Viel einzelne Maßnahmen müssen umgesetzt werden, damit die Bundesrepublik bis 2050 klimaneutral wird. Den umfangreichen Maßnahmenkatalog haben die Analysten von Prognos, dem Öko-Institut und dem Wuppertal Institut in einer Studie zusammengetragen, die sie im Auftrag von Agora Energiewende, Agora Verkehrswende und der Stiftung Klimaneutralität erstellt haben. Grundlage ist aber eine konkrete Zielvorstellung und die Tatsache, dass Deutschland nur dann weiter an Wohlstand und Wirtschaftskraft gewinnen kann, wenn jetzt umfassend in die Energiewende investiert wird.
Klimaschutzziele müssen steigen
So müssen in einem ersten Schritt die Emissionen bis 2030 um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken – in allen Bereichen. Es reicht nicht aus, den Ausbau der erneuerbaren Stromversorgung bis 2030 bis auf 65 Prozent zu erhöhen. Hier seien mindestens 70 Prozent notwendig und der steigende Stromverbrauch aufgrund der Sektorkopplung muss dabei berücksichtigt werden. Denn neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien muss noch die weitgehende Elektrifizierung von Verkehr, Wärme und Industrie kommen. Dazu bedarf es einer schnellen und umfassenden energetischen Modernisierung des gesamten Gebäudebestandes und zusätzlich des Aufbaus einer umfangreichen Wasserstoffinfrastruktur.
Investitionsprogramm notwendig
Im zweiten Schritt ist ein vollständiger Umstieg auf klimaneutrale Technologien notwendig. Im dritten Schritt müssen nicht vermeidbare Restemissionen wie der CO2-Ausstoß aus Müllverbrennungsanlagen oder der Zementherstellung abgeschieden und eingelagert werden. „Der Weg in die Klimaneutralität ist ein umfassendes Investitions- und Zukunftsprogramm für Deutschland, vergleichbar mit dem Wirtschaftswunder in den 1950er/60er-Jahren“, sagt Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende. „Dafür müssen wir beim Ausbau von Wind- und Solaranlagen alles geben, sie bilden den Grundpfeiler für eine klimaneutrale Bundesrepublik. Ihr Ausbau ist von nun an nicht mehr nur im öffentlichen Interesse, sondern dient der nationalen und wirtschaftlichen Sicherheit.“
Photovoltaikleistung verdreifachen
So muss die Erzeugungsleistung der Photovoltaik laut Studie auf 150 Gigawatt ausgebaut werden – das Dreifache der derzeit am Netz angeschlossenen Leistung. Die Windkraft an Land muss von aktuell 54 auf 80 Gigawatt ausgebaut werden. Dazu kommt noch ein Bedarf an 25 Gigawatt Offshore-Windkraft. Acht Gigawatt davon sind derzeit erst installiert. Im Gegenzug muss der Kohleausstieg schneller gehen. Die letzten Meiler sollte dann 2030 vom Netz gehen. Das ist eine Grundvoraussetzung, dass bis 2050 der gesamte Stromverbrauch mit erneuerbaren Energien gedeckt werden kann. Für die notwendige Flexiblisierung der Stromnachfrage wäre eine sektorübergreifende Elektrifizierung und der Ausbau der Wasserstoffherstellung um etwa 50 Prozent auf 960 Terawattstunden notwendig.
Verkehr wird elektrifiziert
Doch was bedeutet das für die einzelnen Bereiche? Für den Verkehr bedeutet das den konsequenten Umstieg auf Elektroautos und Verlagerung eines Teils des Transportaufkommens auf die Schiene. So werden sich im Bereich Pkw die batterielektrisch angetriebenen Fahrzeuge durchsetzen, ist sich Christian Hochfeld, Direktor von Agora Verkehrswende sicher. Bis spätestens 2035 werden sie die Verbrenner in ganz Europa weitestgehend verdrängen. Außerdem zeigt die Studie, dass der Personenverkehr zunehmend auf Bus, Bahn, Fahrrad und Fuß verlagert wird. So wird sich die Personenverkehrsleistung der Öffentlichen wie Bus und Bahn bis 2035 nahezu verdoppeln, während die mit dem Pkw zurückgelegten Wege bis 2030 um elf und bis 2050 um 30 Prozent sinken.
Mehr Güter auf die Schiene
Auch der Güterverkehr wird elektrifiziert. Bis 2030 wird etwa ein Drittel der Fahrleistung von Lkw mit Stromantrieb erbracht – batterieelektrisch, mit Hilfe von Oberleitungen und unter Nutzung von Wasserstoff in Brennstoffzellen. Bis 2050 werden diese Technologien gleichberechtigt nebeneinander existieren. Der Flug- und Schiffsverkehr wird bis dahin auf strombasierte synthetische Brennstoff umgestellt sein. Gleichzeitig stemmt die Bahn die wachsende Nachfrage nach Gütertransport. Der Anteil des Schienenverkehrs wächst bis 2050 um 44 Prozent, während der Güterverkehr auf der Straße nur noch leicht zulegt.
Wasserstoff für die Industrie
Für die Industrie ist neben dem Ökostromangebot vor allem eine umfangreiche Wasserstoffinfrastruktur entscheidend. Dazu sind entsprechende Investitionen notwendig. Die Autoren der Studie verweisen darauf, dass etwa die Hälfte der Hochöfen der deutschen Stahlindustrie bis 2030 aus Altersgründen ersetzt werden muss. Wenn dann schon die grüne Wasserstoffinfrastruktur Gestalt angenommen hat, werden die Unternehmen technologisch in diese Richtung mitgehen. Die Studie geht davon aus, dass bis 2050 der Wasserstoff das Erdgas als Brennstoff in der Industrie weitgehend ersetzt. Die notwendigen Wasserstoffmengen werden aber nicht allein in Deutschland hergestellt. Vielmehr müssen dann wohl drei Viertel importiert werden.
Bis 2050 alle Gebäude energetisch sanieren
Im Gebäudesegment setzen die Studienautoren vor allem auf Energieeffizienz in Verbindung mit der Nutzung von Ökostrom – am besten vor Ort produziert – für die Wärmebereitstellung. Deshalb müsse bis 2050 der vollständige Gebäudebestand entsprechend saniert werden.
Landwirtschaft muss mithelfen
Auch die Landwirtschaft muss ihren Beitrag leisten. Hier geht es – neben der Elektrifizierung des Fuhrparks – vor allem darum, die Methangasemissionen aus der Gülle zu reduzieren. Diese könne in Biogasanlagen vergärt werden, was wiederum ein entsprechendes Geschäftsmodell voraussetzt. Dieses zu ermöglichen, ist Aufgabe der Politik. Zusätzlich lassen sich Methanemissionen aus der Tierhaltung durch Verringerung der Tierbestände senken. Das ginge mit einer entsprechenden Steuerung über die Agrarsubventionen der EU. Im Ackerbau setzen die Autoren der Studie vor allem auf Pflanzen, die mit weniger Stickstoffdünger auskommen.
Eine Zusammenfassung der Studie und ein dazugehöriges Video finden Sie auf der Internetseite von Agora Energiewende. (su)
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