Zum Jahreswechsel sanken die Einspeisetarife für Solarstrom um 15 Prozent. Die Bundesnetzagentur legte bereits am 9. Januar völlig überraschend vorläufige Zahlen für das vierte Quartal 2011 vor. Es soll allein im Dezember einen Rekordzubau von 3.000 Megawatt Photovoltaikleistung gegeben haben, wie die Behörde mitteilt. „Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass der Stichtagsmechanismus dazu beiträgt, den Zubau an Photovoltaikanlagen kurz vor einer Förderkürzung deutlich zu verstärken. Dieser Effekt konterkariert das Ziel des Gesetzgebers, die Kosten der Förderung der Solarenergie wirksam zu begrenzen“, erklärt dazu derdamalige Präsident der Bundesnetzagentur Matthias Kurth.
Die sonst eher behäbige Behörde sorgt mit ihrer überraschend schnellen Veröffentlichung der vorläufigen Zahlen dafür, dass die politische Debatte über die Solarförderung wieder neu entbrennt. Bundesumwelt- und Wirtschaftsminister sehen sich zum unmittelbaren Handeln gezwungen – als Argumentationshilfe dienen ihnen die hohen Zahlen beim Photovoltaikzubau im Dezember. Außerdem gibt es damit auch 2011 wieder einen neuen Rekordzubau im Gesamtjahr mit rund 7.500 Megawatt neu installierter Photovoltaikleistung. In der Konsequenz plant die Bundesregierung nun Neuregelungen, die den Photovoltaikmarkt in Deutschland deutlich entschleunigen dürften und zu einer großen Verunsicherung bei Investoren führten. Mitten in die politischen Debatten hinein veröffentlicht die Bundesnetzagentur zweieinhalb Monate später dann die von ihr geprüften Zubauzahlen. Diesmal ohne großes Getöse – sie stellt einfach die von ihr geprüften Ausbauzahlen als Excel-Listen auf ihre Website. Es bleibt dabei – allein im Dezember 2011 sind demnach Photovoltaikanlagen mit einer Gesamtleistung von gut 2.983 Megawatt gemeldet worden. Offiziell muss ein Betreiber seine Anlagendaten im Vorfeld der Inbetriebnahme an die Bundesnetzagentur melden. Seit dem vergangenen Jahr geschieht dies über ein Onlineportal. Bereits kurz nach der Veröffentlichung der Zahlen im Januar erreichen uns immer wieder Reaktionen, die deren Glaubwürdigkeit in Zweifel ziehen. Banker fragen sich etwa, wie all diese Projekte finanziert worden seien. In ihren eigenen Büchern lassen sich derart große Zubaumengen nicht nachvollziehen. Handwerker und Projektierer verzeichneten zum Jahresende zwar einen Aufschwung, doch ein Zubau von drei Gigawatt in einem Monat lasse sich nur schwer mit den erhaltenen Aufträgen vereinbaren. Auch bei Modulherstellern herrscht Skepsis – wo kommen all diese Module her, die zum Jahresende noch schnell verbaut worden sind?
Teilweise erreichen die Redaktion eindeutige Hinweise. So berichtet ein mittelständisches Handwerkerunternehmen, dass es gar kein Problem sei, beliebig viele Photovoltaikanlagen bei der Bundesnetzagentur zu melden. Sofern die Daten realistisch seien, prüfe dies niemand. Die Bundesnetzagentur verschicke eine Bestätigung und die Anlage werde in die Liste aufgenommen. Damit bekommen auch Verschwörungstheorien neue Nahrung: Können diese hohen Zubauzahlen stimmen? Wenn nicht, wer hätte ein Interesse, sie zu verfälschen?
Dahinter steht aber auch die Frage, was die Bundesnetzagentur wirklich tut, um ihre Zahlen zu prüfen. Immerhin zweieinhalb Monate braucht sie, bis sie sich mit ihren validierten Zahlen an die Öffentlichkeit traut. „Die Plausibilitätsprüfung umfasst insbesondere die Korrektur von Doppelmeldungen oder von offenkundig fehlerhaften Leistungsangaben“, erklärt Sprecherin Renate Hichert. Dabei verweist sie bereits vor der Veröffentlichung der endgültigen Zahlen darauf, dass das Anmeldeportal für die Betreiber an einigen Tagen vor Weihnachten teilweise derart überlastet war, dass es nicht unmittelbar genutzt werden konnte. Zugleich kann es genau in solchen Zeiten auch immer wieder zu unfreiwilligen doppelten Einträgen durch Anlagenbetreiber kommen.
„Anhaltspunkte für auffällig viele Doppelmeldungen aus dieser Zeit liegen der Bundesnetzagentur nicht vor“, sagt Hichert. Aus einer Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine Anfrage des Grünen-Energiepolitikers Hans-Josef Fell geht hervor, was wohl genau hinter der Plausibilitätsprüfung steht. So gebe es im Falle von doppelt erfolgten Meldungen sowie der Meldung von sehr großen Anlagen eine persönliche Rückfrage beim Anlagenbetreiber. „Diese Recherchen sind entsprechend zeitintensiv“, begründet wiederum Wirtschaftsstaatssekretär Stefan Kapferer die lange Dauer bis zur Veröffentlichung der endgültigen Datenmeldungen. Inwiefern jedoch wirklich bei den Anlagenbetreibern nachgefragt wird, lässt sich aus Sicht der Redaktion nicht klären.
Fehler liegt im System
Allerdings muss ebenso festgehalten werden, dass der Fehler schon im System liegt. Denn die Datenerhebung ist nicht die primäre Aufgabe der Bundesnetzagentur, sondern sollte von den Übertragungsnetzbetreibern geleistet werden. Nach Artikel 48 des EEG 2012 sind sie verpflichtet, die Angaben und die Endabrechnung für Anlagen, die unmittelbar und mittelbar an ihr Netz angeschlossen sind, unverzüglich auf ihrer Internet-seite zu veröffentlichen. Außerdem sind die Netzbetreiber auch verpflichtet – laut EEG – die Angaben der Anlagenbetreiber der Bundesnetzagentur wieder vorzulegen.
Nach der Auslegung von Tomi Engel von der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie (DGS) müssten sie somit nicht nur ein Anlagenregister veröffentlichen, sondern auch die erzeugten Strommengen dokumentieren. Er kritisiert, dass die Netzbetreiber dieser Pflicht nur unzureichend nachkommen. „Mit zwei Jahren Verspätung sind die Daten für die Zubaudebatte allerdings wertlos“, sagt Engel. Neben dem großen Zeitverzug bemängelt er auch, dass nicht die gesetzlich geforderten Anlagendaten zugänglich gemacht werden. So werden offenbar die Netzeinspeisepunkte, nicht aber die Standorte veröffentlicht, um nur einen Kritikpunkt der DGS von vielen zu nennen.
Keine unmittelbare Rückkopplung
Dabei wäre die Rückkopplung zwischen Netzbetreiber und Bundesnetzagentur der einfachste Weg hin zu validen Zubauzahlen. Doch in der Realität scheint dies nicht zu funktionieren, zumindest nicht unmittelbar. Dies räumt Transnet BW ein. „Auf unserer Internet-Seite veröffentlichen wir die Daten, die uns von den Verteilnetzbetreibern im Rahmen des Verteilnetzbetreiber-Meldeprozesses übermittelt werden. Somit besteht zwischen den von uns und den von der Bundesnetzagentur veröffentlichten Daten kein direkter Zusammenhang“, erklärt Tobias Weißbach vom Energiemarkt-Regulierungsmanagement bei der Transnet BW. Er hält die Zahlen der Bundesnetzagentur für valide, möchte zugleich aber keine abschließende Bewertung über deren tatsächliche Qualität vornehmen. Die anderen Übertragungsnetzbetreiber meldeten sich zu diesem Thema gar nicht erst zurück.
In ihrer Energymap hat es sich die DGS zur Aufgabe gemacht, ein eigenes EEG-Anlagenregister bereitzustellen. Doch angesichts der großen Verzögerungen von Seiten der Netzbetreiber kann auch Tomi Engel keine verlässliche Zahl für den Photovoltaikzubau im vergangenen Jahr geben. Er ist bei seinen Recherchen aber immer wieder auf Unregelmäßigkeiten in den Daten der Netzbetreiber gestoßen. So seien allein in den bisherigen Veröffentlichungen aus dem Jahr 2011, die aber nur vereinzelt bis in den Dezember reichten, Anlagen mit einer Gesamtleistung von 250 Megawatt als „ZubauDummy“ oder „aggregation-fiktiv“ in den Listen eingetragen.
Außerdem gebe es in den Veröffentlichungen der Netzbetreiber auch immer wieder Anlagen, die mehr als 8.760 Betriebsstunden im Jahr aufwiesen. Diese Anlagen sind laut Engel ebenfalls als zweifelhaft einzustufen, da ein Jahr eben nur 8.760 Stunden hat. Aus Sicht der DGS hat die Energiewirtschaft bislang keinen Nachweis für die angeblich 7,5 Gigawatt neu installierte Photovoltaikleistung 2011 erbringen können.
Gerade einmal 4,2 Gigawatt seien Stand Mitte Februar in den zugänglichen Daten belegt, wovon aber eben nochmals 250 Megawatt als fiktive oder Dummy-Anlagen eingetragen sind. Die Art und Weise der Datenerhebung und deren Aufbereitung bei den Übertragungsnetzbetreibern erinnert Tomi Engel denn auch eher an „technologische Steinzeit“. Den Zeitverzug räumt auch Übertragungsnetzbetreiber Transnet BW ein. Er ergebe sich aus dem Prozess der Meldungen von den Verteilnetzbetreibern.
EEX rechnet mit anderen Zahlen
Wie könnten sich die Zahlen der installierten Photovoltaikleistung noch ermitteln lassen? Bei der Strombörse EEX hat anscheinend noch niemand nachgefragt. Dabei sind die Übertragungsnetzbetreiber verpflichtet, auch hier die aktuellen Zahlen zu melden. Auf deren Grundlage werden dann Einspeiseprognosen für Solarstrom vorgenommen. Bislang werden diese Daten auch nur vierteljährlich aktualisiert – das letzte Mal am 16. Februar. Demnach sind in Deutschland 22,04 Gigawatt Photovoltaikleistung installiert. Tobias Weißbach von Transnet BW sagt, dass auch in diesen Zahlen ein „gewisser Zeitversatz“ vorhanden sei. Er beziffert ihn auf etwa sechs Wochen. Die Daten, die von den Verteilnetzbetreibern eingesammelt werden, differierten regional sehr stark.
Deshalb zweifelt er, dass die Diskrepanz zu den Zahlen der Bundesnetzagentur, die zum Jahresende auf 25 Gigawatt installierter Leistung kommt, wirklich so groß sei. Genau ließe sich dies aber erst nach der nächsten Aktualisierung Mitte Mai feststellen. Andererseits lassen sich auf den Seiten von EEX Transparency auch die Differenzen zur Aktualisierung davor nachvollziehen. Demnach kamen die Übertragungsnetzbetreiber Mitte November auf eine installierte Photovoltaikleistung von 19,837 Gigawatt. Damit liegt der Sprung, den sie vermelden können, bis Mitte Februar bei 2,2 Gigawatt.
Den Zweiflern geben solche Aufschlüsse neue Nahrung. Volker Quaschning, Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW), ist allerdings kein Anhänger der Verschwörungstheorie. Auch bei einem Zubau von etwa sechs Gigawatt hätte seiner Meinung nach die Politik starke Kürzungen beschlossen, da bereits diese Leistung eine Gefahr für die großen Energiekonzerne darstelle. Er wählt einen anderen Ansatz, um die tatsächlich installierte Photovoltaikleistung herauszufinden. So seien bei der EEX für den 26. März um 13 Uhr insgesamt 17,4 Gigawatt maximale Photovoltaikleistung gemeldet gewesen. Wenn man dies mit einem typischen Erfahrungswert, dass eine Photovoltaikanlage zu diesem Zeitpunkt etwa zwei Drittel ihrer Nennleistung bringt, hochrechnet, kommt Quaschning auf eine installierte Leistung von rund 25 Gigawatt. Dies würde wiederum die Zahlen der Bundesnetzagentur weitgehend bestätigen. Allerdings passt der Wert von 17,4 Gigawatt dann nicht zur von den Netzbetreibern gemeldeten installierten Leistung von gut 22 Gigawatt, die wiederum in die Berechnungen bei der EEX einfließen. Eine der beiden Zahlen müsste trotzdem falsch sein. Erstaunlich, dass niemandem aufzufallen scheint, ob drei Gigawatt mehr oder weniger Solarstrom im Netz sind.
Es bleibt festzuhalten, dass die genaue Zahl für den Photovoltaikzubau in Deutschland wohl niemand kennt. Mittlerweile hat die Politik ihre EEG-Novelle für die Photovoltaik so gut wie in trockenen Tüchern. Dabei haben die Veröffentlichungen der Bundesnetzagentur durchaus geholfen, die Solarförderung in Deutschland massiv zu beschneiden.
Der einzige Ausweg aus dem Dilemma wäre die schnelle Rückkopplung von gemeldeten und wirklich angeschlossenen Anlagen in Deutschland. Die Netzbetreiber müssten dafür aber ihrer gesetzlichen Pflicht nachkommen, die neu angeschlossenen Anlagen „unverzüglich“ zu veröffentlichen.