Günter Röll ist Quereinsteiger, von Berufs wegen. Als Unternehmensberater und Geschäftsführer einer Private-Equity-Gesellschaft ist es seine Aufgabe, Unternehmen der unterschiedlichsten Branchen auf die Beine zu helfen. Der Fachmann für Organisation und Marketing sorgt seit 30 Jahren für die erfolgreiche Umsetzung von Geschäftsideen. Er betreut Firmen fünf bis sieben Jahre lang und verkauft sie dann im Namen der Geldgeber mit 15 bis 20 Prozent Gewinn. Als ein solches Start-up zum Verkauf von Fertigteilhäusern vor anderthalb Jahren an Differenzen scheiterte, blieb Röll mit einigen Fachleuten zurück, die Know-how über Photovoltaik-Dachanlagen besaßen. Kurzerhand gründete er um diesen Kern eine neue Vertriebsgesellschaft. Aus der Rettungsaktion wurde für ihn jedoch schnell mehr als ein Geschäft. Es wurde seine Leidenschaft. Er sagt über seine neue Firma: „Mit Ecofriends werde ich alt.“
Es ist schwer, in der Photovoltaik den typischen Quereinsteiger zu definieren. Denn der Quereinstieg ist hier Regel statt Ausnahme. Schließlich hat fast jeder, der anfängt, vorher in einer anderen Branche gearbeitet und muss die Grundlagen zunächst kennen lernen. Einige stehen ihren Aufgaben schon näher, doch für alle kommt es darauf an, eine neue Sprache zu lernen, sich an neue Regeln zu gewöhnen und neue Kontakte zu knüpfen. Viele Chancen lassen sich erst erkennen, wenn man tief drinsteckt in der neuen Umgebung. Sie erschließen sich dem, der bereit ist, sich ins Abenteuer zu stürzen.
Chancen in der Nische
So ging es auch Günter Röll. Er beschäftigte sich intensiver mit der Technik und stellte fest: „Da gibt es noch Innovationspotenzial ohne Ende.“ Als Marketingfachmann sei sein Ziel, immer das dringendste Problem des Kunden zu lösen, erklärt er seine Herangehensweise. Dessen Hauptsorge sei, dass die Photovoltaikanlage jahrelang gut und sicher funktioniert. Seine Firma Ecofriends habe sich deshalb auf die Beratung von kleineren Kunden wie Eigenheimbesitzern spezialisiert. „Wir verkaufen nicht über den Preis, sondern über den Nutzen“, fasst er zusammen. Ecofriends projektiert die Anlage mit Ingenieurswissen, wählt den geeigneten Installateur aus, beaufsichtigt die Installation und sorgt für eine regelmäßige Überprüfung und Wartung der Anlage.
Mit zwei Regionalbüros, vier festen und 15 freien Mitarbeitern sieht sich Röll auf gutem Wege, die Gewinnerwartungen seiner Geldgeber zu erfüllen. Doch der gewiefte Business Angel musste sich den Erfolg härter erarbeiten, als er es gewohnt ist. „Ich bin noch nie so tief in die Technik eingestiegen“, erzählt er. In den anderthalb Jahren seit der Gründung habe er etwa 25 Bücher zum Thema gelesen und hänge an den Lippen seiner Ingenieure, wenn sie etwas erklärten. Er schickt schon mal einen Mitarbeiter los, um eine Detailfrage akkurat zu recherchieren. Trotz seines großen Detailwissens überlässt er die Projektarbeit gern den Ingenieuren und bleibt lieber, was er schon immer war – ein Marketingmann. Neueinsteigern in die Branche rät er, Geschäftsbereiche zu meiden, die schon stark besetzt sind und prognostiziert eine Entwicklung hin zu mehr Qualität.
Eine freie Marktnische zu finden und zu besetzen ist eine Weisheit, die man nicht nur in der Photovoltaik beherzigen sollte. Doch für Neueinsteiger ist es schwierig, in eine Nische zu gehen, solange sie noch nicht die nötige Übersicht haben. Deshalb nutzen sie oft erprobte und überschaubare Geschäftsmodelle, um zunächst in das neue Umfeld hineinzuwachsen, bevor sie Innovationen wagen. In dieser Einstiegsphase helfen ihnen die eigenen, bewährten Talente.
Nicht zu schnell wachsen
Auch Alexander Maier ist ein echter Quereinsteiger. Der erfolgreiche Versicherungsvertreter mit einer Lehre als Tischler hat 2005 die AEES (Alternative Erneuerbare Energie Systeme GmbH) gegründet. Bis 2006 installierte sie 300 Kilowatt. 2007 war es schon ein Megawatt, 2008 immerhin 1,7 Megawatt und 2009 soll mindestens ebenso gut laufen. Maiers Talent ist das gute Verkaufsgespräch, das ihm als Versicherungsvertreter mehrere tausend Euro monatlich einbrachte. 2004 nahm er an einem Seminar zur Photovoltaik teil und war sofort fasziniert und begeistert. Deshalb begann er, als freier Handelsvertreter für einen Strukturvertrieb von Photovoltaikanlagen zu arbeiten. Die Schulungen dort seien gut gewesen, erzählt er, die Mitarbeiter wurden stark motiviert. Fleißig erstellte er Angebote für interessierte Kunden, doch erst beim vierzigsten erfolglosen Versuch wurde ihm klar, dass er im Vergleich zur Konkurrenz stark überteuert war.
Heute sagt er: „Die arbeiten nach dem Motto: Jeden Tag steht ein Dummer auf, du musst ihn nur finden.“ Maier stieg aus, gründete einen eigenen Vertrieb und begann auch bald zu installieren. Ein Freund ist Elektrikermeister und lernte ihn an. Ihn lässt er seine Anlagen abnehmen und anschließen. Das Geschäft lief gut an. Doch Maier begann, aus heutiger Sicht zu früh, bei großen Anlagen mitzubieten. Noch fehlte ihm die Marktübersicht und er zahlte Lehrgeld. So konnte er für die Großdächer die Vorkasse beim Lieferanten nicht aufbringen und bekam als kleiner Unternehmer nicht die nötigen Bankbürgschaften für Vorkasse beim Kunden. Er erkannte außerdem: „Großdachbesitzer kaufen nicht aufgrund eines guten Gesprächs, sie holen sich Vergleichsangebote und dann gehen die großen Firmen mit den Preisen runter.“ Dennoch gelang es ihm, einige Kunden zu überzeugen, die Ware am Tag der Lieferung direkt beim Händler zu bezahlen. So gewann er ein paar Aufträge und das Jahr 2007 wurde für ihn doch noch zum Wachstumsjahr, allerdings auf Kosten vieler verlorener Angebote und vieler enttäuschter Hoffnungen. Anfängern rät er deshalb, lieber langsam zu wachsen.
Das ist ein Tipp, den angestellte Quereinsteiger nicht befolgen können. Zwar genießen sie oft eine Einarbeitungszeit, in der sie in Schulungen Fachwissen anhäufen können, doch dann werden Ergebnisse von ihnen erwartet. Die Unternehmen fordern bei der Einstellung, dass ihre neuen Mitarbeiter die vorhandenen Defizite ausgleichen oder Geschäftsfelder weiter entwickeln. Ihnen bieten sich daher oft große Möglichkeiten, ihr Arbeitsgebiet zu gestalten und zu prägen. Andererseits müssen sie das, was ihnen wichtig ist, auf eigene Faust in Erfahrung bringen und auch nach eigenen Plänen umsetzen.
Methodik hilft
Geradezu ein Spezialist für Selbstorganisation und planvolles Handeln ist Torsten Wiesner. Der Qualitätsmanager ist erst Mitte 2008 von einem Fahrzeughersteller zu Aleo gewechselt. Mit im Gepäck hatte er bereits genaue Vorstellungen, wie sich das noch junge und nicht ganz ausgereifte Qualitätsgefüge zwischen Zelllieferanten, Modulherstellern und Kunden verbessern ließe. Er schätzt, dass er mit dem Branchenwechsel ein Drittel seiner Fachkenntnisse neu erwerben musste. Davon seien jedoch ausschließlich die Technikkenntnisse betroffen, während er sein Wissen im Qualitätsmanagement und seine Fähigkeiten in der Personalführung sofort weiter einsetzen konnte.
Als Diplomingenieur und zertifizierter Auditor, der verschiedenste Organisationsbereiche prüft, Verbesserungen anregt und die Umsetzung kontrolliert, wisse er jedoch besser als manch anderer, wie er sich notwendige Informationen beschaffen kann. „Ich weiß, wie ich in der Struktur wühlen muss, um an Unterlagen und Prozesse zu kommen. Dann kann ich mich einarbeiten und mich mehr und mehr mit den Details befassen.“ Dies ist sein persönliches Arbeitsfeld, das er mit Fleiß, Bücherstudium und Lehrgängen angeht. Seine eigentliche Herausforderung und der Grund für seine Anwerbung ist jedoch das Gefälle im Organisationsgrad der beiden Branchen.
Finanzkrise als Chance
Während in der Fahrzeugindustrie jedes Detail durch Normen, Spezifikationen und Qualitätssicherungsvereinbarungen (QSV) bestimmt wird, lassen sich auf die Photovoltaik gerade mal die allgemeinsten und übergreifendsten organisatorischen Normen wie die ISO 9001 für die Organisation des Qualitätsmanagements oder die ISO 14001 für Umweltmanagementsysteme anwenden. Auch technische Normen gibt es noch nicht genug, die für eine klare Qualitätsbestimmung unabdingbar sind. Aleo betrieb immerhin schon vor Wiesner eine ambitionierte Qualitätssicherung, die er begutachtete und an einigen Stellen verbesserte. So führte er ein Qualitätsberichtswesen ein, das dem Vorstand alle drei Monate die wichtigsten Zahlen zur Qualitätsentwicklung liefert. Gleichzeitig berichtet sein Bereich nun zweimal pro Woche den Mitarbeitern über die aufgefallenen Fehler. Auf einer DIN-A3-Seite werden sie sogar mit Bild ausgestellt. Auch die Struktur des parallel zur Wertschöpfungskette aufgestellten Qualitätsmanagementbereiches brachte er auf den neuesten Stand der Entwicklung.
Für sein nächstes wichtiges Ziel kam Wiesner das Glück zu Hilfe. Bisher war Aleo beim Zelleinkauf von langfristigen Verträgen abhängig, um die kontinuierliche Belieferung sicherzustellen. Doch mit der Finanzkrise änderte sich die Marktmacht. Nun können die Einkäufer wählen – ein unschätzbarer Vorteil für das Unternehmen. Denn Wiesner will die Lieferanten in die Qualitätssicherung einbeziehen. Qualitätssicherungsvereinbarungen sollen nun die Kaufverträge ergänzen. Die Lieferanten sollen verpflichtet werden, ebenfalls ein zertifiziertes Qualitätsmanagement einzuführen und aus Fehlern und Beanstandungen Änderungsmaßnahmen abzuleiten. Dadurch könnte Aleo einen aufwendigen Teil der Qualitätssicherung zum Lieferanten und in die Warenannahme verlagern. Oftmals geraten hier noch Produktionsprozesse ins Stocken.
Privates zurückgestellt
Seine Nische finden, seine Talente nutzen, genau planen und auch das Glück am Schopfe packen, so könnte man das Geheimnis der drei erfolgreichen Quereinsteiger auf den Punkt bringen. Doch genügt das schon? Keiner der drei verschweigt, dass er sich mit ganzer Kraft und mit Herzblut in die neue Herausforderung gestürzt hat. Alexander Maier hat seit mehreren Jahren keinen Urlaub mehr gemacht und stellt sein Privatleben zurück, bis ihm die Firma mehr Zeit lässt. Torsten Wiesner pendelt zwischen Berlin und Prenzlau, wo ihm die Zweitwohnung wohl eher ein Zweitbüro ist. Günter Röll plant gar, wenngleich wohl im Scherz, bis 85 weiterzumachen und überlegt, sein Renditeobjekt Ecofriends schließlich gar selbst zu kaufen. So kommt zu den vier Zutaten die fünfte, nämlich harte Arbeit.
Es wird dennoch nicht jedem gelingen, diesen Beispielen zu folgen. So beobachtet Liliane van Dyck, die Leiterin der Solarschule der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie, schon seit Jahren Menschen, die auf eigene Faust in die Photovoltaik wechseln wollen und dafür an Schulungen teilnehmen. Einigen fehle das technische Verständnis und anderen die Persönlichkeit, sich tatsächlich durchzusetzen. Auch Teilnehmer, die den Kurs nur für eine Bewerbung in der Branche absolvieren, warnt sie vor übertriebenen Hoffnungen. Es müsse mehr zusammentreffen als die offene Stelle und erste Photovoltaikkenntnisse.
Die Branche schätzt Quereinsteiger, die hinter dem Bestehenden schon neue Horizonte sehen. „Deren Kompetenz und Know-how erlauben uns, schneller zu wachsen“, sagt beispielsweise Sandra Roemer, die bei Solon für die Personalbeschaffung zuständig ist. 98 Prozent der Mitarbeiter kämen aus anderen Branchen und waren zunächst ohne einschlägige Photovoltaikkenntnisse. Auf dieses Problem hat sich das Unternehmen mit einem ausgeklügelten Schulungs- und Patenschaftssystem eingestellt. Außerdem achtet Roemer schon bei Bewerbungen darauf, ob die Kandidaten bereits Umbruchsituationen meistern mussten oder selbst Strukturen geschaffen haben. Von jedem Mitarbeiter werde eine Aufbaumentalität erwartet, die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und auch ein langer Atem, um sicherzustellen, dass Prozesse tatsächlich gut in Gang kommen. Die Mitarbeiter würden sich immer wieder sehr anerkennend darüber äußern, wie sie im Unternehmen kreativ gefordert werden und sich einbringen können, betont Roemer. Etwas aufbauen und die Branche weiter voranbringen will auch Torsten Wiesner. Sein Nahziel ist, die Prozesse bei Aleo so zu dokumentieren, dass ein Rädchen ins andere greift und „keine undefinierten Zustände“ mehr auftreten.
Energie als Altersvorsorge
Jeder werde genau wissen, was in jeder Situation zu tun ist und gewinnt so Ruhe und Sicherheit. Das Unternehmen müsse sich außerdem ein neues Bewusstsein angewöhnen, das Total Quality Management. Sein langfristiges Ziel geht jedoch über die nächsten zwei Jahre hinaus und umfasst Vereinheitlichungen und Normen für die gesamte Branche. Dabei können ihm nicht nur die Beziehungen Aleos helfen, sondern auch die Zusammenarbeit mit dem VDE und der Deutschen Gesellschaft für Qualität. Alexander Maier hat es geschafft, verlässliche Geldgeber zu finden und will nun eine Betreibergesellschaft gründen, mit der er eigene Anlagen bewirtschaftet. Außerdem möchte er in die USA, nach Russland und Kanada expandieren, wo er gute Kontakte unterhält. Röll treibt sein Motiv, dem Privatkunden größtmögliche Sicherheit zu bieten, in enge Nachbarschaft zu Versicherern und Banken. So bietet er jetzt eine Energievorsorge an, die ähnlich wie eine Altersvorsorge funktioniert. Energie werde immer teurer, doch man könne sich ja absichern, so sein Motto. Eine PV-Anlage sei dann nur noch Mittel zum Zweck und werde so gut wie möglich gegen Ausfälle geschützt. Er könne sich sogar vorstellen, einen Verein für Anlagenbesitzer zu gründen, der wie der ADAC gewisse Services, Versicherungen und Vergünstigungen einschließt. Klingt eine Million Mitglieder vermessen? Quereinsteiger Röll sagt nur: „Ich bin nun mal visionär veranlagt.“