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Ökostrom im Gastank

Gut 40 Fuß groß ist der Seecontainer des Elektrolyseurs im Chemiepark am Hamburger Holstendamm. „Der Covestro Industriepark Brunsbüttel verfügt über eine sehr gute Möglichkeit für die Gasnetzeinspeisung“, erklärt Tim Brandt die Entscheidung für den Standort. Er ist Geschäftsführer der Firma Wind to Gas Energy. Brandts Projekt gliedert sich in eine ganze Reihe von Vorhaben ein, wie sie mittlerweile an vielen Standorten, insbesondere in Norddeutschland, gestartet werden. Bei allen geht es um eine intelligente Kopplung der Energiesektoren, damit überschüssiger Windstrom nicht abgeregelt werden muss.

Die von der Firma betriebene Anlage im schleswig-holsteinischen Brunsbüttel hat eine Leistung von 2,4 Megawatt und wurde im August 2019 offiziell eingeweiht. Greenpeace Energy nimmt den größten Teil der ins Erdgasnetz eingespeisten Wasserstoffmenge ab. Laut dem vereinbarten Liefervertrag sind das bis zu 1,8 Gigawattstunden. Jahr für Jahr. Denn die Energiegenossenschaft versorgt bundesweit rund 24.500 Haushalte mit dem sogenannten Windgas, das einen kleinen Anteil grünen Wasserstoff aus überschüssigem Windstrom enthält.

Elektrolyseur stabilisiert Stromnetz

Bundesweit produzieren nun vier Elektrolyseure grünen Wasserstoff für Greenpeace Energy. „Der neue Elektrolyseur ist für die Region auch deshalb ein wichtiges Projekt, weil er den Zielen der Energiewende dient und hilft, die Netze zu entlasten“, erklärt Nils Müller, Vorstand bei Greenpeace Energy. Die Anlage springt immer dann an, wenn wegen einer hohen Auslastung des Netzes Windenergieanlagen abgeschaltet werden sollen. Deren Strom wird dann zu Windgas. Die im Windpark produzierten Überschüsse gelangen per Direktleitung zum Elektrolyseur und werden dort für die Produktion von Wasserstoff eingesetzt. Brunsbüttel gilt als windstarker Standort, an dem viel fluktuierender – also wetterabhängiger – Ökostrom erzeugt wird und der Wasserstoff in die nahe Erdgaspipeline eingespeist werden kann.

Hans-Reimer Thießen ist neben Tim Brandt der zweite Geschäftsführer von Wind to Gas Energy. Thießen war der Initiator des Projekts. Er ist ein Windpionier der ersten Stunde und seit Anfang der 90er-Jahre in der Branche aktiv. Vor gut vier Jahren schrieb Brandt seine Studienabschlussarbeit über Anwendungsmöglichkeiten von Power-to-Gas. Zu dieser Zeit entstand die Idee, das Thema auch in der Praxis gemeinschaftlich in einem Projekt umzusetzen.

Batteriespeicher beim Umspannwerk

Gesagt, getan: 2015 wurde die neue Firma gegründet, um drei Teilprojekte anzuschieben: einen Windpark, einen Batteriespeicher und ein Wasserstoffprojekt. Der Windpark besteht aus fünf Windkraftanlagen mit 15 Megawatt Leistung, die von Enercon geliefert wurden. Der Hersteller leidet wie die gesamte Windbranche unter den geringen Zubauzahlen. De facto ist die Installation von Windkraftanlagen fast zum Erliegen gekommen. Der Batteriespeicher kann in Sekundenbruchteilen Strom speichern oder einspeisen. Er steht sehr nah beim Umspannwerk Ostermoor. An diesem Knotenpunkt im Netz ist auch der Windpark angeschlossen. Der große Batteriepuffer kommt von Ads-Tec. Er leistet zwei Megawatt und verfügt über 2,7 Megawattstunden Kapazität.

Das gesamte Projekt von Wind to Gas Energy ist Teil einer Blaupause für die Energiewende, genannt New 4.0. Es steht für eine intelligente Energiewende in Norddeutschland und für eine Kopplung der Sektoren. Letzten Endes soll überschüssiger Windstrom nicht abgeregelt werden, sondern als grüner Wasserstoff in den Tank von bislang nur asiatischen Brennstoffzellenautos fließen. „Das Projekt erhielt eine kostenbasierte Förderung über eine Laufzeit von vier Jahren“, sagt Brandt. Im Schnitt decke das 20 Prozent der gesamten Kosten. Das Start-up investiert einen mittleren einstelligen Millionenbetrag allein in das Wasserstoffprojekt.

450 Kubikmeter pro Stunde

Der groß gewachsene Manager Brandt präsentiert nicht ohne Stolz das Innenleben des PEM-Elektrolyseurs. Die Firma Hydrogenics habe die Ausschreibung aufgrund des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses im Wettbewerb unter fünf Angeboten gewonnen, schildert Brandt. Die kanadische Firma besitzt mehrere Jahrzehnte Erfahrung und ein solides Produkt. Der Elektrolyseur verfügt über 2,4 Megawatt elektrischer Leistung.

Das entspricht 450 Normkubikmeter pro Stunde bei einem Druck von 30 Bar, umgerechnet sind das 40 Kilogramm Wasserstoff. Damit könnte ein Elektroauto mit Brennstoffzelle 4.000 Kilometer zurücklegen. An der Tankstelle wird ein Kilogramm Wasserstoff mit 9,50 Cent gehandelt. H2 Mobility betreibt deutschlandweit 77 Tankstellen, Stand Ende November 2019 sind weitere 18 in der Genehmigung, Ausführung und im Probebetrieb, weitere zehn sind laut der Website des Betreibers geplant.

Mit 70 Bar einspeisen

Den grünen Strom für die Elektrolyse bekommt die Wind to Gas Energy aus ihrem eigenen Windpark. Eine extra neu gebaute, rund sechs Kilometer lange Stromtrasse befördert ihn 27 Meter unter dem Nord-Ostsee-Kanal hindurch bis zum Covestro-Gelände. Bei angenommenen 3.000 Volllaststunden der Windturbinen pro Jahr ließen sich maximal zwei Millionen Kubikmeter Wasserstoff herstellen.

Der Netzbetreiber Schleswig-Holstein Netz ist für den Bau der Einspeiseanlage für das Erdgas verantwortlich. Zwei redundante Verdichter werden dafür aufgebaut, die den grünen Wasserstoff mit 70 Bar ins Erdgasnetz einpressen. Wenn ein Verdichter ausfällt, wird die technische Verfügbarkeit trotzdem weiter gewährleistet.

Fossiler Wasserstoff zu billig

Seit Anfang 2019 arbeitet die Einspeise- und Verdichtungsanlage. Die Besonderheit: Der Einspeisepunkt kann Wasserstoff ganzjährig im Megawattbereich aufnehmen. Aufgrund der gesetzlichen Maßgabe von maximal zwei Prozent Wasserstoffanteil am Erdgas ist das nur an wenigen Netzpunkten in Deutschland möglich. Grund dafür ist die ansässige Industrie in Brunsbüttel, die große Mengen Erdgas verbraucht.

Nur an wenigen industriellen Standorten in Deutschland herrschen so hohe Volumenströme. Große Verbraucher des Wasserstoffs sind beispielsweise der Düngemittelhersteller Yara, der sich hier angesiedelt hat. Perspektivisch hofft Brandt, Yara und Co. mit grünem Wasserstoff zu beliefern. Das Problem: Der derzeitige Preis, den die Industrie für das Gas zahlt, entspricht nur rund einem Drittel von dem, was seine Firma braucht, kalkuliert Brandt.

Die Wasserstofftanke ist seit April 2019 in Betrieb. Bedingung für die Tankstelle in Brunsbüttel waren damals mindestens 15 Erklärungen von Kaufinteressanten für ein H2-Auto. „Uns lagen Ende 2018 fast 100 dieser Absichtserklärungen vor“, schildert Brandt – und so konnte es losgehen. Mittlerweile wurde eine Kooperation mit Hyundai Deutschland geschlossen. Das Start-up ist deshalb auch Vertriebspartner für das Modell Nexo und bietet Probefahrten an. Eine gemeinsame Marketingkampagne soll das Thema voranbringen. Künftig wird der Nexo auf Messen und Veranstaltungen zum Testen bereitstehen. Daneben gibt es noch den Toyota Mirai im Handel, der Honda Clarity steht vor der Markteinführung, ist aber in Deutschland noch nicht lieferbar.

Eine Software dirigiert

Ein übergeordneter Energiemanager soll alle Prozesse und Anlagen des Projekts überwachen und steuern. Er dirigiert je nach Bedarf im Stromnetz und dem Preis an der Strombörse und entscheidet, ob der Elektrolyseur Wasserstoff herstellt oder Strom aus dem Batteriespeicher wieder ins Netz eingespeist werden soll. Der Energiemanager erfasst zudem, wie voll der Wasserstofftank ist – und entscheidet, ob ins Erdgasnetz gespeist wird oder eben nicht. Der Tank mit 45 Bar Druck an der Tankstelle kann 200 Kilogramm Wasserstoff speichern. Genug für rund 40 Tankfüllungen. „In fünf Stunden lässt sich der leere Tank rechnerisch wieder auffüllen“, erklärt Brandt.

EU will Doppelbelastung abschaffen

Die Software entwickelte Wind to Gas Energy zusammen mit einem IT-Unternehmen. Das Vorhaben auf dem Chemiepark am Holstendamm sei ein erstes Demonstrationsprojekt, künftig müsse man größer denken, um den Überschussstrom sinnvoll und über Sektoren hinweg zu nutzen, berichtet Brandt. „Die Technologie ist reif, sie funktioniert“, weiß er aus eigener Erfahrung. Der Platz sei ebenfalls da, um die Anlage mal Faktor zehn oder größer auszubauen. Problem sei, dass derzeit die volle EEG-Umlage auf den selbst verbrauchten Strom fällig wird.

Entscheidend ist die Tatsache, dass der Strombezug von Ökostrom des Elektrolyseurs energiewirtschaftsrechtlich als Letztverbraucher eingeordnet wird, wie es in einem aktuellen Papier des Speicherverbands BVES heißt. Dadurch steigen die Kosten für den Strombezug von Elektrolyseuren etwa in Schleswig-Holstein von durchschnittlich 30 auf bis zu 180 Euro pro Megawattstunde an, je nach Höhe der örtlichen Entgelte und Abgaben. Das gelte es zu ändern.

Der regulatorische Rahmen müsse die Senkung von Kohlendioxidemissionen finanziell bewerten, fordert auch der BVES. So wie es bei Erzeugungsanlagen, Netzen und Endverbrauchern der Fall ist, dürfe eine zwischengespeicherte Kilowattstunde nicht doppelt mit den gleichen Abgaben und Umlagen belastet werden.

Im Paragraphen 118, Absatz 6 Energiewirtschaftsgesetz steht, dass Power-to-Gas-Technologien bei der Stromumwandlung nicht mit Netzentgelten belastet werden dürfen. Die EU will die doppelten Belastungen abschaffen, wenn Speicher Netzdienstleistungen erbringen. Die Mitgliedstaaten haben bis zum Sommer 2020 Zeit, die neuen Regeln in nationales Recht umzusetzen.

Methanisierung zu teuer

„Auch die EEG-Umlage auf unseren Stromverbrauch muss wegfallen“, fordert Brandt. Hoffnung liegt auch auf einem angemessenen Preis für Kohlendioxid. Er kann helfen, um die Industrie ins Boot zu holen. Ein Strom zum Börsenpreis wäre laut Brandt ausreichend, um wirtschaftlich zu arbeiten. Voraussetzung sei, dass die EEG-Umlage wegfalle. Eine zusätzliche Methanisierung wäre dagegen derzeit nicht wirtschaftlich. Das würde die Investitionskosten laut Brandt noch einmal verdreifachen.

www.w2g-energy.de

New 4.0

Intelligent Sektoren verbinden

Schleswig-Holstein ist das neue Eldorado für Ökostrom. Schon seit mehreren Jahren exportiert das nördlichste Bundesland mehr Strom, als es verbraucht. In Hamburg decken dagegen Erneuerbare nicht einmal drei Prozent des Verbrauchs. Das Projekt New 4.0 steht für eine intelligente Energiewende in Norddeutschland; es ist ein Verbund zwischen Erzeugern und Verbrauchern über verschiedene Sektoren hinweg.

Das Ziel: Bis 2035 soll die Region vollkommen auf Ökostrom umgestellt sein. Das Schaufenster für intelligente Energie New 4.0 wird vom Bundeswirtschaftsministerium mit 45 Millionen Euro gefördert, rund 60 Unternehmen und Institute investieren zusätzlich zwischen 60 bis 80 Millionen Euro. Das Projekt von Wind to Gas Energy gehört dazu.

www.new4-0.de

Viessmann

Schweiz bekommt industrielle Power-to-Gas-Anlage

Der schweizerische Energieversorger Limeco baut mit den Viessmann-Tochterunternehmen Microb Energy und Schmack Biogas eine Power-to-Gas-Anlage im industriellen Maßstab. Hierbei kommt die mikrobiologische Umwandlung von Wasserstoff zu Methan zur Anwendung, die von Microb Energy entwickelt und zur technischen Reife gebracht wurde.

Nach dem Spatenstich im Frühjahr 2020 soll die Inbetriebnahme in rund einem Jahr erfolgen. Für den Bau der Anlage wird Schmack Biogas verantwortlich sein. Durch die Verbrennung von erneuerbarem Gas anstelle von Heizöl werden dann jährlich 4.000 bis 5.000 Tonnen weniger Kohlendioxid entstehen, was dem Verbrauch von rund 2.000 Haushalten entspricht.

„Limeco ist mit seinen drei Geschäftsbereichen Abfall- und Abwasserentsorgung sowie Wärmeversorgung für ein Energiesystem mit Power-to-Gas prädestiniert. Der bei der Kehrichtverwertung erzeugte Überschussstrom wird zu Wasserstoff umgewandelt und mit Klärgas aus der Abwasserreinigungsanlage gemischt“, erklärt Doris Schmack, Geschäftsführerin der Microb Energy. Die PEM-Elektrolyseanlage von Siemens verfügt über eine Leistung von insgesamt 2,5 Megawatt Leistung und kann damit bis zu 450 Kubikmeter Wasserstoff pro Stunde erzeugen. Dieser werde dann zusammen mit dem Kohlendioxid aus dem anfallenden Klärgas zu Biomethan umgewandelt.

www.viessmann-newsroom.de

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