Für Luis Atienza war es ein Grund zur Freude. „Wir sind Weltmarktführer bei der Einspeisung regenerativer Energien in das Stromnetz“, sagt der Vorstandsvorsitzende von Spaniens zentralem Stromnetzbetreiber Red Eléctrica de España (REE). Von Januar bis Juli 2011 sorgten regenerative Energien für rund 36 Prozent der Strommenge in Spanien. Die Photovoltaik war mit 2,9 Prozent hinter der Wind- und Wasserkraft die drittgrößte regenerative Quelle. Alleine im April deckten die rund 55.000 Installationen mit einer Spitzenleistung von3,9 Gigawatt vier Prozent der Elektrizitätsnachfrage. Unter allen Industrieländern dürfte dies die höchste Solarquote gewesen sein – selbst Weltmarktführer Deutschland erreichte im Gesamtjahr 2010 nur zwei Prozent.
Doch allzu lange wird Spanien diese Spitzenstellung in der internationalen Solarstrombranche kaum halten können. Denn der Markt für Neuinstallationen liegt seit Monaten brach. 2010 wurden nach Angaben der staatlichen Energiekommission CNE (Comisión Nacional de Energía) 170 Megawatt neu installiert. BisEnde Mai 2011 kamen gerade einmal 45 Megawatt hinzu.
Hintergrund des Stillstands sind permanente administrative Anpassungen, deren Höhepunkt die rückwirkenden Änderungen an den bestehenden Einspeiseregelungen Ende vergangenen Jahres war. So wurde zum einen der zuvor auf Lebenszeit laufende Vergütungszeitraum auf 30 Jahre gekürzt, zum anderen den Anlagen mit dem Königlichen Gesetzeserlass RDL 14/2010 ein Limit für die jährlichen Volllaststunden verpasst, die künftig noch vergütet werden.So etwas lässt sich die Branche aber nicht mehr gefallen, nachdem sie bis zum Frühjahr noch auf eine politische Korrektur gehofft hatte. „Wir werden gegen die retroaktiven Änderungen national wie international Rechtsmittel einlegen“, kündigt Mischa Bechberger, verantwortlich für die internationale Kommunikation bei der Vereinigung regenerativer Produzenten APPA (Asociación de Productores de Energías Renovables) an.
Juristische Geschütze
Auch Anwaltskanzleien fahren juristisches Geschütz auf. „Wir haben gegen die rückwirkende Kürzung des Vergütungszeitraums auf 30 Jahre bereits Klage erhoben“, sagt Carlos Mateu, Chef der Anwaltskanzlei Promein Abogados. Um gegen die Begrenzung der Volllaststunden vorgehen zu können, muss aber noch der August abgewartet werden. Denn erst wenn die Jahresproduktion der Anlagen das Limit von 1.250 Volllaststunden erreicht haben wird, ab dem keine Vergütung mehr bezahlt wird, können die Eigentümer die Kürzungen schwarz auf weiß belegen. „Das ist der Moment, wenn die Eigentümer dagegen Klage einreichen können“, sagt Mateu.
Diese ist nach Ansicht der Juristen mit einer Verletzung der Rechtssicherheit zu begründen. „Der RDL 14/2010 ist wegen seiner rückwirkenden Änderungen nicht vereinbar mit der Auffassung des Europäischen Gerichtshofes (EUGH) über die Rechtssicherheit in der Europäischen Union“, sagt Piet Holtrop von der auf internationales Recht spezialisiertenAnwaltskanzlei Holtrop S.L.P Transaction & Business Law aus Barcelona. Dahingegen dementiert die Regierung, bei den Anpassungen handele es sich um rückwirkende Veränderungen, weil den Solarstrombetreibern einmal gezahlte Vergütungen nicht mehr weggenommen würden.
„Es gibt zwar vergleichbare Fälle im spanischen Recht. Für uns ist das aber eine akademische Diskussion“, sagt Holtrop. „Wenn ein Investor 2007 die Entscheidung getroffen hat, in Spanien eine Solaranlage zu bauen und dafür eine Finanzierung in Anspruch zu nehmen, so haben alle Beteiligten ihre Entscheidungen aufgrund der damals geltenden Einspeisevergütung getroffen. Wenn nun ein Gesetz diese Einspeisetarife drei Jahre später wieder ändert, dann ändern sich mit rückwirkender Kraft auch diese Konditionen der Finanzierung.“ Klage müssen die Betroffenen in Spanien vor einem nationalen Gericht erheben, das dann das Verfahren an den EUGH weiterleiten wird. Eine direkte Klageeinreichung in Luxemburg ist für nationale Investoren nicht möglich. Aktuell bereitet Holtrops Kanzlei eine Sammelklage vor, mit der auch kleineren, weniger vermögenden Eigentümern zu ihrem Recht verholfen werden soll.
„Die Klage soll im Idealfall 120 Megawatt repräsentieren. Jeder Betroffene zahlt dafür einen einheitlichen Betrag von vier Euro je Kilowatt installierter Leistung.“ Nur denjenigen, die klagten, stehe im Erfolgsfall auch eine Rückzahlung unberechtigt einbehaltenerVergütungen zu, erklärt er. Allerdings könne es fünf bis sechs Jahre dauern, bis es zu einer Entscheidung komme.
Bis dato, sagt Anwaltskollege Mateu, seien manche Produzenten längst pleite. „Viele werden ab August/September 2011, wenn das Limit der Volllaststunden greift, ihre Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen können.“ Unter den rund 50.000 Investoren befinden sich viele Landbesitzer und Bauern, die in den einzelnen spanischen Bundesstaaten – den Autonomen Gemeinschaften – ein politisch nicht unerhebliches Gewicht haben.
Murcia legt Beschwerde ein
So verwundert es nicht, dass mit dem landwirtschaftlich geprägten Murcia einer der am stärksten betroffenen spanischen Bundesstaaten gegen das Gesetz vor dem spanischen Verfassungsgericht Beschwerde eingelegt hat. Dem schloss sich auch die Autonome Gemeinschaft Valencia an. Beide Bundesstaaten werden von der größten Oppositionspartei im spanischen Parlament Partido Popular und damit dem zentralen politischen Gegner der amtierenden Regierung geführt. Sie rechnet sich gute Chancen aus, bei den vorgezogenen Neuwahlen im November die amtierenden Sozialisten von Ministerpräsident Zapatero als Regierungspartei ablösen zu können.
Vor dem Europäischen Schiedsgericht wird es zudem zur Verhandlung der Ansprüche internationaler Finanzinvestoren gegen Spanien kommen. Die Londoner Wirtschaftsrechtskanzlei Allen & Overy vertritt Großinvestoren, die nach Presseberichten rund vier Milliarden Euro im spanischen Solarsektor investiert haben. Auch sie fordern die Rücknahme der retroaktiven Maßnahmen.
Die juristischen Angriffe haben bisher das verantwortliche Industrieministerium unter Miguel Sebastián nicht aus der Ruhe gebracht. EU-Energiekommissar Günther Oettinger und Klimakommissarin Connie Hedegaard hatten im Januar 2011 in einem an Sebastián adressierten Schreiben ihre Bedenken über die spanische Retroaktivität geäußert. „Seitdem gab es keine neuen Entwicklungen“, bestätigt Oettinger-Sprecherin Marlene Holzner.
Ermittlungen der CNE
Vorangekommen sind dagegen die Ermittlungen der CNE über die Rechtmäßigkeit der fristgerechten Anschlusses von Solaranlagen zum letzten Gültigkeitstag des Königlichen Erlasses 661/2007, der vom Mai 2007 bis Ende September 2008 in Kraft war und dank hoher Vergütungssätze insbesondere für Freiflächenanlagen zu einem enormen Boom geführt hatte. Insgesamt hat die CNE von 9.000 Installationen Nachweise angefordert. Von den ersten bis Mitte Mai untersuchten 2.000 Anlagen fand die Kommission bei mehr als 600 Installationen Unregelmäßigkeiten, denen die Vergütung vorläufig gestrichen wird. Die bisher gezahlten Vergütungen sindvermutlich zurückzuzahlen. Dann stünde den Eigentümern nur noch der Verkauf des Solarstroms am Großhandelsmarkt offen.
Viele Branchenunternehmen waren dem Einbruch der letzten anderthalb Jahre nicht gewachsen. „Letztlich haben nur die Firmen den Markteinbruch überstehen können, die im Ausland ein Zugpferd unterhalten oder sich auf andere Aktivitäten konzentriert haben“, sagt APPA-Manager Bechberger. Das bestätigt Jesus Lopez Muñoz vom spanischen Solarmodulproduzenten Solaria. „Wir haben im letzten Jahr Photovoltaik-Kraftwerke in Italien, Deutschland, Griechenland und Tschechien realisiert, wodurch wir unseren Umsatz sichern konnten. Der Export machte im Jahr 2010 rund 77 Prozent der Einnahmen aus, verglichen mit 15 Prozent Ende 2009 und 37 Prozent nach dem ersten Quartal 2010.“ Zugleich hält das Unternehmen an der Fertigung im heimischen Puertollano fest. „Wir haben in den ersten vier Jahren unserer Produktion die Kosten durch die Anwendung eigener Ingenieursleistung um 70 Prozent gesenkt.“
Blick nach vorn
Fallende Preise sind für einen Teil der Branche Grund, wieder nach vorne zu blicken. „Ich glaube entgegen allen Prognosen, dass Spanien vor einer positiven Entwicklung steht“, sagt Jordi Vidal vom auf Industriedachanlagen spezialisierten Projektentwickler Sun Systems aus Tarragona. Spanien biete immerhin dank der vierteljährlichen Ausschreibungen einen verlässlichen Markt. „Anders als etwa Frankreich oder das von Spekulationen überzogenen Italien.“ „Große Freiflächenanlagen machen nun keinen Sinn mehr“, erklärt er. Deren Einspeisetarife liegen nur noch bei gut 13 Cent. Anders sehe es bei großen Dachanlagen aus, die in diesem Jahr 20 Cent je Kilowattstunde erhalten. Vidals Firma plant im laufenden Jahr Installationen auf Industriedächern von sechs Megawatt. Projekte über weitere 15 Megawatt seien in der Pipeline. „Das Interesse von Industrieunternehmen, ihre Dächer zur Verfügung zu stellen, ist hoch. Sie erhalten als Miete sieben Prozent der gesamten Einnahmen. Wir rechnen mit einem weiteren Preisverfall für Systeme. Auch mit 20 Cent Vergütung können wir Investoren eine Rendite von acht bis neun Prozent bieten.“Positiv blickt auch Roberto Valdivieso, Kommunikationschef des Projektentwicklers Parques Solares de Navarra aus Pamplona, in die Zukunft. „Die Preise sind in den letzten beiden Jahren um die Hälfte gefallen“, sagt er. „Dieser Weg wird weitergehen. Unsere Projekte, die wir in den nächsten drei Jahren planen, lassen sich ökonomisch mit den geltenden Tarifen darstellen.“ Das nordspanische Unternehmen bietet aktuell für eine Beteiligung an einem solaren Industriedachprojekt in Valencia Investoren eine Rendite von zehn Prozent. Hintergrund der attraktiven Beteiligungsmöglichkeit ist eine Einspeisevergütung von 30 Cent, die die Nordspanier für ihr Projekt bekommen. „Es stammt aus der Ausschreibung des dritten Quartals 2010“, erklärt Valdivieso.
Hoffnung Eigenverbrauch
Aktuell kommen eine Reihe solcher Projekte in den Markt, die noch eine Genehmigung aus den früheren Ausschreibungsrunden besitzen. „Viele sind noch nicht realisiert worden, weil die Firmen auf fallende Preise gewartet haben. DieUnternehmen haben aber nur ein Jahr Zeit, sonst verfällt die Genehmigung“, sagt Sun-Systems-Chef Vidal.
Die Unternehmen blicken außerdem mit Interesse auf das Thema Eigenverbrauch. „Es steht zu erwarten, dass die Regierung dieses Jahr erstmals eine Verordnung dazu vorlegen wird“, sagt APPA-Manager Bechberger. Mit einem finanziellen Bonus für den selbst verbrauchten Solarstrom sei allerdings nicht zu rechnen, sondern nur mit einer Verrechnung mit dem externen Strombezug. Darüber wäre Bechberger schon froh. Denn bisher ist eine Kombination von Netzeinspeisung und Selbstverbrauch in Spanien nicht möglich.
Eine weitere Verordnung könnte ebenfalls für Schwung sorgen. „Die Einführung lastabhängiger Stromtarife ist im Gespräch.“ Damit könnte die Wettbewerbsfähigkeit des Solarstroms etwa in Zeiten des Spitzenverbrauchs auf einen Schlag erreicht werden. Es gibt also noch Hoffnung für Stromnetzchef Atienza, die Führungsposition bei der Integration regenerativer Energien noch ein bisschen behalten zu können.