Es ist Hochsommer. Das Gras verströmt Blütenduft, Insekten flirren durch die warme Luft. „Dies hier ist Beinwell. Der wissenschaftliche Name: Symphytum officinale.“ Tim Peschel nimmt die Heilpflanze in seine Hand. Später soll ein ganzer Strauß daraus werden. „Beinwell kommt da vor, wo es etwas feuchter ist“, sagt der Biologe vom Büro für Ökologie & Umwelt in Berlin. Hier im Solarpark Salmdorf nahe München gibt es ab und zu Staunässe, denn die Wiese befindet sich auf einer mit Schutt und Müll aufgeschütteten Kiesgrube. Lehm unter der nährstoffreichen Humusdeckschicht stoppt den Wasserabfluss.
„Wir haben hier Altlasten aus den 60er und 70er Jahren drunter“, erklärt Peschel. „Dort ist zuvor Kies abgebaut worden, und dann wurde das verfüllt, teilweise mit belastendem Material.“ Heute ist der Problemmüll sicher abgedeckt. Darüber erstreckt sich eine Freiflächenanlage mit 1,034 Megawatt Leistung. Gehrlicher baute sie. Die Dünnschichtmodule auf Cadmiumtellurid-Basis kommen von First Solar.
Der Dünnschichthersteller hat eine Bestandsaufnahme initiiert, wollte wissen, inwieweit Solarparks Inseln der Biodiversität sein können. „Die Ergebnisse bisheriger Studien sind recht positiv“, sagt Sebastian Fasbender von First Solar, „das Wissen darüber ist in politischen, aber auch in Fachkreisen allerdings gering.“ Nun sollte es zusammengetragen und durch eigene Beobachtung ergänzt werden. Dazu hat First Solar Partner gewonnen: die Agentur für Erneuerbare Energien, den Bundesverband Solarwirtschaft, Beck Energy, Blitzstrom, Conergy, Colexon Energy, die Deutsche Umwelthilfe, Gehrlicher Solar, Juwi, das Büro Peschel Ökologie & Umwelt und S.G.N. Die Beteiligten sind naturschutzfachlichen Aspekten in acht verschiedenen Solarparks auf den Grund gegangen. Vom Umweltbericht über die Schaffung von Ausgleichsmaßnahmen bis hin zur ökologisch nachhaltigen Ansaat wurden Beispiele für die Verbindung von Naturschutzzielen und sauberer Energieerzeugung untersucht. Im Hindergrund stand stets die Frage, welche Auswirkungen Solarparks auf die Biodiversität haben.
Beim Solarpark Salmdorf säten die Gärtner eine artenreiche Wiesenmischung aus. „Dieses Gras hier sieht relativ unspektakulär aus, muss ich zugeben.“ Peschel lacht. „Das wurde früher ganz bewusst in Landschaftsgärten ausgesät. Wenn es abgeerntet wird, verströmt es einen süßlichen Geruch. Cumarin heißt die Substanz, die bewirkt den klassischen Heugeruch. Deshalb heißt die Pflanze auch Ruchgras, Anthoxanthum odoratum.“ Peschel trägt den Pflanzennamen in eine Liste ein. „Wichtig ist, dass wir nicht die deutschen Namen erfassen, sondern die wissenschaftlichen. Denn die deutschen Namen sind von Region zu Region recht unterschiedlich. Sie kennen das vielleicht von der Butterblume. Sie ist in der einen Region der Löwenzahn, in der anderen kann sie durchaus auch der Hahnenfuß sein.“ Die Sonne strahlt mit voller Kraft auf die Module. In ihrem Schatten und zwischen den Reihen sprießt ein bunter Strauß an Wiesenkräutern. Eine Artenvielfalt, wie sie auf normalem Grünland heute kaum noch zu finden ist. Am Rande des Solarparks fallen die vielen Bäume und Sträucher auf. Sie sind ebenfalls angepflanzt, um die Fläche ökologisch aufzuwerten, als Ausgleich für die gewerbliche Nutzung. „Die höheren Baumarten stehen natürlich auf der Nordseite, um den Ertrag nicht durch Verschattung zu schmälern“, sagt Tim Meyer vom Solarparkprojektierer Gehrlicher. „Sie sehen dort hinten Höhenlinien, die der Landschaftsplaner festgelegt hat, fünf, sieben, neun, elf Meter.“ Etwa 4.000 Bäume und Sträucher stehen um die Anlage herum.
„Hier handelt es sich um normalen Weiß-Klee, Trifolium repens. Trifolium wegen der drei Blätter. Ja, und das hier ist Schneckenklee, Medicago lupulina. Schneckenklee heißt er, weil sich die Fruchtstände wie eine Schnecke eindrehen.“ Peschels Blick schweift weiter über die üppige Wiese. „Dort, das ist Löwenzahn. Der verträgt stark gedüngte Felder und reagiert relativ unempfindlich auf Gülle. Deshalb sind die überdüngten Wiesen manchmal, wenn er blüht, richtig gelb vor lauter Löwenzahnblüten. Und ein ganzer Teil der Arten, die wir hier finden, können da nicht mehr existieren, weil diese Gräser und Kräuter empfindlicher gegen Überdüngung und intensive Bewirtschaftung sind.“
Weiter geht der Rundgang zwischen den Modulreihen. Überall sprießt und blüht es. Die Hohlprofile der Gestelle sind anderthalb Meter in den Boden gerammt und finden ohne Betonfundamente Halt in der festen Erde. So nehmen sie den Pflanzen kaum Platz weg. „Diese Technik kommt aus dem Leitplankenbau“, erklärt Meyer. „Die versiegelte Fläche liegt bei diesem Park hier unter einem Prozent.“ Zusammengerechnet ist etwa ein Drittel der Parkfläche mit Modulen überstellt. Durch die Lücken zwischen den Modulen kann der vorherrschende Westwind das Regenwasser immer wieder unter die Module drücken. Da die Unterkanten 60 Zentimeter über dem Boden liegen und die Oberkanten 1,80 Meter messen, ist es darunter zwar schattig, aber das Licht reicht den meisten Pflanzen zum Wachsen. Unter den Modulen ist es üppig grün, mitunter lugen die Gräser zwischen den Modullücken hindurch, so dass sogar Verschattungen der Module drohen.
„Und hier das Wiesenlabkraut“, erfasst Peschel weiter. „Wissenschaftlich Galium album, weil es weiß blüht. Hier haben wir eine Art, die momentan nicht blüht. Schafgarbe, kommt häufig auf Wiesen vor. Sie sehen die vielen feingliedrigen Blättchen. Deshalb Achillea millefolium.“
Zur Nachahmung empfohlen
Meyer betreut für Gehrlicher einen Solarpark mit 20,5 Megawatt in Rothenburg in der Oberlausitz. Er befindet sich auf einem ehemaligen Militärflugplatz. Die Landschaftsgärtner haben die Arten so ausgewählt, wie es der Naturschutz wünscht. Die Mad im Herbst bringt dann genügend Saatgut, um es auf anderen, ökologisch aufgewerteten Flächen auszustreuen. Das ist notwendig, denn viele dieser Arten sind selten geworden und ihr Lebensraum knapp und zersplittert. Aus eigener Kraft können sie sich kaum noch ausbreiten.
Eine Wilde Möhre hat Peschel jetzt bei seinem Rundgang entdeckt. „Die riecht auch tatsächlich nach Möhre, wenn man ein bisschen daran reibt. Sie heißt bezeichnenderweise Daucus carota.“ Die Artenmischungen in Salmdorf genauso wie in Rothenburg gleichen denen, die noch bis in die 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts weit verbreitet waren. Dies waren Kulturlandschaften, entstanden durch extensive bäuerliche Nutzung. Diese historisch gewachsenen Artenmischungen sind in den letzten 50 Jahren nahezu verschwunden. In der modernen, intensivierten Landwirtschaft ist für die meisten Arten kein Platz mehr. „Eine Turbokuh, die 10.000 Liter Milch im Jahr produzieren muss, kann so etwas überhaupt nicht mehr verdauen beziehungsweise damit diese Mengen Milch produzieren“, erklärt der Biologe Peschel. Diese bräuchten ganz anderes Futter, zum Beispiel Sojabohnen aus dem Amazonasgebiet, durch deren großflächigen Anbau Regenwälder und dadurch unglaublich viel Biodiversität vernichtet wird.
Die gleiche Gefahr geht auch hierzulande vom intensiven Anbau der Bioenergiepflanzen wie Raps aus. Diese brauchen für die Erzeugung der gleichen Energiemenge außerdem mindestens 30-mal mehr Platz als eine Freiflächenanlage. Die Modellparks auf Konversionsflächen zeigen, wie ehemalige Problemflächen nicht nur sinnvoll für die Gewinnung regenerativer Energie genutzt werden können, sondern dabei auch noch zu einem Rückzugsort für bedrohte Arten werden. „Ein Wiesen-Bocksbart, Tragopogon, und weil er nach oben verdickt ist, Tragopogon dubius“, erklärt Peschel. Wiesen wie die in Salmdorf können nicht ganz sich selbst überlassen werden. Sie müssen angelegt und wenigstens einmal im Jahr gemäht werden, um den Wiesencharakter zu erhalten. Andernfalls würden sich Gehölze entwickeln und zur Wiederbewaldung der Flächen führen.
Bisherige Studien und die Bestandsaufnahmen in den zehn Solarparks sind noch kein wissenschaftlicher Beweis für die Arten erhaltende Wirkung von naturnahen Solarparks. Dazu bedarf es aufwendiger Beobachtungen und mehrjähriger Vergleichsuntersuchungen. Aber: „Eine Verbesserung der Biodiversität ist augenscheinlich möglich“, so First-Solar-Sprecher Fasbender. „Unser Anliegen ist es, Evidenzen für positive Auswirkungen zu zeigen und Maßnahmen darzustellen, wie die ökologische Wirkung der Solarparks aus naturschutzfachlicher Sicht optimiert werden kann.“ Der Abschlussbericht zeigt, dass es vielfältige Möglichkeiten gibt. Die Anlage sollte ökologisch sinnvoll bebaut werden, so dass die Pflanzen genug Licht und Wasser bekommen. Durch einfache Maßnahmen kann die Versiegelungsfläche reduziert werden. Die richtige Wahl und durchdachte Anordnung der Bäume, Sträucher und Gräser schafft Platz für seltene Pflanzen und Tiere, ohne den Ertrag der Anlage durch Verschattung zu beinträchtigen. Parks wie der in Salmdorf zeigen, wie es geht.
Vielfalt der Arten fördern
Weltweit sterben jeden Tag schätzungsweise 130 Arten aus. Um auf diesen immensen Verlust an Vielfalt von P?anzen und Tieren aufmerksam zu machen, haben die Vereinten Nationen 2010 zum „Internationalen Jahr der biologischen Vielfalt“ erklärt. Hintergrund ist die im Jahr 1992 in Rio de Janeiro beschlossene Biodiversitätskonvention der Vereinten Nationen. Sie ist bis heute von 193 Staaten unterzeichnet und rati?ziert worden. Die Konvention soll die biologische Vielfalt in all ihren Formen schützen, um sie nachhaltig zu nutzen, und Vorteile aus der Nutzung der genetischen Ressourcen gerecht ausgleichen. Wie Solarparks im Interesse des Artenschutzes eingesetzt werden können, hat der Biologe Tim Peschel untersucht.
Was haben Solarparks und Biodiversität miteinander zu tun?
Die Energiewende zur Nachhaltigkeit ist politisch gewollt und wird einhellig vom Natur- und Umweltschutz gefordert, da der Klimawandel eine Bedrohung für die biologische Vielfalt darstellt. Gleichzeitig wächst damit aber auch die Verp?ichtung, die damit verbundenen Auswirkungen auf die lebendige Natur zu untersuchen. Es ist absehbar, dass die erneuerbaren Energien, zu denen auch die Photovoltaik gehört, in den nächsten Jahrzehnten nicht nur einen immer größeren Anteil an der Energieversorgung haben werden. Durch die zunehmende Inanspruchnahme dafür benötigter Flächen werden sie folglich zukünftig auch vermehrt Ein?uss auf die Biodiversität nehmen.
Bedrohen Solarparks die Biodiversität?
Die Vernichtung von Lebensräumen gehört zweifellos zu den Hauptursachen für den anhaltend dramatischen Verlust von biologischer Vielfalt. Darüber hinaus hat aber auch die Art und Weise der Landnutzung Auswirkungen auf die Artenvielfalt. Vielfältige Nutzung kann die Vielfalt an Arten fördern, weshalb zum Beispiel dem Erhalt der traditionellen europäischen Kulturlandschaft mit einer hohen Vielfalt an Lebensräumen und Arten aus Sicht des Naturschutzes eine hohe Bedeutung zugemessen wird. Schutz schließt also keineswegs zwangsläu?g eine Nutzung aus. Vielmehr sind nicht wenige Arten für ihr Fortbestehen auf eine bestimmte Art der Nutzung angewiesen. Zu den Zielen der Biodiversitätskonvention der Vereinten Nationen gehört es, ökonomische und ökologische Aspekte miteinander in Einklang zu bringen. Aufgrund des dramatischen Verlustes an Biodiversität kommt es deshalb mehr denn je darauf an, ihren Erhalt auf ganzer Fläche zu fördern, da Schutzgebiete allein bei einem weltweit stärker werdenden Nutzungsdruck dafür nicht mehr ausreichen. So bieten zum Beispiel intensiv genutzte Agrarlandschaften nur sehr wenigen Arten Lebensraum. Dies ist durchaus beabsichtigt, da die dort angebauten Feldfrüchte vor p?anzlicher und tierischer Konkurrenz weitestgehend geschützt werden, um auf diese Weise optimale Bedingungen für maximale Erträge zu schaffen. Dies verlangt aber den Einsatz großer Mengen Energie, Dünger und P?anzenschutzmittel, was wiederum artenarme und monotone Landschaften schafft. Werden solche Lebensräume umgenutzt und weniger intensiv bewirtschaftet, kann neuer Lebensraum für Tier- und P?anzenarten geschaffen werden. Hier besteht für die Solarbranche als Landnutzer die Gelegenheit, einen Beitrag zur Förderung der Artenvielfalt zu leisten. Andererseits muss sichergestellt werden, dass wertvolle Lebensräume durch die Nutzung für Solarparks nicht beeinträchtigt werden.
Wie können Solarparks zu Inseln für den Artenschutz werden?
Bislang gibt es zwar erst wenige Erkenntnisse darüber, in welcher Weise Solarparks die Biodiversität beein?ussen. Unzweifelhaft besteht aber ein solcher Zusammenhang. Es ist deshalb wünschenswert, diesen durch weitere Untersuchungen herauszuarbeiten und gemeinsam mit dem Natur- und Umweltschutz differenzierte Maßnahmen und Leitlinien auszuloten, um das Thema biologische Vielfalt in das unternehmerische Handeln zu integrieren. Auf diese Weise besteht die Chance, ökonomische und ökologische Aspekte miteinander in Einklang zu bringen und somit nicht zuletzt die Akzeptanz der erneuerbaren Energien zu erhöhen.