Mit der Abschaltung der letzten aktiven Atomkraftwerke und dem beschlossenen Kohleausstieg muss bereits mittelfristig die Hälfte der heutigen Erzeugungskapazitäten im Strommarkt ersetzt werden. Ein massiver Rückgang in der Stromerzeugung wird nach Berechnungen der Gutachter auf wachsenden Strombedarf in Deutschland treffen.
Trotz steigender Energieeffizienz wird der Strombedarf aufgrund der Sektorkopplung (Elektrifizierung von Fahrzeugen und der Wärmeversorgung) sowie des Einsatzes von Wasserstoff oder synthetischem Gas durch Power-to-Gas deutlich anziehen.
Dreifache Solarleistung benötigt
Das aktuelle Gutachten der Marktforscher von EuPD Research in Bonn trägt den Titel: „Energiewende im Kontext von Atom- und Kohleausstieg – Perspektiven im Strommarkt bis 2040“. Es kommt zu dem Ergebnis, dass eine Verdreifachung der Solarleistung bis 2030 die sich abzeichnende Stromlücke schließen könnte. Dies erfordert für das Jahr 2030 eine installierte Photovoltaikleistung in Höhe von 162 Gigawatt – weit über dem neuen Deckel, den das Bundeskabinett beschlossen hat.
Gegenwärtig sind in Deutschland rund 1,7 Millionen Solarstromanlagen mit einer Leistung von 48 Gigawatt installiert. Sie decken rund acht Prozent des Stromverbrauchs. Gute Marktverfügbarkeit, niedrigste Stromgestehungskosten im Vergleich der verschiedenen Kraftwerkstechniken, sehr hohe Akzeptanz in der Bevölkerung und eine vergleichsweise schnelle Installation ermöglichen den deutlich beschleunigten Ausbau der Photovoltaik.
30 Mal mehr Speicher als heute
Um die fluktuierende solare Stromerzeugung auszugleichen, werden dringend deutlich mehr Speicher gebraucht. Ende 2019 waren in Deutschland rund 200.000 Stromspeicher installiert, wobei der Markt stark an Dynamik gewinnt. Die Kapazität dieser Kurzfristspeicher muss sich den Berechnungen nach bis 2040 mindestens verdreißigfachen.
Für die saisonale Stromspeicherung besteht die Herausforderung, Kapazitäten für die Elektrolyse von Wasserstoff im zweistelligen Gigawattmaßstab aufzubauen. Wasserstoff wird im künftigen Stromsystem eine wesentliche Rolle spielen: als Speichergas, das im Winter verstromt wird.
„Klimakrise oder Stromlücke? Diese Frage stellt sich nicht, wenn Marktbarrieren für die Solarenergie eingerissen und die Ausbauziele für die Photovoltaik schnell angehoben werden“, zeigt sich Carsten Körnig überzeugt, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Solarwirtschaft (BSW-Solar). „Dann kann der Ausbau der Solarenergie mit dem Ausstieg aus der Atomkraft und der Kohle Schritt halten und gemeinsam mit anderen erneuerbaren Energien sowie deutlich größeren Speicherkapazitäten die Versorgungssicherheit klimafreundlich sicherstellen.“
Die Studie „Energiewende im Kontext von Atom- und Kohleausstieg – Perspektiven im Strommarkt bis 2040“ entwirft ein realistisches Zukunftsbild des deutschen Strommarktes. Neben der Marktentwicklung werden volkswirtschaftliche Dimensionen des Umbaus sowie die Auswirkungen auf den Strompreis modelliert.
Ein Fünftel mehr Strom bis 2030
Als Datenbasis fungieren Lastgänge und Erzeugungsprofile auf 15-Minuten-Basis. Der Modellansatz folgt dem sogenannten Zieldreieck der Energiepolitik aus Umweltverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit.
Insgesamt wird von 530 Terawattstunden im Jahr 2018 ausgehend eine Zunahme des Nettostromverbrauches um gut ein Fünftel auf 657 Terawattstunden bis 2030 erwartet. Dem steht ein Rückgang im konventionellen Kraftwerkspark als Folge des Atomausstiegs sowie der beabsichtigten Stilllegung der Braun- und Steinkohlekraftwerke gegenüber.
Die Berechnungen in der Studie von EuPD Research zeigen, dass bereits ab 2020 ein deutlich höherer Ausbaupfad an Photovoltaik realisiert werden muss, um den steigenden Strombedarf zu decken. Bereits im Jahr 2022 entsteht eine Erzeugungslücke, die bis 2030 auf 70 Terawattstunden anwächst. Bis 2040 dürfte der Strombedarf um 66 Prozent gegenüber 2018 wachsen, auf 107 Terawattstunden.
Dreifache Leistung
Im Vergleich der verschiedenen Szenarien schließt sich die abzeichnende Versorgungslücke mit einem deutlich höheren Zubau an Photovoltaik, einer Verdreifachung der bis heute installierten Leistung. Dies bedeutet für das Jahr 2030 eine installierte Leistung von 162 Gigawatt Photovoltaikleistung in Deutschland. Bis 2040 sind 252 Gigawatt Photovoltaik notwendig.
Dr. Thomas E. Banning/Naturstrom
„Wir wollen faire Rahmenbedingungen“
Wir brauchen nicht nur erheblich mehr Solarstrom, um den Atom-, Kohle- und perspektivisch auch den Gasausstieg im Stromsektor zu meistern, sondern auch, um die im Verkehr durch Elektromobilität und im Wärmebereich durch Wärmepumpen erhöhte Stromnachfrage zu befriedigen und dabei radikal Treibhausgasemissionen einzusparen.
Und dort, wo man keine klimafreundliche Wärme mittels Sektorenkopplung und Ökostrom erzeugen kann, braucht es Solarthermie oder Geothermie, gegebenenfalls in Kombination mit anderen Technologien. Um die Energiewende wirklich zu schaffen, brauchen wir Solaranlagen also sowohl in der Freifläche wie auch fast auf jedem Dach. Das wird sich nicht nur für die Solarwirtschaft, sondern auch für die Verbraucher lohnen.
Wir wollen einfach nur faire Rahmenbedingungen. Wenn CO2 und damit fossile Energieträger endlich in angemessener Höhe für die von ihnen verursachten Schäden an Umwelt und Mensch bepreist würden, bräuchte es kein Klein-Klein von Förderprogrammen und Regulierungen mehr. Erneuerbare und insbesondere die Solarenergie wären dann klar die günstigsten Optionen zur Energieerzeugung und würden sich in einem solchen richtig gestalteten Markt von ganz alleine durchsetzen.
Der Staat muss echten Wettbewerb der Ideen zulassen und nicht weiterhin die alte Energiewirtschaft schützen oder ihr zu viele Rechte einräumen. Die rasante Entwicklung der Erneuerbaren und auch die erfolgreiche Entwicklung der Naturstrom AG sind große Mutmacher, auch wenn man manchmal an den viel zu langsamen Fortschritten bei Klimaschutz und Energiewende verzweifeln kann. Vor 20 Jahren hätte kaum jemand auf diesen Erfolg gewettet. Zu sehen, was wir gemeinsam alles geschafft haben, ist toll!
Und aktuell ist es schön zu sehen, was für eine breite gesellschaftliche Unterstützung die Themen inzwischen erfahren, für die wir schon seit über 20 Jahren einstehen, und dass insbesondere die junge Generation hier einen erheblichen Druck für schnelleres Handeln entwickelt.
Dr. Jürgen Reinert/SMA
„Wir sind noch lange nicht am Ziel“
Der Klimaschutz und die Energiewende in Deutschland brauchen konkrete Maßnahmen und entschlossenes Handeln. Dafür ist ein schneller und konsequenter Zubau erneuerbarer Energien weiterhin unbedingt erforderlich. Ich bin der Meinung, dass trotz aller berechtigter Kritik das Klimapaket der Bundesregierung – zumindest in einigen Bereichen – einen Anfang darstellt. Für uns als Akteure in der Solarbranche muss es deshalb jetzt darum gehen, den Druck aufrechtzuerhalten, damit wir die Energiewende weiter erfolgreich vorantreiben und dazu beitragen, das 1,5-Grad-Ziel vielleicht doch noch zu erreichen.
Für die Photovoltaikindustrie in Deutschland ist es ein Schritt in die richtige Richtung, dass der 52-Gigawatt-Deckel für die Solarförderung endlich fällt. Dies muss jetzt schnell und entschlossen gesetzlich umgesetzt werden, um einen verstärkten Ausbau der Photovoltaik voranzutreiben.
Darüber hinaus fordere ich von der Politik einen klaren Ausbaupfad für die erneuerbaren Energien, der dem dringend benötigten verstärkten Zubau einen Rahmen gibt. In diesem Zusammenhang sollten unter anderem auch die im Klimapaket festgelegten verschärften Bedingungen für den Zubau neuer Windkraftanlagen rückgängig gemacht werden. Photovoltaik und Windkraft ergänzen sich perfekt und erzeugen mittlerweile in weiten Teilen preisgünstiger Strom als fossile Kraftwerke.
Auch wenn das jetzt von der Bundesregierung verabschiedete Klimapaket bei Weitem nicht ausreicht, unsere Klimaziele für 2030 zu erreichen, denke ich, dass es für die Solarbranche und die Energiewende in Deutschland gute Gründe gibt, positiv in die Zukunft zu schauen. Nun ist es sehr wichtig, dass wir alle gemeinsam mit der Klimabewegung die Politik weiter kritisch begleiten und immer wieder an ihre große Verantwortung erinnern.
Dr. Jürgen Reinert ist Vorstandssprecher der SMA Solar Technology AG in Kassel.
Andreas Grochowiak/TG Hylift
„Die Energiewende kann ein Jobmotor sein“
Die Energiewende kann zum Konjunkturprogramm für Deutschland und auch zum Jobmotor werden, wenn nicht nur der Inlandsmarkt, sondern auch der Export gesehen wird. Technologien und Dienstleistungen, die neu gedacht und somit entwickelt werden, können ganz oder teilweise in diverse Märkte vordringen.
Die Erkenntnisse der Fachleute, die sich neutral mit dem Klima und der Energiewirtschaft beschäftigen, sollten verstärkt in die politischen Prozesse einfließen. Energiegewinnung aus Kohle war gestern. Energiegewinnung aus erneuerbaren Energiequellen ist heute und morgen.
Die Gesellschaft und die damit verbundene öffentliche Meinung sind viel weiter, als die Politik glaubt. Daher sollte mehr Mut zu Entscheidungen an den Tag gelegt werden.
Mut macht mir, dass ein enormes Potenzial entsteht. Wenn der Klimawandel als unausweichlich und daher eine Energiewende als Lösung angenommen wird. Auch an dieser Stelle ist das enorme Marktpotenzial im In- und Ausland zu sehen.
Stefan Ronzani/Stadtwerke Stuttgart
„Mit dem Prosumer zur Energiewende!“
Der Blick über die Stuttgarter Dächer verrät: Es bleibt noch viel zu tun in Sachen Energiewende. Gerade dank Photovoltaik könnten wir schon viel weiter sein. Mit über 200 Photovoltaikanlagen in den vergangenen drei Jahren haben die 2011 gegründeten Stadtwerke Stuttgart den Ausbau in der Landeshauptstadt vorangetrieben.
Aber nun heißt es für alle Stuttgarter: Gas geben! Denn Photovoltaik ist insbesondere für Ballungszentren der leichteste Hebel, erneuerbare Energien vor Ort zu erzeugen und den Klimaschutzzielen somit näherzukommen.
Photovoltaik ist von der Bevölkerung weitgehend akzeptiert. Sie beeinträchtigt kaum die Landschaft, ist bezahlbar und macht ökonomisch Sinn. Der „Prosumer“ wird zum Inbegriff der Energiewende: Die Vorstellung, auf dem eigenen Dach erzeugten Ökostrom direkt selbst zu verbrauchen, kommt gut an.
Und dies trotz widriger Rahmenbedingungen. So wäre es erstens an der Zeit, das unnötig aufgeblähte Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) wieder deutlich zu vereinfachen und kontraproduktive Vorschriften abzuschaffen. Wozu Mehrwertsteuer und teilweise EEG-Umlage auf den Eigenverbrauch?
Auch macht es wenig Sinn, wenn ein Einfamilienhausbesitzer mit Photovoltaikanlage für die Einspeisevergütung einen Steuerberater engagieren muss, dessen Honorar seine Vergütungseinnahmen übersteigt. Man könnte sich bei einer Vereinfachung des EEG sogar vorstellen, sich vollständig von der EEG-Vergütung zu verabschieden, denn Photovoltaik lohnt sich ohnehin.
Zweitens ist es höchste Zeit für eine allgemeine Solarpflicht für Neubauten und Gebäudesanierungen – optimalerweise mit finanziellen Anreizen, um die Sanierungsquote endlich signifikant zu erhöhen.
Für all diejenigen, die kein eigenes Dach haben – in Deutschland die Mehrheit –, ist solarer Mieterstrom eine gute Lösung. Die gesetzlichen Vorschriften erschweren allerdings die Wirtschaftlichkeit der Mieterstromprojekte erheblich. Insofern sollte drittens das Mieterstromgesetz nachgebessert werden, damit alle ihren Teil zur Energiewende beitragen können.