Als „Waldhessen“ bewirbt die lokale Tourismusförderung gerne die Region um Bad Hersfeld, doch weiter südlich um Frankfurt am Main hält sich hartnäckig ein hässliches Wort für die Mittelgebirgsgegend an der früheren Grenze zur DDR: „Hessisch-Sibirien“ sei das, wegen der kalten Winter und des oft trüben Himmels. Ausgerechnet hier, in Bad Hersfeld, hat die Kirchner Solar Group im letzten Jahr eine Photovoltaikanlage errichten lassen, die der Diskussion um die Wirtschaftlichkeit zweiachsiger Nachführsysteme neue Nahrung geben könnte. Seit September 2009 drehen sich auf dem Firmenparkplatz des Versandbuchhändlers Amazon (700 Stellplätze) 73 Tracker mit einer Leistung von je 8,28 Kilowattpeak, befestigt an drei Meter hohen Masten. Die Anlage soll jährlich rund 750.000 Kilowattstunden Strom liefern.
Eröffnet hatte die Debatte vor kurzem der Berliner Hersteller Solon, der die Einstellung seiner zweiachsigen Tracker Solon Mover L und XL verkündete. „Zweiachser kosten bei heutigen Systempreisen 30 Prozent mehr und produzieren 30 Prozent mehr Strom“, erklärte Lars Podlowski, Chief Technical Officer (CTO) bei Solon. Für Investoren mit ausreichend Eigenkapital liefe der Kauf eines Trackers damit auf ein Nullsummenspiel hinaus. Wer sich seine Solaranlage aber über Kredite vorfinanziert, könnte gegenüber herkömmlichen Anlagen wegen der höheren Investitionskosten sogar Ver luste machen. Der Kredit würde dann lediglich dazu dienen, der Trackerbranche ihre teuren, aber überflüssigen Anlagen abzukaufen.
Mehr Annahmen als Tatsachen
Kein Wunder, dass die Trackerhersteller Einspruch erhoben: Philipp Steinhöfel von Degerenergie etwa sprach von Mehrkosten zwischen 7 und 25 Prozent gegenüber einer aufgeständerten Anlage ohne Trackernachführung. Laufende Kosten wie Wartung und Pacht ab dem zweiten Jahr des Betriebes sind in dieser Rechnung aber nicht berücksichtigt. Beim Ertrag rechnen Hersteller mit 35 bis 45 Prozent mehr, abhängig von der Sonneneinstrahlung im Gebiet. Es kommt dabei nicht nur auf die Strahlungsintensität insgesamt an, sondern auf den Anteil der Direktstrahlung. Je höher sie ist, desto effizienter arbeiten Tracker.
Das tatsächliche Verhältnis zwischen Mehrkosten und Mehrertrag ist für Außenstehende nur schwer exakt zu berechnen, zumal die Betreiber meist nur ungerne alle Daten offenlegen. „Da begibt man sich aufs Glatteis“, sagt Hans-Dieter Mohring vom Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW) Baden-Württemberg. Zu viele Faktoren spielen eine Rolle: neben der Sonneneinstrahlung, dem Breitengrad, von dem die Sonnenbahn abhängt, den Wartungs- und Flächenkosten auch die Art des Nachführsystems und die verwendeten Module. „Je höher der Wirkungsgrad der Module, desto mehr lohnt sich eine Nachführanlage für den Ertrag“, sagt Mohring. Effizientere Module sind aber teurer – eine schwierige Abschätzung. So bleiben Anleger auf die Angaben der Betreiber angewiesen, aus denen sich dennoch einige Anhaltspunkte ableiten lassen.
Bei Solon, so mutmaßt man in der Branche, könnten andere Gründe zur Einstellung der Mover geführt haben: 2009 rutschte das Unternehmen tief in die roten Zahlen, erst eine Staatsbürgschaft brachte die Rettung – nun könnte Solon dazu gezwungen sein, die Produktion von schwer verkäuflichen Produkten einzustellen. Dennoch: Insbesondere die stark gefallenen Modulpreise machen es attraktiver, einen höheren Energieertrag über zusätzliche Module statt über Nachführanlagen zu erzielen.
Bis zu 38 Prozent Mehrertrag
Die Hersfelder Anlage müsste, um rentabler als starre Anlagen zu sein, zunächst trotz des oft verhangenen Himmels und des damit verbundenen geringeren Direktstrahlungsanteils eine bessere Kosten-Nutzen-Bilanz bieten. Erschwerend kommt ein zweiter Faktor hinzu: In Deutschland werden Parkplätze üblicherweise mit Solarcarports bebaut. Dafür gibt es meist die erhöhte Einspeisevergütung für Dachanlagen (bei Anschluss ans Netz 2009: 39,58 Cent pro Kilowattstunde für Anlagen zwischen 100 und 1.000 Kilowatt), für die Trackervariante aber nur den niedrigeren Satz für eine Freiflächenbebauung (31,94 Cent pro Kilowattstunde). Kirchners Lösung mit den futuristisch anmutenden Sonnensegeln ist ästhetisch ansprechender als viele Carports, denen man das Provisorische oft ansieht. Aber ist sie auch wirtschaftlicher und damit eine Anlage, die gleich doppelt die Vorteile zweiachsiger Nachführsysteme belegt?
„Wir rechnen in der Regel mit 32 bis 38 Prozent Mehrertrag durch unsere Nachführsysteme, bei den Mehrkosten in einem Solarpark mit ungefähr 25 bis 30 Prozent“, sagt Lars Kirchner, Geschäftsführer der Kirchner Solar Group. 3,2 Millionen Euro hat der Solarpark gekostet, 100.000 davon (für Trafo- und Einspeisestation und die Kabelverlegung) übernahmen die örtlichen Stadtwerke. Die restlichen Kosten trugen die privaten Anleger – laut Kirchner Privatleute „aus der Region, zwischen 40 und 60 Jahre alt – Anleger, die ihre Solaranlage auch gerne einmal bei einem Ausflug besichtigen.“ Der Preis pro Kilowattpeak liegt damit bei rund 5.170 Euro.
Kirchner hat sein Unternehmen 1991 als lokaler Elektroinstallateur gegründet, zunächst unter dem Namen Elektro Kirchner. Anfang 2010 erfolgte die Umbenennung, auch angesichts einer zunehmenden Internationalisierung der Firma, die heute auch in Nordamerika sowie im Mittleren und Fernen Osten aktiv ist. Derzeit baut Kirchner in Deutschland vier weitere Solarparks mit zweiachsigen Trackern, einen davon in Grimma bei Leipzig. Das Unternehmen gehört zu einem „Kompetenzzentrum Erneuerbare Energien“, dessen Name sich nach unabhängiger Verbraucherberatung anhört, tatsächlich aber nur das Dach für vier Kirchner-Firmen bildet: neben der Kirchner Solar Group eine Energiemanagementberatung, die K.D.S. Solarpark zur Verwaltung der Anlagen und schließlich die Firma Sonnen Systeme, die seit 2006 ein eigenes Nachführsystem herstellt. Lars Kirchner ist Geschäftsführer in allen vier Unternehmen. Die Kirchner Solar Group plant und installiert damit das Nachführsystem der eigenen Schwesterfirma.
Zwei der größten deutschen Projektierer sehen den Nutzen von Nachführanlagen skeptischer. Phoenix Solar hat bislang ebenso vollständig auf die Verwendung von Trackern verzichtet wie Juwi. Bei Phoenix Solar verweist man auf einen Vortrag des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW) in Baden-Württemberg aus dem Jahr 2006, wonach 27 Prozent Mehrertrag durch zweiachsige Tracker das Optimum in Mitteleuropa, 34 Prozent in Südeuropa sind. Davon abgesehen seien die „Mehrerträge auch nur dann vorhanden, wenn die Tracker störungsfrei laufen“, so Firmensprecherin Andrea Wegner. „Für eine bestenfalls gleichwertige Wirtschaftlichkeit macht es keinen Sinn, ein zusätzliches Betriebsrisiko über 20 Jahre einzu gehen.“ Bei Juwi testet man dagegen derzeit verschiedene Nachführanlagen und sammelt Daten, bevor man über deren Verwendung neu entscheidet. Noch liegen keine Ergebnisse vor.
Direkter Vergleich
Bleibt die Frage nach dem Carport. Einen interessanten Vergleich bietet derzeit der Carport-Solarpark für 350 Fahrzeuge, der auf dem Messe-Parkplatz Kohlbruck im bayerischen Passau entsteht. Eine Anlegergemeinschaft rund um Rudolf Simmeth, Geschäftsführer der örtlichen Elektrotechnik-Firma Guggemos, investiert hier 2,5 Millionen Euro für einen Solarpark mit einer Leistung von 837 Kilowattpeak und einem Jahresenergieertrag von 837.000 Kilowattstunden. Die Idee, stattdessen Nachführanlagen zu verwenden, hat er nicht in Betracht gezogen, obwohl Passau ein ganzes Stück südlicher als Bad Hersfeld liegt: „Wir hätten auf der Fläche weniger Leistung untergebracht, und zudem sind wir beim Kosten-Nutzen-Verhältnis nicht auf dasselbe Ergebnis gekommen wie beim Carport.“ Die Solon-Aussage bezüglich der zweiachsigen Nachführsysteme teilt Simmeth: „Der Mehrertrag wird locker durch die Mehrkosten aufgebraucht.“ Zudem seien die Mehrkosten am Investitionsbeginn aufzubringen, der Ertrag entstehe aber erst in 10 bis 20 Jahren: „Damit haben Sie Zinsverluste.“ Simmeth ist nicht nur Initiator, sondern auch Mitgesellschafter des Solarparks. Selbst die Stadtwerke sind in das Projekt eingestiegen.
Eher skeptisch mit Blick auf die hessische Lösung zeigt man sich auch bei Mp- Tec in Eberswalde. Der nach eigenen Angaben größte Systemanbieter in den neuen Bundesländern offeriert sowohl Solarcarports als auch ein zweiachsiges Nachführsystem. Auf die Idee, einen Parkplatz mit einer nachgeführten Photovoltaikanlage statt mit Carports zu bebauen, ist die Firma noch nicht gekommen. „Warum auch?“, fragt Marketingchefin Alexandra Walter. Allerdings wolle sie nicht ausschließen, dass im Einzelfall nicht doch einmal Nachführsysteme geeigneter sein könnten – das hänge oft von Einzelheiten ab: „Wenn da nur eine geringe Abweichung ist, hat das große Auswirkungen auf den Ertrag.“
Warum ist nun aber in Bad Hersfeld kein Carport entstanden? Die Antwort liegt in der Entstehungsgeschichte des Projekts. In der Stadtverwaltung hatte man lange darauf gesetzt, dass auf dem Amazon-Gebäude selbst eine große Dachanlage errichtet würde. Zuerst hätten Union Investment oder Goodman, die im Besitz des Hauses waren, dort bauen wollen, sagt Bürgermeister Hartmut Boehmer. Geschehen sei aber nichts. Schließlich nahmen Boehmer und Stadtwerke-Chef Peter Sobisch die Sache selbst in die Hand und initiierten auf dem benachbarten Parkplatz den nun entstandenen Solarpark. Und warum keinen Carport? „Das war nie geplant“, sagt Sobisch. „Wir hatten zwar am Anfang kurz darüber geredet. Dann hat man gesagt: Die Stadt hat keine Kosten dafür im Auftragsvolumen drin, und dann hat man nie wieder darüber geredet.“
Stattdessen ließ man die Solaranlage im Rahmen eines Public Private Partnership (PPP) von einem privaten Investor errichten – der Kirchner Solar Group, damals noch unter Elektro Kirchner firmierend, aus dem nicht weit entfernten Alheim-Heinebach. Firmenchef Kirchner hatte einen anderen Grund, keinen Carport zu bauen. Er glaubt, dass dieser nicht als Dachanlage genehmigt worden wäre: „Das sieht das EEG nicht vor. Das Gesetz möchte ja nicht, dass zum Zweck der höheren Vergütung Gebäude errichtet werden. Und wenn wir bei Amazon über alle Parkplätze Carports gebaut hätten, wären wir schnell dem Verdacht des Missbrauchs des EEG ausgesetzt gewesen.“ Kirchner hat Erfahrung mit solchen Genehmigungsprozessen. 2008 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) in einem anderen Verfahren die Einstufung als Dachanlage verweigert (Urteil vom 29.10.2008 – Aktenzeichen VIII ZR 313/07). Kirchners Firma hatte damals 69 Tragekonstruktionen für Tracker so umgebaut, dass sie zugleich den Hühnern einer Farm als Unterstand dienen konnten. Der BGH urteilte, bei den Hühnerunterständen handele es sich nicht um ein Gebäude im Sinne des EEG. Dazu müsse das Gebäude als Tragegerüst die Hauptsache bilden, von dem die darauf oder daran befestigte Anlage in ihrem Bestand abhängig sei. Dies sei aber bei den besagten Solaranlagen nicht der Fall. Das Tragwerk sei hier nur darauf ausgerichtet, ohne eigene statische Trägerkonstruktion die Module zu tragen. Klagegegner war der Netzbetreiber Eon.
Aber sind Carports juristisch mit Hühnerunterständen, noch dazu solchen unter einzeln aufgestellten Nachführanlagen, gleichzusetzen? In den letzten Jahren sind eine Reihe von größeren Carportanlagen als Dachanlagen genehmigt worden. Etwa im oberschwäbischen Bad Saulgau, wo der Golfclub eine Anlage mit einer Leistung von jährlich 640.000 Kilowattstunden errichten ließ. Auch die Kohlbrucker Anlage ging als Dachanlage durch: „Die Frage, ob das Modul das Dach ist, können wir verneinen“, sagt Simmeth, der den Photovoltaik-Carport gebaut hat. „Die Baugenehmigung lautet auf Groß- und Mittelgaragen.“ Allerdings ist auch die Carport-Lösung mit Mehrkosten verbunden: Simmeth kalkuliert mit 500.000 Euro mehr als bei einer herkömmlich aufgeständerten Photovoltaikanlage, dafür aber auch mit einer Million Euro Mehreinnahmen innerhalb von 20 Jahren durch die höhere Einspeisevergütung.
Die Debatten gehen weiter
Kirchner hat in Bad Hersfeld dagegen sein übliches Geschäftsmodell umgesetzt, nämlich nachgeführte Anlagen als Solarpark zu errichten, nur diesmal eben auf einem Parkplatz. Die Stadt war wegen des Imagegewinns zufrieden, die Stadtwerke ebenfalls: Wäre ein höherer Gewinn für die Anleger möglich gewesen, wenn man einen Carport gebaut hätte? „Kann sein“, räumt Stadtwerke-Chef Sobisch ein. „Das kommt auf die Investitionskosten des Daches an.“ Weil das Carport-Thema aber für Kirchner keines war, hatte es sich auch für die Stadtwerke endgültig erledigt. Wichtiger war der bauliche Aspekt: „Wir haben im Moment die größten freistehend nachgeführten Systeme in Hessen, und da waren wir eigentlich mit zufrieden“, sagt Sobisch.
Müssen Anleger bei der Kirchner Solar Group fürchten, dass nachgeführte Anlagen nur deshalb errichtet werden, weil die Schwesterfirma Sonnen Systeme selbst Nachführanlagen baut? Kirchner hält solche Skepsis für unbegründet, weil das Unternehmen darauf nicht angewiesen sei: „Wir vertreiben international etwa das Zehnfache von dem, was wir selbst errichten“, sagt er.
Angesichts fallender Modulpreise dürften die Debatten über den Nutzen nachgeführter Solaranlagen weitergehen. Ob Bad Hersfeld sich als Einzelfall erweist, bleibt abzuwarten. Die Neuregelung des EEG, wonach der Bau von Solaranlagen auf Ackerflächen ab dem 1. Juli 2010 nicht mehr gefördert wird, trifft vor allem die Trackerbranche. Nur noch Anlagen auf vorbelasteten Flächen erhalten die Einspeisevergütung. Nachgeführte Anlagen wie in Bad Hersfeld dürften damit interessanter werden, weil sie die doppelte Nutzung von Flächen ermöglichen. Ob es allerdings ausgerechnet Parkplätze sein müssen, steht auf einem anderen Blatt: Die Förderung von Carports als Dachanlage ist auch durch das neue EEG möglich.Fachwissen & Technik