Wie bewerten Sie den Markt für Freiflächenparks in Europa?
Stefan Degener: First Solar ist seit zehn Jahren in Europa und in Deutschland aktiv. Unser Kernmarkt, die große Freifläche, ist in Europa nahezu vollständig zum Erliegen gekommen. In Spanien läuft seit 2011 nichts mehr, in Italien seit 2013. Seit Mitte 2013 passiert auch in Deutschland kaum noch etwas. Das ist bedauerlich, weil die großen Solarparks besonders günstige Stromgestehungskosten erlauben und dezentral errichtet werden können. Gute Möglichkeiten sehen wir derzeit in Großbritannien, in Frankreich, auch in der Türkei und in Israel.
Wie kann der Markt wieder in Schwung kommen?
Durch Ausschreibungen, wie sie andernorts bereits seit Jahren praktiziert werden. First Solar ist auf Märkten in den USA und Asien erfolgreich, wo große Solarprojekte schon seit Längerem ausgeschrieben werden. Denn die großen Solarparks haben vor allem im kommunalen Bereich und bei der Netzstabilität erhebliche Potenziale.
Wie schnell könnte es gehen?
Wir hoffen auf eine schnelle Ausgestaltung des Ausschreibungsmodells. Darin liegt eine große Chance. Wir brauchen eine verlässliche Regulierung für die nächsten vier oder fünf Jahre. Nur dann kann man wirklich tragfähige Geschäftsmodelle entwickeln. Das permanente Hin und Her muss aufhören. Die Stadtwerke wollen die erneuerbaren Energien nach vorn bringen. Sie brauchen stabile Bedingungen, auf die man sich verlassen kann.
Muss der Gesetzgeber solche Modelle wie Ausschreibungen stärker berücksichtigen?
Die Frage ist, ob wir weiterhin viele kleine Installationen wollen, die unkontrolliert einspeisen. Für große Kraftwerke halten wir das Ausschreibungsmodell für einen richtigen Weg. Ab fünf oder zehn Megawatt könnte man es im EEG vorschreiben. Fraglich ist, ob man überhaupt noch eine Größenbeschränkung braucht. Das kann man ruhig dem Markt überlassen, welche Kraftwerke am kostengünstigsten und netzdienlichsten sind.
Keine Größenbeschränkung mehr? Wie sieht es mit den Beschränkungen für Flächen aus? Bisher sind die Megawattparks nur noch auf Konversionsflächen möglich ...
Die Standortwahl ist wichtig, weil sich dadurch erhebliche Kostenvorteile etwa beim Netzanschluss und aus der Nähe zum Verbraucher ergeben können. Bisher sind wir auf Konversionsflächen beschränkt, das stimmt. Deshalb sind die Kosten der Projektentwicklung und des Netzanschlusses manchmal sehr hoch. Dürfte man Megawattparks allein nach netztechnisch sinnvollen Kriterien bauen, ließe sich viel Geld sparen. Halten wir uns vor Augen: 35 bis 40 Prozent der Stromgestehungskosten von Großanlagen gehen auf Kosten zur Finanzierung zurück. Wenn wir diese Kosten um ein Prozent senken, können wir mehr erreichen als mit der Senkung der Modulkosten um zehn Prozent. Das ist eine der wichtigsten Stellschrauben in der Photovoltaik. Wenn wir zukünftig dezentraler werden wollen und uns am lokalen beziehungsweise regionalen Bedarf orientieren, müssen wir näher ans Netz und brauchen eine flexible Flächennutzung.
Die restriktiven Bestimmungen für die Flächen ergaben sich durch die Hausse bei den Pachtpreisen für Äcker, ausgelöst durch die Flächennachfrage von netzeinspeisenden Solarparks. Gilt diese Befürchtung fortan nicht mehr?
Ein Solarpark für 400 Megawatt braucht rund 400 Hektar. In Deutschland stehen rund 16 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche zur Verfügung. Daran sieht man, wie klein das Problem tatsächlich ist. Wer einen Solarpark ausschreibt, will ja gerade, dass die Kosten sinken. Also ist es sinnvoll, auf Grundstücken mit möglichst niedriger Pacht zu bauen. Oder auf kommunalem oder gewerblichem Brachland, das man dadurch veredeln könnte, obendrein in der Nähe potenzieller Verbraucher. Denkbar ist sogar die Rekultivierung und Erholung ausgelaugter Ackerflächen, indem man sie mehrere Jahrzehnte für Photovoltaik nutzt. Grundsätzlich sollte die Fläche nach der Dienlichkeit für die Verbraucher und das Netz ausgewählt werden. Steigende Pachtpreise werden in Zukunft kein Problem mehr sein.
Welche Ausschreibungsmodelle könnten für kommunale oder kommerzielle Megawattsolarparks in Deutschland sinnvoll sein?
International sind Ausschreibungsmodelle in vielen Märkten an der Tagesordnung. Wir sehen dieses Verfahren vor allem bei den Großkraftwerken, das ist unser Schwerpunkt. Wir beteiligen uns an den Verfahren, die je nach Land und Region sehr unterschiedlich strukturiert sind. Allerdings gibt es ein wesentliches Hindernis, das in Deutschland die Investitionen in neue Solarparks massiv behindert.
Was meinen Sie damit?
Man muss die Stromabnahme langfristig vertraglich absichern. Bisher hat das EEG 20 Jahre Einspeisetarif garantiert. Das wollen wir nicht mehr. Wir müssen aber Stromlieferverträge für mehr als zwei Jahre machen können. Bisher sind die Stadtwerke daran gebunden, dass sie Lieferverträge nur auf diesen Zeitraum abstellen können. Wir brauchen Verträge, die über zehn Jahre und länger laufen, wie in den USA oder anderen Märkten, wo wir auch staatliche Power Purchase Agreements (PPA) abschließen. Dort laufen die Verträge 15, 20 oder 25 Jahre. Und es ist kein Problem.
Woher kommt die Beschränkung auf zwei Jahre?
Sie wurde mit der Liberalisierung der Energiemärkte eingeführt, um Knebelverträge mit den Stromkunden zu verhindern. Das führt jedoch dazu, dass schon heute beim Betrieb von Gaskraftwerken eine hohe Unsicherheit herrscht. Ich kenne neue Kraftwerke, die im vergangenen Jahr nur zehn Stunden am Netz waren.
Würden Sie längere Vertragslaufzeiten befürworten?
Natürlich, zumal es für uns als Anbieter von Solarparks kein Problem ist, die Kosten auf zehn Jahre zu garantieren. Niemand weiß, wie sich die Preise für Gas oder Kohle in den kommenden Jahrzehnten entwickeln. Bei der Photovoltaik wissen wir das ziemlich genau, weil alle Kosten für Betrieb, Wartung oder Finanzierung über Jahrzehnte bekannt und fixierbar sind. Auf diese Weise ist sogar die Inflation mit abgedeckt, weil man keine Brennstoffkosten hat. Solarkraftwerke könnten also besonders verbraucherfreundliche Preise anbieten, die über längere Zeiträume stabil sind.
Wie unterscheiden sich international die Verfahren zur Ausschreibung?
Es gibt zum Beispiel die Ausschreibungen von staatlichen Institutionen. Sie zielen auf die Stromgestehungskosten pro Kilowattstunde. Solche Ausschreibungen sind eventuell mit Vorgaben zu Mindestpreisen gekoppelt oder sie werden als preisoffene Ausschreibungen durchgeführt. Bei Ausschreibungen kommerzieller Utilities geht es meist um die Gestehungskosten für das Kraftwerk.
Geht es bei den Ausschreibungen nur um den Preis?
Nein. Interessant sind Ausschreibungen, wo neben dem Preis auch die Qualität des Stroms eine Rolle spielt. Dazu gehören Funktionen zur Netzsteuerung und Netzintegration. In den USA werden die Ausschreibungen von den Energieversorgern getragen, die auch großen Wert auf qualitative Elemente legen.
Welche konkreten Zusatzfunktionen könnten in die Ausschreibung einfließen?
Unsere Photovoltaikkraftwerke bieten Blindstromleistung an, um Netzreserven besser zu nutzen. Sie lasten die bestehenden Netze optimal aus, je nach Spannung und Frequenz im Netz. Die Kraftwerke können die Regelbarkeit verbessern, indem man mehrere Anlagen zu einem Portfolio zusammenfasst. Denkbar ist auch die Integration von verschiedenen Generatoren in Hybridlösungen, um eine dauerhafte Stromversorgung zu ermöglichen. So ist die Photovoltaik mit Dieselgeneratoren und Gaskraftwerken kombinierbar. Je nach Anwendung sind wir mit der Photovoltaik durchaus wettbewerbsfähig.
Empfehlen Sie qualitative Ausschreibungen auch für Deutschland?
Unbedingt. In Deutschland brauchen wir die qualitativen Elemente. Aus der Erfahrung wissen wir: Eine Vielzahl von Anlagen speist ihre Energie nur ins Netz ein. Das ist ein Problem für die Netzsteuerung. Große Solarparks können das Netz gezielt stützen, durch die Funktionen der Wechselrichter oder auch die Ausrichtung einer Anlage. Man muss die Solarfelder nicht unbedingt nach Süden ausrichten, man kann auch Freilandanlagen nach Osten und Westen richten. Das heißt, wir können die Solarparks so bauen, wie es die lokalen Bedingungen des Netzes verlangen.
Könnte man die Ausschreibung auch auf Kraftwerke anwenden, die teilweise dem Eigenverbrauch dienen? Das wäre sicher für die Industrie interessant.
Speziell bei Eigenverbrauchslösungen ist die teilweise Selbstversorgung zu wettbewerbsfähigen Kosten darstellbar, auch bei Megawattanlagen. Wir schaffen die Integration von verschiedenen Technologien. Wir arbeiten sehr stark an innovativen Lösungen, eine wettbewerbsfähige Stromerzeugung mithilfe der Photovoltaik auch in gestandenen Märkten zu erreichen.
Ausschreibungsmodelle könnten und sollten im reformierten EEG eine wichtige Rolle spielen. Wie könnten die Vorschriften konkret aussehen, ohne den Markt übermäßig zu regulieren und damit wieder abzuwürgen?
Man sollte sich bei den Ausschreibungen klar auf die Erzeugungskosten pro Kilowattstunde Strom konzentrieren. Darin bündeln sich alle Kosten eines Kraftwerks und seines Betriebs: die Technik, der Bau, die Finanzierung, die Wartung, Betriebskosten und so weiter. Die qualitativen Elemente sind jedoch von erheblicher Bedeutung. Photovoltaik kann dezentral eingesetzt werden, das kann die Gesamtkosten der Energiewende deutlich begrenzen. Die Regelbarkeit der Anlagen sollte ebenfalls berücksichtigt werden.
Sollte jeder Anbieter zur Ausschreibung zugelassen werden?
Wir reden über die Versorgung mit Strom, ein wichtiges Gut, das zuverlässig geliefert werden soll. Deshalb ist die Präqualifikation der Teilnehmer einer Ausschreibung entscheidend. Dazu gehört der Nachweis der Erfahrung mit Steuerungselementen, dass sie angeboten werden können und funktionieren. Dazu gehört ebenso die Verlässlichkeit der Investition über eine lange Zeit. Da ist die Bankability ganz entscheidend. Auch das finanzielle Projektmanagement ist wichtig, die Erfahrungen mit der Finanzierung großer Solarparks. Und schließlich spielt die Optimierung des Energieertrags durch ein professionelles Monitoring und Reporting ebenfalls eine sehr wichtige Rolle.
Was geschieht, wenn die Hürden zu niedrig sind?
In der Türkei wurden mit ausgeschriebenen Windkraftprojekten schlechte Erfahrungen gemacht. Die Marktteilnehmer waren zu unerfahren und haben in Ausschreibungen bis zu 25 Gigawatt zugesagt. Das war 2007. Bislang wurden aber nur drei Gigawatt wirklich gebaut. Nur wirklich qualifizierte Anbieter sollten an einer Ausschreibung teilnehmen dürfen. Dafür braucht man Referenzen und Erfahrung. Erst danach wird das günstigste Angebot ermittelt. Wichtig ist ein transparentes Verfahren der Ausschreibung.
Eignet sich die Ausschreibung eher für Grundlastsysteme oder auch für Regelenergie?
Prinzipiell für beides. Die Photovoltaikbranche wird den Markt für Regelenergie erschließen müssen, um sich als wettbewerbsfähiger Stromerzeuger zu platzieren und behaupten zu können. Zudem kann man mehrere Solaranlagen in einem virtuellen Kraftwerk zusammenfassen. Wir besitzen dafür die Technologie, durch unsere Monitoring- und Steuerungszentrale. Das betreiben wir derzeit in den USA und können es weltweit anwenden.
Welche Vorteile hat es, Regelenergie aus Photovoltaik bereitzustellen?
Für die sichere Stromversorgung über 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche brauchen wir Hybridlösungen. Denn es gibt Situationen oder Phasen, in denen die Solarkraftwerke keinen Strom liefern. Wir arbeiten sehr fokussiert daran, dafür geeignete Lösungen zu bieten. Wenn man Regelenergie ausschreibt, kann man auf der anderen Seite die Reservekapazitäten vorhalten, also Kraftwerke, die meistens stillstehen und nur bei Spitzenbedarf anspringen. Ebenso können Batterien mittelfristig eine große Rolle in der sicheren und zuverlässigen Stromversorgung spielen. Denn je volatiler die Erzeugung von Solarstrom ist, desto sinnvoller ist eine Batterie oder ein anderer Speicher.
Wie kann man das Risiko einer solchen Ausschreibung minimieren?
Nehmen wir an, ein Industrieunternehmen schreibt Strom zum Eigenverbrauch aus. Um es zuverlässig zu beliefern, könnte man Portfolios bilden, um die Investition gegen die Pleite eines Partners (Bonität) abzusichern. Das ist ein gängiges Modell der Banken.
Das Interview führte Heiko Schwarzburger.
Stefan Degener
ist Direktor Business Development Europe und Geschäftsführer der First Solar GmbH in Mainz. Er ist seit 2011 im Unternehmen tätig. Schwerpunkt seiner Tätigkeit sind die Entwicklung und Realisierung von Kraftwerksprojekten sowie neue Geschäftsmodelle. stefan.degener@firstsolar.com