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Kosten des Erwachsenwerdens

Viel nüchterner als Bernd Engel kann man nicht beschreiben, wie Anlagenbetreiber in den nächsten Monaten eventuell vor den Kopf gestoßen werden. Anfang März saß er auf dem Podium einer Diskussionsveranstaltung beim Branchentreff Bad Staffelstein und skizzierte mit knappen Worten, was es zu vermeiden gilt. „Wahrscheinlich wird es so sein, dass aufgrund einer Vorgabe – von der Bundesnetzagentur oder der Politik – alle Netzbetreiber ihre Anlagenbesitzer anschreiben“, sagte der Bereichsleiter für Technologie und Entwicklung von SMA. „Wahrscheinlich mit einer Drohung, dass keine Vergütung mehr bezahlt wird, wenn sie nicht ihre Wechselrichter umrüsten.“ In diesem Szenario werden die Betreiber „vor den Kopf gestoßen und natürlich nicht freundlich“ diverse Hotlines anrufen und bei Netzbetreibern, Wechselrichterherstellern und Installateuren den Frust ablassen.

Der dahinterstehende Konflikt war eines der zentralen Themen auf der diesjährigen Tagung, die nicht ohne Grundeinen Schwerpunkt beim Thema Netzintegration hatte. Der Moderator der Podiumsdiskussion, Detlef Koenemann, erklärt das mit einem Vergleich. „Früher war der Solarstrom ein kleiner Tropfen in den Stromnetz-Pool. Heute ist er schon ein Eimer Wasser.“ An sonnigen Sommertagen tragen die deutschen Photovoltaikanlagen bereits zwölf Gigawatt zum Strombedarf bei, der zu Stoßzeiten 80 Gigawatt groß ist. Genau genommen sind es also etliche Badewannen, die der Pool aufnehmen muss, ohne überzulaufen. Dieser Bedeutungszuwachs der Photovoltaik ist der Grund dafür, dass die Experten über eine nachträgliche Umrüstung der meisten Wechselrichter nachdenken, die in das Niederspannungsnetz einspeisen. Es betrifft allein 1,5 Millionen Geräte des Herstellers SMA.

Gefahr fürs Stromnetz

Die Ursache liegt in einer Richtlinie aus dem Jahr 2005. Danach müssen sich alle Photovoltaikanlagen abschalten, wenn die Netzfrequenz über 50,2 Hertz steigt.Das war vor Jahren eine sinnvolle Idee. Denn eine so hohe Frequenz weist auf größere Netzprobleme hin, und im Störfall wollten die Netzbetreiber die Photovoltaik schlicht vom Netz haben. Da die installierte Photovoltaikleistung viel stärker als vorhergesehen gestiegen ist, hat sich die Situation aber geändert. „Ein schlagartiger Ausfall würde dazu führen, dass das europäische Stromnetz zusammenbricht“, sagt Ludger Meier, Leiter Bau und Betrieb beim Transportnetzbetreiber Amprion und außerdem Vorsitzender des Forums zur Weiterentwicklung von Netztechnik und Netzbetrieb (FNN) beim VDE, in dem die Experten über die Richtlinien entscheiden. Deshalb hat die Bundesnetzagentur Ende des Jahres 2010 die Netzbetreiber und Wechselrichterhersteller aufgefordert, eine Lösung zu finden.

Die Netzfrequenz steigt, wenn mehr Leistung eingespeist als verbraucht wird, und zwar in ganz Europa gleichzeitig. Die Übertragungsnetzbetreiber müssen die Frequenzabweichungen in einem engen Rahmen halten, indem sie Kraftwerke nach Bedarf schnell hoch- und runterfahren. Deshalb ist es zwar sinnvoll, dass die Solarstromanlagen im Störfall ihre Leistung reduzieren. Sie sollten es aber nicht alle gleichzeitig tun. Denn wenn sich nach der gegenwärtigen Regelung Photovoltaikanlagen gleichzeitig abschalten und auf einen Schlag zehn Gigawatt oder mehr elektrische Leistung ausfallen, müssen das schnelle Regelkraftwerke ausgleichen. Diese können zurzeit aber nur drei Gigawatt Leistung innerhalb von Sekunden bereitstellen und haben nichtgenug Kapazität, den gleichzeitigen Ausfall der Solarstromanlagen aufzufangen. In der neuen Niederspannungsrichtlinie, die vermutlich zum 1. Juli 2011 in Kraft treten und ab 1. Januar 2012 verbindlich sein wird, ist deshalb vorgesehen, dass Wechselrichter mit zur Netzregelung beitragen (siehe photovoltaik 09/2010, Seite 118).

Servicetechniker muss kommen

Die aktuelle Diskussion betrifft jedoch die Altanlagen, zu denen pikanterweise auch die gehören, die zurzeit noch errichtet werden. Sie müssen umprogrammiert oder umparametrisiert werden. „Dazu muss dann ein Servicetechniker kommen und entweder einen Chip austauschen oder per Laptop die veränderte Software aufspielen“, sagt Bernd Engel. Zu den genauen Kosten wollten sich die Experten nicht äußern. Vermutlich liegen sie aber zwischen 100 und 150 Euro pro Photovoltaikwechselrichter.

Wer die Kosten trägt oder wie sie zwischen Netzbetreiber, Wechselrichterhersteller und Anlagenbetreiber aufgeteilt werden, ist eine heikle Frage. Noch betonen alle Gruppen, wie wichtig ihnen der Bestandsschutz ist. Dieser besagt, dass Betreiber nicht rückwirkend zur Kasse gebeten werden können für etwas, was sie nicht zu verantworten haben. Ein Mitarbeiter des Herstellers Kaco wies dabei darauf hin, dass das auch viele potenzielle Photovoltaikkunden verunsichern würde, wenn man den Bestandsschutz für die Betreiber von Photovoltaikanlagen nicht achte.

Ulla Böde von der Bundesnetzagentur sieht das etwas anders. Jetzt könne die Photovoltaikbranche beweisen, dass sie Verantwortung übernehme. Es sei eine gute Chance zu zeigen, dass es „nicht mehr nur die Netzbetreiber und damit über die Netzentgelte die Kunden sind, die die Kosten tragen müssen, sondern auch die Anlagenbetreiber“, sagt sie, von Applaus aus dem photovoltaikfreundlichen Publikum begleitet. Photovoltaik werde von der Allgemeinheit gefördert und könne auch einmal einen Dienst an der Gemeinschaft leisten.

Juristisch ist das allerdings nicht so einfach. „Um eine Rechtsgrundlage für zusätzliche Pflichten der Anlagenbetreiber zu schaffen, muss man die entsprechende Richtlinie oder das entsprechende Gesetz ändern“, sagt Rechtsanwalt Thomas Binder. „Will man auch Bestandsanlagen erfassen, muss der Normgeber dies explizit aufnehmen und klarstellen, wie lange die Übergangsfrist ist.“ Das sei juristisch nicht vollkommen ausgeschlossen, allerdings müsse der Normgeber abwägen zwischen dem Vertrauensschutz, den die Betreiber genießen, und der Notwendigkeit, dass die Umrüstung stattfindet. „Das ist auch eine Frage des Erfordernisses“, sagt Binder.

Auch stellt sich die Frage, ob jemand einen Fehler gemacht hat, zum Beispiel die Netzbetreiber, da sie für die Stabilität der Netze verantwortlich sind und nicht rechtzeitig die Konsequenzen daraus gezogen haben, dass die Zahl der Solarstromanlagen so massiv gewachsen ist. „Es kann aber auch sein, dass niemand einen Fehler gemacht hat, weil man die jetzige Situation nicht voraussehen konnte“, sagt Binder. Wenn allerdings auch die Wechselrichter, die jetzt noch verbaut werden, in einem halben Jahr umprogrammiert werden müssten, sei dies sehr kritisch. Wer ein Gerät erwirbt, kann erwarten, dass es auch in Zukunft nicht gegen verbindliche Richtlinien verstößt, wenn deren Inhalt bereits absehbar ist. Dort sei unter Umständen der Hersteller in der Pflicht.Die Solarexperten in den Gremien haben nach eigenen Angaben allerdings schon Ende 2009 auf das Problem aufmerksam gemacht und für eine einfache Lösung plädiert. Sie wollen die bereits installierten Wechselrichter umparametrisieren, so dass sie sich bei Frequenzen über 50,2 Hertz langsam ausschleichen. Die Geräte, bei denen das technisch nicht möglich ist, sollen so eingestellt werden, dass sie sich nicht mehr alle bei der gleichen Frequenz, sondern bei verschiedenen Frequenzen ausschalten. Das lässt sich zum Beispiel erreichen, indem jeder Wechselrichterhersteller eine andere Ausstiegsfrequenz wählt. Der Mix auf dem Markt sorgt dann automatisch dafür, dass die Solarleistung nicht auf einen Schlag, sondern langsam über einen längeren Zeitraum sinkt.

Dass es bisher noch keine Übergangsregelung in dieser Form gibt, liegt an den unterschiedlichen Interessen der verschiedenen Netzbetreiber. Die Übertragungsnetzbetreiber sind für die Stabilität verantwortlich – sie haben ein großes Interesse an einer schnellen Lösung. Die kleineren Verteilnetzbetreiber und Stadtwerke haben andere Probleme. Sie betreiben die Niederspannungsnetze, an die die Wechselrichter angeschlossen sind, um die es geht. Sie müssen darauf achten, dass ihre Netzersatzanlagen funktionieren.

Die Netzersatzanlagen sind Container, die bei einem Netzproblem in einem Niederspannungsnetz vor Ort gebracht werden und über ein Dieselaggregat den Stromausfall überbrücken. Wenn diese Container arbeiten, sollen sich die Photovoltaikanlagen nicht plötzlich wieder einschalten, nachdem sie sich bei einemNetzproblem zuvor abgeschaltet haben. Bisher geht das mit den Netzersatzanlagen gefahrlos, indem diese bei leicht erhöhter Frequenz, also über 50,2 Hertz, arbeiten. Nach einer Umparametrisierung der Wechselrichter würde das nicht mehr so einfach funktionieren, da es keine Frequenz mehr gibt, bei der sich mit Sicherheit alle Wechselrichter abgeschaltet haben. Deshalb stellen die Verteilnetzbetreiber zusätzliche Anforderungen, die allerdings den Programmieraufwand erhöhen, so dass die Umprogrammierung nach Aussagen der Wechselrichterhersteller nicht so schnell durchzuführen wäre.

Historischer Schritt

Jetzt warten alle auf den Juni. Dann werden die Ergebnisse einer Studie vorliegen, die Übertragungsnetzbetreiber und Bundesverband Solarwirtschaft in Abstimmung mit der Bundesregierung in Auftrag gegeben haben. Sie soll klären, in welchem Umfang die bereits installierten Wechselrichter wirklich umgerüstet werden müssen, damit das Netz nicht gefährdet ist. „Am Ende muss der Gesetzgeber entscheiden, was mit den Altanlagen passiert und wer die Kosten trägt“, sagt Bernd Engel. Da die Solarbranche frühzeitig auf das Problem aufmerksam gemacht habe und die Lösungen von den Netzbetreibern nicht akzeptiert worden seien, sieht er die Branche nicht in der Pflicht.

Was die Kosten angeht, ist der Einwand eines Mannes aus dem Publikum nicht von der Hand zu weisen, dass die Marktmacht nicht bei den Betreibern liege. „Ich wage die These, dass gegebenenfalls das Ganze zulasten derjenigenausgeht, die den geringsten Einfluss haben“, sagt er. Auch der Solarenergie-Förderverein wendet sich dagegen. „Da es sich um eine Umrüstung handelt, die den Übertragungsnetzbetreibern bei der Frequenzstabilisierung zuarbeiten soll, sollten die Netzbetreiber für diese Umrüstung auch bezahlen“, schreibt Geschäftsführer Wolf von Fabeck.

Besonders problematisch ist, dass die Anlagen, die zurzeit noch gebaut werden, die geltenden Richtlinien erfüllen müssen. Und das, obwohl jeder weiß, dass sie schlecht sind und dass sie vermutlich rückwirkend geändert werden. „Vor allem die Verteilnetzbetreiber haben darauf bestanden“, sagt Engel. „Wenn es dann zu der Umrüstung kommt, werden sich natürlich die Anlagenbetreiber fragen, warum sie für eine Umrüstung bezahlen sollten.“ Immerhin hat das 50,2-Hertz-Problem dazu geführt, dass sich Wechselrichterhersteller und Netzbetreiber während der Diskussionen sichtbar angenähert haben. „Wir haben zwei Branchen, die sich erst aneinander gewöhnen mussten“, sagt Ludger Meier von Amprion. Bernd Engel sieht das ähnlich. Die Zusammenarbeit der Netzbetreiber mit der Solarbranche sei inzwischen vertrauensvoll. Das zeigesich auch darin, dass der Bundesverband Solarwirtschaft und die Netzbetreiber sich zum ersten Mal zusammengefunden und gemeinsam eine Studie zu möglichen Lösungen in Auftrag gegeben haben. „Das ist wirklich ein historischer Schritt, den wir da gemeinsam vollzogen haben“, sagt Bernd Engel.

Wenn man den Experten in Bad Staffelstein zuhörte, ist das auch notwendig, um den nötigen Umbau des Energiesystems zu stemmen und die erneuerbaren Energien in das Stromnetz zu integrieren. Denn „wir stehen vor dem größten Umbruch des Stromsystems überhaupt“, sagt Ludger Meier.

Das macht auch ein anderes Bild plausibel, das auf dem Podium in Bad Staffelstein die Runde machte. Die Photovoltaik wird erwachsen. Dazu gehört allerdings noch etwas. Netzagentur-Expertin Böde rät, die bisherigen und zukünftigen Erfolge bei der Netzintegration noch viel mehr in die Öffentlichkeit zu bringen. Das sei nötig, um die Photovoltaik in der öffentlichen Wahrnehmung in ein besseres Licht zu rücken, und auch da „muss die Photovoltaikbranche ihre Hausaufgaben machen“.

Michael Fuhs

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