Die Pleite von Solar Millennium hat nicht nur tausende von Kleininvestoren um ihr Geld gebracht. Sie schadet auch dem Ansehen der deutschen Solarbranche. Oft wird sie mit der Insolvenz von Solon in einen Topf geworfen. Dabei sind das zwei völlig verschiedene Paar Schuhe. Auch Solon mag über seine Verhältnisse gelebt haben, und die Krise hatte sich ebenfalls lange angekündigt. Aber Solon produziert tatsächlich in nennenswertem Umfang, und zwar am Markt etablierte Photovoltaikmodule.
Das mittelständische Unternehmen Solar Millennium wagte sich an eine Großtechnologie, und noch dazu an eine äußerst riskante. Solarthermische Megakraftwerke, die mit Hochtemperaturen arbeiten, sind wenig erprobt. Die vielen Gläubiger und Aktionäre ließen sich auf ein Abenteuer ein, ähnlich wie bei einem Explorationsunternehmen auf der Suchenach Bodenschätzen. Wer da Geld vorschießt, kann nicht sagen, ob diese Rohstoffe je gewinnbringend gefördert werden können. Es ist fraglich, welche der Explorationsgesellschaften, die für dieses Risiko viel Geld fremder Leute einsammeln, seriös sind. Die gleiche Frage stellt sich im Nachhinein allerdings auch bei Solar Millennium. Ist das Unternehmen gestartet, um seine ambitioniert klingenden Ziele auf seriöser Grundlage voranzutreiben?
Philipp Spitz ist Geschäftsführer und Leiter Research bei Murphy & Spitz Umwelt Consult. Für den Umweltfonds Deutschland beobachtet er seit 1999 den Markt für nachhaltige Kapitalanlagen. Schon vor seiner Zeit bei Murphy & Spitz war er auf Solar Millennium gestoßen.
Die Erlanger starteten im Oktober 1998 zunächst unter dem Namen Solar Century Management GmbH. Unternehmensgründer war der umtriebige Steuerberater Hannes Kuhn. Im März 1999 wurde aus Solar Century Management die Solar Millennium GmbH. Diese legte geschlossene Fonds auf, mit denen solarthermische Großanlagen realisiert werden sollten. „Wir hatten von Anfang an den Eindruck, da ist viel Geld eingesammelt worden, Solar Millennium baute aber keine Projekte“, erinnert sich Spitz. „Diese wurden erst mit erheblicher Zeitverzögerung realisiert.“
Am Anfang stand der Erfolg
Dies war aber für die Fondsinhaber nicht so dramatisch. Denn die Gesellschaft mit beschränkter Haftung wandelte sich im Juni 1999 zu einer Aktiengesellschaft. Aus den Fondsanteilen wurden somit Aktien. Deren Kurs entwickelte sich gut. Auf dem Höhepunkt des Erfolges wurde das mittelständische Unternehmen miteiner halben Milliarde Euro bewertet. Ob das auch ein interessantes Investment für ihre Kunden wäre, fragten sich die Analysten von Murphy & Spitz schon in den frühen Zeiten von Solar Millennium. „Wir haben die Frage grundsätzlich mit Nein beantwortet“, so Philipp Spitz. „Uns hat einfach das Vertrauen gefehlt, auch wegen Bilanzierungskorrekturen.“ Zu den verfehlten Prognosen für die geschlossenen Fonds kamen später negative Schlagzeilen über den Gründer und späteren Aufsichtsrat Hannes Kuhn dazu, die nicht geeignet waren, die anfänglichen Zweifel auszuräumen.
Kuhn hat nicht nur eine äußerst schlechte Presse, sondern mittlerweile auch mehrere Strafanzeigen wegen Untreue, Prozessbetrugs und Urkundenfälschung am Hals. Angeklagt ist er außerdem im Zusammenhang mit gewerbsmäßigem Betrug bei der Gesellschaft DM Beteiligungen. Diese soll mit einem Schneeballsystem rund 7.000 private Geldgeber um 70 Millionen Euro gebracht haben. Da drängen sich Parallelen zu Solar Millennium auf. Staatsanwaltschaft und Finanzaufsicht ermitteln derzeit außerdem wegen des Verdachts auf Insiderhandel gegen den Gründer und Ex-Aufsichtsrat von Solar Millennium.
Der ganz große Coup
Am skeptischsten hat die Consultans von Murphy & Spitz allerdings gemacht, dass Solar Millennium zwar schöne Gewinne ausgewiesen, dabei aber nicht wirklich Geld verdient hat. Philipp Spitz: „Bei Solar Millennium war im Prinzip der Unterschied leicht erkennbar zwischen dem Erfolg in der Gewinn- und Verlustrechnung und dem Liquiditätsfluss in der operativen Cashflow-Rechnung.“ Im Prinzip gaben sie mehr Geld aus, als sie einnahmen. Solar Millennium war also darauf angewiesen, ständig neues Geld zu akquirieren.
Pilotprojekte in Spanien waren zunächst erfolgreich. RWE beteiligte sich beispielsweise an einem der Kraftwerke, und Siemens war Lieferant und Mitinhaber des Parabolrinnen-Kraftwerks Arenales, das vom vorläufigen Insolvenzverwalter Volker Böhm als erheblicher Wert eingeschätzt wird: „Ein 100-Millionen-Euro-Projekt.“ Die Erlanger sollten auch das Wüstenstrom-Projekt Desertec mit Technik versorgen. Den ganz großen Coup wollte Solar Millenniumallerdings im kalifornischen Blythe landen. Dort begann Ende 2010 der Bau eines solarthermischen Kraftwerks, das nach der Vollendung ein Gigawatt Leistung bringen sollte, Weltrekord für ein Solarkraftwerk. Von der US-Regierung sollte es großzügig gefördert werden. Die Gesamtinvestitionen hätten sich auf 2,8 Milliarden Euro summiert. Zum Vergleich: Solar Millennium brachte es im vergangenen Jahr auf einen Umsatz von rund elf Millionen Euro. Immer wieder kam das ehrgeizige Projekt ins Stocken, weil Investoren fehlten und damit Geld.
Fass zum Überlaufen gebracht
Durch den Verfall der Preise bei der Photovoltaik ist die solarthermische Stromversorgung aber mittlerweile kaum noch konkurrenzfähig. Im August vergangenen Jahres wollte Solar Millennium deshalb in Blythe von der Solarthermie, bei der das Unternehmen jahrelang Erfahrung gesammelt hatte, auf Photovoltaik umsteigen. Für die Erlanger war das neues Terrain. Außerdem ging damit eine Kreditbürgschaft der US-amerikanischen Regierung verloren. Solar Millennium rückte immer weiter ins Minus. Das Management verschob Mitteilungen und Prognosen, wahrscheinlich, um je
nach Geldeingang bessere Zahlen präsentieren zu können. Der Verkauf der US-Sparte an den sauerländischen Projektierer Solarhybrid sollte einer der Befreiungsschläge werden. Solarhybrid ist schon seit einiger Zeit über Kooperationen, personelle Verflechtungen und als Gläubiger mit Solar Millennium verbunden. Immer wieder angekündigt, verschob sich der Verkauf jedoch von Monat zu Monat und ist bis heute nicht vollzogen. Ende Dezember 2011 war dann auch noch die Fondsfinanzierung des Ibersol-Projekts in Spanien gescheitert. Nun reichte es. Solar Millennium musste am 21. Dezember vergangenen Jahres Insolvenz anmelden.
Zurück bleiben 16.000 Anleihegläubiger und 14.000 Aktionäre, die keine guten Karten haben. „Die Anleger müssen sich wohl zunächst einmal auf einen hohen Verlust – vielleicht sogar einen Totalverlust – einstellen“, sagt Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Mit Blick auf das laufende Insolvenzverfahren gibt er sich dennoch nicht geschlagen. „Natürlich prüfen wir zurzeit alle rechtlichen Möglichkeiten. Aber ob und wenn ja, wie viel Geld geschädigte Investoren zurückbekommen, das weiß im Moment kein Mensch.“ Auf eventuelle Erlöse warten viele Anwärter. Ganz hinten in der Rangfolge stehen die Aktionäre. Die DSW will versuchen, sie den Gläubigern gleichzustellen. Dazu müssen Juristen nachweisen, dass diese Aktionäre ihr Kapital durch Schuld des Managements verloren haben.
Am Recht vorbei?
Neben Ansprüchen aus dem Insolvenzverfahren geht es aber auch um eventuelle Schadensersatzansprüche gegenSolar Millennium, gegen die D&O-Versicherung (Directors-and-Officers-Versicherung), also die Haftpflichtversicherung für leitende Manager. Außerdem müssen Schadensersatzansprüche gegen frühere Manager von Solar Millennium geprüft werden. Hier sind laufende Strafverfahren bedeutend und die grundlegende Frage, ob Solar Millennium nur pleitegegangen ist, weil keine Kapitalgeber aufgetrieben werden konnten, oder ob das anvertraute Geld am geltenden Recht vorbei ausgegeben wurde.
Ob sich große Schlachten überhaupt lohnen, hängt aber davon ab, wie viel Geld selbst bei diversen juristischen Siegen überhaupt zu holen ist. Wenn zu den 230 Millionen Euro bei den Gläubigern auch noch die Aktienbesitzer kommen sollten, addiert sich der Wert schnell auf über 500 Millionen Euro. Die Dimension des Schadens ist so groß, dass die eventuell dafür Haftenden ihn sowieso nicht mehr zurückzahlen können, höchstens einen kleinen Teil davon. Insolvenzverwalter Böhm gibt sich optimistisch. Das muss er ja auch, es gehört zu seinem Job. Er sucht nach Investoren, die wenigstens Teile von Solar Millennium kaufen und damit neues Geld einbringen wollen. „Es gibt bereits Interessenten. Wir werden sehr häufig angesprochen.“
Einige Regeln
In den Brunnen gefallen ist das Kind auf alle Fälle. Wer nachhaltig investieren möchte und dabei nicht sein Geld verlieren will, sollte von vornherein einige Regeln beachten, die bei Solar Millennium verletzt worden sind. „Für Anleger und Anleihenzeichner ist es immer wichtig, in Unternehmen zu investieren, die gute Liquiditätsflüsse haben“, rät Analyst Spitz. „Projekte, die mit dem Geld realisiert werden, sollten schnell umgesetzt werden, so dass das Unternehmen damit Geld verdienen kann.“ Die Weichkosten, also Werbung und Vertrieb, sollten sich im Rahmen halten und in einem ausgeglichenen Verhältnis zu den Gewinnen stehen. Die Prospekte, also gesetzlich vorgeschriebene Informationen zu einer Anlage, sind ebenfalls ein Anhaltspunkt dafür, wie solide das Unternehmen aufgestellt ist. „Solar Millennium gab immer rechtlich sehr ausgefeilte Prospekte heraus. Der Feinschliff war aufwendig.“ Ein Indiz, dass das Management sich auf das Schlimmste vorbereitete.