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Wieder alles offen

Karin Freier dürfte dieses Jahr keinen Blick für die Idylle gehabt haben, als sie durch das Eingangsportal des Klosters Banz in Bad Staffelstein schritt. Wer sich dort umdreht, sieht von oben herab auf die weitläufigen Anlagen, die die Mönche ab dem 11. Jahrhundert in die fränkische Hügellandschaft gesetzt haben. Vor 25 Jahren waren die Photovoltaikexperten, ein kleines Grüppchen von knapp 100 Wissenschaftlern und anderen Sonnenbegeisterten, die Ersten, die das Veranstaltungszentrum der CSU-nahen Hanns-Seidel Stiftung nutzen durften, ohne eine Parteiveranstaltung abzuhalten. Dieses Jahr kamen über 800 Besucher, und sie waren nicht erbaut über die Nachrichten, die die Vertreterin des Bundsumweltministeriums aus Berlin mitbrachte.

Ungefähr zur gleichen Zeit, als Karin Freier das Podium für ihren Vortrag betritt, will das Kabinett in der Hauptstadt Nägel mit Köpfen machen. Es beschließt einen Plan zur Kürzung der Vergütung als Vorlage, die Abgeordnete der Koalition in den Bundestag einbringen sollen. Das ist taktisches Spiel. Statt direkt den Entwurf einzubringen, lässt das Kabinett Abgeordneten den Vortritt – dann hat der Bundesrat nichts mitzureden.

Der Plan der Regierung sieht unter anderem vor, die Einspeisevergütung für Dachanlagen zum 1. Juli um 16 Prozent zu senken. Anlagen auf Ackerflächen sollen gar nicht mehr gefördert werden. Was in Bad Staffelstein noch keiner weiß: Kaum zwei Wochen später wird Bayernfürst Horst Seehofer diesen Kompromiss zu Fall bringen. Dass gekürzt wird, ist jedoch nach wie vor so gut wie sicher.

Im Kloster Banz hagelt es erst einmal Vorwürfe, die Regierung versetze der deutschen Photovoltaikindustrie den Todesstoß. Freier selbst nennt die Pläne „eine Operation am lebenden Patienten“ und meint damit vermutlich eine Operation am offenen Herzen. Der Ausgang wäre ungewiss.

Warum keine Industriepolitik?

Für die Konferenzteilnehmer, die sich zu Wort melden, und für die Abgesandte des Ministeriums ist die große Frage, ob und wie man mit dem EEG Industriepolitik machen kann. Europäische Hersteller sind momentan im Nachteil: Nach Auskunft von Winfried Hoffmann, CTO von Applied Materials und bis Mitte März Präsident des europäischen Photovoltaik-Industrieverbandes EPIA, bekommen sie zurzeit nur kurzfristige Kredite zu Zinsen im Bereich von fünf bis sechs Prozent. Chinesische Unternehmen hingegen könnten sich Geld langfristig zu zwei Prozent Zinsen leihen. Erschwerend komme hinzu, so Günther Cramer, Vorsitzender des Bundesverbandes Solarwirtschaft BSW-Solar und CEO von SMA, dass nach dem zusätzlichen Degressionsschritt bereits am 1. Januar 2011 die nächste Absenkung anstehe. „Die meisten produzierenden Unternehmen in Deutschland sind an der Börse und werden eine Schieflage nicht länger als zwei bis drei Monate aushalten“, sagt er. Die Unternehmen, die wegen der schnellen Änderungen ihrer wirtschaftlichen Grundlage scheiterten, würden für immer verschwinden, auch wenn sie sich längerfristig hätten anpassen können. „Wir haben die Technologie hier in Deutschland entwickelt, und das waren nicht nur energiepolitische, sondern auch industriepolitische Aspekte, unter denen die Photovoltaikförderung in Deutschland gestartet ist“, sagt Cramer. „Jetzt, wo wir kurz davor sind, damit wirklich erfolgreich zu werden, lassen wir das aus kurzfristigen Erwägungen fallen.“

Demgegenüber sieht sich Freier hilflos. „Das sind Unterstützungen durch die chinesische Politik, mit denen wir nicht mithalten können“, sagt sie. Das EEG sei ein Markteinführungsinstrument für Technologien, die noch nicht wettbewerbsfähig seien. „Wir überfordern das EEG, wenn wir glauben, dass wir damit gleichzeitig Industriepolitik machen können.“ Für sie stellt sich die Frage, wie „wir das flankieren müssen“, um deutschen Unternehmen industriepolitisch zu helfen.

Auch dass das Bundesumweltministerium den selbstverbrauchten im Vergleich zum eingespeisten Strom mehr fördern will als bisher, stößt auf Zweifel. Laut Cramer reicht der vorgesehene Eigenverbrauchsbonus von acht Cent nicht aus, damit es sich lohnt, in die Technik zu investieren. Außerdem bemängeln die Experten in Bad Staffelstein, dass die Regelung bis Ende 2011 befristet ist. Das schafft nicht die nötige Investitionssicherheit, die Firmen brauchen, um in neue Technologien zu investieren.

Winfried Hoffmann stellte die Frage, mit welchem Recht Regierung und manche Verbraucherschützer im Namen der Bevölkerung sprächen. Über Jahre hinweg hätten Umfragen gezeigt, dass die Mehrheit der Bevölkerung bereit sei, für den Ausbau der Erneuerbaren einige Euro mehr im Monat zu zahlen, und keine Umfrage habe das gegenteilige Ergebnis gebracht. „Mehr als 80 Prozent der Leute sagen ja. Wie kommen eigentlich die Verbraucherschützer und die Politiker dazu, hier etwas für die Bevölkerung tun zu wollen?“ Auch in einer Infratest-Umfrage im Auftrag des BSW-Solar äußerten sich kürzlich nur zwölf Prozent für sofortige deutliche Kürzungen der Solarförderung. 54 Prozent waren für Kürzungen „in kleineren Schritten über einen längeren Zeitraum“, und 30 Prozent sprachen sich gegen Kürzungen aus.

Karten neu mischen

Die Wendung am 12. März verschafft den Verbandsvertretern vielleicht noch einmal die Chance, gehört zu werden. Im Anschluss an Seehofers Vorstoß platzte die geplante Einigung der Regierungsfraktionen von CDU, CSU und FDP. Eigentlich wurde erwartet, dass die bei Nachverhandlungen erzielten Verbesserungen beim Vertrauensschutz noch in den Kompromiss aufgenommen werden würden. Dann nahm die Union die Abstimmung jedoch von der Tagesordnung ihrer Fraktionssitzung und verschob die Entscheidung.

Was zunächst verwundert: Seehofers Partei hatte sich am Anfang der Verhandlungen über die künftige Solarförderung vehement für ein Verbot von Photovoltaikanlagen auf Ackerflächen stark gemacht. Doch dann kam der Sinneswandel. Seehofer gehen die Pläne der Bundesregierung plötzlich viel zu weit. Er fürchtet „nicht hinnehmbare Konsequenzen für Bayern“. Die vom Bundeskabinett verabschiedeten Kürzungspläne seien ein „Anschlag auf die besonderen solarwirtschaftlichen Stärken Bayerns“, hieß es danach. Solarparks auf Freiflächen müssten „sachgerecht“ gefördert werden. In der Diskussion spiegeln sich die unterschiedlichen Interessen von Großbauern, Kleinbauern und Kommunen (siehe Artikel Seite 20).

Sofern sich die Fraktionen von CDU, CSU und FDP nicht schnell einigen und einen Antrag in den Bundestag einbringen, scheint auch der 1. Juli als Termin für die geplanten Kürzungen nicht mehr haltbar. Dies bestätigte das Büro des FDP-Obmanns des Umweltausschusses Horst Meierhofer. Die Liberalen sind gerade beim Thema Ackerflächen kompromissbereit. Das Verbot wieder aufzuheben, sei ganz im Sinne der FDP, die von Beginn an damit nicht einverstanden gewesen sei. Zugleich sieht die FDP nun auch die Möglichkeit, ihrerseits Themen, die bereits entschieden schienen, wieder auf die Agenda zu setzen. Wenn der Kompromiss nun wieder aufgeschnürt werde, dann solle in der Eigenverbrauchregelung eine Speicherpflicht verankert werden. Außerdem sei die Anhebung der geförderten Anlagengröße auf 800 Kilowatt zu hoch, sagt Meierhofers Büroleiterin Brigita Jeroncis.

Indes gibt es erste Ansätze zur in Bad Staffelstein geforderte Industriepolitik zur direkten Förderung hiesiger Solarunternehmen. Der Thüringer CDU-Bundestagsabgeordnete Christian Hirte und sein Kollege Tankred Schipanski trafen sich mit Fraktionsvize Arnold Vaatz, um Nachbesserungen zu erreichen. Es bleibt zu hoffen, dass sie ihre Forderung durchsetzen können, der Bund solle die Mittel für die Solarforschung um 100 Millionen Euro aufstocken. „Diese Mittel fließen direkt in die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Solarunternehmen. Daher könnten wir auf diese Weise zielgerichtet und nachhaltig die deutsche Solarbranche stärken“, erklärten sie.

Die Signale waren im März also widersprüchlich, und die Solarbranche wird mit der Unsicherheit leben müssen. Übrigens hatte schon Freier im Kloster Banz zu verstehen gegeben, dass die endgültige Entscheidung noch nicht gefallen sei. Die erneuerbaren Energien hätten inzwischen derartige Größenordnungen erreicht, dass sich anders als früher nicht nur die für Umweltfragen zuständigen Abgeordneten mit dem EEG beschäftigten, sondern das gesamte Parlament. „Deshalb ist eine angemessene Meinungsbildung im Parlament ein gutes Instrument, um verschiedene Interessen einfließen zu lassen“, sagt sie. Dass die Meinungsbildung so schnell den Regierungskompromiss zerschießen würde, hat sie wohl nicht erwartet.

Politik mit fragwürdigen Zahlen

Wie Halbwahrheiten verbreitet werden, zeigt ein Beispiel vom 19. März. Bei Spiegel online wird unter der Überschrift „Solar-Absahner schaden der Ökobranche“ eine Studie von Vattenfall zitiert, nach der die EEG-Umlage nächstes Jahr auf bis zu 4,4 Cent pro Kilowattstunde erhöht werden müsse. Dadurch stiege der Strompreis um zehn Prozent. Zurzeit kostet die Umlage, über die die Vergütung aller erneuerbaren Energien finanziert wird, 2,05 Cent.
Um der Aussage mehr Nachdruck zu verleihen, wird das Leipziger Institut für Energie mit der Aussage zitiert, es halte „die Prognose für realistisch“. Das ist nach Aussage von Matthias Reichmuth, Projektleiter an dem Leipziger Institut, so nicht richtig. Ein Journalist habe am 18. März Geschäftsführer Werner Bohnenschäfer gefragt, „ob eine EEG-Umlage von 3,5 Cent brutto für 2011, das heißt eine Steigerung um 1,5 Cent im Vergleich zu 2010, plausibel sei“. Bohnenschäfer habe geantwortet, dass das eine „eine realistische Größenordnung sein könnte“, und dabei klargemacht, dass ein weiterer Anstieg der EEG-Umlage von vier Faktoren abhänge: dem Solarstromausbau 2010, dem Ausbau aller übrigen erneuerbaren Energien und den Großhandelsstrompreisen, die mit den Einspeisevergütungen verrechnet werden. Ein Teil der EEG-Umlage nächstes Jahr komme außerdem dadurch zustande, dass der Photovoltaikzubau 2009 größer gewesen sei als im September 2009 angenommen.
Zu diesem Zeitpunkt wurde die Umlage 2010 festgelegt, die dadurch zu niedrig ausgefallen ist. „Es dürfte also dazu kommen, dass die entstandenen Mehrzahlungen des Jahres 2010 über eine erhöhte Umlage 2011 ausgeglichen werden. Welchen Anteil der Solarboom an den Umlage-Steigerungen hat und wie hoch diese am Ende ausfällt, dazu haben wir allerdings keine eigene Berechnung angestellt“, sagt Reichmuth.
Wenn im Jahr 2011 eine hohe Umlage durch den Nachholbedarf 2010 zustande kommt, ist das ein einmaliger Effekt, der nicht fortgeschrieben werden kann. Deshalb geht Vattenfall in internen Schätzungen auch davon aus, dass die Umlage 2012 sinken wird. Eine solche Schätzung zeigt außerdem, wie unsicher solche Prognosen sind. In vier Vattenfall-Szenarien variiert die EEG-Umlage 2011 zwischen gut zwei und knapp 3,5 Cent. Selbst der hohe Wert von 3,5 Cent ergibt sich nur, wenn der Photovoltaikausbau 2010 bei rund 6,5 Gigawatt liegen sollte und die Großhandelspreise nicht steigen.
Wieso in dem Artikel behauptet wird, die Umlage müsse auf bis zu 4,4 Cent erhöht werden, ist also nicht verständlich.

Sandra Enkhardt/Michael Fuhs

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