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Für den globalen Durchbruch

Hermann Scheer raucht eine Zigarette nach der anderen. Parteiinterne Querelen erschüttern wieder einmal die SPD. Scheer bezieht mit Protestbrief Stellung. Unter Hochdruck verfasst er in seinem Büro im Haus der Bundestagsabgeordneten in Berlin ein Schreiben an die Parteigenossen. Damit seine Worte die gewünschte Wirkung nicht verfehlen, informiert er die Presse gleich mit. Er versichert sich, dass seine Nachricht auf den richtigen Schreibtischen angekommen ist.

Dann kehrt Ruhe ein. Denn es geht um ein Thema, dessen Tragweite größer ist als die Machtkämpfe in der SPD und das in Zukunft den Weltmarkt für Energie nach haltig durcheinanderbringen könnte: die Gründung einer internationalen Agentur für Erneuerbare Energien „Diese deutsche Initiative ist unser Beitrag für die Weltentwicklung.“

2009 soll gegründet werden

Nächstes Jahr im Januar soll die Internationale Agentur für Erneuerbare Energien, kurz IRENA, aus der Taufe gehoben werden. Als kraftvolle internationale Regierungsorganisation soll sie ihren Mitgliedsländern helfen, Energie aus Sonne, Wind und Biomasse in großem Stil einzuführen und endlich zum globalen Durchbruch zu verhelfen. Besonders die Ent wicklungsländer sehen darin eine Chance, sich vom Weltmarkt für Kohle, Erdöl und Atomstrom unabhängig zu machen. Für die Industrienationen mag das erhebliche Marktpotenzial alternativer Energietechnologien interessant sein. Mindestens 45 Nationen kamen vor wenigen Tagen zur letzten vorbereitenden Konferenz nach Madrid, um Ziele, Satzung und den zukünftigen Sitz der Agentur festzulegen. Ein Vierteljahr vor der Gründung im Januar gibt es noch einiges zu diskutieren.

Lange Zeit standen die Zeichen schlecht für die Gründung einer alternativen Energieagentur. Hermann Scheer und sein Verein Eurosolar machten 1989 einen ersten Vorstoß, doch die IRENA wurde nicht in die Agenda 21 aufgenommen. Als sie 2002 ins Koalitionsprogramm der rot-grünen Bundesregierung aufgenommen wurde, scheiterte sie erneut: an der Kritik aus den eigenen Reihen. Der damalige grüne Bundesumweltminister Jürgen Trittin war von der Notwendigkeit der Agentur nicht überzeugt. „Wir hatten den Eindruck, dass es genügend andere internationale Organisationen gibt, die sich mit erneuerbaren Energien befassen“, sagt Olaf Denter, wissenschaftlicher Mitarbeiter von Jürgen Trittin. Scheer schüttelt darüber nur den Kopf. „Nichtregierungsorganisationen können nicht dasselbe leisten wie eine internationale Regierungsorganisation. Das ist doch ganz klar.“

Netzwerke sind nicht genug

An Netzwerken wie REN21 seien die Regierungen zwar beteiligt, sie hätten aber keine institutionelle Kompetenz und auch kein nennenswertes Budget. Auf dem Gemälde hinter ihm ragt ein überdimensionaler Streichholzkopf aus dem schwarzen Hintergrund hervor. Es ist besser, ein kleines Licht anzuzünden, als über die große Dunkelheit zu schimpfen, steht dort. Kleine Lichter mögen Hoffnung spenden, Hermann Scheer will lieber gleich den Wandel.

2005 machte er unter der großen Koalition einen erneuten Vorstoß. „Wir wollten die Bildung eines Bündnisses mit Ländern, die die Notwendigkeit einsehen“, sagt er. Darum wendet sich die deutsche Regierung direkt an mögliche Mitglieder und schickt im Frühjahr 2007 Sonderbotschafter zu Sondierungsgesprächen nach Afrika, Asien und Südamerika. Sie sollen im Dialog mit den Regierungen mögliche „Clubmitglieder“, wie Scheer sie nennt, ausfindig machen. Die Überzeugungsarbeit zeigt Wirkung: 170 Teilnehmer aus fast 60 Ländern kommen im Frühjahr 2008 zu einer Vorbereitungskonferenz nach Berlin.

Fast zwei Drittel davon sind Entwicklungs- oder Schwellenländer. Für strukturschwache Nationen sind Strom und Wärme aus Sonne, Wasser und Biomasse von besonderem Interesse. Mehr als zwei Milliarden Menschen weltweit haben keinen Zugang zu sauberer und sicherer Energie. Holz und Dung sind oft die einzigen Energiequellen. Sonnenenergie in Wüstengebieten oder Windenergie in Küstenregionen könnten die ländlichen Bevölkerungen dort versorgen, wo keine Stromnetze vorhanden sind. Und sie könnten die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen schmälern, deren Preise auf dem Weltmarkt schwanken und die in Zukunft wohl unerschwinglich werden.

Eine notwendige Alternative

Der pakistanische Regierungsabgesandte Irfan Afzal Mirza setzt große Hoffnungen in die neue Agentur: „Mit der IRENA werden sich die Technologien zur Gewinnung erneuerbarer Energien in den Entwicklungsländern sehr schnell entfalten.“ Die IRENA soll alles Wissen und alle Erfahrungen mit erneuerbaren Energien bündeln und den Mitgliedern zur Verfügung stellen. Sie soll Regierungen – nicht nur die aus armen Ländern – beraten, wie sie das Potenzial ihres Landes am besten ausnutzen können. Ob ausgedehnte Windanlagen im mehrstelligen Megawattbereich das Richtige sind oder Minisolarmodule, die eine einzige Glühbirne in einer Hütte zum Leuchten bringen, hängt von den geografischen Bedingungen ab, dem Finanzhaushalt der Regierung und der Alltagskultur der Bevölkerung.

Die IRENA soll helfen, die rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen und politische Programme zur Förderung erneuerbarer Energien auf den Weg zu bringen. Und natürlich Fachkräfte ausbilden, die die neue Technologie instand halten können. Die neue Agentur soll aber auch die Stimme werden, die die Interessen der erneuerbaren Energien international vertritt und den Vorsprung konventioneller Energien aufholt. Dafür muss sie eine ganz eigene Agenda schaffen. „Auf der einen Seite steht die Zollfreiheit für den internationalen Handel mit primären Energien, auf der anderen Seite Zölle bis zu 80 Prozent, wenn es um die Technologie zur Gewinnung erneuerbarer Energien geht“, sagt Scheer. „Die Technologien sind das Äquivalent zu den Rohstofflieferungen.“ Also sollten Konzentratorzellen und Windräder in der Zukunft ohne Aufschläge zwischen den Ländern gehandelt werden. Die IRENA soll die Entwicklung internationaler Normen vorantreiben. „Völlig unterschiedliche Normen und Standards stellen ein Einführungshindernis dar. Sie können schädliche Konkurrenz hervorrufen statt eines produktiven Wettbewerbs, der auf Marktentfaltung ausgelegt ist“, sagt Scheer.

Den Feind als Vorbild

Trotz reger Diskussionen auf der ersten Konferenz kommen zu den Workshops Ende Juni nur noch 44 Länder, um die Aufgaben zu konkretisieren. Tschechien, Neuseeland und andere sind scheinbar abgesprungen. Für Scheer kein Grund zur Beunruhigung: „Als die Internationale Atomenergiebehörde 1957 gegründet wurde, waren es weniger als 20 Gründungsmitglieder. Nach drei bis vier Jahren 100, heute sind es über 140.“ Der Erfolg der IAEA ist das erklärte Vorbild der IRENA. So wie sie dem Atomstrom in kurzer Zeit zur weltweiten Verbreitung verholfen hat, soll die IRENA die Nutzung alternativer Energiequellen vorantreiben. „Es geht darum, eine Art von institutioneller Waffengleichheit zu schaffen“, sagt der SPD-Mann. Die IAEA hat ein jährliches Budget von fast 300 Millionen Euro und 2.200 Angestellte.

Die IRENA wird bescheidener starten. Monika Frieling vom Bundesumweltministerium, die die Gründungsphase der IRENA betreut, hält 25 Millionen Dollar für einen realistischen Startbetrag. 100 bis 150 Mitarbeiter könnten damit beschäftigt werden. Der Beitrag, den jedes Land entrichten wird, hängt von der Größe des jeweiligen Staatshaushaltes ab. So könnten auch Entwicklungsländer mit von der Partie sein. Das ist wichtig für die weltweite Förderung erneuerbarer Energien. „Die EU-Staaten beispielsweise können sich Kompetenz selber einkaufen“, sagt Frieling. So kurz vor der Gründung dringt wenig nach außen. Die Statuten müssen im Detail festgelegt werden. Bonn, Madrid und Wien wollen den Sitz der Agentur beherbergen, und die neue Organisation braucht einen Präsidenten. Die Gründung ist ein diplomatischer Prozess, und viele Länder wollen auch noch keine definitive Zusage über ihren Beitritt machen. Andere dagegen schon: Argentinien, Kolumbien und Mexiko, Ägypten, Jordanien, Indien und Pakistan sind fest entschlossen dabei zu sein. „Definitiv erklärte Mitgliedschaften haben wir schon zwischen 30 und 40“, sagt Scheer. „Auch China hat Interesse signalisiert.“ Die stärksten Verbündeten sind Spanien und Dänemark, die schon zu Mitinitiatoren gezählt werden könnten. „Spanien hat sich genauso wie Dänemark oder Deutschland der Gründung der IRENA ganz verschrieben“, sagt Rafael Conde de Saro vom spanischen Außenministerium, das letztes Jahr von den deutschen Sonderbotschaftern angesprochen worden war. Er würde den Sitz der IRENA gerne nach Madrid holen – als Zeichen der uneingeschränkt positiven Haltung, die sich in Spanien gegenüber den erneuerbaren Energien herauskristallisiert hat. Absagen sind von Kanada, den USA und Japan gekommen. Scheer will sich nicht aus der Ruhe bringen lassen: „Das sind nur vorläufige Sachen. Denn aus Absagen können, wenn die Agentur erst einmal besteht, Zusagen werden.“ In den USA forderte der demokratische Kongressabgeordnete Edward Markey den Präsidenten der Vereinigten Staaten, George W. Bush, im März dieses Jahres auf, sich der Gründung der IRENA anzuschließen. Er beschwerte sich schriftlich bei Außenministerin Condoleezza Rice, als die USA keine Delegation zur ersten Schnupperkonferenz nach Berlin sandten.

Pragmatischer Sinneswandel

Jonathan Phillips, Sprecher des Kongressabgeordneten, zeigt sich dennoch gelassen: „Wir warten jetzt einfach die Wahlen ab. Auch wenn die Demokraten ganz andere Vorstellungen von Energie- und Klimapolitik haben als die Republikaner, ein Präsident Obama oder ein Präsident McCain würde die internationale Agentur ganz anders zu würdigen wissen als die Bush-Regierung in den letzten sechs Monaten“, spekuliert er. Denn bisher hat keiner von beiden zu dem Thema Stellung bezogen. Phillips sieht das pragmatisch. Schließlich sei die Teilnahme an der IRENA eine gute Gelegenheit, das ramponierte Image der USA in der Welt wieder ins Lot zu bringen. „Jeder mag erneuerbare Energien. Das wäre doch ein einfacher erster Schritt für uns.“ Und eine gute Gelegenheit, das heimische Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Sicherlich würde eine Teilnahme an den internationalen Märkten in der Zukunft Vorteile mit sich bringen. Auch die politischen Hürden gelte es abzubauen, um die Märkte für die amerikanischen Produkte der Zukunft zu erschließen.

Auf der anderen Seite des Atlantiks dürfte man für solche Ansagen wenig Verständnis haben. Entweder halten sich die Initiatoren der IRENA mit Aussagen über ihre nationalen Interessen mehr zurück als ihre amerikanischen Kollegen, oder sie haben tatsächlich grundlegend andere Vorstellungen, was die IRENA leisten soll. „Alle Länder werden davon profitieren“, glaubt der spanische Abgesandte Conde de Saro. „Wir stehen alle vor der gleichen Herausforderung und haben einzeln einige der möglichen Lösungen.“ Scheer hält an seinem Idealismus fest: „Es ist sicher, dass die IRENA keine Handelsorganisation werden wird.“ – „Für Deutschland ist die Agentur eigentlich gar nicht nötig“, sagt er. Aber für die Welt. u

BD