Es ist ein sonniger Frühlingstag. Der erste Möbelwagen fährt vor die Tür des Neubaus im Kölner Stadtteil Zündorf. Noch sind die Grünanlagen vor dem Haus nicht fertig, aber die ersten Mieter ziehen bereits ein. Innerhalb der nächsten Wochen werden 26 Familien ihr neues Domizil in Besitz nehmen. Dann beginnt für sie nicht nur der Alltag in einer neuen Wohnung, sondern auch das Leben mit der Energiewende. Sie werden ihren Strom nicht mehr von RWE kaufen, sondern die Sonne liefert einen guten Teil des Bedarfs vom Dach des Mehrgeschossers. Photovoltaik auf einem Mietshaus inmitten der Großstadt: Wovon andere Mieter in Deutschland noch träumen, wird für die Kölner zur Realität.
Ein steiniger Weg
Der Weg dahin war steinig. Schließlich war zwar eine Solarstromanlage auf dem Dach vorgesehen, aber der Hauseigentümer wollte den Strom ins Netz einspeisen. Der Eigenverbrauch im Gebäude war nicht vorgesehen. „Wir haben das gesamte Konzept des Elektrofachplaners erst einmal komplett verworfen und mit dem Eigenverbrauch im Gebäude neu aufgestellt“, erinnert sich Andre Steffens, Geschäftsführer von Wi Solar aus Kaisersesch. „Außerdem haben wir dem Hauseigentümer klargemacht: Wenn er den Strom im Gebäude nutzt, kann er die Photovoltaik in die Vorgaben der EnEV einrechnen.“ Steffens hat sich mit seinem Unternehmen auf die Maximierung des Eigenverbrauchs von Solarstromanlagen spezialisiert. Schon seit 2009 plant er Anlagen für seine Kunden mit maximalem Eigenverbrauch.
Lastkurve genau treffen
Von Anfang an hat er Anlagen auf Mehrfamilienhäusern gebaut. Sie sind in der Planung komplizierter als Einfamilienhäuser oder Anlagen auf Gewerbebetrieben. Anders als im Gewerbebetrieb, wo der Lastgang viertelstündlich aufgelöst vom Energieversorger vorliegt, müssen die Planer im privaten Bereich sich darauf verlassen, was die Bewohner des Gebäudes ihnen über ihre Lebensgewohnheiten berichten. Danach können sie sich ein annäherndes Bild über den Lastgang im Gebäude machen und die Anlage entsprechend auslegen. Dieses Problem multipliziert sich mit 26 und der Ungewissheit, wer eigentlich in die Wohnungen einzieht und wie die Lebensgewohnheiten der Bewohner aussehen.
Am Ende muss die Planung möglichst genau auf die Lastkurve im Gebäude abgestimmt sein. „Wir können dafür nicht auf eine registrierende Lastgangmessung zurückgreifen“, erklärt Andre Steffens. „Diese kostet immerhin gut 100 Euro im Monat. Das ist für einen Privathaushalt viel zu teuer. Deshalb nutzen wir bei unserer Planung die Standardlastprofile des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft. Der Vorteil dabei ist, dass in einem Mehrfamilienhaus die Zahl der Haushalte viel größer ist. Je mehr Parteien man hat, desto größer sind die Chancen, dass wir bei der Auslegung der Anlagen das Standardlastprofil tatsächlich treffen.“
Hinzu kommen der Hausstrom und der Strom für die Wärmepumpe. Dafür greifen die Planer von Wi Solar auf die Lastprofile der Wärmepumpenhersteller zurück.
Das sind die Eingangsgrößen, mit denen die Fachleute in die Planung gehen. Sie bekommen eine Übersicht, wie viele Haushalte mit wie vielen Personen in das Haus einziehen. Damit können sie das Lastprofil für das gesamte Gebäude berechnen. „Das ist natürlich nur eine Annäherung an die Realität“, sagt Steffens. „Aber wir versuchen, das immer mehr zu optimieren, sodass der Anteil des Eigenverbrauchs immer größer wird.“
Ausrichtung ist entscheidend
Dabei spielt weniger die Größe des Generators eine entscheidende Rolle, sondern vor allem dessen Ausrichtung zur Sonne. In der Regel werden solche Anlagen in Ost-West-Ausrichtung gebaut. Die Planer gehen davon aus, dass ein Großteil der Mieter tagsüber nicht zu Hause und deshalb der Stromverbrauch vor allem am Morgen und am Abend besonders hoch ist. „Da ist der Investor gefragt, was er bevorzugt“, erklärt Steffens. „Natürlich ist die Ost-West-Anlage die bessere Alternative, was den Eigenverbrauch in einem Mehrfamilienhaus betrifft. Wenn der Hauseigentümer eine prozentual höhere Rendite und eine schnellere Amortisation seiner Investition verlangt, ist die Südausrichtung besser. Lässt er sich auf eine geringere Rendite und eine längere Amortisationszeit ein, ist die Ost-West-Ausrichtung besser. Dann hat der Investor am Ende auch mehr Gewinn, allerdings über eine längere Laufzeit.“ Denn die Strompreise steigen, und der Eigenverbrauch wird immer attraktiver.
Ein Neubau in Düsseldorf
Mit diesem Problem haben sich auch die Bewohner eines Neubaus im Düsseldorfer Quellenbusch herumgeschlagen, zufällig ebenfalls 26 Familien. „Wir haben lange hin und her gerechnet“, erinnert sich Frank Sent von Qbus. So nennt sich die Düsseldorfer Eigentümergemeinschaft, die das Haus bewohnt. „Das lag zum einen daran, dass wir zwar ein Flachdach haben, das aber durch Oberlichter sehr zerklüftet ist. Dadurch mussten wir auf die Verschattungen achten. Ursprünglich hatten wir mit Südausrichtung geplant. Am Ende haben wir uns für die Ost-West-Ausrichtung entschieden, um den Eigenverbrauch zu steigern.“
Das Dach voll belegt
Auch die Düsseldorfer konnten nicht auf detaillierte Lastprofile zurückgreifen. Sie wussten aber, dass die Familien den meisten Strom morgens zwischen sechs und acht Uhr sowie abends zwischen 18 und 20 Uhr verbrauchen. Jetzt stehen 97 der 152 Module gen Osten. 57 Module weisen nach Westen. Insgesamt leisten die beiden Anlagen 40,82 Kilowatt. Um so viel Leistung auf die beiden Dächer zu bauen, haben sich die Düsseldorfer zusätzlich für einen flachen Anstellwinkel der Module entschieden. Sie stehen jetzt mit 15 beziehungsweise 10 Grad Neigung auf den beiden Dächern. „Zwar ist die Ausrichtung zur Sonne nicht mehr optimal, aber so haben wir die maximale Leistung auf das Dach gebracht“, argumentiert Sent.
Die Düsseldorfer hätte ihre Anlage am liebsten noch größer ausgelegt. Aber mehr Module passten nicht auf das Dach. Jetzt deckt die Anlage auf das Jahr gerechnet ungefähr ein Drittel des Stromverbrauchs. Sie ist so kalkuliert, dass sie 30.000 Kilowattstunden im Jahr liefert. Der Gesamtstrombedarf aller 26 Familien inklusive des Hausstroms und des Stroms für die Lüftungsanlage ist mit 90.000 Kilowattstunden berechnet. Der Eigenverbrauch in den ersten Monaten entwickelt sich gut. „Wir liegen derzeit bei 60 Prozent“, sagt Frank Sent. „Das liegt auch daran, dass wir im Juli eingezogen sind. Da hatten wir noch ein paar gute Sommermonate. Der größte Teil der Messperiode lag im Herbst und Winter, wenn der Ertrag geringer ist und der Eigenverbrauch steigt.“
An manchen Tagen haben die Bewohner den gesamten Solarstrom selbst genutzt. Im Sommer gab es einige Tage, an denen sie nur 15 oder 20 Prozent selbst verbrauchten. Jetzt werden die Düsseldorfer erst einmal beobachten, wie sich der Eigenverbrauch über das gesamte Jahr entwickelt. Danach könnte vielleicht ein Stromspeicher eingebaut werden. „Wir haben das schon diskutiert, werden aber erst einmal abwarten, wie die Gesamtnutzung über das Jahr hinweg läuft“, sagt Sent. „Bisher haben wir gesehen, dass uns ein Speicher in den Wintermonaten gar nicht viel nützen würde, um den Eigenverbrauch in die Höhe zu treiben.“
Hälfte wird im Gebäude verbraucht
Zurück nach Köln, zum Mietshaus: Dort rechnet der Gebäudeeigentümer mit einem geringeren Eigenverbrauch durch seine Mieter. 255 Module auf drei Dächern leisten insgesamt 50 Kilowatt. Ihre Ausrichtung ist durch den Grundriss des Gebäudekomplexes vorgegeben. Die U-Form hat sich als vorteilhaft erwiesen. Jetzt nutzt der größte Teil des Generators aufgrund seiner Westausrichtung die Nachmittagssonne optimal aus. Die anderen beiden Dächer sind nach Südosten und Südwesten gerichtet, sodass über den ganzen Tag hinweg genügend Leistung zur Verfügung steht.
Insgesamt soll mindestens die Hälfte des erzeugten Stroms direkt im Gebäude verbraucht werden. Das ist eine der Herausforderungen, mit denen sich die Planer von Wi Solar herumschlagen mussten. „Der Generator wird nach unseren Berechnungen etwa 45.000 Kilowattstunden Strom im Jahr liefern“, rechnet Andre Steffens vor. „Wir haben 26 Mietparteien im Gebäude. Wir gehen davon aus, dass im Schnitt jede Partei 2.000 Kilowattstunden pro Jahr verbraucht. Das sind insgesamt 52.000 Kilowattstunden. Wenn der Eigenverbrauch bei etwa 50 Prozent liegt, bedeutet das, dass wir etwa 20.000 Kilowattstunden mit dem Solarstrom abdecken können.“
Überschüssiger Strom wird ins Netz eingespeist. Da die Anlage bereits im Jahr 2013 angemeldet wurde, bekommt der Anlagenbetreiber noch das Grünstromprivileg mit der verminderten EEG-Umlage. Außerdem erhält er eine Einspeisevergütung, die einen großen Teil seiner Investition abdeckt.
Gabriel bestraft Millionen Mieter
Setzt sich Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) mit seiner EEG-Novelle durch, werden sich die Bedingungen für Photovoltaikanlagen auf Mietshäusern deutlich verschlechtern. Andre Steffens von Wi Solar sieht das eigentliche Problem weniger in der Auslegung des Generators. Die technische und wirtschaftliche Herausforderung fängt mit der Verteilung des Solarstroms im Gebäude und dessen Abrechnung an. „Die einfachste Variante ist, ein reines Netzkonzept innerhalb des Gebäudes aufzubauen“, sagt er. „Dann wird der allgemeine Hausstrom primär aus der Solarstromanlage bedient. Die restlichen Zähler werden parallel dahinter geschaltet. Am Ende des Jahres wird der Solarstrom prozentual auf die einzelnen Haushalte im Gebäude aufgeteilt.“
Eigentümer oder Vermieter?
So hat es der Kölner Vermieter gemacht. Er liefert außerdem den gesamten Netzstrom für die Mieter. Damit hebelt er zwar das Recht des Mieters auf freie Wahl des Stromanbieters aus. Doch für diesen hat das ganz klare Vorteile. „Zum einen muss er nicht mehr den Stromzähler beim Netzbetreiber mieten, sondern bekommt ihn für einen geringeren Preis vom Vermieter gestellt. Da spart der Mieter schon mal viel Geld“, erklärt Steffens. Der Vermieter wiederum kann ablesen, wie viel Strom jeder Haushalt verbraucht hat. Den restlichen Strom liefert er aus dem Netz und rechnet die gesamte Strommenge, die jeder Haushalt verbraucht hat, über eine Mischkalkulation zwischen Solarstrom und Netzstrom ab.
Die Mieter wissen, dass sie mit dem Sonnenstrom vom Vermieter nicht nur moralisch besser dran sind. Denn im Mietvertrag steht, dass der Vermieterstrom immer preiswerter ist als der Strom vom örtlichen Grundversorger.
Für ein solches Konzept hat sich auch Qbus in Düsseldorf entschieden. Die Eigentümer teilen den selbst verbrauchten Solarstrom unter allen Parteien gleichmäßig auf. Den Netzstrom kauft die Baugruppe zentral vom Düsseldorfer Grünstromanbieter Naturstrom ein. Dadurch bekommt sie einen günstigeren Tarif, weil sie nicht mehr private Kleinkunden sind, sondern den Rabatt für Großkunden bekommen.
Damit nicht jeder Wohnungseigentümer in der Baugruppe einen separaten Stromliefervertrag schließen muss, haben sie eine GbR gegründet. In dieser Qbus Solar GbR ist jeder Wohnungseigentümer Mitglied, so gilt der im Gebäude genutzte Solarstrom als Eigenverbrauch. Dieser wird pauschal zu gleichen Teilen auf alle Eigentümer verteilt. „Es ist egal, ob eine Wohneinheit selbst viel Strom verbraucht hat oder nicht. Jeder bekommt den gleichen Anteil am selbst genutzten Solarstrom. So profitieren Haushalte, die selbst gar nicht viel von dem Solarstrom verbraucht haben, also die, die mittags zum Beispiel eben nicht die Waschmaschine angeworfen haben. Wenn wir eine genaue Abrechnung machen würden, wie viel Solarstrom welcher Bewohner tatsächlich verbraucht hat, müssten wir für jede Wohnung zwei Zähler installieren“, erklärt Frank Sent. „Die kosten eine Menge Geld, das wir uns jetzt gespart haben.“
Abgerechnet wird der gesamte Stromverbrauch der Haushalte im Gebäude. Der Netzbetreiber bekommt nur mitgeteilt, wie viel Strom die Eigentümergemeinschaft aus dem Netz gezogen und wie viel Solarstrom sie ins Netz eingespeist hat. Den Rest machen die Düsseldorfer selbst.
Eigene Stromzähler gekauft
Sie haben sich eigene Stromzähler gekauft und rechnen intern ab. Sie kalkulieren den Solarstrom mit 25 Cent pro Kilowattstunde. Schließlich müssen die Eigentümer den Kredit für die Anlage zurückzahlen. Gewinne wiederum fließen den Mitgliedern der GbR und damit der Hausgemeinschaft zu. „Der Fremdstrom ist im Moment mit 22,4 Cent pro Kilowattstunde noch etwas billiger“, sagt Frank Sent. „Aber das wird sich mit den steigenden Strompreisen ändern. Dann wirken sich für uns Einsparungen aus.“
Die Düsseldorfer haben ein cleveres rechtliches Konstrukt gefunden, um den Eigenverbrauch möglichst einfach zu organisieren und abzurechnen. Für Vermieter ist das Problem wesentlich schwieriger. Denn sie haben keine Möglichkeit, ihre Mieter in eine GbR zu zwingen. An dieser Stelle ist die Politik gefordert. „Es ist eigentlich egal, wer im Gebäude den Strom verbraucht, solange das nicht über das öffentliche Netz passiert“, kritisiert Andre Steffens. Er fordert die Bundesregierung auf, den solaren Mieterstrom in Mehrfamilienhäusern komplett von der EEG-Umlage zu befreien. „Dann kann auch der Mieter vom günstigen Solarstrom profitieren.“