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Dach oder Fassade?

Die neuen Firmengebäude des Werkzeugdienstleisters Hahn und Kolb in Ludwigsburg folgen einer außergewöhnlichen Geometrie. Die drei sich ähnelnden parallelen Baukörper haben jeweils an zwei gegenüberliegenden Seiten keine senkrechten Fassaden, sondern um 45 Grad geneigte Flächen. Die nach Süden ausgerichteten Flächen sind komplett mit Photovoltaik bestückt. Vertriebszentrum, Akademie- und Logistikgebäude bieten insgesamt rund 20.000 Quadratmeter Nutzfläche. 300 moderne Büroarbeitsplätze sind im Vertriebszentrum und im Akademiegebäude entstanden.

Doch nicht nur die Ästhetik der Gebäude beeindruckt, sondern auch die Konsequenz, mit der die Bauherren gemeinsam mit der Architektin Sigrid Hintersteininger dem Nachhaltigkeitsgedanken im Gebäude Gestalt gegeben haben. Schon in der Ausschreibung des Architektenwettbewerbs war die Vorgabe, dass bei der Gebäudetechnik umweltgerechte Konstruktion und Bauweise realisiert werden sollten. Wohlfühlatmosphäre für die Mitarbeiter und Besucher war ebenso gefordert.

Photovoltaik gab die Form vor

„Es war ganz klar der Nachhaltigkeitsgedanke, der uns getrieben hat“, erklärt Verwaltungsleiter Richard Hahn. Nicht so sehr Renditen oder Amortisationszeiten spielten die ausschlaggebende Rolle, sondern ein wirklich tragfähiges Konzept für die Zukunft. Gemeinsam mit der Konzernmutter Würth wurde der Bau geplant und innerhalb eines Jahres realisiert. Dabei war auch von Vorteil, dass die eingespielte Bauabteilung des Konzerns die Bauausführung in die Hände nahm.

Der grundlegende Impuls für die Gebäudeform kam von der von Anfang an geplanten großflächigen Photovoltaikanlage. Die Architektin hat mit der großen, im 45-Grad-Winkel geneigten Fassadenfläche die Gebäudeform strukturiert. Auf der nach Süden ausgerichteten Fläche befindet sich auf beiden Gebäuden jeweils eine Photovoltaikanlage. Das Pendant im Norden, ebenfalls geneigt, besteht aus einer Freitreppe, die ins Eingangsfoyer führt und in einen kristallinen Glaskörper mündet.

Arbeitsatmosphäre lockt Fachkräfte

Seit zwei Jahren ist das Gebäude mittlerweile in Betrieb, und Richard Hahn ist sichtlich stolz und zufrieden: „Das Gebäude funktioniert. Die Mitarbeiter fühlen sich wohl.“ Viele Besucher, darunter Baufachleute und Architekten, loben immer wieder die extrem gefällige und hochmoderne Architektur. Für Hahn und Kolb ist die gleichermaßen moderne wie angenehme Arbeitsumgebung auch ein wichtiger Faktor, wenn es um die Gewinnung neuer Mitarbeiter geht. „Schließlich sind bei uns im süddeutschen Raum Fachkräfte stark umworben. Wir stehen da mit Porsche, Bosch, IBM, Daimler und anderen im Wettbewerb“, berichtet Hahn.

Die Photovoltaikanlage wurde von der Firma Dachland aus Berlin geplant und realisiert. „Wir konnten ein Konzept entwickeln, das die wirtschaftlichen und ästhetischen Interessen befriedigt hat“, berichtet Michael Eyberg, Geschäftsführer der Dachland Berlin GmbH. Für das Unternehmen ist Photovoltaik ein zweites Standbein. Das Kerngeschäft besteht in der Flachdachabdichtung und -sanierung. Doch ist die Photovoltaik bei Weitem kein ungeliebtes Stiefkind.

Individuelle Unterkonstruktion

„Wir bieten Photovoltaik immer dann an, wenn es wirtschaftlich sinnvoll ist und wir die Dächer bauen“, erzählt Eyberg. „Wir versuchen, die Eigentümer davon zu überzeugen, selbst zu investieren.“ Wenn das Interesse an Photovoltaik da ist, aber nicht die Möglichkeit oder der Wille zum Eigeninvestment, tritt die Dachland Fotovoltaik als Investor und Betreiber in Aktion. „Wir nehmen sozusagen die Brosamen auf, die von der Tischkante fallen.“

Beim Neubau von Hahn und Kolb war die Projektgeschichte eine ganz andere. Photovoltaik war ausdrücklich gewünscht, aber für die Umsetzung auf der konkreten Fläche brauchte es spezielles Know-how. Eine frühe Idee der Architektin war, die Module mit Siebdruckplatten zu bestücken, sodass das Erscheinungsbild weiß gewesen wäre. Doch das ist sehr kostenintensiv und mit Wirkungsgradverlusten verbunden.

Michael Eyberg sah in der großen, homogenen schwarzen Fläche, die die Module bilden, keine ästhetische Einschränkung. Schließlich spiegeln sich seiner Meinung nach darin der Himmel und die Wolken. „Wir hatten zwar in dieser Dimension keine Referenz vorzuweisen, aber letztlich ist das, was die Architektin mit anderen Mitteln erreichen wollte, auch so eingetreten.“ Verbaut wurden schließlich Dünnschichtmodule von Würth Solar, weil die optische Homogenität einer Fläche tatsächlich besser mit Dünnschicht erreicht werden kann als mit kristallinen Modulen.

Elektrische Planung und Ertragsprognose für die Anlage waren einfach. Die Herausforderung war die Unterkonstruktion. Zum einen mussten die Auswirkungen von Temperaturdehnungen in der Befestigung ausreichend berücksichtigt werden, zum anderen die aus der Neigung entstehenden Lasten und Kräfte. 45 Meter beträgt die Länge des schrägen Daches. Daraus resultieren erhebliche Längenänderungen durch Temperaturschwankungen, die abgefangen werden mussten.

Für die Unterkonstruktion wurden zunächst pro Dachfläche 250 Befestigungspunkte sehr massiv ausgeführt. An diesen Punkten wurden Stahlstützen in den Beton eingebracht, das heißt Löcher gebohrt und Klebeanker aus Stahl eingesetzt. Die Kopfplatten nahmen schließlich die linienförmige Unterkonstruktion für die Module auf, relativ stark dimensionierte Stahlschienen in der vertikalen Richtung, horizontal etwas schwächere Schienen. Alle Teile der Unterkonstruktion wurden speziell für diese Anlage angefertigt.

Für Hinterlüftung ist gesorgt

Auf die Frage, ob es sich eigentlich um ein Dach oder eine Fassade handelt, gibt es keine eindeutige Antwort. Dazu erklärt Michael Eyberg: „Die Frage ist schlichtweg nicht geklärt. Wir haben die ganze Konstruktion als Dach gewertet, aber Sicherheitsaspekte für Fassaden berücksichtigt und erfüllt. Aber für uns ist das zunächst einmal ein klassisches Dach, zwar stark geneigt, aber in puncto Dichtigkeitsanforderungen eben ein Dach.“

Da die Anlage flächenbündig auf die Dachfläche gesetzt werden sollte, war eine Distanz von 50 Zentimetern zwischen äußerer Dachhaut und Modul zu überbrücken. Gut für die Hinterlüftung, aber eine weitere Besonderheit, die bei der Dimensionierung der Stahlstützen berücksichtigt werden musste. Denn schließlich müssen die Stahlstützen biegesteif sein, also die Anlage vor Abheben bei Windsog schützen. Ebenso wenig dürfen sie nach unten knicken. Jetzt schwebt die Anlage sozusagen 50 Zentimeter über dem Dach und schließt bündig mit den Attiken ab.

Obwohl es auf den Fotos nicht so aussieht beziehungsweise schwer zu erkennen ist, verlaufen die äußeren Kanten der U-förmigen Fläche leicht schräg. Aufgrund dieser architektonischen Besonderheit mussten entstehende schräge Anschnittbereiche mit Blindmodulen bestückt werden, um eine optisch homogene Dachfläche zu erzielen. Auf einer derart großen Fläche mit einer Neigung von 45 Grad all diese Arbeiten auszuführen, war wohl auch für die Dachdecker von Dachland eine spannende Herausforderung.

Zunächst musste auf der Betonfläche die Dachabdichtung realisiert, das heißt Bahnen aus Polyolefin verlegt und verschweißt werden. Darauf folgte das Eindübeln der Stahlstützen. Um diese Befestigungspunkte herum wurde die Abdichtung dann noch einmal überarbeitet. Schließlich wurden Schienen und Module montiert. All das meisterten die Arbeiter vor Ort in Seilklettertechnik.

Befestigungen im Fokus

Aber auch eine zuverlässige Sicherung der verwendeten Geräte und des Materials musste jederzeit gewährleistet sein. Übrigens wurden für diese Anlage rund 3.000 Meter Photovoltaikkabel verlegt. Die sechs Wechselrichter von Kaco wurden auf dem Flachdach montiert. Nur die zentralen Hauptleitungen wurden in die Zählerräume im Gebäude hineingeführt.

Die Module wurden 15 Millimeter tief in die Halterungen eingebracht. Zwar liegt keine Überkopfverglasung im Sinn einer Fassadenkonstruktion vor, doch aufgrund der starken Neigung erfolgte die Befestigung in Anlehnung an die erhöhten Sicherheitsanforderungen aus dem Fassadenbau.

Auf ein weiteres Detail weist Eyberg besonders hin: „Wir haben auch ein Konzept für die Wartung und Instandsetzung erarbeitet und mit der Anlage übergeben.“ Dokumentiert wurde, welche Arbeiten wie auszuführen sind und welche nicht ausgeführt werden sollen. Unter anderem sprach man sich gegen eine Reinigung der Flächen aus, da das einfach zu aufwendig und aufgrund der speziellen Verschmutzungssituation nicht notwendig ist.

Großzügige Grünflächen für Mitarbeiter

Die 1.245 CIS-Dünnschichtmodule mit einer Leistung von je 70 Watt erzeugen nun rund 88.000 Kilowattstunden Strom jährlich. Dieser Strom wird vom Unternehmen komplett selbst genutzt.

Doch die Photovoltaikanlage ist nur ein Teil des Gesamtkonzeptes. Die haushohen Glasfassaden, Dachfenster und ein Lichthof im Gebäudekern des Vertriebszentrums gewährleisten helle Arbeitsplätze und eine natürliche Belüftung sämtlicher Ebenen. Der Lichthof kann als Außenbereich für das zweigeschossige Restaurant mit 180 Sitzplätzen genutzt werden. Im Logistikbereich sorgen ebenfalls großflächige Glaselemente und Oberlichter für eine sehr gute natürliche Beleuchtung und Nachtauskühlung.

Eine große Grünzone zwischen Vertriebs- und Logistikzentrum dient als Aufenthalts- und Erholungsfläche mit einheimischen Bäumen und zwei Retentionsbecken, die zur natürlichen Ableitung des Dach- und Oberflächenwassers dienen. Sie bilden ein Biotop mit Flachwasserzonen, Röhricht, Schilf, Erlen und Weiden.

Die rund 1.400 Quadratmeter große Dachbegrünung auf den Flachdächern sorgt für eine optisch und ökologisch wertvolle Integration der Gebäude in die Umgebung. Dass eine angenehme Arbeitsatmosphäre ein ernsthaftes Anliegen war und ist, zeigt sich auch an der im Gebäude verbauten hochwertigen Möblierung.

Insgesamt 56 Bohrungen bis in eine Tiefe von 90 Metern ermöglichen in Kombination mit einer Wärmepumpe die Wärmeversorgung des Gebäudes. So lassen sich rund 70 Prozent des Jahresheizenergiebedarfs decken. Die erzeugte Wärme wird über die Decken und über Unterflurkonvektoren an der Fassade abgegeben. Dazu wurden 26 Kilometer Rohre verlegt.

Die Wärme kommt aus der Erde

Im diesjährigen heißen Sommer sorgte übrigens dieses System auch für Kühlung. Rund zehn Grad unter Außentemperatur wurden über die Betonkerntemperierung erreicht. Das Erdreich kühlt dann das Umlaufwasser weitestgehend ohne zusätzliche Energie ab. Im Zusammenspiel mit dem modernen Jalousiensystem konnten sich die Mitarbeiter also trotz Hitzerekorden über ein angenehmes Arbeitsklima freuen.

www.dachland-berlin.de

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