Die Strompreise für die Betriebe der deutschen Großindustrie sind im europäischen Vergleich mit die niedrigsten. Denn die Unternehmen kaufen ihren Strom am Spotmarkt, wo die Preise aufgrund der erneuerbaren Energien sinken. Eine aktuelle Studie bestätigt das Argument, dass die hohen Stromkosten in Deutschland nicht auf den regenerativen Strom im Netz zurückzuführen sind.
Das Berliner Forschungsinstitut Agora Energiewende wirft mit einer aktuellen Kurzstudie neue Argumente in die Debatte um die Novelle des EEG und die Rabatte für die stromintensiven Unternehmen bei der EEG-Umlage. Die Wissenschaftler haben die Börsenstrompreise in Europa und in den USA miteinander verglichen, da diese für industrielle Großkunden maßgeblich sind. Das Ergebnis: In Deutschland sind sowohl die Preise am Spotmarkt als auch die langfristig vereinbarten Strompreise im Großhandel mit die niedrigsten in Europa. Zusammen mit Österreich, Polen und der Tschechischen Republik liegen sie am unteren Ende der Preisspanne aller europäischen Länder. So liegt der Spotmarktpreis in Deutschland derzeit bei 3,78 Cent pro Kilowattstunde. Im Vergleich dazu mussten die niederländischen Unternehmen am Spotmarkt 5,2 Cent pro Kilowattstunde bezahlen. Auch in Frankreich liegt der Spotmarktpreis mit 4,33 Cent pro Kilowattstunde höher als in Deutschland. Die höchsten Preise zahlen die britischen und italienischen Unternehmen. Im Vereinigten Königreich beträgt der Spotmarktpreis immerhin 6,16 Cent pro Kilowattstunde und in Italien liegt dieser Preis sogar bei 6,3 Cent pro Kilowattstunde.
Deutsche Spotmarktpreise erreichen amerikanisches Niveau
Außerdem zeigen die Handelspreise an den europäischen Strombörsen eine sinkende Tendenz, mit Ausnahme von Großbritannien, den Niederlanden, Belgien und den skandinavischen Ländern. Agora Energiewende schreibt das vor allem dem hohen Angebot an Solar- und Windstrom zu, der zu Billigstpreisen an den Strombörsen vermarktet wird und damit den durchschnittlichen Strompreis nach unten drückt. Außerdem sind in Deutschland viele Kohlekraftwerke am Netz, die zwar für jede Kilowattstunde fossile Brennstoffe verbrennen müssen, aber immer noch billiger sind als Gaskraftwerke. Das ist auch der Grund, weshalb die Spotmarktpreise in den USA zwar noch niedriger als in Europa sind, aber in letzter Zeit drastisch steigen. „Die gegenwärtigen Strompreissteigerungen sind hauptsächlich auf die steigenden Preise an den US-amerikanischen Spotmärkten für Erdgas zurückzuführen“, erklären die Autoren der Studie. Inzwischen hat der deutsche Spotmarktpreis sogar den Preis an der New Yorker Strombörse (New York ISO) unterschritten. In anderen Teilen der USA liegen die Strompreise allerdings noch niedriger als in Deutschland. „Direkte Vergleiche zwischen den Strompreisen in Europa und den USA müssen allerdings mit Vorsicht genossen werden, weil die liberalisierten Märkte in den USA typischerweise Kapazitätsmechanismen einschließen, die zu Zahlungen für vorgehaltene Kapazitäten führen, die nicht in den eigentlichen Strompreisen eingepreist sind“, betonen die Autoren der Studie. „Deshalb sind die Kosten für die industriellen Stromverbrauchern in den USA beim einfachen Vergleich der Großhandelspreise unterbewertet.“
Vergleiche mit Vorsicht genießen
„Die Börsenstrompreise geben jedoch nur einen Teil der gesamten Stromkosten der energieintensiven Industrien wieder“, betont Agora Energiewende. „Hinzu kommen gegebenenfalls Kosten für Netze und Vertrieb, Umlagen, Abgaben und Steuern – wobei energieintensive Industrien in jedem Land hiervon in sehr unterschiedlichem Maße befreit werden. Da hierzu keine verlässlichen und transparenten Statistiken vorliegen, können zu den tatsächlichen Belastungen nur begrenzte Aussagen auf Basis von Studien gemacht werden.“ Die Berliner Wissenschaftler zeigen dieses Problem am Beispiel eines Vergleichs von Deutschland und Frankreich. So ist der französische Strommarkt stark reguliert. Dort werden 90 Prozent der gesamten Strommengen über den regulierten Markt vertrieben und nur die restlichen zehn Prozent sind den Mechanismen des freien Marktes ausgesetzt, schreiben die Autoren in ihrer Studie. Das führt dazu, dass die Strompreise für die deutschen Unternehmen höher sind als für ihre französischen Konkurrenten. Da die deutschen Industriebetriebe mit steigendem Stromverbrauch auch mehr Rabatte bei Umlagen und Steuern bekommen, sinkt der Wettbewerbsvorteil der französischen Betriebe. Im Bereich der energieintensiven Unternehmen sind beide Strompreise wieder nahezu gleich. Trotzdem sind die deutschen Unternehmen immer noch stärker den Marktpreisen ausgesetzt als ihre französischen Wettbewerber. Deshalb müsse man die Wettbewerbsvorteile der französischen Unternehmen nicht vermeintlich hohen Strompreisen in Deutschland zuschreiben, sondern der staatlichen Unterstützung der französischen Industrie, immer wenn der Strompreis in Frankreich über 4,65 Cent pro Kilowattstunde steigt, resümieren die Forscher von Agora Energiewende. (Sven Ullrich)