Der politische Druck auf das Erneuerbare-Energien-Gesetz wächst. Vor allem die Einspeisevergütung gerät dabei immer wieder in die Kritik. Viele Projektierer und Handwerker ergreifen daher die Flucht nach vorne. Das heißt, so weit wie möglich auf die Netzeinspeisung zu verzichten und den erzeugten Strom entweder selbst zu verbrauchen oder in örtlicher Nähe an einen Dritten zu verkaufen, der ihn gebrauchen kann. Das ist ein Grund, warum 200 Gigawatt Photovoltaikleistung in Deutschland realistisch sind (siehe Seite 16).
Solarstrom selbst zu verbrauchen, anstatt ihn vom Energieversorger zu kaufen, zahlt sich in vielen Fällen heute schon aus. Der Steckdosenstrom des Energieversorgers kostet für Privathaushalte heute in etwa 25 Cent pro Kilowattstunde, im kommenden Jahr rechnen Experten mit Preisen von 27 bis 28 Cent. Demgegenüber stehen Stromgestehungskosten von Solarstrom, die heute, je nach Anlagengröße und Konzept, zwischen 12 und 18 Cent liegen. Allein aus dieser Differenz ergeben sich interessante Spar-Renditen, die mit der Rendite aus der festen Einspeisevergütung vergleichbar sind. Bei weiterhin steigenden Strompreisen der Energieversorger und fallenden Preisen für Photovoltaikkomponenten wird der Preisvorteil durch Spar-Renditen die Vorteile der Einspeisevergütung sehr bald überholt haben.
„Wenn wir Kunden Angebote machen, stellen wir die Einspeisevergütung schon gar nicht mehr in den Vordergrund“, sagt zum Beispiel Christopher Seng, Leiter Business Development bei Relatio. „Wir argumentieren jetzt eher mit der Stromkostenersparnis gegenüber dem Strompreis des Energieversorgers, wenn man eine hohe Eigenverbrauchsquote erreicht. Das ist besonders bei großen Anlagen ab ungefähr 100 Kilowatt Nennleistung interessant, auf die wir uns spezialisiert haben.“ Der Vorteil komme vor allem bei Kunden aus dem produzierenden Gewerbe zum Tragen, die einen sehr hohen Stromkostenanteil an ihren Produktionskosten haben. In solchen Fällen könne man mit einer 100-Kilowatt-Anlage auf dem Dach schon einen Eigenverbrauchsanteil von 80 bis 90 Prozent erreichen, auch ohne eine Speicherlösung zu integrieren.
„Wir planen dabei die Photovoltaikanlage nicht ausschließlich nach der Dachgröße, sondern auch nach dem Stromverbrauch und dem Lastgang des Betriebs. Oft stellt sich aber heraus, dass der Stromverbrauch so hoch ist, dass das Dach komplett belegt werden kann und der Solarstrom trotzdem fast vollständig selbst verbraucht wird“, erklärt Seng. Um dann zum Beispiel am Wochenende keinen Solarstrom verschenken zu müssen, werde aber bislang noch die EEG-Vergütung in Anspruch genommen. „Wenn es irgendwann keine Vergütung mehr gibt, wird sich aber auch ein Börsenpreis herausbilden, mit dem man diese Strommenge noch auffangen kann.“
Photovoltaik-Supermärkte
Hohe Eigenverbrauchsquoten lassen sich aber nicht nur im produzierenden Gewerbe realisieren. Centroplan, ein Joint Venture der Firmen Centrosolar und Pohlen Bedachungen, machte Anfang des Jahres auf sich aufmerksam, indem das Unternehmen die Dächer von 100 Supermarktfilialen mit Photovoltaikanlagen ausstattete. Pro Supermarkt wurden etwa 80 Kilowatt Nennleistung installiert. Damit erreichen die einzelnen Filialen ungefähr eine Eigenverbrauchsquote von 90 Prozent. Die restlichen zehn Prozent werden noch nach EEG vergütet.
Die hohe Eigenverbrauchsquote kann laut Centrosolar erreicht werden, weil die solare Stromerzeugung und der Strombedarf des Supermarktes im Tagesablauf zeitlich in weiten Teilen übereinstimmen. Dies rechne sich auch, obwohl der Lebensmitteldiscounter als Großabnehmer günstigere Preise für Netzstrom bezahlt. Die Kosten für Photovoltaiksysteme seien mittlerweile so stark gesunken, dass die Stromerzeugung mit Photovoltaik trotzdem noch günstiger sei. Insgesamt soll der Strombedarf der einzelnen Filialen mit bis zu 45 Prozent Solarstrom gedeckt werden.
Solarkrankenhaus
Ein Projekt, das es auf einen Eigenverbrauch von bis zu 97 Prozent bringen soll, planen gerade die Ingenieure der Solarpraxis AG aus Berlin. Dabei handelt es sich um ein Krankenhaus in Ostdeutschland mit Betten für über 200 Patienten. Hier soll es möglich sein, die Photovoltaikanlage komplett ohne EEG-Vergütung wirtschaftlich zu betreiben. Der hohe Eigenverbrauch kann in diesem Fall dadurch realisiert werden, dass das Krankenhaus im gesamten Wochenverlaufeinen ziemlich gleichmäßigen Stromverbrauch hat. Denn während ein produzierender Betrieb oder ein Supermarkt am Wochenende weniger Strom verbraucht, müssen die Patienten in einem Krankenhaus auch am Samstag und Sonntag versorgt werden.
Alle Zimmer sind mit Telefonen und Fernsehgeräten sowie mit Radio ausgestattet. Den Löwenanteil des Stromverbrauchs übernehmen allerdings die vielen medizinischen Instrumente. Des Nachts erreicht das Gebäude eine Grundlast von etwa 100 Kilowatt, tagsüber steigt der Verbrauch auf Werte von ungefähr 200 bis 300 Kilowatt. Wenn viele Operationen anstehen, kommt es immer wieder zu Verbrauchsspitzen. Im Jahr 2011 lag die höchste gemessene Last bei etwa 370 Kilowatt. Die Ingenieure der Solarpraxis vergleichen nun in einem Eigenverbrauchsgutachten die Lastkurven des Krankenhauses mit den Stromerzeugungsprofilen unterschiedlicher Anlagenkonzepte. Ziel ist es dabei, den optimalen Kompromiss für einen hohen Eigenverbrauch bei einem ebenfalls möglichst hohen Autarkiegrad zu erreichen.
Von den Giebeldächern des Krankenhauskomplexes sollen die Süd-, Ost- und Westflächen maximal ausgenutzt werden. „Das ist in diesem Fall für die Deckung der Last im Tagesverlauf recht günstig“, sagt Fabian Krömke, Ingenieur und Projektmanager bei der Solarpraxis. „In einem Krankenhaus gibt es besonders vormittags zwischen sieben und zwölf Uhr recht hohe Lasten. Diese können dann zum Beispiel gut durch die nach Osten ausgerichteten Module abgedeckt werden.“
Spitzen glätten
Eine weitere Methode, den Eigenverbrauch zu steigern, kann eventuell über das sogenannte Peak Shaving realisiert werden. Für industrielle und gewerbliche Stromkunden mit hohem Verbrauch setzt sich der Strompreis aus zwei Elementen zusammen: erstens dem tatsächlichen Stromverbrauch und zweitens einer Stromkostenpauschale, die anhand des höchsten Stromverbrauchs innerhalb der Rechnungsperiode bestimmt wird. Die Abrechnung kann wöchentlich, monatlich oder jährlich geschehen.
Um die Stromkostenpauschale zu senken, die sich für das Krankenhaus nach der höchsten Lastspitze im Jahresverlauf richtet, wird überlegt, einen zusätzlichen Stromspeicher in das System zu integrieren. Der Speicher könnte dann dazu verwendet werden, die seltenen Lastspitzen abzufangen, die sich ergeben, wenn zum Beispiel in der Mittagszeit mehrere Operationen gleichzeitig durchgeführt werden müssen. Durch die Senkung der Pauschale mittels dieser Peak-Shaving-Methode könnte dann der Speicher refinanziert werden. Wenn der Speicher erst einmal angeschafft wurde, ist es aber auch denkbar, ihn dazu zu verwenden, den Eigenverbrauchsanteil weiter zu steigern. Dann könnten auch die übrig bleibenden drei Prozent ungenutzten Solarstroms zur rechten Zeit verbraucht werden, womit sich der Eigenverbrauch des Krankenhauses der 100-Prozent-Marke nähern würde.
Unabhängige Stadtwerke
Auch viele Stadtwerke überlegen zurzeit, wie sie Photovoltaik-Kraftwerke in ihren Strommix integrieren können, ohne dabei eine Vergütung nach EEG in Anspruch zu nehmen. In der Stadtwerke Union Nordhessen, kurz SUN, haben sich beispielsweise sechs lokale Stadtwerke zu einem Bündnis zusammengeschlossen, die zusammen ungefähr 290.000 Bürger mit Strom versorgen. Mittel- bis langfristig soll die Energieversorgung im Einzugsbereich zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien realisiert werden. Auch die Photovoltaik spielt dabei eine wichtige Rolle. Derzeit wird ein passendes Energiekonzept entwickelt, zusammen mit Forschern des Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik IWES.
Wann es aber so weit sein wird, dass tatsächlich auf die staatliche Förderung verzichtet werden kann, ist noch unklar. Die ersten Projekte werden in jedem Fall noch mit EEG-Vergütung geplant. „Am Ende zählt auch bei den Bürgern immer der Euro“, sagt Eugen Rittmeyer von den Städtischen Werken Kassel, die Teil des SUN-Bündnisses sind. „Daher müssen wir die EEG-Vergütung so lange in Anspruch nehmen, bis wir ohne Vergütung die gleiche Rendite erwirtschaften. Wir wollen die Vergütung aber nur so lange in Anspruch nehmen, wie es ohne nicht geht.“ Das könnte auch bedeuten, dass Photovoltaikanlagen, die anfänglich mit EEG-Vergütung betrieben werden, zu einem späteren Zeitpunkt, noch vor Ablauf der 20-jährigen Laufzeit, aus der Vergütung herausgenommenwerden. Ob sich dies allerdings wirtschaftlich umsetzen lässt, muss sich bei der Entwicklung des Energiekonzepts erst zeigen. Auch andere Stadtwerke bestätigen auf Anfrage, dass geplant sei, in Zukunft für die Gewinnung von Solarstrom auf eine staatliche Förderung zu verzichten.
Glück im Ausland
Aber nicht nur in Deutschland denken Projektierer und Investoren derzeit über vergütungsfreie Photovoltaikanlagen nach. Experten rechnen damit, dass vor allem im sonnenreichen Südeuropa früher die nötigen Voraussetzungen erfüllt sein werden. Gerwin Dreesmann, CEO der Projektentwickler- und Betreibergesellschaft Project4t2 meint zum Beispiel, dass Italien dafür ein interessanter Markt sei: „Dort gibt es höhere Strompreise und auch mehr mittelständische Unternehmen als in Deutschland.“ Im Sommer gebe es zur Mittagszeit aufgrund der vielen Klimaanlagen zudem höhere Lastspitzen zu bewältigen. „Ich denke, dort entsteht einer der ersten Märkte in Europa, in dem Solarstrom frei verkäuflich ist“, sagt Dreesmann.
Unternehmen wie Gehrlicher Solar und Würth Solar setzen derzeit auf die spanische Sonne. Gehrlicher plant beispielsweise in der Region Extremadura den Bau eines 250-Megawatt-Solarparks, der komplett ohne Vergütung auskommt. Der erzeugte Solarstrom soll direkt am freien Markt verkauft werden, entweder an einen Unternehmenspool oder auch an einzelne Unternehmen. „Dieses Megaprojekt zeigt eindrucksvoll, dass die Photovoltaikindustrie nicht nur in Spanien, sondern in ganz Europa auch ohne Subventionierung wettbewerbsfähig sein wird“, sagt Guillermo Barea, CEO der Firma Gehrlicher Solar Spanien. Bis der erste vergütungsfreie Strom aus der Anlage in Extremadura fließt, werden aber wahrscheinlich noch ungefähr drei Jahre ins Land ziehen.
Konzepte, um Photovoltaikanlagen ohne EEG-Vergütung zu betreiben, gibt es also mittlerweile genügend. Einige werden sich wahrscheinlich schon in sehr naher Zukunft realisieren lassen, andere brauchen noch ein bisschen Zeit. Aufzuhalten ist die Entwicklung jedenfalls nicht mehr. Überall erarbeiten Projektierer und Betreiber gerade neue, machbare Ideen. photovoltaik bleibt bei diesem Thema für Sie am Ball und wird auch in den kommenden Ausgaben regelmäßig über neue Anlagenkonzepte für die nicht mehr ferne Zeit nach der EEG-Vergütung berichten.