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Familientreffen

Das World Conference Center in Bonn machte seinem Namen alle Ehre: Einige Besucher dieser Konferenz trugen nicht Anzug, sondern Kaftan oder andere Nationaltrachten. In den Rauchpausen vor dem früheren Plenarsaal des Bundestages plauderten Italiener und Mongolen, Dänen und Südafrikaner auf Englisch. Und neidisch beäugte ein Thailänder seinen deutschen Gesprächspartner, dem die Wintersonne offenbar warm genug war: „Ich friere hier in vier Kleidungsschichten eingepackt, und Sie stehen bloß in Hemd und Anzug da?“

Für den letzten Programmpunkt der Konferenz hatte die Bundesregierung eine Bezeichnung gewählt, die für eine internationale Tagung eher unüblich ist: Ein „Familien-Foto“ sollte den Kongress abschließen, zu dem Deutschland, Dänemark und Schweden am 26. Januar rund 400 Vertreter von 124 Staaten eingeladen hatten, bei dem Politiker wie Bundesumweltminister Sigmar Gabriel und EU-Kommissar Andris Piebalgs Reden hielten, 45 Delegierte aus aller Welt die Energiepolitik ihrer Regierungen vorstellten und endlich 75 Regierungsvertreter feierlich das Gründungsstatut der Internationalen Agentur für erneuerbare Energie (IRENA) unterzeichneten.Eine unübliche Bezeichnung: Familie. Aber eine treffende. Denn diese Versammlung hatte die mal lockere, mal feierliche Atmosphäre eines Familientreffens: das Treffen einer weltweiten Staatenfamilie, die sich vor einer gemeinsamen Herausforderung sieht. Wie ernst diese Herausforderung ist, machte Gabriel deutlich: „Im November letzten Jahres hat uns die Internationale Energie-Agentur erneut gewarnt“, sagte er, „dass wir mit unserem verschwenderischen Umgang mit Energie auf eine Katastrophe zusteuern. Wenn wir so weitermachen, wird durch dieTreibhausgase fossiler Brennstoffe die Temperatur weltweit um fünf bis sechs Grad steigen. Und das wäre das Ende der Erde, wie wir sie kennen.“ Trockenheiten führten dann zu weiterer Nahrungsmittelknappheit. Extremes Wetter wie die zunehmenden Hurrikane hinterließen Schneisen der Zerstörung. Und das Ansteigen des Meeresspiegels bedrohe fast 700 Millionen Menschen.

Energie für die ganze Menschheit

„Die internationale Gemeinschaft“, so Gabriel, „muss handeln.“ Solarenergie, Geothermie, Windenergie und Biomasse hätten das Potenzial, den Energieverbrauch der Menschheit zu decken – eine immer größer werdende Herausforderung, immerhin wird bis zum Jahr 2050, so merkte EU-Kommissar Piebalgs an, die Weltbevölkerung auf neun Milliarden Menschen wachsen. Zudem können die erneuerbaren Energien laut Gabriel dezentral genutzt werden und auch entlegenen Regionen Strom und Entwicklungsmöglichkeiten verschaffen.An diesem Punkt komme IRENA ins Spiel: Bislang hätten die Subventionierung konventioneller Energieerzeugung und der fehlerhafte Austausch von Technologie und Information den Fortschritt der Erneuerbaren gelähmt. Die Agentur ziele nun auf ihre internationale Verbreitung. Sie werde den Industrie- und den Entwicklungsländern praktische Ratschläge geben und den Transfer von Wissen und Technologie fördern.„Heute nehmen wir unsere gemeinsameVerantwortung endlich wahr“, sagte Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt, das sei die Verpflichtung der Staatenfamilie. Seit langem sei klar, dass „unser auf fossilen Energieträgern aufgebautes Wirtschaftssystem nicht nachhaltig sein kann“. Und auch, dass ein Staat diese Herausforderung nicht alleine angehen könne, und sei er noch so groß. Weltweit bräuchten die Menschen Energie, und Energiefragen hätten auch große außen- und sicherheitspolitische Bedeutung: Das große wirtschaftliche Wachstum in Afrika, Asien und Lateinamerika könne nur weitergehen, solange es eine gesicherte Energieversorgung gebe. Langfristig könnten Ressourcenknappheit und die Konkurrenz um Lagerstätten von Öl, Gas und Kohle sonst immer stärker zu internationalen Spannungen führen. Bereits heute verursachten weiter ansteigende Treibhausgas-Emissionen und der Klimawandel die Vernichtung von landwirtschaftlichen Nutzflächen. Die Folgen seien weiter zunehmende soziale Spannungen, Völkerwanderungen und internationale Konflikte. Eine weitere Eskalation dieser Konflikte lasse sich langfristig nur mit dem massiven Einsatz erneuerbarer Energien verhindern. „Wir haben erkannt“, sagte Erler, „dass wir die Methoden, wie wir Energie herstellen, völlig verändern müssen.“ Das sei ein Prozess, der alle angehe. Und: „Nur wenn alle mithelfen, können wir tragfähige neue Energiesysteme aufbauen, bevor die alten versagen.“ Fossile Energieträger, so Erler, stehen für das Wirtschaften der Vergangenheit,erneuerbare Energien dagegen für das Wirtschaften der Zukunft.

Mehr als Technologie-Transfer

„Ein wahrhaft historischer Moment“, sagte der Energie- und Rohstoffbeauftragte des koreanischen Außen- und Wirtschaftsministeriums Cho Hyun. „Wir sind zu 97 Prozent von Energieimporten abhängig.“ Da sei wohl verständlich, dass seine Regierung großes Interesse an „grünem Wachstum“ habe. „Aber ohne internationale Zusammenarbeit“, stellte Hyun die Bedeutung der neuen Agentur heraus, „ist das nicht möglich.“ Die Abhängigkeit von Energieimporten und die hohen Energiepreise haben in vielen Staaten das Interesse an den Erneuerbaren geweckt. „Wir zahlen europaweit die höchsten Preise für russisches Gas“, sagte etwa der litauische Wirtschaftsminister Dainius Kreivys. „Für uns sind die erneuerbaren Energien deswegen ein ganz besonders aktuelles Thema“.Hier setzen vor allem die Entwicklungs- und Schwellenländer auf die neue Agentur: „Wir erhoffen uns durch IRENA eine konstruktivere Zusammenarbeit“, sagte der ägyptische Elektrizitäts- und Energie-Minister Hassan Ahmed Younis. Eine solche Kooperation werde eine große Rolle bei der Verwirklichung der Ziele seiner Regierung spielen, den Anteil erneuerbarer Energien in seinem Land bis zum Jahr 2020 auf mindestens 20 Prozent zu verdoppeln.Die Hoffnung auf Technologietransfer hat neben anderen Ländern auch Albanien, das der Agentur erst noch beitreten wird:IRENA lasse auf Ratschläge und Fachkompetenz hoffen; die Agentur, so der Generalsekretär des Wirtschafts-, Handels- und Energieministeriums Durim Kraja, werde ein zukunfts- und leistungsfähiges Netzwerk schaffen, das praktische Erfahrungen sammeln und weitergeben wird – Projekte, mit denen die Energiekrise zu meistern ist. Aber für ihre Entwicklung setzen vor allem afrikanische und asiatische Staaten nicht allein auf den Zugang zu den zukunftsweisenden Technologien, den sie sich von IRENA versprechen. Sondern, ganz konkret, auch auf Investoren aus dem Ausland: Der algerische Botschafter Hocine Meghar war nicht der einzige Regierungsvertreter, der bei der Vorstellung der Energiepolitik seiner Regierung auf das Solarenergie-Potenzial seines Landes verwies.IRENA wird aber nicht nur Entwicklungsländern bei der Entwicklung und Modernisierung ihrer Wirtschaft helfen, wie Gabriel versicherte. Auch für die Industrieländer bieten die erneuerbaren Energien noch Wachstumsmöglichkeiten. So werde etwa Deutschland das Ziel, bis 2020 den Anteil der Erneuerbaren am Energiemix zu verdoppeln, nachhaltig vorantreiben – und damit werde sich auch die Zahl der Arbeitsplätze in diesem Segment von derzeit 250.000 nochmals verdoppeln. Dass die erneuerbaren Energien auch „ein gutes Geschäft“ sind, gab die dänische Klima- und Energieministerin Connie Hedegaard zu bedenken. Bislang sei das lebenswichtige Programm der Erneuerbaren im internationalen Raum heimatlos gewesen. IRENAs Best-Practice-Beispiele für alternativeEnergieerzeugung und effiziente Energienutzung könnten ein Leuchtfeuer zur Verbreitung der Erneuerbaren sein. „Und dazu beitragen, dass andere Staaten nicht jene Fehler wiederholen, die wir selber in der Vergangenheit gemacht haben“ – ein Gedanke, den der schwedische Delegierte Bo Diczfalusy in seinem Vortrag weiterspann: „Als kleines Land haben wir noch von anderen zu lernen.“ Zudem wird die Agentur nach Überzeugung des italienischen Botschafters Antonio Puri Purini die Energieversorgung sicherer machen. Und das, so ergänzte sein isländischer Kollege Olafur Davidsson, sei auch ein Beitrag zum Weltfrieden. Dass die Staatenfamilie die Bedeutung der erneuerbaren Energien erkannt hat, zeigt Hedegaard zufolge die Zahl der Gründungsmitglieder: Es sei völlig unüblich, dass mehr als 50 Staaten bereits bei der Gründung einer Agentur dabei sind.

IRENA wächst weiter

Und IRENA, über deren Sitz im Juni entschieden wird, wächst weiter. Nicht nur, dass inzwischen auch Weißrussland Mitglied wurde, Indien vor der Unterzeichnung steht, in Staaten wie Thailand und Großbritannien lediglich noch die Parlamente den Beitritt klären müssen, China zumindest bei der Gründungskonferenz vertreten war und die neue US-amerikanische Regierung die Erneuerbaren auf ihre Tagesordnung gesetzt hat. Auch Japan, so erklärte Yasuo Tanabe vom japanischen Außenministerium in seinem zurückhaltenden und im Gegensatz zu den meisten anderen Beiträgen nicht hinterher veröffentlichten Konferenz-Statement, prüfe einen Beitritt zu IRENA – immerhin, so ließ er doch wissen, will das Land bis 2020 seine Solarenergie-Aktivitäten verzehnfachen.

Albert Dreher