Für Karsten Glöser grenzt es ans Absurde. „Es gibt fast 1.000 verschiedene Stromnetzbetreiber in Deutschland. Jeder stellt seine eigenen Spielregeln für den Netzanschluss auf“, klagt der Abteilungsleiter Netze und Energietechnik des regenerativen Projektentwicklers Juwi Holding aus dem hessischen Wörrstadt. „Die verschiedenen Anschlussbedingungen führen dazu, dass wir technische Änderungen an ganz normalen Standard-Photovoltaikanlagen vornehmen müssen.“ Glöser schildert den Extremfall, in dem ein Netzunternehmen dem Projektierer sogar die Hersteller einzelner Bauteile des Solarkraftwerks vorgeschrieben habe.Für Glöser ist der Netzzugang eines der größten Hemmnisse für den weiteren Ausbau des Solarstroms. Da es solche Probleme nicht nur in Deutschland gibt, haben 15 europäische Solarverbände und drei Stromnetzbetreiber die Initiative PV Grid aus der Taufe gehoben. Sie soll Nachfolger des Projektes PV Legal werden, das im Februar 2012 ausläuft.
Doch bis es so weit ist, steht für die Verbände die Bewertung des laufenden Vorhabens PV Legal an, das sich ebenfalls zum Ziel gesetzt hatte, Barrieren und Hemmnisse bei der Planung und Umsetzung von Photovoltaikprojekten zu beseitigen. Dabei geht es allerdings allein umadministrative und legislative Bremsklötze und deren Einfluss auf die Kosten.
Ein erstes Fazit beim federführenden deutschen Solarverband BSW-Solar fällt positiv aus: „Eines unserer Hauptziele haben wir in jedem Fall erreicht, die Stärkung des europäischen Verbändenetzwerks“, sagt BSW-Projektleiter Thomas Chrometzka. „Durch PV Legal sind Austausch und Vertrauen zwischen den Organisationen erheblich gewachsen.“ Bei der EU-Kommission dürfte Chrometzka damit auf offene Ohren stoßen, wenn die Behörde im Frühjahr kommenden Jahres die abschließende Bewertungdes von ihr zu 75 Prozent geförderten Projektes vornehmen wird. Denn die Kommunikation zwischen den Verbänden zu stärken war eine der Voraussetzungen zur Bewilligung des Budgets von 2,5 Millionen Euro für das Vorhaben.
Mehr Kommunikation
Doch dabei ging es Brüssel nicht allein um den internen Austausch unter europäischen Solarfachleuten, sondern vor allem darum, Informationen zu vermitteln und in Wirtschaft und Politik ein Bewusstsein für regenerative Themen zu fördern. „PV Legal hat nicht nur den Anspruch, Hemmnisse und Barrieren zu identifizieren. Deren Lösung muss das Ziel sein. Dies kann nur im politischen Raum erfolgen. Deshalb versuchen wir, regelmäßig mit den zentralen Akteuren zu sprechen. Darüber müssen wir auch der Kommission Rechenschaft ablegen“, erklärt Chrometzka.
Dazu gehören Regulierungsbehörden sowie politisch Verantwortliche auf nationalstaatlicher, regionaler und lokaler Ebene. Bei den Treffen handele es sich nicht um Debattierclubs, wehrt Chrometzka Kritik ab. Vielmehr zeige die Politik ein aktives Interesse an der Lösung administrativer Ineffizienz. „Dass sich eine Industrie für den Bürokratieabbau einsetzt, trifft in Kreisen der Politik auf positive Resonanz.“ Sogar das deutsche Bundeskanzleramt – das Kanzlerin Angela Merkel direkt unterstellt ist – habe über die Geschäftsstelle für Bürokratieabbau in dieser Frage den Kontakt mit dem Solarverband gesucht, berichtet der Projektkoordinator.
Konkret tauschen sich die Fachleute aus Verbänden und Politik in Workshops und Fachgesprächen über die bürokratischen Hürden aus. Die Lobby-Organisationen informieren außerdem mit Studien und Diskussionspapieren über die Ergebnisse ihrer Arbeit. Dass dies durchaus Erfolge nach sich zieht, zeigen Beispiele aus den verschiedenen Mitgliedsstaaten.
„In Griechenland wurde das Verfahren für Systeme im Wohnbereich vereinfacht: Es gibt nun eine einzige Anlaufstelle, wodurch das Verfahren auf einen einzigen Schritt reduziert wird, und Anlagen auf autonomen Inseln werden nun genehmigt“, erklärt Marie Latour von der European Photovoltaic Industry Association (Epia) in Brüssel. Der griechische Industrieverband Helapco, der das PV-Legal-Projekt in Athen betreut, habe durch Lobbyarbeit in den Ministerien entscheidenden Anteil an der Beseitigung der Barrieren. „In Slowenien gab es im September 2010 Änderungen, wonach Photovoltaikanlagen von weniger als einem Megawatt keiner Baugenehmigung mehr bedürfen, was ein Haupthindernis für die Errichtung von kleinen und mittelgroßen Anlagen war“, fügt sie hinzu. Bei diesem administrativen Durchbruch war der nationale Verband ZSFI federführend beteiligt.
Viele Erfolge
Ein Erfolgsbeispiel aus Deutschland ist laut Chrometzka die Lösung der Frage, ab wann eine Photovoltaikanlage als in Betrieb befindlich gilt. Dieser Aspekt istvon zentraler Bedeutung, wenn es um den Anspruch auf sich ändernde Einspeisevergütungen rund um zentrale Stichtage geht. „Die Clearingstelle der Bundesnetzagentur hat unseren Vorschlag dazu weitgehend übernommen und umgesetzt“, sagt er. In Deutschland gilt seitdem eine Anlage als „in Betrieb“, sobald das Kraftwerk erstmals Strom erzeugt.
Auch aus Portugal kommen gute Nachrichten. Die Installation kleiner Aufdachsysteme, die von PV Legal in Segment A eingestuft werden, sind „auf einem guten Weg und das Lizenzierungsverfahren zählt zu den modernsten überhaupt“, so Karl Moosdorf, Koordinator des Projekts PV Legal und Vize-Präsident der Branchenorganisation APESF. „Nichtein Bogen Papier wird zur Lizenzierung benötigt. Das ist das Ergebnis des langen Einsatzes von APESF, das sich mit Entscheidungsträgern in allen zuständigen Verwaltungsbereichen auseinandergesetzt hat. PV Legal half hier stets als Schlüssel, um Gespräche anzustoßen, und als Datenbank, um Verfahren zu optimieren.“ Beim Blick in die Zukunft ist Moosdorf angesichts der Wirtschaftskrise und der Verpflichtungen des Landes zu Haushaltseinsparungen nach der Inanspruchnahme des EU-Rettungsschirmes aber deutlich verhaltener: „Wir wissen noch nicht, was die neue Regierung in Lissabon in Sachen Photovoltaik vorhat. Ebenso wenig ist bekannt, ob aus den strengen EU-Auflagen möglicherweiseKonsequenzen für die Förderung drohen.“ Dies könnte zur Folge haben, dass die administrativen Hürden wieder zunehmen.
Manches unverändert
Aber nicht alle PV-Legal-Teilnehmer haben Positives zu berichten. Beim spanischen Projekt-Repräsentanten, dem Industrieverband ASIF, ist nach zahlreichen Gesprächen mit der Zentralregierung in Madrid Ernüchterung eingekehrt. „Die spanische Regierung konzentriert sich gegenwärtig auf wirtschaftliche Themen im Photovoltaikbereich und weniger auf die Verbesserung rechtlich-administrativer Verfahren. Daher ist es zurzeit sehr schwierig, die Regierung von der Umsetzung der Vorschläge von PV Legal, wie etwa der Beseitigung der aktuellen Marktkapitalisierung, zu überzeugen“, zog der Verband ein enttäuschtes Resümee. Nachdem die ASIF-Vertreter mit dem Industrieministerium immer und immer wieder über Verbesserungen insbesondere zur Eindämmung der komplizierten Bestimmungen der ausufernden königlichen Dekrete verhandelt hatten, kam zuletzt sogar die Dialogbereitschaft abhanden. „Wir fühlen uns durch das Verhalten des Ministers Miguel Sebastián betrogen und getäuscht“, heißt es aus den Solarverbänden, die seinen Rücktritt fordern. Der Vorwurf der ASIF: Sebastián habe sich an Zusagen, die er in internen Gesprächen gegeben habe, nicht gehalten. Kein Wunder, dass in Spanien die Installation von kleinen Dachanlagen laut PV Legal 34 Wochen dauert. Nur Bulgarien und Frankreich sind langsamer.
Bei den Lobby-Verbänden der Grande Nation besteht nach den Gesprächen mit der Sarkozy-Administration in Sachen Bürokratieabbau ebenfalls wenig Begeisterung: „Durch die neuen Gesetze haben die Hürden noch zugenommen“, schreiben Sylvain Roland von der Solarenergievereinigung Enerplan und Waël Elamine vom Syndicat des énergies renouvelables (SER) mit Verweis auf die umfangreichen Änderungen an der Förderung seit Dezember 2010 in ihrem letzten Report für PV Legal. „Die Unsicherheiten im Sektor sind immer noch nicht aufgehoben, doch die Mehrheit der Akteure hat sich den Blick auf das Potenzial der PV-Technologie erhalten“, ziehen die Autoren immerhin ein halbwegs optimistisches Fazit. Der französische Bericht von Mitte Juni 2011 zeigt exemplarisch die Leistungen des PV-Legal-Projektes. Detailliert schlüsselt er auf, welche Schritte bei welchen PV-Anwendungen zu unternehmen sind und welche Fallstricke dabei drohen. Dann werden die Barrieren beschrieben und klassifiziert. Nicht anders verfahren die Kollegen in den Statusreports der übrigen Länder.
Problemlösung international
„Der Versuch, die Barrieren zu kategorisieren, soll helfen, Lösungsprozesse zu kreieren, die nicht nur in den jeweils spezifischen nationalen Fällen angewendet werden können, sondern idealerweise auch international“, sagt Thomas Chrometzka vom BSW. Eine EU-weite Harmonisierung nationaler Genehmigungsprozeduren stehe allerdings noch in den Sternen und sei auch kein Anspruch von PV Legal gewesen. „Dafür sind die administrativen Systeme und Planungsabläufe zu unterschiedlich. Aber wir wollten am Ende grundsätzliche Hemmnisse, die überall anzutreffen sind, identifizieren und daraus wichtige Lehren ziehen.“ Welche das genau sein werden, dürften erst die Abschlussberichte im kommenden Jahr zeigen. Schon jetzt steht aber fest, dass PV Legal bei zentralen Punkten wie der Genehmigungsdauer und den Kosten viele wertvolle Daten gesammelt hat – Informationen, die der Öffentlichkeit kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Eine solche gebührenfrei zugängliche Datenbank ist nicht nur in der Photovoltaikwelt etwas Besonderes. Studien, die Ähnliches leisten, sind öffentlich meist nicht zugänglich oder kosten nicht selten fünfstellige Beträge.
Dafür müssen bei PV Legal Abstriche bei Übersichtlichkeit und Vollständigkeit der Daten gemacht werden. Die Bedienung ist aber nicht kompliziert. Nutzer können sich entweder nach Anwendungen differenziert über die legislativ-administrativen Bedingungen während des Planungs- und Realisierungsprozesses in einzelnen Ländern informieren oder Staaten direkt miteinander vergleichen. Die Installationen sind dabei in drei Segmente unterteilt: A – für kleine Anlagen für Wohngebäude, B – für kleine bis mittelgroße Anlagen für gewerbliche Gebäude und C – für mittelgroße bis große Freiflächenanlagen. Betrachtet werden zum Beispiel Wartezeit, Arbeitsaufwand und Kosten sowie die einzelnen Phasen des Genehmigungsprozesses.
Mit wenigen Mausklicks können Informationssuchende beispielsweise sehen, dass Bulgaren unter allen teilnehmenden Nationen mit 50 Wochen am längsten auf die Netzanbindungsgenehmigung für ein Aufdachsystem auf einem Wohngebäude warten müssen. Während in Portugal noch zehn Wochen Geduld gefragt sind, klappt esin der Tschechischen Republik, Deutschland und den Niederlanden in der Regel innerhalb einer Woche. Auch der erforderliche rechtlich-administrative Arbeitsaufwand ist mit zehn Arbeitsstunden in Bulgarien am höchsten. Die geringste Arbeitszeit ist laut Datenbank in England aufzubringen.
Komplexe Daten
Allerdings sind die Datenreihen nur selten komplett. Das macht Vergleiche unvollständig. Außerdem sind die Kategorien nicht immer eindeutig. Was zum Beispiel wird durch die Kombination aus Wartezeit und Förderregelung erklärt? Chrometzka weiß um dieses Problem. „Der Komplexitätsgrad ist hoch. Eventuell werden wir die Darstellung noch vereinfachen.“ Der Projektleiter vom BSW-Solar versichert außerdem, dass die Datenbank auch nach Auslaufen des Projektes weitergepflegt werden wird. „Sonst wäre ein Großteil des Aufwands umsonst gewesen.“ Denn da sich die rechtlich-administrativen Gegebenheitenlaufend ändern, drohen die Daten schnell zu veralten, wenn sie nicht laufend aktualisiert werden. Der Export der PV-Legal-Idee steht ebenso im Raum. So besteht nach photovoltaik -Information Interesse aus großen Schwellenländern Asiens am Aufbau einer ähnlichen Plattform.
Ein weiteres Ziel des Projektes besteht darin, die Kosten durch Bürokratieabbau zu senken. „Inwieweit das erfolgreich war, werden wir erst nach Ende des Projektes endgültig evaluieren können“, räumt Chrometzka ein. Schon heute weiß die Industrie die Bedeutung der Transparenzoffensive zu schätzen. „Wir nutzen die Datenbank, um einen Überblick über die verschiedenen bürokratischen Prozeduren zu bekommen“, sagt Europa-Sprecher Christopher Burghardt vom US-Dünnschichtproduzenten First Solar. Außerdem lobt er: „PV Legal ist eine sehr nützliche und wichtige Initiative. Einige der größten Hürden bei der Photovoltaik sind administrativer Natur, insbesondere in Südeuropa. Die Initiative hilft bei der Beseitigung dieser rechtlichen Hürden und bei der Vereinfachung des administrativen Verfahrens.“ Auch von Chinas größtem Produzenten Suntech kommt Zustimmung, ohne dass sich die Firma gegenüber photovoltaik en detail äußern will. Nach Auskunft von Christian Strebe, Unternehmenssprecher beim Projektentwickler Phoenix Solar, kann die Datenbank zwar dieeigene Arbeit der Marktbeobachtung und Datensammlung nicht ersetzen. „Wir haben für unsere Zielmärkte einzelne Projektteams, die das im Hause erledigen“, erklärt er. Dennoch sei PV Legal eine „hervorragende Angelegenheit, weil es die Zusammenarbeit zwischen den Verbänden fördert.“ Noch wichtiger für ihn ist aber das Folgeprojekt zur Netzintegration PV Grid.
Hemmnis Netzintegration
Karsten Glöser von Juwi bestätigt: „Im Netzbereich gibt es bisher keine Verbesserungen. Zugleich liegen dort die massivsten Hemmnisse.“ Das könnte sich ändern, wenn PV Grid als Nachfolgeprojekt von PV Legal startet. Von den zwölf Ländern, die das PV-Legal-Projekt unterstützen, sind mit Ausnahme Sloweniens alle an Bord. Außerdem beteiligen sich Belgien, Österreich und Schweden. Im Projektkonsortium sind auch die Netzbetreiber Enel aus Italien, Lumen aus der Tschechischen Republik und RWE aus Deutschland vertreten.
„Wir begrüßen die Mitarbeit der Netzbetreiber. Sie sind die ersten Ansprechpartner, wenn es um die Integration von Solarstrom in die Netze geht“, sagt Chrometzka, auch wenn manche der traditionellen Energieunternehmen in der Vergangenheit nicht gerade als PV-Freunde aufgetreten waren. Auf die Bewilligung des Projektes durch die EU aber könntendie Schwergewichte positiven Einfluss haben. Der Projektantrag auf Förderung liegt der EU-Kommission bereits vor. Mit einer Entscheidung ist im Herbst zu rechnen.
„Die Frage der Netzintegration wird immer wichtiger, vor allem, wenn es darum geht, künftig größere Anteile des Photovoltaikstroms zu integrieren“, sagt Chrometzka. „Bei dem neuen Projekt geht es aber nicht darum, technische Lösungen aufzuzeigen. Es gibt bereits eine Reihe von sehr guten Konzepten, wie eine bessere Integration des Solarstroms erreicht werden kann. PV Grid soll sich stattdessen den konkreten Auswirkungen solcher Lösungen widmen: Welche Rahmenbedingungen müssen herrschen, damit eine Neuerung überhaupt akzeptiert werden kann?“ So gebe es beispielsweise die technische Idee, in den Ortsnetzen eine neue Generation von Transformatoren einzusetzen, die auf eine Einspeisung auf der Niederspannungsebene reagieren und Strom je nach Nachfrage im Netz auch auf eine höhere Spannungsstufe hieven können. Die Mehrheit der heute eingesetzten Spannungsregler ist technisch dazu aber noch nicht in der Lage und damit ebenso wenig den Anforderungen an die Integration großer Mengen Solarstroms in die Netze gewachsen.
Grundsätzlich hätten die Netzbetreiber, so Chrometzka, ein Interesse, dynamische Spannungsregler zu entwickeln und einzusetzen, um so ihre Netze für die Photovoltaik zu modernisieren. Allerdings müssten sie die Kosten derzeit selber tragen. „Denn nach der bestehenden Regulierung in Deutschland dürfen vorausschauende Maßnahmen der Netzoptimierung nicht ohne weiteres auf die Netznutzungsentgelte umgelegt werden – auch wenn sie mittel- bis langfristig dazu beitragen, den erforderlichen Netzausbau zu reduzieren.“ Das sei eine regulatorisch-technische Barriere für dezentrale Photovoltaikinstallationen, die es neben anderen zu beseitigen gelte. Mit solchen Analysen will die Initiative PV Grid die Idee von PV Legal fortentwickeln und weitere Barrieren abbauen. Noch bleibt abzuwarten, ob die Kommission das Projekt auch wirklich genehmigt. Sicher ist jetzt schon, dass sich Manager wie Karsten Glöser, der bei Juwi für Netz- und Energietechnik zuständig ist, darüber sehr freuen würden.