetreiber“. Was sollen sie auch sonst sagen? Zwar lockt mit rund neun Prozent keine Power-Rendite, sie ist aber stabil und sicher. Investitionen werden über steigende Nutzungsentgelte an die Verbraucher weitergeleitet – die Rendite bleibt damit erhalten. Jeder Betriebswirt würde wohl solch eine Investition begrüßen. Und so erklärt auch WIK-Ökonom Growitsch: „Neun Prozent sind nicht wenig für ein nur mit geringen Risiken ausgesetztem Geschäft“. Er ist mit dem Thema gut vertraut, schließlich berät das WIK die Bundesnetzagentur zu ökonomischen Grundsatzfragen. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Regulierung von Energiemärkten.

Und er scheint Recht zu haben. Denn auch wenn die Stromgiganten über sinkende Renditen jammern, freiwillig trennen sie sich nicht. „Wir wollen unsere Netze nicht verkaufen. Die Netze sind integraler Bestandteil unseres Kerngeschäfts. Insofern stellt sich für uns die Frage nach einer Deutschen Netz AG derzeit nicht“, erklärt auf Anfrage die Pressestelle von EnBW.

Und dennoch, es rumort auch in den Unternehmen, seit EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes das Hintertürchen geöffnet hat. Die Niederländerin hat ein Vorermittlungsverfahren gegen Eon eingeleitet. Denn Brüssel hält belastendes Material in den Händen: Es soll um Behinderung von Konkurrenten und Missbrauch der Marktmacht gehen. Das sind grobe Verstöße gegen das Kartellrecht und dafür drohen dem Energieriesen Milliardenstrafen. Der Deal: Verkauft Eon sein Netz, wird das Verfahren fallen gelassen. Der Konzern hat bereits im Februar 2008 eingelenkt. 11.000 Kilometer Höchstspannungsnetz könnten bald den Besitzer wechseln. Und Eon-Chef Wulf Bernotat kam auch gleich mit der Idee einer deutschen Netz AG daher.

Ein Vorgang der die Bundesregierung ärgert, denn damit hat die laute Diskussion um die deutsche Netz-AG begonnen. Die Netz-AG stellt dem viel beschworenen dritten Weg jedoch ein Bein. „Die Phalanx ist aufgebrochen, Eon hat es schwieriger gemacht“, heißt es bei RWE. Und in der Tat: die vier Betreiber sind sich nicht einig, wie es weiter gehen soll. RWE und besonders EnBW lehnen mit aller Schärfe solch eine Netz AG ab. Dagegen hat Vattenfall vor wenigen Wochen für viel Überraschung gesorgt: „Wir haben in den vergangenen Monaten intensiv alle Optionen geprüft und sind zu dem Schluss gekommen, dass ein Verkauf unseres Höchstspannungsnetzes an einen seriösen und finanzstarken Investor eine sinnvolle Lösung sein könnte“, sagt Tuomo Hatakka, Vorstandsvorsitzender von Vattenfall Europe.

Ein solcher finanzkräftiger Investor könnte der Solarworld-Chef durchaus sein. Gegenüber Journalisten hat Asbeck schon Äußerungen gemacht, wie „wir wollen den Hut für den Eon-Anteil in den Ring werfen“. Jetzt sagt er: „Die regenerativen Stromerzeuger haben geradezu ein Recht, sich an der Netz AG zu beteiligen“. Es geht dabei um viel Geld: Etwa zwei Milliarden Euro müsste Asbeck dafür zusammen mit den Erzeugern erneuerbaren Stroms auftreiben. Finanziert von einer großen Bank. Dafür könnte entweder Eon-Anteil abgekauft werden oder wahlweise ein Viertel des deutschen Stromnetzes in Form von Aktienanteilen. Denn der größtmögliche Anteil, den ein Investor an der Netz AG erwerben kann, soll nach derzeitigen Vorstellungen bei 24,9 Prozent sein. Damit bliebe jeder Einzelaktionär unterhalb der Sperrminorität und keiner kann den Markt mehr dominieren. Der Netzzugang für Stromanbieter aus regenerativen Energien würde dadurch jedenfalls einfacher, argumentiert Asbeck.

Branche ist sich nicht einig

Ein Vorschlag der so manchen überrumpelt hat. „Wir haben uns über Herrn Asbecks Vorschlag gewundert, denn wir haben keine Ambitionen das Höchstspannungsnetz zu kaufen“, erklärt BWE-Sprecher Gerder. Björn Klusmann, vom Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) steht dem offener gegenüber: „Ich kenne diesen Vorschlag, finde ihn auch interessant, es ist jedoch bisher kein abgestimmter Branchenvorschlag“. Alleine eine veränderte Eigentümerstruktur reiche allerdings nicht aus, um einen Investitionsschub auszulösen und den nötigen Netzausbau zu beschleunigen.

Positiver sieht das Clemens Cremer vom Competence Center für Energiepolitik und Energiesysteme des Fraunhofer-Instituts ISI: „Wenn alternative Stromanbieter Anteile am Stromnetz halten, dann werden sie stärker auf deren Ausbau hinwirken können, das kann Sinn ergeben“, sagt er. WIK-Ökonom Growitsch widerspricht dieser These: Der Anteil erneuerbaren Stroms am Gesamtenergiemix nehme kontinuierlich zu. „Ich wüsste nicht, warum das mit einer Beteiligung der Erneuerbaren-Branche besser funktionieren sollte“, sagt er. Aber dennoch versteht Growitsch „schon die Befürchtungen alternativer Stromanbieter, dass der Netzausbau nicht so von statten geht, wie sie sich das wünschen“.

Täglich neue Vorschläge

Ob also ein Einstieg der Erneuerbare-Energien-Branche in den Betrieb von Höchstspannungsnetzen grünen Strom aus Sonne, Wind & Co. wirklich nach vorne bringen kann, ist umstritten. Und ob es noch dazu bald eine deutsche Netz AG geben wird und wie diese dann konkret aussieht, ebenso. An Ideen mangelt es allerdings nicht: „Bei uns laufen fast täglich neue Vorschläge dazu ein“, sagt Bundesnetzagentur-Chef Matthias Kurth.

Städtische Stromnetze besser nutzen

Das städtische Stromnetz ist bereit für große Mengen Solarstrom. Dies ergaben Untersuchungen des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE im Rahmen des europäischen Forschungsprojekts PV-UPSCALE. „Die bestehenden Stromnetze in Städten können auch stark wachsende Mengen Solarstrom aufnehmen“, sagt Herman Laukamp. Projektleiter für Netzeinbindung am Fraunhofer ISE. Oft könne auch durch „nicht-investive Maßnamen“ wie Netzmanagement durch Smartmetering die Kapazität des Netzes deutlich gesteigert werden.

wwww.pvupscale.org

HN

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