Der Bruttostromverbrauch sinkt und gleichzeitig steigen die Kohlendioxidemissionen. Das klingt paradox. Doch es lässt sich erklären. Die Bundestagsfraktion von B90/Grüne hat dazu eine neue Studie veröffentlicht.
Im vergangenen Jahr sind die Kohlendioxidemissionen aufgrund der Energieversorgung vermutlich im 0,7 Prozent angestiegen. Pusteten die Strom- und Wärmeerzeuger in Deutschland im Jahr 2015 noch 902 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre, waren es im vergangenen Jahr 906 Millionen Tonnen. Zu dieser Einschätzung kommen die Analysten des Berliner Beratungsinstituts Arepo Consult, die sie jetzt in einer Studie veröffentlicht haben. Diese wurde im Auftrag der Bundestagsfraktion von B90/Grüne erstellt. Die Einschätzung beruht auf den Zahlen der AG Energiebilanzen, die einen erhöhten Primärenergieverbrauch festgestellt hat.
Drei Treiber des Primärenergieverbrauchs
Die Analysten führen den gestiegenen Ausstoß von Treibhausgasen vor allem auf die gestiegene Gesamtstromerzeugung zurück. Zwar ist der Bruttostromverbrauch im vergangenen Jahr gesunken und damit auch der Kohlendioxidausstoß, der aus diesem Stromverbrauch resultiert. Zumal der Anteil des Kohlestroms im Netz leicht zurückgegangen ist, dafür aber vor allem der Anteil von Erdgas an der Stromerzeugung zugelegt hat. Doch hat Deutschland im vergangenen Jahr einen neuen Rekord beim Stromexport erreicht, was die Gesamtstromerzeugung in die Höhe treibt und die Treibhausgasbilanz belastet.
Zwei weitere Treiber des Kohlendioxidausstoßes sind die Wärmeerzeuger und vor allem die Mobilität. Die meisten Heizungen in Deutschland werden immer noch mit fossilen Energieträgern betrieben – meist mit Gas, inzwischen immer weniger mit Heizöl, dessen Verbrauch um drei Prozent im Vergleich zu 2015 zurückgegangen ist. Aufgrund der kalten Witterung im ersten Quartal des vergangenen Jahres stieg der Wärmebedarf und damit der Verbrauch vor allem von Erdgas, das in den deutschen Kellern verheizt wurde. Strom- und Wärmesektor zusammengenommen erhöhte sich der Erdgasverbrauch um 9,5 Prozent im Vergleich zu 2015.
Mineralölverbrauch steigt
Der Anstieg des Ölverbrauchs im vergangenen Jahr liegt aber vor allem am Straßen- und Flugverkehr. So haben die Deutschen im Jahr 2016 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 4,1 Prozent mehr Diesel verbraucht. Der Verbrauch an Flugkraftstoff stieg sogar um 5,9 Prozent. Der Anteil der Kraftstoffe für Autos, Flugzeuge, Schiffe und Lokomotiven am Mineralölverbrauch ist um drei Prozent auf 62 Prozent angewachsen.
Diese Verschiebungen sorgen für einen steigenden Kohlendioxidausstoß. „Dabei wäre eine deutliche Verringerung der Emissionen dringend nötig, um die Klimakatastrophe abzuwenden“, kritisieren die Abgeordneten der Fraktion von B90/Grüne im Bundestag. „Die Zahlen bestätigen: Programme und Maßnahmen der großen Koalition tragen den Klimaschutz nur im Titel. In der Substanz sind sie wirkungslos. Seit Jahren bewegt sich wenig bis gar nichts trotz der Investitionen und Förderprogramme.“
Wärmewende kommt nicht voran
Tatsächlich droht ein Verfehlen der Klimaschutzziele, wenn nicht bald die Energiewende wieder Fahrt aufnimmt. So hat die Ökostromproduktion im vergangenen Jahr um gerade mal 0,5 Prozent zugelegt. Der Rückgang von Kohle- und Atomstrom wurde durch einen überproportionalen Anstieg von Erdgas im Strommix kompensiert. Die Wärmewende kommt ebenfalls nicht vom Fleck. Wie der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft jüngst festgestellt hat, heizt Deutschland immer noch mit Gas. Im Neubau passiert da schon einiges. Immerhin 23,4 Prozent der Bauherren entscheiden sich für eine Wärmepumpe und 23,8 Prozent für den Anschluss an ein Fernwärmenetz. Doch 44,4 Prozent der Bauherren installieren immer noch Gaskessel, um ihre Gebäude zu beheizen.
Das Problem ist aber der Bestand. Immerhin jede zweite Bestandswohnung wird mit Erdgas beheizt. In vielen Hauskellern bollern zudem noch meist uralte Heizölkessel. Hier haben die Wärmepumpen einen Anteil von kläglichen 1,8 Prozent. „Im Heizungskeller stecken Riesenpotentiale für die Energiewende“, betont Stefan Kapferer, Vorsitzender der BDEW-Hauptgeschäftsführung. „Für die Klimaschutzziele muss die Politik den Sanierungsstau wirkungsvoll adressieren. Das funktioniert am besten über Steuerabschreibungen.“
Die Bundestagsfraktion von B90/Grüne fordert zudem mit Blick auf die Ergebnisse der Studie, dass in den nächsten Jahren die schmutzigsten Kohlekraftwerke schleunigst vom Netz genommen werden müssen. „Und wir brauchen endlich einen Masterplan im Verkehrsbereich, damit wir wegkommen von der Abhängigkeit vom klimaschädlichen Erdöl“, betonen die Abgeordneten. Sie plädieren für eine stärkere Verlagerung des Warentransport auf die Schiene. Zudem müssen endlich die Voraussetzungen geschaffen werden, damit sich Elektroautos in Deutschland durchsetzen können. (Sven Ullrich)