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Der Weg ist das Ziel

Die Ökostadt Masdar City entsteht gerade wenige Kilometer nördlich von Abu Dhabi, dem neuen IRENA-Sitz.

Der Sinai erinnert an die alttestamentarischen Deutungen von Gesetz, Führerschaft und Grenzlinien, die in der Geschichte ihren Nachhall finden: Im ägyptischen Sharm el-Sheikh, einem modernen Badeort im Küstenstreifen zwischen dem Berg Sinai und dem Roten Meer, trafen am 29. und 30. Juni die 136 IRENA-Unterzeichnerstaaten zur zweiten Sitzung der Vorbereitungskommission zusammen. Sie wählten die französische Diplomatin Hélène Pelosse zur vorläufigen Generalsekretärin und Abu Dhabi, die Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), zum vorläufigen Hauptsitz der Agentur für Erneuerbare Energien. Auch Deutschland und Österreich hatten sich im Vorfeld um den Sitz der Agentur bemüht, zogen ihre Bewerbungen aber im Laufe des Treffens zurück. Im Geiste der Zusammenarbeit, so die Agentur, einigten sich die kandidierenden Länder in privaten Gesprächen auf eine Dreierlösung: Bonn wird Sitz des Innovations- und Technologiezentrums, und in Wien wird es ein Verbindungsbüro für die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen im Bereich Erneuerbare Energien geben.

Den Entscheidungen über den Sitz von IRENA, den Posten des Generalsekretärs sowie über den Beitritt von weiteren 20 Ländern, die in letzter Minute am 29. Juni als Mitglieder der Agentur gewonnen werden konnten, gingen Streitigkeiten und kritische Äußerungen voraus, wie sie schon seit 20 Jahren in internationalen politischen Kreisen und auch in der alternativen Energieszene gang und gäbe sind. Sie verschärften sich, als im Januar die Bewerbungen um den IRENA-Sitz anliefen. Laut Michael Eckhart, Präsident und Gründer von ACORE (American Council on Renewable Energy), besteht die wichtigste Aufgabe darin, „Informationen, die für die Energiepolitik aller Länder auf der ganzen Welt nützlich sind, zu veröffentlichen. Die Mitglieder haben einen zentralen Hauptsitz gewählt, die Einrichtung regionaler Zentren wird aber mit der Zeit viel wichtiger sein, damit die Arbeit auf regionaler Ebene weitergeführt werden kann.“

Der geistige Vater von IRENA ist Hermann Scheer (photovoltaik11/2008), Mitglied des Deutschen Bundestages, Präsident der European Association for Renewable Energy (Eurosolar) und Vorsitzender des Weltrats für Erneuerbare Energien (World Council for Renewable Energy, WCRE). Scheer und Eurosolar setzen sich seit 1989 für die Gründung einer internationalen Agentur für erneuerbare Energien ein, die mehr leisten kann und mehr Geld zur Verfügung hat als eine Nichtregierungsorganisation. Ihre Vision, die sie Anfang dieses Jahres mit der Gründung von IRENA in die Praxis umsetzten, war eine Organisation, die sich an vorderster Front um den schnellen Wechsel hin zur nachhaltigen, flächendeckenden Nutzung von regenerativen Energien kümmert, und zwar umfassend auf globaler Ebene, in Industrienationen wie auch in Entwicklungsländern. „IRENA baut entsprechend Personal auf, um sowohl Entwicklungsländer als auch Industrienationen im Hinblick auf die spezifischen Grundbedingungen vor Ort beraten zu können“, sagt Hermann Scheer.

Was die Welt jetzt braucht

Schon lange vor der Gründungskonferenz im Januar 2009 stieß das Projekt auf Widerstand: Man brauche nicht noch eine Agentur für erneuerbare Energien auf der Welt, so die Meinung der Gegner. Doch selbst ein grober Vergleich zeigt bereits, was nur IRENA bei der weiteren Verbreitung von alternativen Energien bewirken kann. Die Internationale Energieagentur (International Energy Agency, IEA) mit Sitz in Paris ist eine zwischenstaatliche Organisation, die den 28 Mitgliedsstaaten neutrale Analysen über Energiepolitik zu den Themen Notfallplanung, Öl, Kohle, Erdgas, Strom sowie Energieeffizienz und -technologie liefert. Nur ein begrenzter Teil des IEA-Budgets fließt in erneuerbare Energien. Die IEA ist nicht ausschließlich auf regenerative Energiequellen fokussiert und versteht sich auch nicht als globale Organisation. Sie agiert vielmehr innerhalb geografischer und auch ökonomischer Grenzen, denn eine Mitgliedschaft bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist Voraussetzung für die IEA-Mitgliedschaft. China, Indien, Russland und Brasilien können sich beispielsweise über die IRENA, aber nicht über die IEA in der globalen Förderung von erneuerbaren Energien engagieren. Richard H. Jones, Deputy Executive Director der IEA, beteuert, dass diese mit der IRENA zusammenarbeiten wolle: „Es gibt genug zu tun für beide Agenturen, und unsere jeweiligen Mitgliedsstaaten haben natürlich ein Interesse daran, dass die Arbeit nicht doppelt gemacht wird. Der IRENA stehen zudem viel mehr Schulungsmöglichkeiten und Ressourcen für die Arbeit vor Ort zur Verfügung als der IEA.“

Kurz gesagt konzentriert sich die IEA auf Themen, die für Industrienationen von Interesse sind; zu den aktiven IRENA-Mitgliedern zählen dagegen neben den Industrienationen auch Staaten aus Afrika, dem Nahen Osten, Asien und Osteuropa. Eine Liste mit allen 136 Mitgliedsstaaten findet sich auf der IRENA-Website. Hinzu kommt, so Scheer, dass die ihm vorschwebenden 25 Millionen Dollar Budget nicht von nur 25 Mitgliedsstaaten aufgebracht werden müssen, sondern sich aus Beiträgen von 136 Mitgliedern zusammensetzen, unter ihnen auch Abu Dhabi. Damit kann, so Scheer, IRENA in Zukunft mehr leisten. „Abu Dhabi hat zum Ausdruck gebracht, dass IRENA mit diesem Budget effektiver arbeiten kann.“

Warum nicht der Nahe Osten?

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung überraschte ihre Leser am 16. Juni mit einem Bericht, wonach die VAE 22 Millionen Dollar für das IRENA-Budget zur Verfügung stellen wollen. Allein aufgrund dieser Summe wurden empörte Stimmen laut. Umweltminister Sigmar Gabriel etwa ließ verlauten, dass die Emirate sich nicht einfach die Erfahrung und Kompetenz für erneuerbare Energien kaufen könnten, über die nur Deutschland verfüge. Dagegen sagt Scheer: „Die einzig richtige Reaktion darauf wäre gewesen, dass Deutschland selbst einen höheren Beitrag anbietet.“ Das Angebot aus Abu Dhabi sorgte in Europa weiter für Aufregung: Als die USA und Frankreich die Kandidatur von Abu Dhabi unterstützten, sahen Kritiker darin einen Zusammenhang mit Obamas Befürwortung einer atomaren Zusammenarbeit zwischen den USA und den VAE sowie Sarkozys Unterstützung für einen französischen Atom-Deal mit den VAE.

Die Vorwürfe reichten von „Atomlastigkeit“ bis hin zu mangelndem Engagement für erneuerbare Energien; dabei wurde allerdings nicht mehr klar unterschieden zwischen der Agentur und dem Land, in dem sie ihren Sitz haben wird. Laut ihren Statuten agiert IRENA unabhängig vom Gastgeberland und ausschließlich zum Nutzen der erneuerbaren Energien. Ob die Agentur nun in Bonn, Abu Dhabi oder Wien sitzt – die Regierung des Gastgeberlandes hat keinerlei Einfluss auf die Entscheidungen der Agentur. Scheer macht noch einmal deutlich: „Die Regierung des Gastgeberlandes kann sich damit schmücken, dass IRENA ihren Sitz in ihrem Land hat, insbesondere wenn die Organisation die Entwicklung erneuerbarer Energien in diesen Ländern positiv vorantreibt. Doch was IRENA wirklich macht, liegt alleine in der Verantwortung aller Mitgliedsstaaten und des Komitees, das die Arbeit der Agentur überprüft.“ Aus diesem Grund ist es für die weitere Entwicklung von IRENA zweitrangig, ob sie ihren Sitz nun in Abu Dhabi hat oder an einem anderen Ort auf der Welt.

Im Zuge immer wieder wechselnder Allianzen für den Sitz der Agentur und die Position des Generalsekretärs im Laufe der sechs Monate währenden Bewerbungsphase waren immer wieder Vorwürfe laut geworden, dass die VAE durch ihre Öl- und Atomgeschäfte so gebunden seien, dass ihr Interesse an erneuerbaren Energien nicht wirklich ernst genommen werden könne und sie deshalb auch als Sitz der IRENA nicht in Frage kämen. Zu dem Tauziehen wäre es nicht gekommen, wenn, wie Scheer ursprünglich vorgeschlagen hatte, IRENA bereits während der Gründungskonferenz im Januar sofort all diese Entscheidungen getroffen hätte: neben der Gründungsakte auch die Abstimmung über den Hauptsitz und den Generalsekretär. „Wäre das so gelaufen, wäre Bonn der klare Favorit gewesen.“ Doch die beiden Entscheidungen wurden verschoben, und zwischen der Gründungskonferenz und der ersten kommissarischen Vollversammlung lagen fünf Monate; und so hatte Abu Dhabi Zeit für eine extrem starke Bewerbungskampagne. Und, wie Scheer sagt: „Jedes Land, das sich als Sitz bewerben möchte, hat das Recht, eine starke Kampagne zu starten. Außerdem ist es an der Zeit, dass eine solche internationale Organisation auch einmal woanders sitzt als in Europa oder Nordamerika.“

Nachdem Abu Dhabi Mitte Juni seine Budgetvorstellungen verkündet hatte, dauerte es nicht lange, bis eine Schlammschlacht ihren Anfang nahm – verbrämt mit hochintellektuellen Ausführungen über historische Glaubwürdigkeit, Führungsansprüche und das nachweisliche Engagement für erneuerbare Energien. Den Kritikern zufolge gibt es anscheinend Länder, die ihren Energiebedarf zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien decken und bereits vollständig auf Erdöl, Atomkraft und Kohle verzichten. Und nur ein solches Land verdiene es, als Hauptsitz für IRENA zu kandidieren. Scheer, für den es am wichtigsten ist, dass IRENA sich baldmöglichst um die anliegenden Aufgaben kümmert, rückt diese Kritik mit viel Geduld in das richtige Licht: „Dann hätten sich höchsten fünf Länder um den Sitz bewerben können – und wir hätten nie im Leben 100 Mitgliedsstaaten davon überzeugen können mitzumachen.“

Schutz vor zukünftigen Konflikten

Die Kritik, dass IRENA eigentlich überflüssig sei, verschärfte sich im Januar im Zuge von Gerüchten, wonach bestimmte Länder wegen der Überschneidungen zwischen IRENA und IEA nicht mitmachen wollten (bis sie schließlich am 29. Juni doch noch die Vereinbarung unterzeichneten). Als auch Japan, Australien, die USA und Großbritannien in letzter Minute den Mitgliedervertrag unterschrieben, kam das Scheer so langsam verdächtig vor: „Sie traten IRENA auf den letzten Drücker bei und begannen sofort darüber zu diskutieren, dass sich die Arbeit von IRENA auf die Entwicklungsländer beschränken und IRENA nicht in Konkurrenz zur IEA treten sollte. Sie sind eine Interessengruppe der IEA und forderten, dass IRENA in ihrer Arbeit beschnitten werden solle.“

IEA- und IRENA-Mitgliedsstaaten werden wohl jeweils ihre nationalen Interessen vertreten. Richard Jones betont: „Die IEA leistet selbst einiges im Bereich erneuerbare Energien in Entwicklungsländern. Beispielsweise sind die zehn IEA Implementing Agreements, in denen es um Technologien für erneuerbare Energien geht, offen für die Teilnahme von Entwicklungsländern. Es ist ganz natürlich, dass die IEA vor allem für ihre Mitgliedsstaaten arbeitet; IRENA bleibt damit viel Spielraum für die Arbeit mit Entwicklungsländern, die die meisten IRENA-Mitglieder stellen.“ Die sogenannten Implementing Agreements, zu Deutsch Durchführungsabkommen, sind Instrumente der IEA zur Zusammenarbeit mit Nichtmitgliedern, die sich hauptsächlich auf Forschung und Entwicklung konzentrieren und weniger auf die tatsächliche Nutzung und Verbreitung erneuerbarer Energien ausgerichtet sind.

Scheers Wunsch ist es, dass die Agentur gegründet wird und ihre Arbeit ohne ständige politische Überwachung aufnehmen kann. Er macht sich Sorgen, dass sich eine IEA-Interessengruppe innerhalb der IRENA-Führung als dominierende Kraft etablieren und es möglicherweise zu einem Konflikt mit diesen „Nachzüglern“ kommen könnte. „IRENA muss durch die interessierte Öffentlichkeit geschützt werden; sie muss ihre Stimme erheben und darauf beharren, dass ihre Arbeit nicht in die falsche Richtung geht.“ Unter den Mitgliedsstaaten war die Rede davon, dass Scheer als eine Art Gründungsvorsitzender fungieren würde, eine Rolle, die allerdings nie klar definiert worden ist. Nachdem Scheer die letzten 20 Jahre damit beschäftigt war, IRENA ins Leben zu rufen, kann er sich nur schwer eine offizielle Funktion oder eine Kandidatur für einen Posten vorstellen – sein Traum war es, die Agentur zu gründen und zum Laufen zu bringen. Eine neue Organisation braucht ein paar Jahre, um große Initiativen weiterzuentwickeln und auszubauen. Jetzt kann IRENA diesen Prozess in Angriff nehmen, und zwar mit einer enorm großen Anzahl von Mitgliedern und einem so hohen Budget, wie es nie geplant war. Aber auch mit einem Ehrenposten würde Scheer sich wohl in seiner Kreativität und Erfahrung nicht ausgefüllt und unterfordert fühlen. Selbstverständlich wird er der neu gewählten Generalsekretärin bei Bedarf mit Rat und Tat zur Seite stehen, doch er betont auch, dass Pelosse und ihre Nachfolger auf eigenen Füßen stehen können müssen.

Wäre er selbst nicht der ideale Generalsekretär? Scheers ehrliche Antwort: „Ich hätte mich als Leiter einer Organisation, für die ich seit 20 Jahren kämpfe, nicht wohl gefühlt, wenn ich dafür gegen andere um den Posten des Generaldirektors hätte kandidieren müssen. Das ist einfach nicht stimmig, und IRENA muss und sollte ihre Arbeit tun, egal ob ich dabei bin oder nicht.“

Madelon Fleminger

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