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Versteckte Kürzungen

Sechs-Punkte-Plan für eine beschleunigte Energiewende, Ethikkommission, Reaktorsicherheitskommission – die Regierung scheint sich intensiv mit dem Ausstieg aus der Kernenergie zu befassen. Fast täglich kommen neue Studien und Analysen auf den Tisch, die sich mit der Sicherheit der Meiler, den Folgen eines Atomausstiegs oder den Kosten der Energiewende befassen. Es ist schwer, den Überblick zu behalten und die Argumente zu vergleichen. Immerhin macht das den Eindruck, als würde sich die Regierung nun ernsthaft mit dem Umstieg auf regenerative Energiequellen beschäftigen. Allerdings blendet sie dabei eine große Chance, das Vorhaben gezielt voranzutreiben, einfach aus. Das zeigt bereits der neue Erfahrungsbericht und der daraus resultierenden Referentenentwurf des Umweltministeriums zur Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), die in diesem Jahr ansteht.

Das Gesetz gibt seit 2000 die Rahmenbedingungen zur Förderung der erneuerbaren Energien in Deutschland vor. In regelmäßigen Abständen ist eineEvaluierung des EEG vorgesehen. Daraus resultieren die bisherigen Neuregelungen in den Jahren 2004 und 2009. Im Vorfeld der Novelle gibt das Bundesumweltministerium den EEG-Erfahrungsbericht heraus. Er fasst die wichtigsten Entwicklungen bei den einzelnen regenerativen Energiequellen der vorangegangenen Jahre zusammen und benennt Ziele und Aufgaben. So auch dieses Jahr. Die Handlungsempfehlungen flossen schließlich in einen Referentenentwurf von CDU-Umweltminister Norbert Röttgen ein. Dieser wird zur Abstimmung verschiedenen Ressorts sowie den Verbänden vorgelegt. Anschließend befassen sich Kabinett und Bundestag damit.

Die Kritik der Opposition am Erfahrungsbericht und Röttgens Referentenentwurf ließ nicht lange auf sich warten.„Je mehr Fakten auf den Tisch kommen, desto unglaubwürdiger wird die schwarz-gelbe Energiewende. Umweltminister Röttgen liefert mit seinem Entwurf für die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes die Steilvorlage für eine Revisionsklausel beim Atomausstieg, wie sieaus Koalitionskreisen in den letzten Tagen immer öfter gefordert wird“, kritisiert Hans-Josef Fell, energiepolitischer Sprecher der Grünen.

Bereits in der Einleitung des 188-seitigen Erfahrungsberichts wird die ambivalente Haltung der Regierung zu erneuerbaren Energien deutlich. Röttgen will an den Ausbaupfaden festhalten, die die Bundesregierung im Energiekonzept im September 2010 für den Ausbau der Erneuerbaren beschlossen hat. Allerdings müssten diese Ziele, die einen Anteil der regenerativen Energiequellen von mindestens 35 Prozent bis 2020 vorsehen, vor dem Hintergrund des Atomunglücks in Japan sowie einer erneuten Veränderung der AKW-Laufzeiten nun dynamisch vorangetrieben werden, räumt der Minister ein. Dies ist zugleich die erste Leitlinie, die der Umweltminister formuliert und die in einer Reihe steht mit: Kosteneffizienz steigern, Markt-, Netz- und Systemintegration forcieren. Daneben will Röttgen an den „bewährten Grundprinzipien“ des EEG festhalten: Den Einspeisevorrang fürErneuerbare sowie eine gesetzlich garantierte Einspeisevergütung solle es also weiterhin geben.

Das Kapitel zur Photovoltaik im EEG-Erfahrungsbericht beginnt mit einer Aussage, die in die öffentliche Diskussion bislang wenig Eingang gefunden hat. „Die solare Strahlungsenergie ist in der Stromversorgung die einzige erneuerbare Energie, bei der die Vergütung seit 2004 sank.“ Wenn man sich die Zahlen dazu vor Augen führt, wird deutlich, dass die Vergütungssätze einen wahren Sinkflug hingelegt haben. Seit der ersten EEG-Novelle hat sich die Förderung halbiert, und allein 2010 gab es binnen Jahresfrist einen Abschlag von bis zu 39 Prozent bei den Einspeisetarifen. Dies sei auch ein Grund, warum die Photovoltaik nun „weitgehend geschont“ werde, sagt Jürgen Maaß, Sprecher des Umweltministeriums. Eine Aussage, die sich bei einer genauen Betrachtung von Röttgen Plänen nicht halten lässt. Die Kürzungen stecken in den Details.

Starre Begrenzung vom Tisch

Zu Jahresbeginn sah die Solarbranche noch mit einigem Zähneklappern der EEG-Novelle entgegen. Sie fürchtet eine starre Deckelung des Photovoltaikzubaus, und die scheint nun zunächst einmal vom Tisch. „Eine feste Begrenzung des Marktvolumens durch einen festen Deckel wäre mit einem sehr hohen bürokratischen Aufwand (Registrierung aller Anlagen, Missbrauchsaufsicht, Kontingentierung nach Anlagengrößen, hohen Bürokratiekosten) verbunden, würde sich nachteilig auf die deutschen Unternehmen und das Handwerk auswirken (Verlust der Technologieführung, Abwanderung von Unternehmen, Entlassungen im Handwerk) und würde die Planungs- und Investitionssicherheit inDeutschland stark einschränken“, heißt es im Erfahrungsbericht. Stattdessen soll der „atmende Deckel“, wie ihn Röttgen getauft hat, weiter Bestand haben. Dabei schlägt das Umweltministerium vor, den unterjährigen Kürzungsschritt bei der Solarförderung, wie er in diesem Jahr erfolgen wird, weiterhin beizubehalten. Die Degression der Solarförderung soll sich künftig zwischen 1,5 und 24 Prozent jährlich, je nach Höhe des Zubaus bei Photovoltaikanlagen, bewegen. „Ein Schritt in die richtige Richtung ist die halbjährliche Degression. Besser wäre es, angesichts der schnelllebigen Marktentwicklung eine vierteljährliche Degression einzuführen“, sagt Fell. Zumindest als „positiv“ stuft er ein, dass die Bundesregierung auf eine starre Begrenzung des Photovoltaikausbaus verzichten will.

Bezüglich der Vergütungsklassen befürwortet das Bundesumweltministerium eine Reduzierung. Es wird bei Photovoltaikanlagen auf Gebäuden wohl nur noch drei Kategorien geben: Systeme bis 30 Kilowatt, zwischen 30 und 500 Kilowatt sowie über 500 Kilowatt. Diesen Schritt begründet das Ministerium damit, dass die Investitionskosten bei größeren Anlagen schon ab 500 Kilowatt und nicht erst ab einem Megawatt sinken. Dies bedeutet für Solarstrom aus Anlagen in diesem wichtigen Marktsegment zwischen 30 und 100 Kilowatt Leistung eine zusätzliche Kürzung. Bei Freiflächenanlagen wird die Unterscheidung zwischen Konversions- und sonstigen Flächen beibehalten. Nachdem erst im vergangenen Jahr die Förderung von Solarparks auf Ackerflächen gestrichen wurde, soll nun eine weitere Eingrenzung erfolgen. Mit der EEG-Novelle sollen demnach auch keine Freiflächenanlagen auf Konversionsflächen, die als Schutzgebiete ausgewiesen sind, mehr gefördert werden. Dies betreffe vor allem Flächen in Ostdeutschland, heißt es dazu aus dem Ministerium. Dennoch seien auch weiterhin genug Flächen für den Bau von Solarparks vorhanden. Hans-Josef Fell kritisiert diesen Punkt der Novelle. Gerade bei Freiflächen werde das Ziel der Bundesregierung, eine höhere Kosteneffizienz zu erreichen, konterkariert. „Erstaunlicherweise soll die günstigste Form der Solarstromerzeugung auf früheren Ackerflächen weiter außen vor bleiben. Im Gegenteil sollen sogar weitere Einschränkungen bei Freiflächen vorgenommen werden“, sagt er. Auch derbayerische Agrarminister Helmut Brunner von der CSU interveniert an dieser Stelle. Er macht sich dafür stark, dass künftig auch Photovoltaikanlagen auf Grünland, also Wiesen und Weiden, in die Förderung einbezogen werden.

Eigenverbrauch weiter fördern

Mit Blick auf die seit Juli 2010 geltende Eigenverbrauchsregelung spricht sich das Umweltministerium für eine Verlängerung aus. Sie gilt nach der aktuellen Gesetzgebung nur bis Ende dieses Jahres. Allerdings fehlten noch konkrete Erfahrungswerte, um die Regelung zu bewerten. Es sei aber eine gewisse Entlastung der EEG-Differenzkosten festzustellen. Vor dem Hintergrund steigender Strompreise seien finanzielle Vorteile für die Betreiber zu erwarten. Zugleich entwickelten sich dank der Eigenverbrauchsregelung aber auch „interessante Geschäftsmodelle“, die sich positiv auf die Akzeptanz der Photovoltaik auswirkten, heißt es im Erfahrungsbericht.

Netzintegration ist ein wichtiges Themenfeld, das das Umweltministerium aufgreift. Sie ermöglicht, dass mehr Solarstrom im Netz aufgenommen werden kann. Für Diskussionen dürften allerdings die geplanten Maßnahmen sorgen, sollten sie eins zu eins in die Tat umgesetzt werden. Zum einen wird das 50,2-Hertz-Problem aufgegriffen. Dieses ist bereits intensiv zwischen Politik, Solarverband und Netzbetreibern diskutiert worden (photovoltaik 04/2011). Die Niederspannungsrichtlinie wird derzeit angepasst, um für mehr Stabilität im Netz zu sorgen. Allerdings will das Ministerium, dass alle seit 2008 installierten Anlagen nachgerüstet werden. Dies soll alle Anlagen ab fünf Kilowatt Leistung betreffen, deren Wechselrichter dann innerhalb von sechs bis 24 Monaten, je nach Größe des Systems, umprogrammiert werden müssten. Die Anforderungen an die Nachrüstung seien aber noch zu konkretisieren. Dazu sollten auch die Ergebnisse der Studie „Auswirkung eines hohen Anteils dezentraler Einspeiser auf die Netzstabilität bei Überfrequenz“ einbezogen werden. Diese lagen dem Ministerium allerdings noch nicht vor.

Eine Lücke soll die EEG-Novelle auch beim Einspeisemanagement schließen. Seit 2009 gibt es eine entsprechende Regelung, dass Photovoltaikanlagen ab 100 Kilowatt Leistung einbezogen werden müssen. Allerdings war die Regelungzunächst unklar formuliert, so dass Anlagenbetreiber de facto das Gesetz umgehen konnten. Mit der EEG-Novelle wird nun klargestellt, dass sich die Vorgaben auf die Leistung der gesamten Anlage und nicht des einzelnen Moduls beziehen. Alle bestehenden Anlagen ab dieser Größe müssten binnen sechs Monaten nachgerüstet werden, so die Forderung des Umweltministeriums. Eine Entschädigung für die entstehenden Kosten sei nicht vorgesehen, da sie als „zumutbar“ eingestuft werden.

Darüber hinaus will das Umweltministerium, dass alle neuen Anlagen ab 30 Kilowatt verpflichtend mit Einrichtungen zur Abregelung ausgestattet werden. Zwar seien die Netzbetreiber noch nicht in der Lage, Anlagen zwischen 30 und 100 Kilowatt in das Einspeisemanagement einzubeziehen, dennoch soll die Anforderung bereits gestellt werden, da die Kosten für die Nachrüstung „deutlich teurer“ seien, heißt es im Bericht. Bernd Engel, Bereichsleiter Technologie und Entwicklung von SMA, schätzt, dass die Kosten für die Nachrüstung bestehender Anlagen bis 100 Kilowatt bei 2.000 bis 3.000 Euro liegen. Wenn die Anlage während der Installation bereits entsprechend ausgelegt werde, beliefen sich die Kosten auf 1.000 bis 2.000 Euro. Engel kritisiert, dass die Bundesregierung auch die Bestandsanlagen unter 100 Kilowatt einbeziehen will. Mit einer Übergangsfrist von zwei Jahren sollen alle seit 2009 installierten Photovoltaikanlagen ab 30 Kilowatt Leistung nachgerüstet werden. „Für Neuanlagen ist das Einspeisemanagement sinnvoll, für Altanlagen ist es dagegen nicht notwendig“, sagt Engel. In diesem Punkt zeige sich die Bundesregierung übereifrig, nachdem bislang wegen eines Urteils der Clearingstelle überhaupt keine Photovoltaikanlagen in das Einspeisemanagement einbezogen waren.

Anlagen unter 30 Kilowatt sollen ebenfalls an einem vereinfachten Einspeisemanagement teilnehmen. Es sei eine „Kappung“ der Leistungsspitzen vorgesehen, indem die Einspeisung am Netzanschlusspunkt auf 70 Prozent der maximalen Modulleistung begrenzt werde. Den Vorschlag hält Fell für „wenig durchdacht“. Die Kappung hat Ertragsausfälle von drei bis acht Prozent zur Folge und erschwert die Auslegbarkeit von Solaranlagen, da häufig die Wechselrichter nicht mehr zu den Generatoren passen, wie Engel sagt. Das Umweltministerium hälthingegen die Verluste für die Anlagenbetreiber für „wirtschaftlich zumutbar“.

Marktprämie soll kommen

Die größte Änderung in der EEG-Novelle 2012 könnte die Einführung einer optionalen Marktprämie werden, die das Umweltministerium verankern will, um die Investitionen in Speicher anzuregen und somit die Integration erneuerbarer Energien zu erhöhen. Produzenten von Ökostrom sollten damit ihre Einspeisung besser auf den Bedarf abstimmen. So könne eine sichere Energieversorgung in Deutschland weiterhin gewährleistet werden, auch wenn der Anteil erneuerbarer Energien in den kommenden Jahren signifikant steige. Die Anbieter können nach Plänen von Röttgen ihren Ökostrom dann direkt an der Börse verkaufen. Sie bekämen anschließend zusätzlich die Differenz zwischen durchschnittlichem Börsenpreis und gesetzlich geltender Einspeisevergütung erstattet. Dieser werde dann bei Wind- und Solarstrom noch um einen technologiespezifischen Wertigkeitsfaktor korrigiert, der den jeweiligen Marktwert an der Börse widerspiegelt. Wer seinen Strom zu einem überdurchschnittlichen Preis – also in Zeiten hoher Nachfrage und knappem Angebot – verkaufen kann, könnte dann zusätzlich Geld verdienen.

Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) steht der neuen Marktprämie skeptisch gegenüber. Davon profitierten wieder eher die großen Unternehmen. „Die Marktprämie erhöht die Kosten für den Ausbau erneuerbarer Energien für die Verbraucher, und dies ist nicht im Sinne der Branche“, sagt BEE-Sprecher Ronald Heinemann. Die Prämie setze zudem  keine wirksamen Anreize, um dieEnergiewende hin zu erneuerbaren Energien zu beschleunigen. So sei maximal zwischen 0,5 und einem Cent pro Kilowattstunde zusätzlich zu verdienen. Die Kosten für Speicher lägen allerdings höher, sagt Heinemann.

Die Grünen sehen insgesamt in Röttgens Vorschlägen wenig Impulse für den Ausbau der Erneuerbaren. „Im Großen und Ganzen handelt es sich um eine Fortschreibung des Status quo statt um einen großen Wurf. Verbesserungen gibt es vor allem nur da, wo die großen Energieversorgungsunternehmen aktiv sind“, sagt Fell. Diesen Vorwurf weist das Ministerium zurück. Röttgens Entwurf befindet sich derweil in der Ressortabstimmung beim Wirtschafts- und dem Finanzministerium. Die Grünen fürchten, dass es auf diesem Weg zu weiteren Einschnitten bei der Solarförderung kommt.

Gerade einen Monat gibt sich die Regierung Zeit, um die wichtigsten Grundlagen für eine Energiewende zu beschließen. Am 6. Juni will Röttgen seinen Entwurf im Kabinett beraten. Dabei liegen noch nicht einmal die Forschungsberichte zum EEG vor. Der BEE ist wenig glücklich über das Tempo, das Röttgen angeschlagen hat. Dem Verband bleiben nur wenige Tage, um seine Einwände gegen den Entwurf vorzubringen. Es sei problematisch, dass für die Energiewende binnen kürzester Zeit viele Novellen auf den Weg gebracht werden müssten, sagt Heinemann. Die Bundesregierung will die neue Atomgesetzgebung und die EEG-Novelle noch vor der Sommerpause durch den Bundestag bringen. „Nur weil die Bundesregierung Handlungsfähigkeit beweisen will, vergibt sie eine große Chance zur Energiewende“, sagt der BEE-Sprecher.

Sandra Enkhardt

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