Folgendes berichten Experten immer wieder: Unter der installierten Photovoltaikanlage sind die blanken Leitungen des Blitzschutzsystems verlegt, teilweise berühren sie direkt die Montagegestelle, auf denen die Solarmodule befestigt sind. Ein wirksames Blitzschutzkonzept ist dort nicht zu erkennen. Schlägt der Blitz ein, ist die Katastrophe vorprogrammiert. Dann besteht akute Brandgefahr für das Haus und Lebensgefahr für die Bewohner. Vom Schaden an der Photovoltaikanlage ganz zu schweigen. Dieses Problem besteht in der Regel, wenn die nötigen Abstände zwischen Blitzschutz- und Solaranlage nicht eingehalten werden. „Der Blitzschutz ist eine eigene Fachdisziplin“, sagt der Solarsachverständige Christian Keilholz. „Wenn eine Blitzschutzanlage gewünscht oder gefordert wird, sollte in jedem Fall eine spezialisierte Fachfirma konsultiert werden.“ Anlagenbetreiber möchten ihre Dachfläche in der Regel voll ausnutzen. Wird eine Photovoltaikanlage aber dort installiert, wo sich bereits eine Blitzschutzanlage befindet, zum Beispiel auf öffentlichen Gebäuden oder in Gebieten mit hohem Blitzschlagrisiko, konkurrieren beide Systeme um dieselbe Fläche. Meist ist dann ein Umbau der Blitzschutzanlage nötig. Diese muss so angepasst werden, dass sie erstens Haus und Photovoltaikanlage vor direktem Blitzeinschlag schützt und zweitens überall ausreichend Abstand zur Photovoltaikanlage einhält,um Stromüberschläge aus der Blitzschutzanlage zu vermeiden. Niedergeschrieben ist diese Regel unter anderem in der Blitzschutz-Normenreihe DIN EN 62305 (VDE 0185-305) und im deutschen Beiblatt VDE 0185-305-3 Bbl 5 „Blitz- und Überspannungsschutz für PV-Stromversorgungssysteme“.
Auf Abstand gehen
Dass die nötigen Trennungsabstände nicht eingehalten werden, kommt laut Aussage von Experten immer wieder vor, sei es aus mangelnder Erfahrung oder aus Kostengründen. Für die Vorplanung kann mit Abständen zwischen einem halben und einem Meter gerechnet werden, heißt es einem Merkblatt des BSW-Solar. Das ist für die Detailplanung der Modulbelegung eine recht grobe Angabe. Für die konkrete Umsetzung sollte der Trennungsabstand aber laut Merkblatt ohnehin „immer rechnerisch ermittelt“ und eine Blitzschutzfachkraft nach VDE 0185-305-3 hinzugezogen werden.
Die Berechnung der Trennungsabstände ist dabei nicht ganz ohne. Die Profis müssen eine Vielzahl von Parametern berücksichtigen. Dazu zählen zum Beispiel die Blitzschutzklasse des Gebäudes, die Anzahl und Verteilung der Ableitungen vom Dach, der Werkstoff (Luft oder Feststoff) zwischen der Ableitung und dem nächsten elektrisch leitenden Material, die Länge der Ableitung vom Erdungspunkt zum aktuellen Punkt der Betrachtung und noch einige Dinge mehr. Zudem kann die Berechnung des Trennungsabstandes nach VDE 0185-305 nur bei der Verwendung normkonformer Materialien erfolgen. So fordert die aktuelle Blitzschutznorm einen Querschnitt für die Ableitungen von 50 Quadratmillimetern beziehungsweise mindestens 28 Quadratmillimetern bei mechanisch geschützter Befestigung.
Hat eine Blitzschutzfachkraft die nötigen Trennungsabstände für alle Stellen der Blitzschutzanlage berechnet, stellt sich nicht selten heraus, dass die Photovoltaikanlage, so wie sie ursprünglich geplant war, nicht umsetzbar ist. Dann muss umgeplant werden. Dabei verringert sich meist die Anzahl der verbauten Module zugunsten eines funktionstüchtigen Blitzschutzes. Im schlimmsten Fall wird die Photovoltaikanlage durch die Platzeinschränkungen so unrentabel, dass komplett auf den Bau verzichtet werden muss. Es gibt aber eine Möglichkeit, das Problem zu umgehen und die durchschnittlichen Trennungsabstände zwischen einem halben und einem Meter deutlich zu verringern: hochisolierte und gleitentladungsfreie Blitzableitungen.
Hochisolierte und gleitentladungsfreie Blitzableitungen sowie dieentsprechenden Fangeinrichtungen und Anschlusselemente werden seit einigen Jahren von unterschiedlichen Herstellern angeboten. Mit ihrer Hilfe lässt sich die Modulfläche im manchen Fällen deutlich vergrößern.
Sich näher kommen
Ein Planer kann durch die Verlegung hochisolierter Ableitungen zwar nicht auf die komplizierte Berechnung der Trennungsabstände verzichten, er kann aber vom jeweiligen Endergebnis einen bestimmten Wert abziehen, je nach verwendeter Leitung. „Der Vorteil ist, dass Sie im Verlauf der isolierten Leitungen den Trennungsabstand nicht einhalten müssen“, sagt Torsten Hoffmann, Produktmanager für Photovoltaiksysteme bei OBO Bettermann. „Dadurch haben Installateure ganz andere Installationsmöglichkeiten. Man kann die Blitzableitungen mit Teilen der Photovoltaikanlage und ihren Leitungen kreuzen und muss auch bei metallenen Fassadenteilen keinen Abstand mehr einhalten.“ OBO Bettermann hat zum Beispiel sogenannte isCon-Ableitungen im Angebot, Dehn + Söhne haben HVI-Leitungen. Beide Systeme haben einen „äquivalenten Trennungsabstand in Luft“ von 0,75 Metern. Das bedeutet, man kann vom berechneten Trennungsabstand 75 Zentimeter abziehen, wenn sich zwischen Blitzschutz- und Solaranlage Luft befindet. Ist fester Baustoff dazwischen, zum Beispiel eine Hauswand zwischen dem Blitzableiter und den Kabeln des Wechselrichters, ist der rechnerisch ermittelte Trennungsabstand größer. Die Leitungen können dann 1,5 Meter der berechneten Strecke ersetzen. Dehn bietet auch eine HVI-light-Variante an. Diese hat nur einen äquivalenten Trennungsabstand von 45 Zentimetern in Luft und von 90 Zentimetern bei festen Baustoffen, dafür ist sie aber auch dünner, sprich leichter, platzsparender und kostengünstiger. Der US-Hersteller Erico vertreibt isolierte Leitungen mit der Bezeichnung ISODC. Damit können Installateure sogar einen Trennungsabstand von einem Meter in Luft ersetzen.
So können die Blitzableitungen in vielen Fällen direkt unter der Solaranlage entlanggeführt werden, ohne dass bei Blitzeinschlägen Überschläge zu befürchten sind. Ist der berechnete Abstand aber immer noch zu groß, können auch mehrere Ableitungen parallel verlegt werden. Dann verringert sich der Stromaufteilungskoeffizient in der Berechnung des Trennungsabstandes und damit auch der Trennungsabstand selbst. Bei dieser Methode empfehlen die Hersteller allerdings, die Leitungen in einem Abstand von mindestens 20 Zentimetern zu verlegen, da so eine mögliche Beeinflussung der Leitungen untereinander, zum Beispiel durch magnetische Felder, gering gehalten wird.
Richtig verlegen
Der Aufbau der hochspannungsfesten isolierten Ableitungen ist mehrlagig. Die Lagen bestehen zum Teil aus isolierenden und zum Teil aus halbleitenden Materialien. „Das Ganze kommt ursprünglich aus der Hochspannungstechnik“, sagt Hoffmann von OBO Bettermann. „Kritisch ist hier insbesondere, wenn es zu Außenüberschlägen kommt. Dann verlässt der Blitz den eigentlichen Leiter und es kommt zu einer Gleitentladung über die äußere Isolierung.“ Mit einem Potenzialausgleich am Endverschluss des Kabels können diese hohen Impulsspannungen an den Isolierstoffoberflächen verhindert werden. Dazu wird im Bereich des Endverschlusses der Leitung eine Verbindung des äußeren halbleitenden Mantels mit dem Potenzialausgleich des Gebäudes geschaffen. Der Anschluss an den Potenzialausgleich kann zum Beispiel an metallenen, geerdeten Dachaufbauten, an geerdeten Teilen der Gebäudekonstruktion, die nicht mit Blitzspannung behaftet sind, oder an den Schutzleiter des Niederspannungs-Systems erfolgen. Im Bereich des Endverschlusses dürfen sich im Abstand des dort berechneten Trennungsabstandes keine metallenen Teile befinden. Bei der isCon-Leitung kann nach Angaben von OBO Bettermann auf einen Potenzialausgleich verzichtet werden, wenn der berechnete Trennungsabstand kleiner als 15 Zentimeter ist.
Beim Verlegen der Leitungen gibt es für Installateure einiges zu beachten. „Das Wichtigste ist, dass die Anlage konform zur Blitzschutznorm VDE 0185-305 und konform zur jeweiligen Montageanleitung installiert wird“, sagt Hoffmann. Dazu zählt zum Beispiel, dass sich alle Leitungen im Schutzbereich der Fangeinrichtungen befinden. Der Abstand zwischen den einzelnen Befestigungspunkten der Leitung darf nicht mehr als einen Meter betragen. Beim Verlegen müssen außerdem die minimalen Biegeradien berücksichtigt werden. Bei der isCon-Ableitung mit dem Kupferquerschnitt von 35 Quadratmillimetern liegt der Biegeradius je nach Leitungstyp bei 345 beziehungsweise 390 Millimetern bei der grauen Variante. Bei den HVI-Leitungen mit einem 19-Quadratmillimeter-Kupferleiter beträgt der minimale Biegeradius 200 beziehungsweise 230 Millimeter. Um die Länge der Kabel zu verkürzen, was nicht bei allen Leitungstypen möglich ist, oder die Leitung abzumanteln, um Anschlusselemente anzubringen, sind Spezialwerkzeuge nötig. OBO Bettermann bietet dazu den sogenannten isCon Stripper an, bei Dehn ist der dafür nötige HVI-strip 20 im Lieferumfang enthalten. Auch ein Drehmomentschlüssel ist bei der Montage von Vorteil, denn die Montageanleitungen der Systeme geben zu vielen Schraubverbindungen genau definierte Drehmomente vor.
Bei der Verlegung der Leitungen und der Montage der Fangstangen gibt es je nach System noch viele weitere Dinge zu beachten, insbesondere auch wenn es um den Einsatz in explosionsgefährdeten Betriebsstätten oder auf mit Reet oder Stroh gedeckten Dächern geht. Es ist also in jedem Fall nötig, die jeweilige Montageanleitung genau zu studieren und wie dort gefordert eine ausgewiesene Blitzschutzfachkraft in Planung und Montage mit einzubeziehen. Wird alles richtig gemacht, können die hochspannungsfesten isolierten Ableitungen aber eine sichere und sinnvolle Alternative zur Verkleinerung der Modulfläche der Photovoltaikanlage sein.