Was ist Architekten wichtig, wenn es um die Fassade eines Gebäudes geht?
Hille Bekic: Für die Architektinnen und Architekten ist es wichtig, das gesamte Gebäude in den Blick zu nehmen. Sie schauen nicht nur auf eine technische Lösung, sondern haben die Funktionalität insgesamt im Auge. Das Gebäude muss aber nicht nur für den Nutzer passen. Es steht auch im Raum, in der Stadt. Deshalb sind Ästhetik und gestalterische Qualität wichtige Punkte.
Wenn es um Ästhetik in der BIPV geht, haben die Hersteller viel getan. Trotzdem nimmt Ihre Berufsgruppe die Solarfassade kaum an. Woran liegt das?
Neben den technischen Möglichkeiten spielen da vor allem die Grenzen des Budgets eine große Rolle. Deshalb ist es wichtig, dass die Produkte in Masse gefertigt werden. Als Planende greifen wir auch für andere Fassadenkomponenten wie Türen und Fenster auf industriell vorgefertigte Produkte zurück. Deshalb wäre es gut, wenn die Photovoltaik auch dorthin kommen könnte.
Ich habe gehört, dass bei den Fassadenmaterialien gar keine so unendliche Vielfalt notwendig ist, abgesehen von wenigen Leuchtturmprojekten. Wie sehen Sie das?
Es gibt typische Maße auch für andere Fassadenmaterialien. Es ist nicht notwendig, dass ein Produkt unendliche Möglichkeiten bietet, wenn es in der Masse angewendet wird. Sicherlich werden für einzelne Objekte Lösungen gebraucht, die über +einen gewissen Standard hinausgehen. Doch ist die Frage, ob wir wirklich sechs- oder neuneckige Solarmodule und an welcher Stelle wir wirklich die Flexibilität brauchen. Wichtig für uns ist vor allem, dass wir die Möglichkeiten kennen.
Was kann die Photovoltaikbranche tun, um den Architekten die Möglichkeiten bekannt zu machen?
Da ist noch viel Informationsarbeit notwendig. Derzeit sind diejenigen in den entscheidenden Positionen, die in den 1980er- und 1990er-Jahren ausgebildet wurden. Sie haben in ihrer Ausbildung vor allem den damaligen Stand der Technik kennengelernt, den sie jetzt umsetzen. Da müssen wir zusehen, dass wir den heutigen Stand vor allem der Solartechnologie vermitteln. Sonst könnte die Solarfassade eher ein Standard für die nächste Generation von Architektinnen und Architekten werden. Insofern sind breite Informationen und Fortbildungsangebote wichtig.
Sie sehen die Photovoltaik eher noch als Neuheit in der Architektur?
In unseren Breiten ist das so. Die Photovoltaik ist lange Zeit nicht angekommen, weil die Hersteller und die ausführenden Firmen Direktvertrieb und Einbau gemacht haben. Damit sind die technologischen Möglichkeiten ein bisschen an uns vorbeigegangen. Auch die Fördermöglichkeiten waren nicht so hoch, es war sehr teuer. Deshalb sind gute Praxisbeispiele noch selten.
Ändert sich das langsam?
Für das Fachgebiet der Architektur wäre jetzt die Chance, die Photovoltaik aus der ästhetischen Perspektive mehr in den Blick zu nehmen. Ohne Zweifel werden sich die Anforderungen an die Gebäude weiter ändern. Wir wollen selbstverständlich die Energiewende fördern, auch im Wärmesektor. Da müssen wir aktiv etwas tun. Die Technologie hat sich weiterentwickelt. Jetzt geht es um die Umsetzung. Beispielsweise können wir die Photovoltaik in die Fassade integrieren, statt sie auf das Dach zu setzen.
Bisher verliert die Photovoltaik noch gegen die Dämmung. Wird sich auch das ändern?
Viele Architektinnen und Architekten sehen eine immer dickere Dämmung kritisch, weil sie den Charakter der Fassade verändert, auch wenn man sie hinter Putz versteckt. Außerdem hat die Dämmung einen sinkenden Grenznutzen. Irgendwann wird sie nicht mehr ausreichen, um die Anforderungen zu erfüllen, bis 2050 zu einer klimaneutralen Bauweise zu kommen.
Wie kann die Solarindustrie weiter auf Ihre Berufsgruppe zugehen?
Architektinnen und Architekten müssen die Informationen leicht bekommen können. Nur ein konkretes Produkt anzubieten, das wird nicht funktionieren. Es ist viel wichtiger, dass die Herstellenden schon auf der Internetseite viele Informationen bereitstellen. Wenn ein Architekt anruft, dort auch auf einen technisch versierten Architektenberatenden trifft, der kommt, wenn ein Projekt geplant wird. Mit ihm kann man sich dann zusammensetzen und in einem frühen Stadium der Planung durchdiskutieren, welche Möglichkeiten es gibt, die in einen gewissen Budgetrahmen passen. Deshalb ist es wichtig, unabhängig von einem Projekt den Kontakt zu pflegen.
Warum ist es schwierig, dass die Hersteller direkt auf die Architekten zugehen?
Vor dem Hintergrund der Neutralität gegenüber Herstellenden können sie nicht immer wieder das gleiche Produkt verbauen. Deshalb schlagen sie Produkte in einer Abwägung von technischen und funktionalen Aspekten vor, die dann auch noch zu einer gestalterischen Idee passen müssen.
Gilt das für alle Bauvorhaben?
Das gilt vor allem, wenn es um öffentliche Gebäude geht. Dort müssen alle Leistungen öffentlich ausgeschrieben werden. Die Architektinnen und Architekten beschreiben die Anforderungen an die entsprechenden Technologien. Sie können dabei die Anforderungen nicht so festlegen, dass diese nur auf ein Produkt passen. Da müssen sie mehrere Möglichkeiten zulassen.
Wie funktioniert das bei privaten Bauherren?
Da ist es zwar leichter. Aber wenn die Architektinnen und Architekten mit nur einer einzigen Lösung kommen, engen sie sich selbst ein. Zudem müssen sie dem Bauherrn vermitteln, warum nur dieses Produkt passen kann. Das geht zwar, ist aber immer schwierig.
Welche Informationen brauchen Sie über die jeweiligen Produkte?
Im Normalfall ist man froh, wenn ein gut beschriebenes Produkt vorliegt, das technisch und gestalterisch zu dem Gebäude passt. In der Regel geht es um quadratische oder rechteckige Flächen in bestimmten Größen. Architektinnen und Architekten brauchen die Information, um wie viel teurer es wird, wenn sie über diese Größen hinausgehen. Welche anderen technischen Herausforderungen kommen auf sie zu? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein? Sie müssen abwägen können, ob es Module in Normgrößen gibt, die von der Stange kommen und preiswert sind. Oder ob diese auf den Millimeter genau zugeschnitten geliefert werden. Es geht vor allem darum, dass wir das Produkt mit seinen Möglichkeiten verstehen. Diese Hürde muss abgebaut werden.
Was genau meinen Sie damit?
Nur wenn wir das Produkt verstehen, können wir es passgenau in unsere Planung integrieren. Das ist nicht anders als etwa beim Holzbau. Je eher der Entwurf aus den technischen und ästhetischen Möglichkeiten eines Materials oder einer Technologie erwächst, desto eher entsteht gute Architektur. Wenn die Produkte schon einen gewissen Anteil an Detailplanung mitbringen, können sie frühzeitig in die Planung einbezogen werden. Schwieriger wird es, wenn zu spät etwa ein Fassadenplanender beteiligt wird, um hinterher eine Solaranlage zu konzipieren.
Es geht nicht nur um die Module, sondern um die Befestigung an der Fassade. Muss das vorher geklärt sein?
Natürlich muss man in Richtung Statik denken. Über die Befestigungssysteme brauchen wir detaillierte Informationen. Wir haben bereits über die Bedeutung von guter Fachberatung seitens der Hersteller in den frühen Planungsphasen gesprochen. Es ist nicht nur wichtig zu wissen, welche Systeme es gibt. Wir müssen auch wissen, wie das Befestigungssystem montiert wird. In der Praxis geht es oft um Systeme, die bauaufsichtlich zugelassen und einfach zu planen sind. Oder man muss jedes Mal einen Statiker hinzuziehen beziehungsweise die Einzelfallprüfung ist erforderlich.
Architekten brauchen also konkrete Produkte schon in ihrer Planungssoftware?
Es ist nicht unbedingt notwendig, dass das Produkt an sich in der Planungssoftware drin ist. Hilfreich ist es manchmal schon. Aber letztlich liegt es daran, in welcher Planungsphase sich ein Projekt gerade befindet. Am Anfang reicht manchmal eine Skizze.
Auf welche Software sollte sich die Photovoltaikindustrie konzentrieren?
Der Markt ist extrem unterschiedlich. Es gibt ganz viele verschiedene Hersteller, deren Software die Architektinnen und Architekten nutzen. Die einzelnen Büros arbeiten auf unterschiedlicher Basis. Es gibt diejenigen, die immer noch wie mit dem Bleistift arbeiten, nur dass sie das jetzt am Computer machen. Und es gibt Büros, die auf spezialisierte Planungstools setzen wie das Building Information Modeling (BIM).
Setzt sich BIM in Zukunft durch?
Die Software bietet vor allem die Möglichkeit, dass die Architekturschaffenden, die Auftraggebenden und die Fachplanenden frühzeitig zusammenarbeiten. Damit können alle Projektbeteiligten gleichzeitig an einem Gebäudemodell arbeiten. Die Software warnt, wenn zwei Bereiche miteinander kollidieren oder etwas nicht klappt wie geplant. Das ist vor allem von Vorteil, wenn mit der Solarfassade ein technisches Element und mit dem Solarteur ein Gewerk dazukommt. Da ist eher die Frage, ob man ein Team zusammenstellen kann, das die gleiche Haltung zu einer bestimmten technischen Lösung mitbringt.
Mit der Photovoltaikanlage kommt aber auch eine weitere Technologie in die Architektur. Wird das für die Architekten nicht zu viel des Guten, also zu viel Technik?
Ich favorisiere den Ansatz, nicht immer mehr Technik, sondern die vorhandene Technik intelligent einzusetzen. So wenig Technik wie möglich, aber so viel wie nötig. Und man muss sich zuvor die Ziele klarmachen. Wenn wir klimaneutral werden wollen, ist das ein sehr hohes Ziel. Aber man kann dem nicht alles unterordnen, wie beispielsweise die Kosten. Das wird nicht klappen. Die Planung ist oft so, dass Lösungen gern mit mehr Technologie gemacht und die höheren Kosten in Kauf genommen werden. Das finde ich persönlich nicht sinnvoll.
Das Gespräch führte Sven Ullrich.
Hille Bekic
ist freischaffende Architektin in Berlin und Mitinhaberin des Architekturbüros S3A. Seit 2013 hat sie im Vorstand der Berliner Architektenkammer die Aufgabe, das Land Berlin beim Klimaschutz zu unterstützen.