Sie haben die Leitung des Fraunhofer ISE im Jahr 2006 übernommen. Ein rasantes Jahrzehnt liegt hinter Ihnen, geprägt durch die Einspeisevergütung für Sonnenstrom. Wie schätzen Sie das EEG rückwirkend ein?
Eicke Weber: Durch das EEG hatten wir in den vergangenen 15 Jahren sehr stabile Bedingungen, um der Photovoltaik den Markteintritt zu ermöglichen. Jeder Investor erhielt eine lukrative Rendite, zudem wurde Druck auf die Preise ausgeübt. Ein Fehler des Gesetzes waren die von vornherein festgelegten Degressionssätze. Dadurch wurden viele Anlagen übereilt gebaut, um sie noch rechtzeitig vor der nächsten Absenkung anzuschließen. Es wäre besser gewesen, die Entwicklung der Marktpreise im Verlauf eines Jahres zu analysieren. Dann hätte man die Einspeisetarife für das nächste Jahr mit einem Vorlauf von drei Monaten festlegen können. Doch hinterher ist man immer klüger. Im Großen und Ganzen war das EEG ein echter Erfolg.
Welche Rolle spielt das EEG heute?
Diese Zeit ist nun unwiderruflich vorbei. Jetzt geht es um die Frage, wie man den weiteren Ausbau der Photovoltaik befördern kann. Eine tief hängende Frucht der Förderung ist der Eigenverbrauch von Solarstrom. Er braucht keine staatlichen Zuschüsse mehr. Derzeit lässt sich Sonnenstrom für unter zehn Cent je Kilowattstunde erzeugen, das ist weniger als die Hälfte der Strompreise für private Endkunden.
Das jüngste EEG hat der Energiewende einige Fallstricke beschert ...
Man muss schon sagen: Es war eine dumme Entscheidung des Gesetzgebers, eine Zwangsabgabe auf selbst verbrauchten Sonnenstrom einzuführen. Dafür gibt es weder ökonomische noch ökologische Gründe. Auch mit Gerechtigkeit hat das nichts zu tun, angesichts der 2.000 energieintensiven Betriebe, die praktisch keine EEG-Umlage zahlen müssen. Man sieht die Folgen am dramatischen Einbruch beim Zubau in der Photovoltaik. Jetzt wäre es sinnvoll, die EEG-Umlage auf den Eigenverbrauch sofort auszusetzen. Das EEG wurde innerhalb weniger Wochen durch den Bundestag gebracht, ebenso schnell könnte man die Umlage wieder kippen. Bei einem Zubau von einem Gigawatt macht sie bei 100 Prozent Eigenverbrauch 20 Millionen Euro aus, ein Tropfen im 20-Milliarden-Eimer der gesamten EEG-Umlage. Die positiven Effekte für die Wirtschaft und die Investitionen sollten den Wirtschaftsminister wie auch den Bundesfinanzminister überzeugen.
Also Eigenverbrauch statt Einspeisung?
Voraussehbar ist bereits, dass die Batterietechnik eine steile Lernkurve durchläuft, wesentlich getrieben durch die Elektromobilität. Tesla ist dafür ein gutes Beispiel. Nimmt man die Kosten für Sonnenstrom und für moderne Lithiumbatterien zusammen, wird selbst zwischengespeicherter Solarstrom bald preiswerter sein als Netzstrom. Es wird sinnvoll und wirtschaftlich, den Strom selbst zu erzeugen und zu verbrauchen, nicht nur für private Haushalte. Ganze Stadtviertel werden sich auf diese Weise versorgen können. Wir stehen an der Schwelle vom subventionierten in den freien Markt. Für das Netz bedeutet dies lediglich, dass die Stromabnahme aus dem Netz sinken wird. Photovoltaik speist nicht mehr ein, sondern wirkt aufs Netz wie eine Maßnahme zur Energieeinsparung.
Das Fraunhofer ISE hat den Aufschwung der Photovoltaik maßgeblich begleitet. Wie hat sich das Institut unter Ihrer Regie entwickelt?
Zurzeit haben wir rund 1.300 Mitarbeiter, davon rund 750 Studenten und 550 wissenschaftliche Mitarbeiter sowie Verwaltung, Personal, technische Infrastruktur und so weiter. Von diesen Mitarbeitern arbeiten 200 mit Zeitverträgen, 350 sind unbefristet angestellt.
Wie viele Ihrer Mitarbeiter sind noch mit der reinen Photovoltaik befasst, also mit Solarzellen, mit Modulen oder Wechselrichtern?
Etwa 40 Prozent mit Solarzellen und Modultechnik. Rechnet man die Leistungselektronik für die Wechselrichter ein, sind es in der Summe rund 55 Prozent. Andere Forschungsgebiete betreffen die Gebäudeeffizienz, Brennstoffzellen oder die Speicherbatterien. Wir entwickeln zwar Ladesysteme, aber bisher keine Lithiumbatterien. Wir haben lediglich eine eigene Redox-Flow-Batterie entwickelt. Auch Netzsteuerungen für Solarkraftwerke mit mehreren Megawatt Leistung flankieren die Forschungen in der klassischen Photovoltaik.
Ihre Forschungsergebnisse spielen in der Photovoltaik eine große Rolle, auch auf den neuen Gebieten, die Sie erwähnt haben. Wo sehen Sie neue Ansätze, um die Photovoltaik voranzubringen?
Wir halten an unserem Institut den Weltrekord beim Spitzenwirkungsgrad von Wechselrichtern, mit 99,03 Prozent. Das ist Heribert Schmidt gelungen, wir halten die Patente. Mit der sogenannten Heric-Schaltung gelang es ihm, die Verluste beim Laden und Entladen der Spulen mithilfe eines Tricks in der Verschaltung zu eliminieren. Heute kommt kein einphasiger Wechselrichter ohne Heric-Schaltung aus, wenn er mehr als 98 Prozent Wirkungsgrad erreichen will. Ein weiteres Beispiel ist der Weltrekord bei Konzentrator-Solarzellen. Sie erreichen 46 Prozent Energieausbeute aus dem konzentrierten Sonnenlicht, weltweit der höchste Wert der Wandlung von Solarenergie in Strom. Diese Technik wird in den kommenden Jahren eine sehr große Rolle spielen, vor allem in sonnenreichen Regionen.
Patente und Erfindungen bedeuten Lizenzeinnahmen, ein wichtiges Standbein zur Finanzierung Ihrer Mitarbeiter. Spüren Sie die Einbrüche bei der Solarindustrie auch im eigenen Budget?
In den vergangenen Jahren hatten wir erhebliche Einnahmen aus den Lizenzen. Mittlerweile sprudeln sie nicht mehr so üppig. Die Insolvenzen in der Photovoltaikindustrie treffen uns auf diese Weise ebenso. Wir werden nur zu 15 Prozent durch die staatliche Grundförderung unterstützt. 85 Prozent unseres Etats müssen wir durch Projekte decken. Zurzeit erbringen wir nur 25 Prozent durch Kooperationen mit der Industrie.
Wie schätzen Sie die Förderung der Photovoltaikforschung durch den Bund ein?
Die augenblickliche Förderung ist gut, damit sind wir zufrieden. Wir hatten eine schwierige Zeit, denn durch den Wechsel des Energieressorts aus dem Umweltministerium zum Wirtschaftsminister wurden ein halbes Jahr lang keine Mittel ausgereicht. Mit dem Ressortwechsel ging eine Änderung in der Philosophie der Mittelvergabe einher. Das BMWi legt viel mehr Wert auf die Zusammenarbeit der Wissenschaftler mit der Industrie als das BMU. Deshalb wird es für uns schwieriger, auch Projekte in der Vorlaufforschung zu finanzieren. Das betrifft Themen, aus denen erst mittelfristig, sagen wir in fünf Jahren, handfeste Produkte entstehen. Solche Vorhaben müssen auch weiterhin mit 100 Prozent gefördert werden.
Finden Sie überhaupt noch Industriepartner in Deutschland?
Das ist in der Tat ein Problem. Das Ausdünnen möglicher Partner erschwert die Finanzierung der Forschungsprojekte. Früher hatten wir bei den Solarzellen und Solarmodulen Firmen wie Q-Cells, Schott oder Bosch als Partner. Jetzt ist nur noch Solarworld übrig geblieben, dazu eine kleine Forschergruppe bei Hanwha Q-Cells. Wenn Hanwha jetzt die letzte Fertigungslinie aus Europa abzieht, wird auch die Forschung dort nicht mehr lange Bestand haben. Das sind 350 hochqualifizierte Jobs, die unter anderem an staatlich geförderten Projekten hängen. Ohne Fertigung gibt es weder Fördermittel noch lassen sich die Forschungsergebnisse vor Ort im Werk überprüfen und optimieren. Das scheint den Herrschaften in Seoul offensichtlich nicht bewusst zu sein.
Wie machen sich diese Sorgen konkret bemerkbar?
Wir haben das Konzept einer Fabrik für neuartige Solarzellen entwickelt, die noch mehr leisten sollen als die Perc-Zellen, die sich gerade in der Markteinführung befinden. Das ist die X-Gigafab, kurz X-GWp, mit der Europa wieder die Führung bei der Herstellung einer neuen Generation von Solarzellen und Solarmodulen übernehmen kann. Wir sprechen von Hetero-Junction-Zellen, vergleichbar den HIT-Zellen von Panasonic. Sie kombinieren kristalline Siliziumwafer mit dünnen Beschichtungen.
Wie viel Geld brauchen Sie dafür?
Eine erste Demonstrationsanlage mit 90 Megawatt Jahresausstoß würde 45 Millionen Euro kosten. 25 Millionen Euro brauchen wir als Eigenkapital, 20 Millionen könnte man aus Krediten finanzieren. Das ist allerdings nur für Investoren interessant, die später bei der größeren Fabrik einsteigen wollen. Sie würde im Jahr rund 600 Megawatt Solarzellen produzieren, die Investition dafür beträgt rund 450 Millionen Euro. Davon sind 250 Millionen als Eigenkapital geplant, 200 Millionen als Darlehen durch die Banken. Aufgrund der schwierigen Lage der Industrie gestaltet sich die Suche nach Investoren nicht gerade leicht, wie Sie sich denken können. Zum Start brauchen wir beispielsweise fünf Unternehmen, die je fünf Millionen Euro in die Kasse legen. Aber ich bin optimistisch, in einigen Monaten ein gutes Ergebnis präsentieren zu können.
Können Sie auf andere Programme ausweichen, beispielsweise des Landes Baden-Württemberg oder der Europäischen Union?
Vom Land werden wir sehr gut unterstützt. Anders sieht es bei der EU aus. Dort gibt es das Forschungsprogramm „Horizon 2020“, das uns derzeit große Probleme bereitet. Es fordert eine Kofinanzierung zu 50 Prozent durch das Institut, das die Anträge stellt. Die Helmholtz-Institute, wie in Berlin, Jülich oder Karlsruhe, können das, denn sie bekommen die Hälfte ihres Etats vom Bund und den Ländern. In unserem Institut sind es nur 15 Prozent. Hinzu kommt, dass die Erfolgsaussichten bei „Horizon 2020“ nur zehn Prozent betragen. Der Aufwand lohnt sich also gar nicht.
Welches Budget steht Ihnen für das laufende Jahr zur Verfügung?
Naturgemäß ist es einfacher, das Budget rückblickend für das Vorjahr zu bewerten. 2014 hatten wir 83 Millionen Euro. Davon bestritten 73 Millionen Euro den Haushalt des Instituts, also die Gehälter und die laufenden Ausgaben. Zehn Millionen Euro waren für Investitionen reserviert.
Wie hoch war das Budget bei Ihrem Amtsantritt im Jahr 2006?
Damals hatten wir 490 Mitarbeiter, der Haushalt lag bei 26 Millionen Euro. Mein Vorgänger war Professor Joachim Luther. Er hatte das Institut von seinem Gründer übernommen, Professor Adolf Goetzberger. Professor Luther hatte die Mitarbeiterzahl im Laufe seiner Leitung bereits verdoppelt. Ich hatte nicht erwartet, dass wir diesen Erfolg so deutlich ausbauen könnten.
Wie wird sich das Institut künftig ausrichten oder thematisch erweitern?
Die deutsche Solarindustrie durchläuft im Augenblick eine schwierige Phase, die auch uns das Leben nicht leichter macht. Deshalb werden wir versuchen, unsere Kernkompetenzen auch in anderen Bereichen zu nutzen. Ein Beispiel dafür ist die energieeffiziente Leistungselektronik, wie sie in Solarwechselrichtern steckt. Sie kann für Anwendungen in der Luftfahrt, in der Bahntechnik oder im Automobilbau nützlich sein. Klar ist außerdem: Unser Ziel, für eine regenerative Energieversorgung zu arbeiten, werden wir keinesfalls aufgeben. Andere, neue und wichtige Themen sind die Elektromobilität, energieeffiziente Gebäude und Städte.
In der Mobilität finden Sonnenstrom und Batterietechnik zueinander, als Generator und Speicher der Antriebsenergie. Welche Technologien favorisieren Sie?
Wir befassen uns nicht nur mit Lithiumbatterien. Wir haben auch wasserstoffgetriebene Brennstoffzellen in der Forschung. Sonnenstrom kann man nutzen, um Wasser elektrolytisch in Wasserstoff und Sauerstoff zu spalten. Den Wasserstoff kann man zur Betankung nutzen. Ich selbst habe das Privileg, einen Mercedes mit Brennstoffzelle zu fahren. Damit habe ich schon über 13.000 Kilometer zurückgelegt. Man braucht viel weniger Zeit zur Betankung als zum Aufladen eines batteriegetriebenen Fahrzeugs. Das Wasserstoffauto hat eine Reichweite von mehr als 300 Kilometern, und der Wagen ist in weniger als fünf Minuten aufgetankt.
In welchen Anwendungen sehen Sie vorzugsweise diese Brennstoffzellen mit Wasserstofftanks?
Lastkraftwagen oder Busse können Sie mit Batterien kaum betreiben, dort sind die Brennstoffzellen klar im Vorteil, aber auch für Pkw sehr interessant. Natürlich sollte man den Wasserstoff vor Ort erzeugen, durch lokal generierte Überschüsse aus erneuerbaren Stromquellen, besonders Wind und Sonne. Neuartige Wasserstofftanks aus Kohlefaser halten 700 Bar aus. Diese Technik entwickelt sich sehr aussichtsreich.
Wie geht es in der Photovoltaik weiter?
Eine interessante Entwicklung ergibt sich durch die Kombination mit solarthermischen Kraftwerken. Sie konzentrieren das Sonnenlicht durch Spiegel, entweder auf einen Turm oder auf Rinnen im Brennpunkt von Parabolspiegeln. Die enorme Hitze wird durch Thermoöle und Speicher mit Flüssigsalz mit mehr als 500 Grad Celsius aufgefangen und gesammelt. In einem Dampfprozess kann man daraus Strom machen. Am Tag liefert die Photovoltaik kostengünstig den Strom, nachts die Dampfturbinen, die sich aus den Salzspeichern bedienen. Auf diese Weise wird in sonnenreichen Regionen eine kostengünstige solare Vollversorgung möglich. Indem man beispielsweise 200 Megawatt Photovoltaik mit 100 Megawatt aus einem Turmkraftwerk kombiniert ...
Sie erwähnten konzentrierende Photovoltaik, die CPV. Wie geht es in diesem Forschungsfeld weiter?
Mein Traum ist es, die solarthermische Stromerzeugung mit Konzentratormodulen zu kombinieren. Sie werden dem Sonnenstand nachgeführt, wie die Parabolspiegel, und erzielen viel höhere Erträge als einfache Solarmodule mit kristallinen Siliziumzellen. Wir nutzen kleine Zellen aus Galliumarsenid und ähnlichen Materialien in einem Schichtsystem, die auf einem Substrat aus Germanium abgeschieden werden. Solche Zellen sind bislang zu teuer für normale Solarmodule, man verwendet sie nur für Satelliten im Weltraum. Die kleinsten Zellen sind zwei mal zwei Millimeter groß. Das Sonnenlicht wird 500- oder 1.000-fach gebündelt, sodass jede der kleinen Zellen das Licht, das auf eine viel größere Fläche fällt, mit der hohen Effizienz in Strom wandelt. Dazu steigt die Effizienz dieser Zellen mit der Intensität der Beleuchtung. Je mehr Licht die Zellen bekommen, umso geringer sind die Rekombinationsverluste. Das Material wirkt fast wie ein idealer Halbleiter.
Trotzdem tritt die terrestrische Anwendung von Konzentratormodulen auf der Stelle ...
Der Preisverfall bei Siliziummodulen macht es auch für alternative Solartechniken nicht einfacher. Aber die CPV ist interessant, weil sie in vielen Ländern der Welt relativ leicht einzuführen ist. Die Mehrfachzellen selbst auf Germaniumsubstrat sind so klein, dass mehrere Megawatt in einen Koffer passen. Der Rest der Wertschöpfung, also die Modulproduktion, der Bau der zweiachsigen Tracker und die Installation, wird vor Ort gemacht. Man importiert die Zellen aus Industrieländern, die spezielle Reinräume dafür haben. Die übrige Wertschöpfung ist überall auf der Welt möglich, auch in bislang wenig entwickelten Regionen.
Auch Konzentratormodule liefern nachts keinen Strom. Was uns wieder zu den Stromspeichern führt. Welche Entwicklung sehen Sie bei den Lithiumbatterien?
Das ist ein entscheidender Punkt für die weltweite Energiewende. Noch kosten die neuen Stromspeicher rund 1.000 Euro je Kilowattstunde Speicherkapazität und mehr. Das macht bei 300 Entladungen im Jahr und zehn Jahren Lebensdauer über 30 Cent je Kilowattstunde. Zusammen mit den Gestehungskosten für Sonnenstrom ist das noch sehr teuer. Doch 2014 fielen die Preise für Lithiumspeicher um 25 Prozent, das erwarten wir auch für dieses Jahr, mindestens. Wenn die Kilowattstunde Speicherkapazität nur noch 500 Euro kostet, schlägt die Kilowattstunde Speicherstrom nur noch mit 15 Cent zu Buche. Das wird schon interessant. 2016 könnten wir schon bei 200 Euro je Kilowattstunde Speicherkapazität liegen, was rund sieben Cent je Kilowattstunde Speicherstrom bedeutet. Ich erwarte, dass diese Kosten sehr schnell erreicht werden. Große Unternehmen aus den USA und China sind in diesem Geschäft aktiv.
Das Gespräch führte Heiko Schwarzburger.
Fraunhofer ISE/KIT
Sonnenstrom für die Landwirtschaft
Der rasante Zubau an Photovoltaikkraftwerken auf Freiflächen in Deutschland im vergangenen Jahrzehnt rückt die steigende Landnutzungskonkurrenz zwischen der Produktion von erneuerbaren Energien und Nahrungsmitteln immer mehr in die Aufmerksamkeit. Forscher des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg haben eine frühe Idee ihres Institutsgründers aufgegriffen. Nun wird sie in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und der Universität Hohenheim sowie Wirtschaftspartnern umgesetzt. Die von Professor Adolf Goetzberger vorgedachte Agrophotovoltaik nutzt die begrenzte Ressource Boden, indem sie das Land gleichzeitig zur Erzeugung von Energie und Nahrung nutzt.
Im März 2015 begann in der Modellregion Bodensee-Oberschwaben ein Pilotvorhaben, in dessen Rahmen eine erste Anlage auf Ackerflächen der Demeter-Hofgemeinschaft Heggelbach installiert wird (190 Kilowatt). Agrarwissenschaftliche, sozialpolitische, ökonomische und ökologische Analysen begleiten das Projekt. Ein Schwerpunkt ist der Feld- und Gemüsebau. Im Bodenseekreis betrug der Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch 2013 rund zwölf Prozent, während er im Bundesdurchschnitt bei 25,5 Prozent lag. Ein Grund hierfür sind unter anderem die Probleme, die bei anderen Formen erneuerbarer Energiegewinnung entstehen: Beispielsweise sind Windkraftanlagen sehr umstritten, da sie den Panoramablick auf die Alpen stören. Das Potenzial für Biogasanlagen ist in Anbaugebieten für Obst oder Hopfen eher gering. Hier könnte die Agrophotovoltaik eine zukunftsträchtige und nachhaltige Lösung bieten, mit hoher Übertragbarkeit auf andere Regionen. Das technisch erschließbare Potenzial in Deutschland wird auf 25 bis 50 Gigawatt geschätzt. Zum Vergleich: Ende 2014 waren in Deutschland rund 39 Gigawatt Photovoltaik installiert, davon etwa neun Gigawatt auf Äckern und Konversionsflächen.
Fraunhofer ISE
X-Gigawatt-Fabrik mit Hetero-Junction-Zellen
Mit den Perc-Zellen ist längst nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Holger Neuhaus, Chefingenieur bei Solarworld, schätzt ein: „Bei mehr als 23 Prozent Zellwirkungsgrad aus der Massenfertigung muss man mit Tandemzellen arbeiten. Dann sind bis 86 Prozent Wirkungsgrad denkbar.“ Ein entsprechendes Konzept hat Eicke Weber, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg vorgestellt. Binnen kurzer Zeit könnte eine Fabrik mit einem jährlichen Ausstoß solcher Hetero-Junction-Zellen errichtet werden. Darunter versteht man kristalline Hochleistungszellen aus Silizium, über denen siliziumbasierte Dünnschichtzellen abgeschieden sind. Eine ähnliche Technik verwendet Panasonic in seinen HIT-Zellen. Die Pilotfabrik könnte 90 Megawatt im Jahr leisten. Ihr könnte schnell ein Werk mit 600 Megawatt folgen, als Zwischenschritt zur Gigawattfabrik. Die Investitionskosten liegen kaum halb so hoch wie für klassische Waferzellen aus Silizium. Damit lassen sich die Kosten für Sonnenstrom aus der Region Freiburg auf sechs Cent pro Kilowattstunde senken. In sonnigen Ländern sind vier Cent möglich. Das ist vergleichbar mit Strom aus Kohlekraftwerken.
Eicke Weber
leitet das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme. Zudem ist er Professor an der Universität in Freiburg. Weber wurde 1949 in Münnerstadt geboren. 1976 promovierte er in Physik an der Universität Köln. 1983 nahm er einen Ruf an die University of California nach Berkeley an. Er war an verschiedenen Universitäten tätig, unter anderem in Schweden, Japan, den USA und China. Im Jahr 2006 kehrte er nach Deutschland zurück, um die Leitung des Fraunhofer ISE in Freiburg zu übernehmen. Der Physiker erhielt zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen. Unter anderem ist er Mitglied von Acatech und Ehrenmitglied des renommierten Ioffe-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften.