Viele Entscheidungen zum Beispiel im Bau- oder im Denkmalschutzrecht stützten eine Verwaltung, die gegenüber Anlagen zur regenerativen Stromerzeugung eher restriktiv eingestellt war. Neue Gerichtsentscheidungen deuten darauf hin, dass ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat und das öffentliche Interesse an CO₂-freier Stromerzeugung stärkere Berücksichtigung findet.
Paragraf 2 neu gefasst
Zwei Faktoren spielen dabei eine Rolle. Eine wichtige Weichenstellung war zweifellos die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 2022 (Aktenzeichen: 1 BvR 1187/17), die den Staat gemäß Artikel 20a des Grundgesetzes aktiv zum Klimaschutz und zum Ausbau regenerativer Energien verpflichtet hat. Ein weiterer Baustein wurde mit der Neufassung des Paragrafen 2 Satz 2 EEG im letztjährigen Osterpaket der Bundesregierung hinzugefügt.
Bis die Stromerzeugung nahezu treibhausgasneutral ist, werden die erneuerbaren Energien nach dieser Regelung als vorrangiger Belang in die jeweils durchzuführenden Schutzgüterabwägungen eingebracht. Verschiedene Einzelgerichte haben diese Vorgaben inzwischen in Urteilen berücksichtigt. Die Verfahren betreffen das öffentliche Bau-, Naturschutz- und Denkmalrecht genauso wie das Zivilrecht.
Windstreit in Münster
In einem Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Münster stritten die Beteiligten um die Genehmigung für eine Windkraftanlage (Urteil vom 27. Oktober 2022, Az.: 22 D 243/21.AK). Bei den Abwägungsentscheidungen, die im Rahmen des Bundesnaturgesetzes und des Baugesetzbuchs zu treffen waren, verwies das Gericht auf die Neuregelung des Paragrafen 2 im EEG und den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz.
Denkmalschützer erhielten Abfuhr
Belange, welche gegen die Windkraftanlage angeführt würden, könnten sich dabei nur ausnahmsweise gegen das überragende Interesse am Klimaschutz durchsetzen. Für ein solches Interesse sahen die Richter im entschiedenen Fall keinen Anhaltspunkt und entschieden zugunsten der Windkraft.
Auch in einem Urteil des Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern vom 7. Februar 2023 (Az.: 5 K 171/22) ging es um eine Windkraftanlage. Diesmal stand eine Verletzung der Belange des Denkmalschutzes im Raum, weil das Windrad nach Meinung der Denkmalschutzbehörde die Sicht auf eine Kirche und ein Herrenhaus beeinträchtigen würde.
Auch hier erteilten die Richter der Verwaltung eine Abfuhr. Die Aussagen des Gerichts lassen an Klarheit kaum zu wünschen übrig: „Paragraf 2 Satz 2 EEG ist als sog. Sollbestimmung dahingehend zu verstehen, dass sich in den einzelnen Schutzgüterabwägungen – ausdrücklich ist im Gesetzgebungsverfahren auch der Bereich des Denkmalschutzes genannt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 20/1630, S.1 58) – ein regelmäßiges Übergewicht der erneuerbaren Energien in dem Sinne ergibt, dass das überragende öffentliche Interesse an der Errichtung von Windenergieanlagen sowie das öffentliche Sicherheitsinteresse nur in atypischen Ausnahmefällen überwunden werden kann, die fachlich anhand der besonderen Umstände der jeweiligen Situation zu begründen wären.“
Ablehnung wurde erschwert
Interessant sind insbesondere die Ausführungen des Gerichts zu sogenannten Alternativstandorten. Die Behörden begründen ablehnende Bescheide oft damit, dass Alternativstandorte für die Energieerzeugungsanlage vom Betreiber nicht hinreichend geprüft worden seien.
Die Frage eines Alternativstandorts sei aber – so argumentierte das Gericht – gerade keine atypische Situation, die es rechtfertigen würde, den Abwägungsvorrang zugunsten der erneuerbaren Energien in Paragraf 2 Satz 2 EEG auszuhebeln. Es sei nicht zulässig, erneuerbare Energien mit dem Argument abzulehnen, dass das Denkmal ortsgebunden sei, die Energieerzeugungsanlage aber nicht.
Solardach auf Patrizierhaus
Die vorrangigen Interessen, die für den Klimaschutz sprechen, werden auch in einem Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 27. Januar 2023 (Az.: 2 B 290/22) betont. Bei dieser Entscheidung ging es erneut um Denkmalschutz, diesmal um eine Photovoltaikanlage.
Das Gericht setzte sich mit Paragraf 7 Absatz 2 Nr. 3 des niedersächsischen Denkmalschutzgesetzes auseinander. Diese Regelung stellt ähnlich wie Paragraf 2 EEG klar, dass das öffentliche Interesse an erneuerbaren Energien den Denkmalschutz in der Regel überwiegt, wenn der Eingriff in das äußere Erscheinungsbild des Denkmals reversibel ist und in die denkmalwerte Substanz nur geringfügig eingegriffen wird.
Die Photovoltaikanlage auf einem Patrizierhaus aus dem 16. Jahrhundert war vom Bauherrn ohne die erforderliche Genehmigung errichtet worden. Die Denkmalschutzbehörden verfügten deswegen den Abriss der Anlage. Das Gericht sah die Photovoltaikanlage jedoch als offensichtlich genehmigungsfähig und die Rückbauverfügung als rechtswidrig an.
Abriss wäre rechtswidrig
Auch hier fanden die Richter deutliche Worte, die vor wenigen Jahren kaum denkbar gewesen wären: „Es muss berücksichtigt werden, dass die Abkehr von fossilen Brennstoffen hin zu erneuerbaren Energien aktuell gesamtgesellschaftlich immer größere Bedeutung gewinnt, gerade angesichts der zahlreichen extremen Wettererscheinungen und Naturkatastrophen in den vergangenen Jahren, die in besonderem Maße auch Niedersachsen betreffen.“
Nachbar muss Blendung dulden
In einem Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 20. Oktober 2022 (Az.: 7 O 129/21) ging es um eine Photovoltaikanlage, von der sich ein Nachbar geblendet fühlte. Das Gericht urteilte, dass die Lichtreflexionen hinzunehmen seien, und verwies dabei auch auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz. Weil Photovoltaikanlagen aus einem übergeordneten Gemeinwohlinteresse erforderlich seien, wären die Beeinträchtigungen in dem entschiedenen Fall vom Nachbarn zu dulden.
Notwendig für den Klimaschutz
Ob die genannten Urteile und Beschlüsse nur Einzelfallentscheidungen sind oder sich hier eine neue Tendenz zugunsten der erneuerbaren Energien abzeichnet, muss abgewartet werden. Es deutet jedoch vieles darauf hin, dass 2022 einen Wendepunkt in Politik und Justiz markiert und regenerative Energieerzeugung fortan weniger als Störfaktor und mehr als notwendiger Beitrag zum Klimaschutz bewertet wird.•