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Bauwerkintegration

BIPV: In prachtvollem Gewand

Vor gut 100 Jahren verbannten die innovativen Architekten die individuell gestalteten Häuser und Fassaden der Gründerzeit mit ihrer Detailverliebtheit in die Vergangenheit. Die großen Architekten des „Neuen Bauens“ wie Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe oder Bruno Taut – um nur die Vertreter zu nennen, deren Namen wirklich schon jeder gehört hat – reagierten damit auf die damals aktuellen Anforderungen.

Die akute Wohnungsnot erforderte einen Massenwohnungsbau. Nicht zuletzt daraus resultierte die einfache Formensprache und die konstruktive Ökonomie, die die tragenden Teile auf einzelne Punkte und Flächen reduzierte. Dies führte zwangsläufig zur stilistischen Ökonomie der klaren asketischen Form des Gebäudes.

Im Verbund mit den neuen Materialien wie Stahl, Beton und Glas bedingte dies eine neue Architektursprache, die auf die Herausforderungen der Zeit reagierte. Und heute? „Die postfossile Architektur bedingt auch eine neue Sprache“, ist sich Stefan Oeschger mit Blick auf die aktuelle Aufgabe des Kampfes gegen den Klimawandel sicher.

Er ist Mitgründer des Züricher Büros JOM Architekten, das sich dem innovativen nachhaltigen Bauen verschrieben hat. Seine Präsentation auf dem diesjährigen Symposium Solares Bauen, das Swissolar zusammen mit der österreichischen Technologieplattform Photovoltaik (TPPV) in Zürich veranstaltete, hat er genau diesem Thema gewidmet.

Baumaterial mit einrechnen

Sein Plädoyer gilt der Nutzung von biobasierten Baumaterialien. „Denn die Hälfte der CO2-Emissionen im Gebäudebereich steckt im Baumaterial und die andere Hälfte im Betrieb“, sagt er. „Für die Senkung der Emissionen im Betrieb gibt es schon technische Lösungen, die Schwierigkeit sind die Baumaterialien.“

Die Baustoffe der Wahl werden deshalb in Zukunft pflanzenbasierte Materialien wie Holz oder Stroh sein. Dazu müssen aber auch noch aktive Elemente kommen, die Energie erzeugen. „Denn die Energie, die wir in die Gebäude hineinstecken, müssen wir über den Betrieb wieder zurückgewinnen“, sagt Rune Grasdal. Der norwegische Architekt ist Projektmanager beim Planungsbüro Snøhetta in Oslo, das das Konzept „Powerhouse“ entwickelt hat. Das sind Gebäude, die über eine Dauer von 60 Jahren mehr erneuerbare Energien produzieren, als sie benötigen – inklusive der Energie, die für die Herstellung der Baumaterialien benötigt wird.

Plusenergiegebäude in Trondheim

Er hat das Prinzip anhand eines Plusenergiebürogebäudes in Trondheim beschrieben. Dieses besteht aus einem ovalen, steil nach Süden geneigten Baukörper. Dadurch ist das Flachdach ebenfalls in südliche Richtung geneigt. Da es komplett mit Solarmodulen eingedeckt ist, liefert es jedes Jahr fast 400.000 Kilowattstunden Strom. Weitere fast 100.000 Kilowattstunden produzieren die Fassaden, die ebenfalls mit Solarmodulen eingekleidet sind.

Das ist viel mehr Energie, als im Gebäude benötigt wird. Mit dem Überschuss laden die Trondheimer Verkehrsbetriebe Elektrobusse. Wichtiger ist aber, dass das Gebäude bis Anfang der 2070er-Jahre durch die Stromproduktion so viel Energie produziert hat, wie hineingeflossen ist. Dazu zählt nicht nur der Betrieb, sondern auch die Energie (und damit der CO2-Ausstoß), die für die Produktion der Baumaterialien benötigt wurde.

Kosten gegen Einsparung gerechnet

Dass sich solche Ansätze inzwischen sogar selbst im Norden Europas rechnen, zeigt eine Studie zweier Forscher der Universität Stavanger. Sie haben die Kosten für bauwerkintegrierte Photovoltaikanlagen (BIPV) unter die Lupe genommen, um herauszufinden, wie wirtschaftlich diese sind. Diese Wirtschaftlichkeit resultiert vor allem aus dem Eigenverbrauch des in der Gebäudehülle produzierten Solarstroms und damit aus dem Ersatz von Netzstrom.

So stehen auf der einen Seite der Rechnung die Stromkosten und die Kosten für die Treibhausgasemissionen, die beim Bezug von Netzstrom entstehen würden. Auf der anderen Seite der Rechnung stehen die Produktionskosten für den Strom aus der Gebäudehülle über die gesamte Lebensdauer der Solaranlagen. Die Forscher gehen dabei nur von den Mehrkosten aus, die durch die Aktivierung der Gebäudehülle tatsächlich entstehen. Auf Basis der Einstrahlungswerte der Hauptstadt des jeweiligen Landes haben sie dann ausgerechnet, wie viel der Strom aus Fassade und Dach kostet im Vergleich zu den Strompreisen aus dem Netz.

BIPV ist wirtschaftlich

Das Ergebnis: Die BIPV ist überall in Europa wirtschaftlich, selbst in Skandinavien. Das liegt an den Gewinnen durch die Stromproduktion in der Gebäudehülle und an der Nutzung vor Ort. Doch auch wenn die Forscher nur die Kapitalkosten ansetzen, gibt es nur wenige Länder mit sehr niedrigen Strompreisen und sehr schlechter Sonneneinstrahlung, in denen die BIPV mit dem herkömmlichen Fassaden- und Dachmaterial nicht mithalten kann.

Das Papier der norwegischen Forscher ist erschienen in einer Spezialausgabe des Magazins Energies zum Thema BIPV. Die Wissenschaftler haben bei ihrer Berechnung eine Moduleffizienz von nur 16 Prozent angesetzt. Damit decken sie auch farbige Module ab, die schließlich aufgrund der Farbgebung nicht so effizient sind wie herkömmliche Solarmodule.

Immobilienwirtschaft will Solargebäude

Damit ist auch eine Anforderung seitens der Architekten abgedeckt, die oft die sichtbare Solartechnologie als störend empfinden. Ob sich hier ein neuer Konflikt mit den Bauherren anbahnt, ist noch nicht ausgemacht. Die ­Gebäudeeigentümer und Immobilienverwalter – vor allem im gewerblichen Bereich – lernen die Vorteile der solaren Gebäudehülle schätzen. „Unsere Mieter profitieren direkt vom Verbrauch des Stroms aus der Gebäudehülle. Denn sie zahlen weniger Energiekosten“, sagt Thomas Kraft auf der Veranstaltung in Zürich.

Er ist Assetmanager beim Immobilienverwalter PSP Swiss Property mit Sitz in Zürich. „Dazu kommt noch das grüne Image, auf das viele gewerbliche Mieter heute Wert legen“, weiß Kraft. „Vor allem die großen Unternehmen, die bei uns mieten, haben eigene Umweltziele. Dann müssen die Liegenschaften, in denen sie Mieter sind, gewisse Bedingungen erfüllen. So wird die solare Gebäudehülle immer mehr zum Vermietungsargument.“

Ästhetik im Blick

Er geht sogar so weit, mehr zu fordern. „Wir würden mehr solare Gebäude bauen, wenn die Politik mehr machen würde, wenn die Anforderungen strenger wären und wenn CO2 einen höheren Preis hätte“, sagt Kraft. Ob dies ein Plädoyer für eine Solarpflicht ist, die derzeit in vielen Städten und Regionen zum Mittel der Wahl wird, sei dahingestellt.

Viel wichtiger ist, dass sich die Immobilienwirtschaft für die Anforderungen der Zukunft wappnet. Entsprechend plädiert Kraft dafür, dass Architekten von ihren Ansprüchen zurücktreten, die Solartechnologie nicht sehen zu wollen. Denn sie verschenken mit gestalterischen Maßnahmen wie farbigen Modulen gern auch 20 Prozent Solarleistung. „Die Gebäudehülle muss schön sein, aber nicht um jeden Preis“, betont Kraft.

Sebastian El Khouli, Architekt bei Bob Gysin Partner in Zürich, nimmt hier aber den städtebaulichen Kontext und vor allem die soziale Akzeptanz mit in den Blick. „Ich bin auch mit 20 Prozent Verlust an Solarleistung einverstanden. Denn das sind 80 Prozent Gewinn im Vergleich zu einer herkömmlichen Fassade“, verteidigt er den Anspruch, auf die städtebauliche Ästhetik Rücksicht zu nehmen. „Wenn die Fassade plötzlich Strom produziert und trotzdem so schön aussieht wie eine Fassade, die keine Energie produziert, ist das besser, als wenn sie mit 100 Prozent Solarleistung nicht schön aussieht.“

Leistung oder Ästhetik: Während Architekten vor allem die Schönheit der Fassadengestaltung im Blick haben, setzen Immobilienbetreiber auch auf hohe Erträge.

Foto: Velka Botička

Leistung oder Ästhetik: Während Architekten vor allem die Schönheit der Fassadengestaltung im Blick haben, setzen Immobilienbetreiber auch auf hohe Erträge.

Solar Age

Über 200 Projektdossiers in der Datenbank

Die Club Member von Solar Age finden inzwischen mehr als 200 Dossiers über solare Gebäude in der Projektdatenbank des Architekturportals. Es sind nicht nur die großen und berühmten Leuchtturmprojekte, die Eingang in die Datenbank gefunden haben. Vielmehr versucht die Redaktion, das gesamte Spektrum abzubilden, mit dem Architekten oder Planer im normalen Geschäft konfrontiert werden. Es reicht vom Einfamilienhaus über das Gewerbe- und Bürogebäude, große Mehrfamilienhäuser im urbanen Raum und spezielle Bauwerke wie Schulen, Carports oder Sportstadien bis hin zu einer klimaneutral arbeitenden Polarstation in der Antarktis.

Im Mittelpunkt stehen einerseits die architektonisch ansprechenden Lösungen. Doch andererseits ist der Energiestandard ein wichtiger Aspekt, der in der modernen Architektur eine immer größere Rolle spielt. Auch er wird in den Dossiers angesprochen. Die Projektbeschreibungen geben zudem einen Einblick in die planerische und bauliche Umsetzung sowie in die Ausarbeitung ganzer Energiekonzepte für zukunftsfähige Gebäude. Selbst Lösungen, die die Anforderungen des Denkmalschutzes erfüllen, sind in der Datenbank enthalten.

Der jetzige Datenbestand wird in Zukunft noch erweitert. Es kommen immer neue solare Gebäude hinzu. Denn auch die BIPV entwickelt sich weiter, sodass auch neue Projekte mit neuen Technologien und neuen Lösungen in die Datenbank eingepflegt werden. Alle Dossiers sind in deutscher Sprache vorhanden. Ein großer Teil ist inzwischen auch in englischer Sprache erhältlich. Registrierte Club Member können die Dossiers kostenlos nutzen.

Foto: Solar Age/Harry Schiffer Photodesign