Trotz des Ausstiegs aus der Kernkraft und dem kräftigen Anstieg des Ökostromanteils im Netz ist die Stromversorgung in Deutschland sehr stabil. Stromunterbrechungen haben andere Ursachen.
Trotz des Atomausstiegs hat sich die Sicherheit der Stromversorgung in Deutschland weiter verbessert. Damit haben die Kernkraftwerke keinen relevanten Anteil an der Versorgungssicherheit. Oder anders herum: „Ein hoher Anteil konventioneller Erzeugungsleistung (aus Kernkraft) ist allein genommen kein Garant für ein hohes Niveau an Versorgungssicherheit“, schreiben die Analysten von Energy Brainpool in ihrer aktuellen Studie. Im Auftrag von Greenpeace Energy haben sie die bisherigen Auswirkungen des Kernkraftausstiegs auf die Versorgungssicherheit untersucht. „Während die Schwankungen bei wetterabhängigen erneuerbaren Energien in der Regel gut ausgeglichen werden, können bestimmte Wetterereignisse bei konventionellen Kraftwerken die Versorgungssituation verschärfen“, lautet das Fazit dieser Untersuchung.
Halbzeit beim Atomausstieg
Inzwischen sind neun der insgesamt 17 Atomkraftwerke in der Bundesrepublik vom Netz – Halbzeit beim Atomausstieg. Es sind Atommeiler mit einer Gesamtleistung von gut 9,7 Gigawatt stillgelegt, die andernfalls mit einem Anteil von 11,6 Prozent an der Stromerzeugung in Deutschland teilgenommen hätten. Parallel zum Atomausstieg, der 2011 beschlossen wurde, ist der Anteil der erneuerbaren Energien – zum größten Teil volatile Erzeugungsleistung – an der gesamten Stromerzeugung von 20,4 auf 31,6 Prozent gestiegene. Die gut elf Prozent Atomkraftwerksleistung werden offensichtlich nicht gebraucht, um das Netz stabil zu halten, wie es immer von Verfechtern der Kernkraft behauptet wird. Die Jünger der alten Energiewirtschaft geben auch immer wieder zu bedenken, dass durch den Ausbau der erneuerbaren Energien die Stromversorgung immer instabiler wird und so die konventionelle Kraftwerksleistung gebraucht werde, um sie wieder zu stabilisieren.
Weniger Regelleistung benötigt
Die nackten Zahlen sprechen da eine andere Sprache. Denn in der Zeit seit dem Ausstieg aus der Kernkraft ist das Stromnetz nicht instablier, sondern stabiler geworden. Die Analysten von Energy Brainpool haben dazu unter anderem die Werte der durchschnittlichen Dauer der Unterbrechungen im Stromsystem (System Average Interruption Duration Index – SAIDI) zugrunde gelegt. Aus diesen geht hervor, dass die durchschnittlichen Unterbrechungen des Stromsystems kurz nach dem Beschluss zu Ausstieg aus der Kernenergie und dem Abschalten der ersten acht Reaktoren von 14,9 auf 15,31 Minuten pro Jahr gestiegen ist. Inzwischen ist diese durchschnittliche Systemunterbrechung auf 12,28 Minuten gesunken – trotz des weiteren Ausbaus von Solar- und Windkraftwerksleistung. Wichtig dabei ist: Die Netzbetreiber mussten in diesem Zeitraum immer seltener auf Regelleistung zurückgreifen, um Ungleichgewichte im Netz wieder auszubalancieren. Die Marktkenner von Energy Brainpool führen dies auf eine bessere nationale und internationale Zusammenarbeit der Übertragungsnetzbetreiber sowie auf eine Stärkung des kurzfristigen Stromhandels zurück.
Dänemark ist Spitzenreiter
Im europäische Vergleich zeigt sich, dass die Länder mit dem höchsten Anteilen an erneuerbaren Energien die stabileren Netze haben als diejenigen, die sich bisher gegen die Energiewende sperren. Im Jahr 2013 sah die Lage so aus: Der Stromkunde musste in Dänemark, wo ein riesiger Anteil an Windstrom im Netz ist, nur durchschnittliche 11,25 Minuten Systemunterbrechungen hinnehmen mussten. In Deutschland waren es in den Hochzeiten des Ausbaus der Ökostromleistung 15,32 Minuten, die der Stromkunde durchschnittlich von der Stromversorgung abgekoppelt war. Dabei muss aber eingerechnet werden, dass ein großer Teil der Bundesbürger im gesamten Jahr niemals von der Versorgung abgeschnitten waren. Andere wiederum viel längere Unterbrechungen hinnehmen mussten.
Im Gegensatz zu diesen guten Werten, war jeder französische Haushalt und Gewerbebetrieb im Jahr 2013 durchschnittlich 68 Minuten – mehr als eine Stunde – von der Stromversorgung abgekoppelt, weil das System zusammengebrochen ist. In Polen, wo der Kohlestrom das gesamte System deutlich dominiert und die Ökostromleistung kaum existiert, lag die durchschnittliche Systemunterbrechung bei 254 Minuten. Hier wird klar: „Maßgeblich für das Niveau an Versorgungssicherheit ist also nicht der Anteil einer bestimmten Erzeugungstechnologie im System, sondern vielmehr die Erzeugungs- und Netzsituation insgesamt“. So bringen die Analysten von Energy Brainpool die Ergebnisse ihrer Studie auf den Punkt. Auf diese Weise lassen sich auch die häufigen und langen Stromausfälle in Polen erklären. Denn dort ist es vor allem das marode Stromnetz, das immer wieder für Unterbrechungen sorgt. Auch die Tatsache, dass Atomkraftwerke nicht wetterunabhängig arbeiten können, macht sie eher zum Teil des Problems als zum Teil der Lösung. Denn an heißen Sommertagen müssen die Kraftwerke abgeregelt werden, damit das Kühlwasser nicht die Flüsse, an denen die Kraftwerke liegen, zu stark aufheizen.
Konventionelle sind Teil des Problems
Mit dem Problem niedriger Pegelstände der Flüsse haben wiederum vor allem die Kohlekraftwerke zu kämpfen, weil dann der Brennstoff nicht mehr mit Schiffen zum Meiler gebracht werden kann. Dieses Problem kann aber gemindert werden. „Bereits 2020 kann eine effiziente Steuerung bei Biomasseanlagen, Haushalten und Industrieanlagen die Spitzennachfrage um bis zu 4,4 Gigawatt reduzieren“, rechnet Studienleiter Thorsten Lenck. „Entsprechend seltener müssten dann fossile Kraftwerke die sogenannte gesicherte Leistung bereitstellen.“ Der Schlüssel zur Sicherung der Stromversorgung bei steigendem Anteil volatiler Erzeugungsleistung sind Speicher jeglicher Art. „Die Politik muss dringend dafür sorgen, dass eine flexible und dezentrale Technologie wie Windgas künftig nicht nur mit hilft, Atomstrom zu ersetzen, sondern mittelfristig auch fossile Reserven verzichtbar machen kann“, betont Sönke Tangermann, Vorstand von Greenpeace Energy. Dies könne sogar die Versorgungssicherheit weiter stärken. (su)