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Salmiakgeist greift Module an

„Ich habe an einem Stall eine Dachrinne gesehen, die war nach zehn Jahren völlig weggerostet“, berichtet Willi Vaaßen, Geschäftsfeldleiter Regenerative Energien beim TÜV Rheinland, über die Aggressivität von Ammoniak. Das stechend riechende Gas entsteht in Tierställen, wenn sich die Exkremente der Tiere zersetzen. In Schweine- und Hühnerställen ist die Konzentration besonders hoch. Dann brennt das Ammoniakgas in den Augen, löst Hustenanfälle aus, der Geruch beißt in der Nase. Damit es zu keiner Gesundheitsgefährdung kommt, wird die Stallluft mit einer Lüftung abgezogen und über das Dach hinausgeleitet – dorthin, wo die Solarmodule montiert sind. Die chemische Reaktion, die das Ammoniak an den Modulen auslöst, geht dann schleichend voran: ÜberJahre hinweg korrodieren die Gestelle, Verklebungen an der Anschlussdose verfärben sich, das Glas wird trüb. Durch die Stallluft altern die Module schneller und können Schäden erleiden, die zu Leistungseinbußen und im schlimmsten Fall zu einem Lichtbogen führen.

Viele Landwirte reagierten angesichts ihrer geplanten Investitionen in Solaranlagen auf den Stalldächern verunsichert. Die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) entwickelte daraufhin Ende 2009 ein Prüfverfahren, um die Ammoniak-Beständigkeit von Solarmodulen zu testen. Unterstützung bekam die Gesellschaft, die auch Lebensmittel und Landtechnik testet, vom Modulhersteller Schott Solar, der das Know-how seiner Ingenieure zur Verfügung stellte. Im Mai 2010 veröffentlichte dann der TÜVRheinland ein eigenes Ammoniak-Prüfverfahren.

Besonders integrierte Dachlösungen sind durch das Ammoniak gefährdet, denn hier zeigt die Rückseitenfolie der Module ungeschützt in den Stall. Ammoniakdämpfe können die Folie durchdringen und dort die Leiterbahnen schädigen. Doch auch wenn Landwirte eine Aufdachanlage installieren, können sie dem aggressiven Ammoniak nicht entgehen – die Luft zieht durch die Dachpfannen oder wird über einen Abluftschacht nach draußen geleitet.

Risiko durch Schönheitsfehler

Besonders häufig käme es dadurch zur Korrosion an Aluminiumrahmenteilen und zu Verfärbungen und Beschädigungen der Silikonverklebungen, hat JörgAlthaus, Geschäftsfeldleiter Regenerative Energien beim TÜV Rheinland, bei Versuchen beobachtet. „Teilweise sind die Schäden kosmetischer Art. Es ist nicht von einer unmittelbaren Gefahr auszugehen, doch eine Schwächung von Materialien birgt immer ein Risiko“, berichtet er in einem Workshop zum Thema „Ammoniak-Beständigkeit von Solarmodulen“.

Flüssig versus gasförmig

Bisher gab es beim TÜV Rheinland nur die Möglichkeit, in einer kleinen Prüfkammer mit speziell angefertigten Prüfmustern zu testen. Seit Ende April ist nun eine begehbare Prüfkammer in Betrieb, die bis zu zwölf Solarmodule gleichzeitig fassen kann. Doch auch die kleinen Prüfmuster mussten das gleiche Schicksal erleiden wie nun die großen Module. Und die Ergebnisse sind übertragbar. „Diese Solarmodule waren nur etwa halb so groß wie die originalen, ansonsten war alles gleich – von der Anschlussdose bis hin zum Rahmen“, erklärt Willi Vaaßen. Zu Beginn eines Tests wird der Boden des Prüfraums mit Wasser bedeckt. Während das gasförmige Ammoniak in die Kammer geleitet wird, erhitzt eine Heizung im Boden das Wasser, bis es verdunstet und eine Sättigung von nahezu 100 Prozent Luftfeuchte erreicht ist. Das Gas vermischt sich nun mit dem Wasserdampf und verbindet sich zum korrosiven Salmiakgeist, einem flüssigen Ammoniak-Wasser-Gemisch.

„Die Module stehen wie in einer Waschküche“, beschreibt Vaaßen den Testablauf. Nach acht Stunden im Ammoniak-Dampf bei bis zu 60 Grad Celsius Umgebungstemperatur wird die Kammer wieder abgekühlt. „Das Kondensat, das nun entsteht und sich in flüssiger Form auf die Module legt, ist der wesentliche Unterschied zu anderen Tests“, erklärt Vaaßen. Denn auch in der Realität verbinde sich das gasförmige Ammoniak zu dem flüssigen Salmiakgeist, wenn es zum Beispiel auf der innenliegenden Modulunterseite zur Kondensation kommt, sei es durch Regen, Nebel oder Tauwetter. Der Salmiakgeist sei viel aggressiver als das reine Gas, mit dem andere Institutionen testen.

Die neu erarbeitete Norm des TÜV-Tests basiert auf dem sogenannten Kesternich-Test (DIN 50081), mit dem die Auswirkungen von saurem Regen auf Metalle und Beschichtungen simuliertwerden. Der Prüfablauf des neuen Ammoniak-Test ähnelt ihm bis ins Detail, außer dass beim Kesternich-Test Schwefeldioxid verwendet wird. Der TÜV Rheinland hat den Test noch verfeinert und die Prüftemperatur von ursprünglich 40 auf 60 Grad Celsius erhöht, damit diese näher an der üblichen Betriebstemperatur von Photovoltaikmodulen liegt.

Wie hoch die Ammoniakkonzentration in den Tests sein muss, damit die tatsächlichen Bedingungen und Zeiträume so realitätsnah wie möglich simuliert werden können, sieht jedes Prüfinstitut anders. Die Konzentration wird dabei in ppm angegeben, diese Abkürzung steht für „parts per million“, also für ein Verhältnis von einem Millionstel pro Volumeneinheit. In einem Schweinestall lässt sich eine Konzentration von etwa 40 bis 50 ppm Ammoniak messen.

Hoch- versus niedrigkonzentriert

Um die lebenslange Belastung der Module im Zeitraffer abbilden zu können, testet die DLG mit einer Ammoniak-Konzentration von 750 ppm. Der TÜV Rheinland verwendet hingegen eine achtmal so hoheKonzentration von 6.667 ppm. „Wir nehmen so einen hohen Wert, um das Testverfahren zu beschleunigen. So wird der Alterungsprozess verkürzt“, sagt Vaaßen. Deshalb teste der TÜV Rheinland auch nur 480 Stunden statt 1.500 Stunden wie die DLG. „Zum anderen wird die Ammonia-Konzentration durch das eingeleitete Wasser in unserem Test stark verdünnt, und da müssen wir hochstarten. Denn nach der vollständigen Kondensation liegt die Ammoniak-Konzentration in der Kammer praktisch bei null“, sagt Vaaßen.

Die DLG hält ihre Konzentration von 750 ppm jedoch für praxisnäher. „Der TÜV Rheinland stützt sich bei seinem Test auf eine Materialprüfungsnorm, nicht aber auf Erfahrungen aus demlandwirtschaftlichen Umfeld“, argumentiert Winfried Gramatte, Projektleiter im Testzentrum der DLG. Die Gesellschaft sieht deshalb keinen Grund, ihr Testprozedere zu ändern. „Unsere Werte haben wir genau berechnet. Da die Schädigungen am Modul durch chemische Angriffe, Temperatur und Feuchte mathematisch beschreibbar sind, konnten wir eine Simulationsrechnung durchführen, die eine 20-jährige Betriebsdauer einer Solaranlage auf einem Stall im Zeitraffer abbildet“, sagt Gramatte. Dadurch seien die Testwerte eine sehr nahe Abbildung der Wirklichkeit.

Neben der DLG und dem TÜV Rheinland gibt es noch andere Institute, die einen Ammoniak-Test anbieten, wie zum Beispiel das Schweizer Prüfinstitut Société Générale de Surveillance (SGS). Die Gesellschaft nimmt den Hickhack mit den Testwerten sportlich und bietet einen Ammoniak-Test an, bei dem die Konzentration, die Temperatur und Luftfeuchtigkeit individuell eingestellt werden können. Hier können Module nach DLG-, TÜV- oder ganz eigenen Werten auf ihre Ammoniak-Resistenz getestet werden. „Zudem können wir vier weitere Schadgase einleiten, wie Chlor, Stickoxide, Schwefelwasserstoff und Schwefeldioxid“, sagt Jörn Brembach, Geschäftsleiter Photovoltaik bei der SGS.

Genau genommen verbirgt sich hinter dem Streit um die richtige Konzentration ein Disput um die Beschleunigungsfaktoren. Niemand kann genau sagen, wie lange ein Test bei welcher Konzentration durchgeführt werden muss, um 20 Jahre Lebensdauer zu simulieren. Der TÜV begründet seine hohen Werte daher genau mit der fehlenden Erfahrung. Die hohe Konzentration sei ein erster Nährwert, der sich mit zunehmender Erfahrung auch noch ändern könne, sagt Althaus.

Der Weg zur internationalen Norm

Damit es beim Ammoniak-Test zu ein em einheitlichen Standard kommt, will der TÜV Rheinland seine Prüfung mit dem Namen „Ammonia corrosion testing of photovoltaic (PV) modules“ als zukünftige internationale Norm IEC 62716 etablieren. Der Entwurf ist bereits bei der Internationalen Elektrotechnischen Kommission (IEC) eingereicht und wird momentan diskutiert. Bis er, in welcher Form auch immer, in die IEC-Richtlinien aufgenommen wird, vergehen aber noch zwei bis drei Jahre. Es dauert also noch, bis er international gültig werden kann.

Die DLG kann diesem Punkt nicht mithalten. Gerhard Kleiss, Leiter der Konzernqualität bei Solarworld, sieht darin aber auch keine Notwendigkeit. Die DLG-Prüfung sei auch in den Benelux-Ländern angesehen, und selbst in den USA könne man schnell erklären, wer dieDLG sei und was sie mache, sagt er. Anderer Ansicht ist Konrad Fredrich, Produktmanager bei Solon. Er sieht in der internationalen Norm die Möglichkeit, dass sich verschiedene Gremien einbringen können und das Testverfahren veränderbar bleibt. „Bei der DLG ist die Ammoniak-Prüfung festgeschrieben und unveränderlich. Wir haben mehrfach angeregt, im Test andere Anforderungen zu berücksichtigen, bekamen aber immer eine Absage“, so Fredrich. Er hätte sich gewünscht, dass sich die DLG am Normenentwurf für die IEC beteiligt. Die DLG argumentiert, dass sie in der Photovoltaik etwa mit dem Verband der Elektrotechnik (VDE) zusammenarbeite. Dieser sei in die IEC involviert und vertrete die Interessen der DLG mit.

Die Experten aus den Unternehmen sind auch über die Aussagekraft der einzelnen Tests noch uneins. Fredrich von Solon sieht den TÜV-Test klar im Vorteil: „Da der DLG-Test keinen Temperaturwechsel betrachtet, ist anzunehmen, dass aktuell nur der TÜV-Test die Spreu vom Weizen trennen kann.“ Systemhersteller Conergy will auf die TÜV-Prüfung dagegen komplett verzichten, da die eigenen Module ihre Ammoniak-Resistenz beim DLG-Test bereits unter Beweis gestellt hätten. Schott Solar, das den DLG-Test mitentwickelt hat, ist auch dieser Meinung: „Die Ammoniak-Konzentration beim DLG-Test bildet bereits ein Worst-Case-Szenario ab, das so in der Wirklichkeit eigentlich nicht vorkommt. Der TÜV-Test hat für uns daher keinen Mehrwert“, sagt Thomas Block, Produktmanager bei Schott Solar. Zweigleisig fährt hingegen Solarworld. Obwohl es ein DLG-Siegel hat, werden die Module gerade durch den TÜV-Test geschickt. Damit der Käufer nicht verunsichert werde. Es bleibt also abzuwarten, wie sich die Nachfrage entwickelt, wenn der Test vom TÜV Rheinland zur IEC-Norm geworden ist.

Vergleich Ammoniak-Test für Solarmodule
AnbieterDLGTÜV RheinlandSGS
NH3-Konzentration750 ppm6.667 ppm50 bis 6.700 ppm
Temperatur70 °Cerst 60 °C, dann 23 °C30 °C bis 80 °C
Luftfeuchte70 %erst 100 % (Kondensation), dann 75 %50 % bis 100 % (Kondensation)
Prüfzeit insgesamt1.500 h = 62,5 Tage480 h = 20 Tage500 h = 21 Tage oder länger
Klimakonstantes Klimazyklisches Klima,konstantes oder zyklisches Klima
8 h bei 60 °C, 100 % rH (Kondensation)
16 h bei 23 °C, 75 % rH (Trocknen)

Katrin Petzold

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