Ende letzten Jahres gab Wacker den Startschuss für die neue Fabrik Poly 5, auf die die Firma eigentlich stolz sein könnte. Denn sie verspricht drastische Energieeinsparungen bei der Produktion von Solarsilizium. Trotzdem scheint es so, dass sich Wacker Polysilicon das Mantra von Andy Grove, dem ehemaligen Geschäftsführer von Intel, zu Herzen genommen hat. Er vertritt die Auffassung, dass man paranoid sein müsse, um zu überleben. Zur neuen Wackerfabrik haben Journalisten jedenfalls keinen Zutritt, anscheinend dürfen sie nicht einmal Kunden besichtigen.
Allerdings stellt sich die Frage, ob das wirklich Paranoia ist oder nicht vielleicht seine Berechtigung hat. Bisher gab es unter den Produzenten so wenig Wettbewerb, dassRobert Schramm, einer der wichtigsten Commerzbank-Analysten, eine Handvoll Firmen sogar als Oligopol bezeichnet, zu denen er Wacker, REC, Tokuyama, MEMC, Mitsubishi und Sumitomo und neuerdings auch M.Setek und DC Chemical zählt. Doch er hält es für möglich, dass weitere Firmen die nicht unerheblichen Markteinstiegsbarrieren überwinden, darunter GCL Silicon, JSSI und Nitol Solar. „Es ist sinnvoll, sich jetzt mit den Kosten zu beschäftigen, da in den letzten Monaten eine Reihe von Neueinsteigern erfolgreich an den Start gegangen ist“, sagte Schramm. Die Frage ist, wie billig die Firmen mit ihren unterschiedlichen Verfahren werden können.
Vom Steinbruch zum Rohstoff
Silizium wird aus Quarzsand gewonnen, in dem das Element jedoch in einer Verbindung mit Sauerstoff vorliegt. Bei der ersten Aufbereitung reagiert der Sauerstoff unter hohen Temperaturen mit Koks, so dass Silizium als Element übrig bleibt. Aus den entsprechenden Anlagen kommt das metallurgische Silizium heraus, das nur etwa ein Prozent Verunreinigungen mit anderen Substanzen enthält.Für die Halbleiter- und Solarindustrie ist das aber noch viel zu dreckig. Rund eine Million Tonnen metallurgischen Siliziums werden pro Jahr produziert, davon gehen rund 40.000 Tonnen an das Oligopol, das das Material weiter säubert, meist indem dieFirmen das Silizium mit Salzsäure reagieren lassen und so in eine gasförmige Silizium-Chlor-Wasserstoffverbindung wie Trichlorsilan überführen, das sich besser reinigen lässt. Die Herausforderung liegt darin, aus dem gereinigten Gas das Silizium zurückzugewinnen. Einige Firmen experimentieren mit neuen Technologien, andere setzen auf die Technik, mit der 2007 rund 85 Prozent allen Siliziums hergestellt wurden, das sauber genug für Solarzellen ist: der sogenannte Siemensprozess, ein chemisches Gasphasen-Abscheideverfahren, das Experten nach dem englischen Ausdruck Chemical Vapor Deposition auch CVD abkürzen. In einem Siemensreaktor, auch Polysilizium-CVD-Reaktor genannt, wird das Trichlorsilan erhitzt und unter hohen Druck gesetzt. An einem Siliziumstab im Reaktor scheidet sich dann im Trichlorsilan enthaltenes Silizium ab. Die Wände der Ablagerungskammer müssen allerdings gekühlt werden, weil es sonst zu unerwünschten Ablagerungen kommt. Zur Aufrechterhaltung der Temperaturdifferenz ist viel Energie erforderlich, zwischen 70 und 90 Kilowattstunden pro Kilogramm Silizium. Außerdem dauert es normalerweise mehrere Tage, bis sich so viel hochreines Silizium an den Stäben anlagert hat, dass die Produktion angehalten, der Reaktor abgekühlt und der Siliziumstab entnommen werden kann. Der Siliziumstab wird für den Transport in die Waferfabrik meist in Stücke zerbrochen. Um billiger zu produzieren, können die Firmen einerseits immer größere Anlagen bauen. Heute gelten 10.000 Tonnen Produktionskapazität als Minimum, um das Siemensverfahren ökonomisch verwenden zu können und Kosten zwischen 15 und 25US-Dollar pro Kilogramm zu erreichen, sagte Xiaofeng Peng, Gründer des Polysilizium-Anbieters LDK Solar, in einem Interview des Magazins Semiconductor Manufacturing. Da der Siemensprozess in konventioneller Form so viel Energie benötigt und damit das Potenzial zur Kostensenkung begrenzt ist, arbeiten Firmen wie Wacker an Alternativen.
Energiebedarf senken
In der neuen Fabrik Poly 5 will Wacker pro Jahr 650 Tonnen Siliziumgranulat nicht mit dem Siemensverfahren, sondern mit sogenannten Wirbelschichtreaktoren produzieren. Das Trichlorsilan wird in dem Verfahren, das englisch mit Fluidized Bed Reactor (FBR) bezeichnet wird, mit Wasserstoff in die Reaktortanks geleitet, die mit hochreinen Siliziumpartikeln beschickt werden. Die Abscheidung erfolgt dann nicht auf einem Stab, sondern auf diesen kleinen Siliziumpartikeln, die ein Gasfluss in Bewegung halten muss. Die Partikel vergrößern sich dadurch zu kleinen Körnern. Haben die Siliziumkörner die gewünschte Größe erreicht, fallen sie zur Ernte auf den Boden des Reaktors: Der Reaktor muss also nicht angehalten werden, um das hochreine Silizium zu entnehmen. Die Entwicklung war allerdings langwierig. Bei Wacker dauerte es mindestens acht Jahre bis zum kommerziellen Einsatz – trotz 50-jähriger Erfahrung mit Wirbelschichtverfahren in anderen Bereichen. Es dürfte sich gelohnt haben. Die Anlage verbraucht 60 Prozent weniger Energie als eine vergleichbare mit dem Siemensverfahren.Wer das Verfahren nutzt, kann also billiger produzieren. Allerdings ist es stark patentiert. „Nur wenige haben Zugang“, schreibt Vijay Shankar Murthy, Industry Manager bei Technical Insights, einem Bereich desMarktforschungsunternehmens Frost & Sullivan, in einer E-Mail. Laut Shankar Murthy gibt es neben Wacker nur noch zwei weitere etablierte Anbieter, die das Wirbelschichtverfahren kommerziell einsetzen, und zwar REC und MEMC. Nach relativ umfangreichen Pilotversuchen begann REC sogar schon im Jahr 2008 in seiner neuen FBR-Fabrik Plant III mit der Produktion von „geringen Testmengen“.2008 waren das immerhin rund 260 Tonnen Siliziumgranulat. Eine neue Anlage hat schon eine Herstellungskapazität von 6.500 Tonnen. Das ist mehr als das Zehnfache von Wackers Poly 5. REC plant zwar, die in seinen anderen Anlagen verwendeten etablierten Stabablagerungsverfahren „weiter zu pflegen und zu optimieren“, aber die Zukunft gehöre dem FBR-Verfahren. „Der Kapitaleinsatz pro Kilogramm ist normalerweise geringer als bei vergleichbaren Verfahren“, sagt Kurt Levens, Vice President of Business Development and Planning bei REC Silicon. „Wir haben außerdem um 30 Prozent niedrigere Betriebskosten pro Kilogramm und mehr Durchsatz pro Reaktor.“ Ein noch mehr Energie sparendes Verfahren für den Anlagerungsschritt will jedoch die Joint Solar Silicon GmbH (JSSI) gefunden haben, die dem Chemiekonzern Evonik und dem Photovoltaikspezialisten Solarworld Group gehört. Statt das Silizium direkt aus dem Trichlorsilan zurückzugewinnen, wandelt es JSSI zuerst in Monosilan um, eine Verbindung, die nur Silizium und Wasserstoff enthält. Daraus gewinnt die Firma in einem sogenannten Heißwandreaktor bei über 400 Grad das reine Silizium. Ähnlich wie beim Wirbelschichtreaktor scheidet das Silizium an kleinen Partikeln ab. Es gebe allerdings einen großen Vorteil: Wenn man in Wirbelschichtreaktoren den Prozess schnell führen wolle, komme es zu Verlusten durch Staubbildung. Das vermeide der Heißwandreaktor. Es entsteht ein pulverförmiges, braunes Solarsilizium-Material mit einem Reinheitsgrad von 99,999 Prozent. Als letzter Schritt des JSSI-Verfahrens wird das Pulver zur einfacheren Verarbeitung mechanisch verdichtet. Das Material trägt die Markenbezeichnung Sunsil. Der Prozessbraucht dabei laut Evonik weniger als zehn Kilowattstunden pro Kilogramm und damit nur einen Bruchteil der Energie, die im Siemensprozess nötig ist. Nach der Inbetriebnahme des ersten Reaktors Mitte 2007 eröffnete JSSI im August 2008 in Deutschland die erste Sunsil-Anlage.
Die Gasphase umgehen
Noch radikaler optimiert eine Reihe anderer Firmen die Siliziumproduktion. Sie umgehen die komplizierten chemischen Abscheidungsprozesse, indem sie darauf verzichten, das Silizium als Gas zu reinigen. Stattdessen reinigen sie das metallurgische Silizium direkt bei hohen Temperaturen und unter Zugabe zum Beispiel von Schlacken, die Boratome binden, die im Solarsilizium unerwünscht sind. Experten nennen den so gereinigten Rohstoff UMG-Silizium (Upgraded Metallurgical Grade). Daran arbeiten Firmen wie Dow Corning, Becancour Silicon Inc. und Elkem Solar.Besonders Elkem hat in der letzten Zeit von sich reden gemacht, weil Q-Cells eine polykristalline Solarzelle aus dem Material vorgestellt hat, die mit einem Wirkungsgrad von über 15 Prozent nahezu so effizient arbeitet wie Zellen, die aus konventionellem Silizium hergestellt werden. Das ist etwas Besonderes, da dem UMG-Silizium bisher oft nachgesagt wurde, dass die damit hergestellten Zellen schlechter seien, denn das Material gilt als stärker verunreinigt. Elkem redet zwar offen über seine Geschäfte, aber nicht über die verwendeten Verfahren. Bekannt ist, dass Elkem Solar seine Ausgangsmaterialien in drei Schritten aufbereitet, erst mit einer Schlackebehandlung, dann mit einem Auswaschprozess und zuletzt mit einem Verfestigungsschritt. Hergestellt werden zehn Kilogramm schwere Siliziumblöcke, die vorder Verwendung in den Kristallzüchtungstiegeln der Waferfirmen nicht unbedingt zerbrochen werden müssen. Laut Erling Paulsen, Verkaufs- und kaufmännischer Leiter von Elkem Solar, benötigt das firmeneigene Verfahren nur 20 Prozent der Energie des Siemensverfahrens. Dies sei ein wichtiger Wettbewerbsvorteil. „Ein Eintritt in diesen Markt hat keinen Sinn, wenn man die gleichen Verfahren verwendet wie alle anderen“, sagt Paulsen. Allerdings erstaunt es, dass Elkem nicht billiger sein will. „Unsere Preise sind mit denen von im Siemensverfahren hergestellten Materialien vergleichbar. Es besteht kein Grund für niedrigere Preise, weil dieses Material die von den Solarzellenherstellern benötigte Qualität besitzt“, sagt Paulsen. Das Konzept scheint aufzugehen. Die erste Anlage des Unternehmens, die jetzt anläuft, soll 6.000 Tonnen pro Jahr produzieren und bis 2012 ausgebucht sein. Hat dem konventionellen Siemensverfahren das Stündchen geschlagen? Die kurze Antwort lautet: nein. Commerzbank-Experte Robert Schramm weist darauf hin, dass der Anbieter Tokuyama zwar an einem neuen Verfahren zur Abscheidung mit dem Namen Vapour to Liquid Deposition arbeitet, jetzt aber trotzdem mit dem Siemensverfahren expandieren will. Auch die anderen Großen, Hemlock und selbst Wacker, haben Pläne für eine kräftige Produktionserweiterung nach dem konventionellen Verfahren. Auch die Neueinsteiger verwenden bis auf JSSI das Siemensverfahren. Nach einer Analyse von Henning Wicht von Isuppli wird der Marktanteil bis 2011 nur um 16 Punkte auf 69 Prozent fallen. Die Hersteller arbeiten schon seit vielen Jahren daran, die Kosten für die Polysiliziumherstellung zu reduzieren. „Manmuss das Siemensverfahren neu überdenken. Es steckt ein Kostensenkungspotenzial sowohl in der Anlagerung als auch in den erforderlichen Reinigungs- und Recyclingverfahren“, sagt auch Friedrich-Wilhelm Schulze, Geschäftsführer der PV Silicon Forschungs und Produktions GmbH. Er meint damit den relativ neuen Trend bei den Herstellern, ihre Verfahren nicht mehr auf die hohen Reinheitsanforderungen der Halbleiterindustrie auszurichten, sondern auf die weniger strengen Qualitätsanforderungen, die das Material haben muss, das für Solarzellen verwendet wird.
Neue Verfahren noch im Entwicklungsstadium
Vijay Shankar Murthy von Frost & Sullivan ist der Ansicht, dass das Siemensverfahren den Markt noch mindestens in den nächsten fünf Jahren dominieren wird. „Die meisten neuen Verfahren sind noch stark im Entwicklungsstadium. Es dauert mindestens noch zwei, drei Jahre, bis mit ihnen kommerzielle Mengen Solarsilizium produziert werden können.“ Dann allerdings wird der Markt differenzierter sein. „In Zukunft wird es FBR-Anlagen, sehr große Siemensanlagen und UMG-Anlagen der Oberklasse geben“, sagt Kurt Levens von REC. Auch die Produkte werden weiter differieren: Es wird Silizium in mehr unterschiedlichen Reinheitsgraden geben.Erling Paulsen von Elkem Solar zeichnet ein ähnliches Bild: „Ich bin mir ziemlich sicher, dass das FBR-Verfahren und das, was wir machen, auf die Unternehmen, die das Siemens-Standardverfahren einsetzen, Druck ausüben wird, besonders auf die Marktneulinge.“ Insbesondere könnte das nach Auffassung von Isuppli-Analyst Wicht Probleme geben, wenn „Markteinsteiger ihre Geschäftsmodelle auf die höheren Preise und Margen für Silizium in der letzten Zeit aufgebaut haben“.Auch was die Chancen für UMG-Silizium betrifft, ist die Meinung der Experten geteilt. Robert Schramm von der Commerzbank ist skeptisch. „Wenn der Preis für Polysilizium fällt, besteht weniger Anreiz, das UMG-Material zu kaufen.“ Mit anderen Worten, wenn Materialien mit höherem Reinheitsgrad zu niedrigeren Preisen erhältlich sind, so fällt die Entscheidung zugunsten der Materialien mit höherem Reinheitsgrad aus. Eicke Weber, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme, ist anderer Ansicht. „Fallen die Preise für Silizium, kann UMG seine Margen wahrscheinlich besser aufrechterhalten.“Unabhängig davon, wessen Zukunftsvision nun die richtige ist, kann man unter dem Strich davon ausgehen, dass die besonders siliziumhungrigen Hersteller kristalliner Siliziumzellen von neuen Markteinsteigern und Verfahren profitieren werden. Es wird mehr Material geben, die Preise werden sinken. Analysten von Sage Concepts, Isuppli und New Energy Finance prognostizieren deshalb für das kommende Jahr sogar einen Preisverfall von zwischen 30 und 60 Prozent. Es sieht also so aus, als ob Bewegung in den Markt kommt.