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Vorfahrt für Südausrichtung?

Ein Stück Papier hatte Anfang Juni heiße Diskussionen zwischen den Parteien in der 4.000-Einwohner-Gemeinde Ummendorf bei Biberach ausgelöst. Auslöser der Kontroverse im sonnenreichen Südwesten Deutschlands war das Schreiben von Wilfried Zwingert. Darin sprach sich der Ummendorfer Energieberater und Bausachverständige für eine bessere Nutzung der Sonnenenergie schon im Bebauungsplan aus. Konkret geht es ihm um das neu ausgewiesene Wohngebiet Schleifweg. Architekt Rolf Disch habe es in Freiburg vorgemacht: Mit exakt nach Süden ausgerichteten Baufenstern kann der Häuslebauer optimal die Kraft der Sonne für seine Zwecke nutzen. „Ihr habt den Platz, das Gelände bietet sich geradezu an. Daraus könnte man eine Solarsiedlung machen“, forderte er die Entscheidungsträger seiner Heimatgemeinde auf. Rau tenförmige Baugrundstücke und gewundene Zufahrtswege würde das Mitglied des SPD-Ortsverbands für eine optimale Südausrichtung in Kauf nehmen. Einige Gemeinderatsmitglieder hielten den Einwand für berechtigt und beschlossen, den fertigen Plan noch einmal auf den Prüfstand zu stellen. Steht uns nun eine Diktatur der Südausrichtung bevor?

Exakte Südausrichtung selten

„Städtebaulich betrachtet stehen die wesentlichen Strukturen in Deutschland ja bereits fest“, sagt Andreas Gries von der Energieagentur NRW. „Dennoch ist es sinnvoll, dass bei der Planung neuer Baugebiete Energietechniker und Stadtplaner zusammensitzen und individuell über Städtebau diskutieren.“ Gries setzt sich bereits seit einigen Jahren für die integrale Planung im Städtebau ein. Für die Teilnahme im von Gries geleiteten Programm „50 Solarsiedlungen NRW“ ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit eine Grundvoraussetzung. Gemeinsam mit den Kommunen erarbeitet die Energieagentur Richtlinien für die Bebauungsstruktur und die Energieversorgung neuer Baugebiete. Auch durch Sanierungsmaßnahmen können in Nordrhein-Westfalen ältere Energieschleudern zu Solarsiedlungen mutieren. Exakt nach Süden ausgerichtet sind allerdings die wenigsten Gebäude der bisher realisierten Solarsiedlungen. Von der Südorientierung aller Gebäude als generelle Anforderung an die Architektur rät auch Dagmar Everding, wissenschaftliche Leiterin des Forschungsprojektes „Leitbilder und Potenziale eines solaren Städtebaus“ bei der Kölner Ecofys GmbH, ab. Aus städtebaulichen Erwägungen, denn hierdurch würden monotone, lagerartige Strukturen in den Städten festgeschrieben. „Zwar stellt die Südorientierung für die Besonnung der Aufenthaltsräume ein ebenso wichtiges Ziel dar wie aus Sicht des energiesparenden und solaren Bauens“, erklärt Everding ihre Position, „jedoch sollte die traditionell hohe Raum- und Gestaltqualität der europäischen Stadt nicht aufgegeben werden“. Sie befürwortet den im Planungsleitfaden des Landes Nordrhein-Westfalen für Solarsiedlungen festgeschriebenen Kompromiss. Dieser betrachtet die Siedlung in ihrer Gesamtheit und begrenzt die Abweichung von der Südorientierung für die Summe aller Gebäude auf 45 Prozent. Eine durchschnittliche Kompaktheit der Gebäude und der städtebaulichen Dichte sind dort ebenso vorgeschrieben wie die Nutzung aktiver Solarsysteme. Die Photovoltaik- oder Solarthermieanlage muss architektonisch integrierter Bestandteil der Gebäude sein.

Solarsiedlung als Qualitätssiegel

Sorgen um die Vermarktbarkeit von Baugrundstücken mit Auflagen zur Energieeffizienz sind sicherlich unbegründet. Denn gerade klimapolitisch ambitionierte Bebauungspläne treffen den Nerv der Zeit. Die Marke Solarsiedlung ist angesichts stetig steigender Energiepreise zum Qualitätssiegel geworden, das den langfristigen Wert von Immobilien sichert. In Vellmar nahe Kassel wur den die Grundstücke einer zwölf Hektar großen Solarsiedlung innerhalb kürzester Zeit veräußert, obwohl sich die Käufer zur Installation einer solarthermischen Anlage verpflichten mussten. Fabio Longo, Rechtsanwalt und langjähriger Stadtverordneter, hatte für die Siedlung im Jahr 2003 den „städtebaulichen Solarvertrag“ initiiert. Die Käufer erhielten im Gegenzug eine Energieberatung inklusive fundierter Einführung in die Thematik des energieeffizienten Bauens. „Unser städtebaulicher Solarvertrag für das Baugebiet „Auf dem Osterberg“ ist keine bloße Verordnung, wie sie in Großstädten und für den Mietwohnungsbau sicherlich Sinn macht. In unserer Kleinstadt hätten wir damit wahrscheinlich Schiffbruch erlitten“, erläuterte Longo sein Konzept im Rahmen der Verleihung des Deutschen Solarpreises 2004. „Der Vertrag fordert nicht nur etwas von den Bauherren, er fördert sie auch. Er ist auf Gegenseitigkeit angelegt und schafft vor allem Transparenz und Kommunikation über das neue Projekt.“

Wettbewerbe können helfen

Wenn eine Gemeinde ihr kommunales Engagement weiter optimieren möchte, kann sie sich am European Energy Award beteiligen. Bis zum Gold-Award können Kommunen und Gemeinden über ambitioniertes umweltpolitisches Handeln dort aufsteigen und das eigene Renommee mit einem europäischen Zertifikat deutlich aufpolieren. Ein regelrechter Wettstreit um die beste Klimabilanz ist bereits in der benachbarten österreichischen Region Vorarlberg zwischen den Gemeinden entbrannt. Auch 124 deutsche Kommunen und Gemeinden sind mittlerweile aktiv an diesem Programm beteiligt. In Bielefeld ist unter anderem der Bau einer 108-Kilowattpeak-Photovoltaikanlage auf der Schüco-Arena durch die Stadtwerke in die Bewertung mit eingeflossen. Ebenfalls wurde die energetische Qualitätssicherung des vorgegebenen Niedrigenergiestandards in einem großen Neubaugebiet prämiert. Hier wollten es die Westfalen genau wissen. Im Baugebiet Breipohl’s Hof, wie auch schon 2004 in der Solarsiedlung Kupferheide, überprüften sie die Wärmebedarfsberechnungen, führten Baubegehungen und Blower-Doortest-Messungen aller Gebäude durch. Und sind begeistert von dem Programm, das auf unterschiedlichen Ebenen zu Innovationen im kommunalen Handeln anregt.

Von Vorschriften für eine bessere Klimabilanz hält man im Ummendorfer Rathaus hingegen nicht besonders viel, denn diese müssen in der Praxis auch durchgesetzt werden. In der Vergangenheit habe man schlechte Erfahrung mit Ausnahmeanträgen gemacht. „Unser Ziel ist es, für den Bauplatz etwas mehr Geld zu nehmen, dafür aber energieeffizientes Bauen wie den Passivhausstandard durch Fördergelder zu unterstützen“, sagt Reichert. Wie viele Bürger er damit erreichen wird, bleibt abzuwarten.

Auf jeden Fall findet in der Ummendorfer Gemeinde gerade ein vorbildlicher demokratischer Prozess statt. „Ich glaube nicht, dass sich in diesem Fall Grundlegendes ändern wird. Aber mein Einwand hat immerhin wahnsinnige Diskussionen angestoßen“, sagt Energieberater Zwingert. Bürgermeister Reichert hebt das lokale Engagement beim Ausbau erneuerbarer Energien hervor. Sonne, Wind und Wasser produzieren an der Riß Strom, der einen Großteil der Bevölkerung versorgen kann. Auch das Umweltförderprogramm der Gemeinde sei großzügig ausgestattet.

Integrale Planung gefragt

Durch das Ausloben von Wettbewerben könne die Qualität städtebaulicher Entwürfe deutlich gesteigert werden, meint Fachfrau Everding von Ecofys. „Um zu sinnvollen Lösungen zu kommen ist die integrale Planung das Mittel der Wahl, auch im Städtebau“, hat Andreas Gries in Nordrhein-Westfalen festgestellt.

Der Freiburger Rolf Disch hat für seine Solarsiedlung am Schlierberg das optimale Baugebiet gefunden. Dort fügen sich die nach Süden ausgerichteten Wohngebäude wunderbar in das vorhandene Stadtgebilde ein. Im stadtplanerischen Alltag ist das allerdings eher die Ausnahme. Auch in der Gemeinde Ummendorf würde mit dem Instrument der integralen Planung kein vollkommen südorientiertes Baugebiet entstehen. In der letzten Ratssitzung Anfang Juli beschlossen die Ummendorfer Gemeindevertreter, den Spielraum einer möglichen Drehung der Gebäudekörper innerhalb des vorgegebenen Baufensters von fünf auf sieben Prozent in die Südrichtung zu erweitern. Fachingenieur Hagen Binder zeigte an Grundrissen mit nach Süden ausgerichteten Baugrundstücken die Möglichkeiten des solaren Bauens. Dabei kam er zu dem Schluss, dass der letztendlich im Bau realisierte Energiestandard maßgeblich von ganz anderen Faktoren beeinflusst wird. Kubatur, Vor- und Rücksprünge in der Fassade und die Qualität der Gebäudehülle seien die ausschlaggebenden Kriterien.

Photovoltaikanlagen auf Satteldächern ernten auch in Südwestausrichtung noch 95 Prozent der möglichen Erträge. Die exakte Südausrichtung allein ist noch somit noch kein Garant für energieeffizientes Bauen und bleibt rein energietechnisch betrachtet sowieso eine reine Idealvorstellung.

Anja Riedel

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