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Die Energiefrösche

Jeder weiß, dass Wetterprognosen nicht immer zutreffen. Bei der Entscheidung, ob man mit Regenschirm aus dem Haus geht und welche Schuhe für den Tag die geeigneten sind, kann man sich in der Regel auf die Vorhersage verlassen. Bei der Vorhersage von Wind, Temperatur und Niederschlag haben die Meteorologen inzwischen viel Erfahrung. Doch für die voraussichtliche Produktion von Wind- und Solarenergie an einem bestimmten Anlagenstandort müssen zusätzliche Parameter und ungleich mehr Know-how in die Prognose einfließen.

Mit dem Anstieg der volatilen Energieträger im Strommix steigt auch die Dringlichkeit, ihren Ertrag noch genauer vorherzusagen. Denn bei hoher Produktion muss gegengesteuert werden, mit dem Abregeln anderer Kraftwerke oder gar mit dem Abregeln ausgewählter Wind- oder Solarkraftanlagen. Deshalb müssen die Netzbetreiber wissen, wie viel Strom aus diesen Erzeugungsarten am nächsten Tag oder in der nächsten Viertelstunde ins Netz kommt.

Akteure im Prognosemarkt

Aber auch für Direktvermarkter von Wind- und Solarstrom ist die Ertragsprognose bedeutsam. Sie bieten bereits am Vortag aufgrund von Prognosen eine bestimmte Strommenge an und korrigieren dieses Angebot unter Umständen im Laufe des Tages. Bei Über- oder Unterproduktion müssen sie entsprechend reagieren.

Mit der Direktvermarktung ist deshalb auch ein Prognosemarkt entstanden, in dem verschiedene Anbieter mit ihren Lösungen aufwarten. Das Unternehmen Enercast zum Beispiel hat sich auf Energieprognosen für Wind und Solar spezialisiert und bietet diese Vorhersagen sowohl Netzbetreibern als auch Direktvermarktern an.

Verschiedene Wettermodelle als Basis

Thomas Landgraf, Geschäftsführer von Enercast, erläutert dieses Angebot: „Für unsere Vorhersagen kaufen wir zehn internationale Wettermodelle ein. Auch die einzelnen Wetterdienste haben ihre spezifischen Stärken und Schwächen. So kann beispielsweise der englische Wetterdienst UK Met das Wetter an der deutschen Nordseeküste für unseren Bedarf besser prognostizieren als andere. Solche Spezifika der einzelnen Wettermodelle fließen in unsere Algorithmen ein. Das heißt, für jede Region gibt es einen speziellen Datenmix, auf dessen Grundlage die Prognose erstellt wird.“

Anhand der dann tatsächlich eingetretenen Wetterverhältnisse überprüft Enercast ständig die Qualität der Modelle der einzelnen Wetterdienste und passt seine Algorithmen entsprechend an. Eine informationstechnische Herausforderung, die mit künstlicher Intelligenz und neuronalen Netzen bewältigt wird. Die Algorithmen lernen selbst, nicht nur die vorhergesagten und tatsächlichen Werte der Wettermodelle werden ständig verglichen, auch die konkreten Ertragsdaten der Anlagen können aufgrund von Erfahrungswerten ständig besser vorhergesagt werden. Die Prognoseprodukte, die Enercast schließlich an seine Kunden liefert, sind deshalb genauer als selbst programmierte Lösungen einzelner Stadtwerke. Ein Stadtwerk kann mit guten externen Prognosen deshalb spürbare Einsparungen beziehungsweise auch Mehreinnahmen generieren. Einsparungen deshalb, weil der eigene Prognoseaufwand wegfällt, Mehreinnahmen deshalb, weil durch die genaueren Prognosen auch das eigene Angebot treffsicherer auf den Markt gebracht werden kann.

Vorhersage für 96 Viertelstunden

Prognosedienstleister beliefern ihre Kunden mit der Day-ahead-Prognose, einer Prognose, die am Vortag für den kommenden Tag erstellt wird. Aus der Wetterprognose ist dann allerdings schon eine Energieprognose geworden. Der Kunde erhält für seine konkreten Anlagen eine viertelstundengenaue Vorhersage der voraussichtlich produzierten Energiemenge des nächsten Tages. Das heißt konkret 96 Werte für jede Anlage, ein Portfolio oder eine Region in Kilowattstunden. Auf Basis dieser Werte kann der Direktvermarkter sein Angebot für den kommenden Tag sehr genau abschätzen und entsprechend anbieten. Doch das Wetter bleibt das Wetter. Wo genau sich Wolken bilden oder wie schnell sich Frühnebelfelder auflösen, ist einfach nicht zu 100 Prozent vorhersagbar. Deshalb gibt es die Intraday-Prognose. Diese bekommt der Kunde für den aktuellen Tag. Sie ist deutlich genauer, enthält neue Wetterdaten, aber auch schon Messdaten von einzelnen Anlagen. Der Händler kann damit seine Verkaufs- oder Zukaufsaktivitäten steuern.

Nebel und kleine Wolkenfelder

Ein weiterer Baustein im Angebot ist die Echtzeitprognose. Sie bildet die voraussichtlichen Erträge ab einem bestimmten Zeitpunkt für die nächste Stunde ab. Sie ist nochmals genauer und sehr wichtig für den Händler. Die Direktvermarkter wiederum verlassen sich meist nicht nur auf eine Prognose, sondern kaufen unter Umständen mehrere ein – und erstellen daraus teilweise noch einmal eine ganz individuelle Prognose für ihr Portfolio.

„Direktvermarkter kaufen Prognosen keineswegs blind ein“, berichtet Landgraf. „In der Regel lässt ein Direktvermarkter zwei bis drei Prognosen für seine Anlagen laufen und schaut dann über einen Zeitraum von mehreren, meist drei Monaten, welche Prognose am Ende die beste war. Erst dann wird gekauft. Die Ergebnisse können dabei je nach Portfolio sehr unterschiedlich ausfallen.“ Alle zwei Jahre wird so ein Benchmark wiederholt.

Vorhersagen für Wind und Sonneneinstrahlung haben beide ihre ganz eigenen Herausforderungen. Bei Enercast fließen in die Solarstromprognose 14 Parameter ein. Scheint die Sonne, ist die Prognose sehr präzise. Unsicherheiten ergeben sich vor allem durch Frühnebel und kleinere Wolkenfelder, die sich spontan bilden. Schnee kann gut prognostiziert werden, aber schwieriger wird es schon mit der Vorhersage, wann er wieder vom Modul abrutscht oder taut. Staub kann derzeit so gut wie gar nicht prognostiziert werden, aber doch erhebliche Auswirkungen auf den Ertrag haben. Und ein entscheidender Vorteil für Photovoltaik: Es gibt nicht nur die Wetterprognose, sondern auch Satelliteneinstrahlungsdaten. Windprognosen müssen mehr Wettereinflüsse berücksichtigen als Photovoltaikprognosen, hier arbeitet Enercast mit 17 Parametern.

Ein anderer großer Prognosespezialist ist Meteogroup. Der private Wetterdienst ist in Europa an elf Standorten vertreten und bietet vielfältige Wetterdienstleistungen an. Reedereien planen zum Beispiel die Routen ihrer Schiffe auf Grundlage von speziellen Vorhersagen, Landwirte ihre Aussaat oder Ernte. Die Energieexperten von Meteogroup sind in den Niederlanden tätig. Von dort aus versorgen sie europaweit Kunden im Stromhandel, in der Direktvermarktung oder im Netzbetrieb mit entsprechenden Prognosen.

Wie sicher ist die Vorhersage?

Verschiedene Wettermodelle werden für die Ertragsprognose zusammengefasst, statistische Werte einbezogen und daraus schließlich eine Ertragsprognose für jede einzelne Anlage an ihrem konkreten Standort errechnet und geliefert. Aus Satelliteneinstrahlungsdaten, lokalen Wettermodellen und Rückmeldungen über tatsächliche Erträge von Anlagen wird die Prognose alle 15 Minuten neu berechnet. Gerald van der Grijn, Forschungsgruppenleiter bei Meteogroup, erklärt speziell zur Solarstromprognose: „Solar ist ein bisschen kniffliger als Wind. Die Wolkenbildung, die ja regional sehr unterschiedlich sein kann, wird einfach von vielen Randbedingungen beeinflusst, die schwer in ihrer Komplexität berechnet werden können.“

So hängt denn auch die Zuverlässigkeit stark von der jeweiligen Wettersituation ab. Es gibt Wetterlagen, bei denen man sehr genaue Prognosen erstellen kann, und Wetterlagen, bei denen von vornherein klar ist, dass die Prognose mit größeren Unsicherheiten behaftet ist. Die Meteorologen bei Meteogroup informieren ihre Energiekunden daher im Vorfeld über die Wahrscheinlichkeit der Vorhersagen, sodass fundierte Entscheidungen getroffen werden können.

Einfaches Preismodell

Meteotest mit Sitz in Bern ist unseren Lesern durch die monatlich aktualisierte Einstrahlungskarte bekannt. Der private Wetterdienst ist seit zwei Jahren ebenfalls Anbieter von Ertragsprognosen für Photovoltaik. Zu den Kunden zählen Netzbetreiber und Direktvermarkter, aber auch Hersteller von Energiemanagementsystemen. Meteotest nutzt als Basis das globale Wettermodell GFS des amerikanischen Wetterdienstes, dessen Daten frei zur Verfügung stehen.

Die Datenpunkte des Modells liegen jeweils 13 Kilometer auseinander, das Modell ist also sehr engmaschig geknüpft. Meteotest optimiert die Vorhersagen durch statistische Nachbearbeitung mit Messdaten und mit sehr umfangreichem Wetter-Know-how. Die Vorhersagen werden so stündlich aktualisiert und prognostizieren die Wetterbedingungen für die nächsten 72 Stunden. René Cattin, Leiter des Energieforecasts, erklärt: „Wir haben vor allem gelernt, dass die Vorhersage einer bestimmten Einstrahlung nicht das Gleiche ist wie die Vorhersage einer konkreten Energieproduktion für eine bestimmte Photovoltaikanlage. Das sind doch zwei sehr verschiedene Schuhe, die jeweils ganz bestimmtes Wissen erfordern. Deshalb arbeiten wir jetzt seit Juni auch mit der Firma Pho2ris zusammen, einer Ausgründung aus der Juwi AG. Die Mitarbeiter der Pho2ris haben große Erfahrung mit der physikalischen Simulation von Anlagen – wir beschränken uns auf das Wetter beziehungsweise die Einstrahlungsprognose.“ Das Preismodell der Schweizer ist bewusst einfach gehalten. Weltweit wird ein Preis pro Anlagenstandort abgerechnet. Die Größe der Anlage spielt keine Rolle.

Das löst nicht alle Preisdiskussionen, aber ist ein erster Schritt in Richtung mehr Transparenz. „Wir spüren eine deutlich stärkere Nachfrage nach Prognosedaten. Vor zehn Jahren wollte man fast ausschließlich Vorhersagen für Wind, Temperatur und Niederschlag. Das ist heute ganz anders. Die weltweite Globalstrahlung ist jetzt eine ganz wichtige Größe“, fasst Cattin die Entwicklung zusammen.

Kooperation mit Forschungspartnern

Christian Kurz verantwortet bei Meteocontrol die Photovoltaik-Ertragsgutachten und Prognosen. Er sieht in den verwendeten Wetterdaten den Hauptunterschied zwischen den Prognoseanbietern. „Dazu kommt das Know-how, wie der Anbieter die verschiedenen Prognosen mischt“, fügt er hinzu. Die Händler wiederum wissen, wie der Energiemarkt funktioniert. Deren Wissen fließt schließlich auch noch in die Ertragsprognose ein. Meteocontrol kauft verschiedene Wettermodelle ein und kooperiert bei der Erstellung von Einstrahlungsprognosen mit Forschungspartnern, unter anderem besteht eine enge Zusammenarbeit mit der Universität Oldenburg. „Da entstehen Doktorarbeiten zu dem Thema, es wird daran geforscht, wie man die Daten am geschicktesten aufbereitet. Von diesem Know-how profitieren wir“, erklärt Kurz.

41 Gigawatt in der Direktvermarktung

Für die kommende größere Anzahl auch kleinerer Anlagen in der Direktvermarktung sieht er für alle Beteiligten vor allem Vorteile: „Für uns ist es kein Problem, für mehrere, auch kleine Anlagen Prognosen zu liefern. Da das Hauptgeschäft von Meteocontrol eigentlich das Monitoring ist, sind auch viele Anlagen bereits mit ihren Daten im Portal erfasst. Da ist es fast nur ein Klick, für solch eine Anlage auch eine Prognose aufzusetzen.“

Der Direktvermarkter wiederum kann sich eigentlich nur eine große regionale Verteilung wünschen, die ja bei vielen kleineren Anlagen unweigerlich entsteht. So können Prognosefehler besser ausgemittelt werden .

Die kumulierte Leistung von Solaranlagen, die zur Direktvermarktung mit Inanspruchnahme der Marktprämie bei den Übertragungsnetzbetreibern gemeldet sind, liegt derzeit bei rund 5,7 Gigawatt. Bis zum März 2015 waren es nach einem kontinuierlichen Anstieg seit 2012 schon einmal etwas über sechs Gigawatt. Aufgrund der Vorgaben zur Fernsteuerbarkeit haben aber vermutlich einige Betreiber ihre Anlagen zunächst aus der Direktvermarktung herausgenommen. In Summe war im Mai 2015 Anlagenleistung aus Windkraft und Solar von 41 Gigawatt in der Direktvermarktung. Das ist eine beachtliche Menge. Für Direktvermarkter kommt es vor allem auf die Größe und Verteilung des eigenen Portfolios an, sowohl regional als auch über die verschiedenen Erzeugungsarten.

Jan Aengenvoort, Unternehmenssprecher der Next Kraftwerke GmbH, spricht aus Sicht des Direktvermarkters über die Entwicklung: „Einige Direktvermarkter bauen gegenwärtig vor allem den Intradayhandel aus, das heißt, sie versuchen ihre eigenen Prognosedifferenzen wegzuhandeln. Sie verkaufen über den Tag für die nächste sinnvolle Zeiteinheit Strom über die Börse.“ Next Kraftwerke hat 311 Megawatt Leistung Solarstrom im Portfolio, im Windsektor gibt es eine Kooperation mit Statkraft. Relativ groß ist das Volumen an Biomasse im Portfolio. Es beträgt ein Gigawatt. Ein Vorteil für den Vermarkter, Prognosedifferenzen kann er mit dieser regelbaren Energie relativ leicht selbst ausgleichen.

In Zukunft kleinere Einheiten managen

Aengenvoort weist auf eine interessante Tatsache hin: „Die Menge der vorzuhaltenden Regelenergie ist nicht gestiegen, obwohl die Menge volatiler Energien im Stromhandel in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen hat.“ Das überrascht, wird aber von Volker Kamm, Pressesprecher von 50Hertz, bestätigt.

Er sieht die Ursache dafür unter anderem in der Heterogenität der Verantwortlichkeiten und der verbesserten Bilanzkreisbewirtschaftung durch die Direktvermarkter. Nach Aengenvoorts Meinung hat vor allem der zunehmende Intradayhandel viel Druck aus dem System genommen. Das Unternehmen rechnet erst 2020 wieder mit einem Anstieg der vorzuhaltenden Regelenergie.

Da Next Kraftwerke über ein virtuelles Kraftwerk verfügt, weiß man dort jederzeit genau, was die einzelnen Kraftwerke gerade produzieren. „Das ist ein großer Schatz, der neben den aggregierten Einstrahlungsprognosen und den Erfahrungswerten in die Ertragsprognose einfließt“, berichtet Aengenvoort und blickt in die Zukunft: „Obwohl wir nicht mit einem Boom von Anlagen in der Direktvermarktung rechnen, müssen Vermarkter sich doch auf einige Veränderungen einstellen.“

So müssen sie kleinere Einheiten managen. Das Handling der einzelnen Vertragsbeziehung von der Vertragsschließung bis zur Abrechnung muss noch stärker automatisiert werden. Vielleicht wird der Direktvermarktungsvertrag demnächst im Internet geschlossen, so wie auch ein Stromliefervertrag im privaten Haushalt.

Auf einen Blick

Direktvermarktung

Mit dem EEG 2012 wurde eine Marktprämie für die Betreiber von Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien eingeführt, wenn diese ihren Strom direkt vermarkten. Die Marktprämie gleicht dabei für den Betreiber die Differenz zwischen dem durchschnittlichen Börsenpreis und der EEG-Vergütung aus, er erhält also niemals weniger Eurocent pro Kilowattstunde, als die jeweils gültige EEG-Vergütung vorsieht. Er kann aber mehr erwirtschaften, wenn er zu Spitzennachfragezeiten und Spitzenpreisen liefern kann. Zusätzlich führte der Gesetzgeber eine Managementprämie ein, die, vereinfacht gesagt, den Aufwand des Direktvermarkters decken soll.

Vor Einführung der Direktvermarktung waren die Übertragungsnetzbetreiber die Direktvermarkter und trugen auch das Risiko, ob viel oder wenig Strom aus volatilen Energien geliefert wurde. Damit wurde das Risiko letztlich auf die Verbraucher verteilt, was sich auch preislich in der Höhe der EEG-Umlage niedergeschlagen hat. In der jetzigen Form der Direktvermarktung liegt das Risiko bei den Vermarktern. Aber der Gesetzgeber hatte auch einen zweiten Effekt im Blick: Wenn es die EEG-Vergütung nicht mehr gibt, soll der Markt Erfahrungen in der Vermarktung und entsprechende Strukturen aufgebaut haben. Seit dem Inkrafttreten des EEG 2014 gilt die verpflichtende Direktvermarktung für Neuanlagen ab 500 Kilowatt Leistung. Ab Januar 2016 wird für neu errichtete Anlagen ab einer Leistung von 100 Kilowatt die Direktvermarktung zwingend als Vertriebsweg vorgeschrieben.

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