Alles, bloß das nicht, mag sich Barack Obama gedacht haben, als im September Amerikas bekanntester Umweltaktivist Bill McKibben mit einem Lieferwagen ums Weiße Haus kurvte: mit einer thermischen Solaranlage auf der Ladefläche. Es war die Solaranlage, die Jimmy Carter während seiner Präsidentschaft auf dem Dach des Weißen Hauses angebracht hatte und die Ronald Reagan einige Jahre später wieder abmontieren ließ. Obama solle die Kollektoren wieder auf das Dach schaffen, forderte McKibben, und neue Anlagen noch dazu. McKibben wurde kühl von zwei Beamten empfangen, die sogar ein gemeinsames Erinnerungsfoto verweigerten. Die hätten vermutlich geglaubt, „dass es ebenso schlimm sei, mit Jimmy Carter in Verbindung gebracht zu werden, wie mit Kopfläusen“, ließ McKibben hinterher verlauten. Erst vier Wochen später lenkte Obama ein: Im nächsten Frühjahr soll eine neue Solaranlage auf das Weiße Haus – weit nach den Midterm Elections vom November.
Vielleicht zeigt keine andere Episode so symbolisch, was mit Obamas Präsidentschaft schiefgelaufen ist, seitdem er 2008 nach seinem Sieg bei den Vorwahlen verkündet hatte, seine Amtszeit werde ein Wendepunkt für zwei Themen: Gesundheit und Klimaschutz. Zwei Jahre später, im Sommer 2010, scheiterte das Klimagesetz im Senat. Und vor den Wahlen im November fürchtete sich Obama vor dem Vergleich mit Jimmy Carter – dem glücklosen vorletzten demokratischen Präsidenten, der seine Landsleute mit Reden übers Energiesparen nervte und es nur auf eine Amtszeit brachte.
Genutzt hat Obama die Rücksichtnahme nicht viel: Bei den Halbzeitwahlen verloren die Demokraten ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus, im Senat reduzierte sich die Mehrheit auf 51 von 100 Sitzen. „Damit wird es in den USA auf Jahre hinaus kein umfassendes Klima- und Energiegesetz geben. Und bei der Klimakonferenz in Cancún und danach sind dem Präsidenten die Hände gebunden“, sagt Alexander Ochs vom Worldwatch Institute in Washington.
Wenn sich dieser Tage die Staats- und Regierungschefs zur Klimakonferenz im mexikanischen Cancún versammeln, hat Pessimismus Hochkonjunktur. Die Vorgängerkonferenz in Kopenhagen endete ohne verbindliches Abkommen, aus europäischer Sicht aufgrund der Blockadehaltung Chinas und der USA. Vor allem die Hoffnung auf Obamas Klimagesetz hielt die Hoffnung aufrecht, auf den Folgekonferenzen in Cancún 2010 und Durban 2011 doch noch zu einer Übereinkunft zu kommen. Scheitert auch Durban, stünde die Welt ohne Klimavereinbarung da – das Kyoto-Abkommen läuft 2012 aus.
Kein Rückenwind für Obama
Was also ist von den USA und China in der Klimapolitik zu erwarten? In den USA lohnt zunächst einmal ein Blick darauf, warum das Klimagesetz gescheitert ist. Ochs führt dies vor allem auf das politische System und die politische Situation nach der Wirtschaftskrise zurück: auf die 60-Prozent-Mehrheit, die im Senat zur Verabschiedung eines Gesetzes notwendig ist, wenn man keine Blockade durch einen sogenannten Filibuster – eine zermürbende Abstimmungstaktik im Senat – riskieren will, die Lobbyisten in Washington, die traditionelle Abneigung der Amerikaner gegen „big government“. Und, sagt Ochs: „Obama hat schon bei den Themen Banken-Bailout, Gesundheit und Immigrationspolitik die Prioritäten gesetzt, alles hochideologisch besetzte Themen, so dass beim Thema Klima nicht mehr genug Rückenwind da war.“ Zumal die Klimapolitik selbst zu den ideologisch aufgeladenen Themen gehört. Nach einer Studie des Pew Institute vom Oktober 2010 glauben bei den Demokraten nur 14 Prozent nicht an den Klimawandel. Bei den Republikanern aber sind die Klimaleugner mit 53 Prozent in der Mehrheit – und unter den Anhängern der Tea-Party-Bewegung sind es sogar 70 Prozent.
Stümperhafte US-Administration
Wahr ist aber wohl auch: Das Klimagesetz ist in den USA auch an den Demokraten selbst gescheitert, an der Opposition von Senatoren vor allem aus den Kohlestaaten und dem stümperhaften Vorgehen der Obama-Administration. Der bekannte Journalist Ryan Lizza hat kürzlich im „New Yorker“ detailliert nachgezeichnet, wie Uneinigkeit, Unfähigkeit und fehlende Koordination das Klimagesetz zu Fall brachten. Der Demokrat John Kerry, der Unabhängige Joe Lieberman und der Republikaner Lindsey Graham hatten versucht, in einer überparteilichen Initiative die Mehrheit für das Gesetz zustande zu bekommen. Laut Lizza scheiterte der Versuch an zwei Faktoren: Die wenigen sympathisierenden Republikaner gerieten unter den Druck der stärker werdenden Tea-Party-Bewegung – und das Weiße Haus verkündete in mangelnder Abstimmung mit den Senatoren regelmäßig genau das als fertigen Beschluss, was diese erst als Zugeständnis im Verhandlungsprozess anbieten wollten. Kerry, Lieberman und Graham standen schließlich mit leeren Händen da. Als Harry Reid, Führer der Demokraten im Senat, schließlich überraschend verkündete, vor einem Klimagesetz stünde zunächst ein neues Immigrationsgesetz auf der Tagesordnung, stieg Graham aus – und die notwendige Mehrheit wurde unerreichbar.
Ob die Obama-Administration ihre Zaghaftigkeit und Fehler abstellen kann, ist in den nächsten zwei Jahren entscheidend. Denn auch wenn die Mehrheit im Repräsentantenhaus dahin ist: Der schon lange diskutierte Plan B steht Obama nach wie vor offen, nämlich die Einführung eines Emissionshandels per Verordnung durch die Environmental Protection Agency (EPA), die zentrale Umweltbehörde der USA. 2007 ermöglichte der Oberste Gerichtshof der EPA erstmals die Regulierung von Treibhausgasen. Von 2012 an reguliert die Behörde nun den Ausstoß von Pkw-Abgasen, schon ab 2011 müssen Großbetriebe ihren Ausstoß durch die EPA genehmigen lassen. Auch den Emissionshandel könnte die EPA verordnen.
Allerdings: Der Kongress kann der EPA ein solches Vorgehen untersagen, und obwohl die Demokraten im Senat noch über eine Mehrheit verfügen, ist nicht ausgemacht, ob sie diese auch nutzen. Bereits im Januar 2010 scheiterte ein Antrag der republikanischen Senatorin Lisa Murkowski, der EPA die Regulierung von Treibhausgasen zu untersagen, nur mit 47 zu 53 Stimmen; sechs Demokraten stimmten ihr zu. Im neuen Senat (51 Demokraten plus zwei Unabhängige, 47 Republikaner) sind noch vier dieser sechs vertreten. Bei einem erneuten Vorstoß könnten die Republikaner also eine Mehrheit bekommen – welche die übrigen Demokraten mit einem Filibuster abwehren müssten.
Fortschritte in Kalifornien
Schließlich bleibt noch Plan C – den es nicht offiziell gibt, der aber in der Praxis umgesetzt werden dürfte, wenn auch Plan B nicht opportun erscheint: eine Mischung aus Regulierung in den einzelnen Bundesstaaten verbunden mit dem parallelen Aufbau erneuerbarer Energien, so dass in einigen Jahren eine mächtige Erneuerbaren-Lobby der Öllobby gegenübersteht. Wie erfolgreich eine solche Kombination schon heute sein kann, zeigt das Beispiel Kalifornien. Dort hatte mit Arnold Schwarzenegger ein
aus Europa stammender Republikaner das fortschrittlichste Klimagesetz der USA verabschiedet. Im Frühjahr 2010 machte ein Bündnis, finanziert von diversen Ölkonzernen, gegen das Schwarzenegger-Gesetz mobil und erreichte die notwendige Unterschriftenzahl für ein Volksbegehren. Doch vor der Abstimmung ging den Initiatoren allmählich das Geld aus, die Gegenlobby aus Umweltverbänden, Erneuerbaren-Lobby und reichen Geschäftsleuten sammelte viermal so viel an Spenden für ihre Kampagnen und drehte die Stimmung. Schwarzeneggers Gesetz gewann im November mit 61 Prozent. Inzwischen haben eine Reihe von Bundesstaaten eigene Klimagesetze. Sieben US-Staaten, darunter Kalifornien, Washington und Oregon, haben sich zusammen mit kanadischen Provinzen zur Western Climate Coalition zusammengeschlossen, die sich als Ziel gesetzt hat, bis 2020 den Treibhausgasausstoß um 15 Prozent gegenüber 2005 zu reduzieren. Zu diesem Zweck soll ab 2012 ein Emissionshandelssystem eingeführt werden.
Und was heißt das für Cancún und Durban? Auf formaler Ebene nichts. Weil den USA auf der Gesetzgebungsebene die Hände gebunden sind, ist von ihnen keine Unterschrift unter ein verbindliches Abkommen zu erwarten – und falls doch, dürfte es wie schon das Kyoto-Protokoll nicht ratifiziert werden. Aber für den moralischen Kredit der USA dürfte insbesondere Plan B wichtig sein.
Positive Dynamik in China
Viele Klimalobbyisten hoffen daher auf ein anderes Land, das bisher eher als Blockierer gilt: China. „Dort gibt es in den letzten zwei Jahren erstaunlich viel positive Dynamik in der Klimapolitik“, sagt Christoph Bals von Germanwatch. China hat sich in Kopenhagen zu einer 40- bis 45-prozentigen Reduktion seiner Kohlenstoffintensität bis 2020 gegenüber 2005 verpflichtet. In absoluten Zahlen bedeutet dies allerdings nach wie vor einen Anstieg der CO2-Emissionen – abhängig von der Höhe des Wirtschaftswachstums. Bals gesteht China den höheren Kohlendioxid-Ausstoß auch zu, jedenfalls in Relation zu den USA und Europa: „Zwischen 2020 und 2030 müsste dann aber auch dort der Höhepunkt des Ausstoßes kommen und danach eine deutliche Reduktion, wenn es noch mit dem Zwei-Grad-Ziel vereinbar sein soll.“
Warum Bals auf China setzt, liegt auch an der Art der Debatte: „Dort wird nicht demokratischer, aber rationaler über die Klimafrage debattiert. Es ist nicht so, dass es in China keine Klimaskeptiker gibt, aber das fast mafiöse Netzwerk derer, die in den USA den Klimawandel leugnen und dabei von der fossilen Energielobby unterstützt werden, sehen wir nicht in gleichem Ausmaß. China versucht, eine Expertendiktatur zu sein, und gibt von daher Wissenschaftlern ein großes Gewicht bei seinen Entscheidungen.“ In China, glaubt Bals, sehe man, dass man auf einen „großen Konflikt mit den USA zusteuert, wenn man immer mehr Öl braucht und importieren muss“. Beim Mehrheitsflügel in der Kommunistischen Partei gehe die Angst um, dass „über kurz oder lang das Land auseinanderfliegt, wenn die Polaritäten zwischen Arm und Reich und die Umweltprobleme überhand nehmen“.
Im September 2010 kletterte China erstmals an die Spitze des Renewable Energy Country Attractiveness Indices der Unternehmensberatung Ernst & Young. Bis 2020 will China mindestens 420 Gigawatt an Erneuerbaren installiert haben, davon 20 Gigawatt Photovoltaik. Bals glaubt allerdings, dass diese Zahl noch revidiert werden wird, schließlich habe das Land bis 2008 kaum eigene Photovoltaikanlagen installiert, weil das Geschäft in Deutschland lohnender gewesen sei. Dennoch ist fraglich, ob sich China in Cancún oder auch in Durban auf ein Abkommen einlässt. Beim letzten Vorbereitungstreffen stockten die Verhandlungen an den alten Knackpunkten: China will sich nicht auf verbindliche Reduktionsziele festlegen und sich auch nicht auf eine Kontrolle der eigenen Ziele von außen einlassen. Die USA drohten daraufhin mit ihrem teilweisen Rückzug aus den Verhandlungen, China wiederum verlangte Geld und Klimaschutztechnologien aus dem Westen und nannte die US-Position „inakzeptabel“.
Auch Europa muss handeln
Trotz dieser Gemengelage warnt Ochs die Europäer davor, China und die USA bei einem eventuellen Scheitern als Sündenböcke zu brandmarken. „Die Europäer sind, seitdem Obama an der Macht ist, in ihren alten Fehler zurückgefallen: Sie erwarten die Führungsstärke aus den USA. Und wenn die nicht kommt, dann versteift man sich darauf, Amerika zum Buhmann zu machen“, kritisiert Ochs. „Wenn Europa sagt, Klimaschutz ist ein Bereich, wo wir die Führungsrolle einnehmen wollen, dann muss man diese nach innen und außen demonstrieren. Und das heißt nach innen: weiter vorangehen von minus 20 auf minus 30 Prozent CO2-Reduktion, Erneuerbare und Energieeffizienz noch schneller ausbauen, mit neuen und ehrgeizigen Programmen.“ Und nach außen müsse Europa einen „Weg aus der Misere“ aufzeigen und verschiedene Bündnisse eingehen: mit den Amerikanern etwa bei internationalen Finanzfragen oder beim Waldschutz, mit China in der Green Economy, mit anderen Ländern bei einem Kyoto-II-Abkommen – eine neue Art „Koalition der Willigen“.
„Man darf sich nicht von dem Global-Governance-Ansatz abhängig machen: eine Konferenz, auf der alle Maßnahmen beschlossen und von oben nach unten durchgesetzt werden“, sagt Ochs. Denn wenn Cancún und Durban scheitern, könnte die Verhinderung des Klimawandels ein Prozess mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und ohne zentrale Steuerung werden. Die Frage ist nur, ob er schnell genug kommt, so dass die Erderwärmung auch tatsächlich gebremst wird.