Man kann über die Volksabstimmungen in der Alpenrepublik denken, was man will. Eins sind sie auf alle Fälle: demokratisch. Bei unserem südlichen Nachbarn geben die Bürger ihre Stimme in fünf Jahren nicht nur einmal ab, im sprichwörtlichen Sinne. Sondern sie äußern sich gelegentlich aufs Neue. Und nun haben die Schweizer erneut ein Machtwort gesprochen: 58 Prozent der Wähler wollen die solare Energiewende.
Das ist – nach eidgenössischer Lesart – keine Meinungsäußerung für die Tonne, sondern ein klarer Handlungsauftrag an die Regierung in Bern. Das lässt sich nicht wegdebattieren. 58 Prozent sind genau die Mitte zwischen einfacher und Zwei-Drittel-Mehrheit, also eine ziemlich satte Mehrheit und somit ein eindeutiges Votum. Ja, die Schweizer sind konservativ, stimmt, und ja, sie sind sehr wohlstandsbewusst. Und genau deshalb fordern sie nun von den Räten an ihrer Spitze, von der Bremse aufs Gaspedal umzusteigen. Mehr Wasserkraft, mehr Sonnenstrom, Schluss mit AKW!
AKW fressen Staatsknete auf
Wohlstand und sozialer Ausgleich, das haben die Schweizer verstanden, sind mit Atomkraft nicht möglich. Die Atommeiler sind einfach zu teuer, ohne Staatsknete kann sich kein Land der Welt diese riskante Technik leisten. Das bedeutet, dass die Atomnationen früher oder später in den Staatsbankrott schlittern. Das ist in Russland schon 1986 passiert, so geschehen in Japan 2011. Wenn der Reaktor zum Supervulkan mutiert, ist der Ofen sprichwörtlich aus. Dann bleiben unbewohnbare Wüsten wie in Pripjat oder in Tohoku.
Selbst wenn es nicht so weit kommt, hinterlassen die Atommeiler eine ökonomische Wüste. Ihr Rückbau ist viel zu teuer, verschlingt all die schönen Rücklagen der Konzerne und des Staates. Dieses Geld fehlt überall: bei der Versorgung von Flüchtlingen, bei den Investitionen in die Infrastruktur, bei der Bildung und den Sozialsystemen. Und neue Atomreaktoren haben keine Chance gegen Windkraft und Sonnenstrom, erst recht nicht gegen die Wasserkraft, die in der Schweiz sehr preiswert zu haben ist. Also Ausstieg, also jetzt!
Liebe zur Freiheit, zur Natur
Der Schweizer hockt auf seinem Berg, und er liebt seine Unabhängigkeit. Das ist seit 1291 so, seit dem legendären Rütli-Schwur der Urkantone. Auch bei der jüngsten Abstimmung haben die Schweizer ihre Unabhängigkeit verteidigt. Statt russischem oder französischem Uran wählten sie die Kraft der Sonne. Statt Kohlestrom aus Deutschland oder Tschechien wählten sie die Kraft ihrer eigenen, herrlichen Natur. Das ist nicht zu unterschätzen, dieses urigste aller konservativen Motive: die Liebe zur grünen Heimat, zur klaren Luft und zur strahlenden Sonne, mit denen der Schweizer Tourismus sogar im Winter Kasse macht. Da hängen viele Jobs dran, gut bezahlte Jobs: in den Hotels genauso wie in der Energiebranche.
In der Schweizer Idylle haben radioaktiver Fallout und saurer Regen keinen Platz, nicht einmal in der krudesten Fantasie. Man kann den Eidgenossen vorwerfen, dass sie gelegentlich zu sehr in ihre kleine, alpine Insel verliebt sind. Aber historisch gesehen sind sie damit immer gut gefahren. Deshalb ist die Abstimmung in der Schweiz ein wichtiges Signal für Europa. Konservativ, heimatverbunden, freiheitlich, bewusst für Wohlstand und Geld – ausgerechnet dieses Völkchen votiert für die solare Energiewende. Aus guten Gründen.
Arbeit für strukturschwache Regionen
Weil es nicht mehr anders geht. Wer Wohlstand und Modernisierung vorantreiben will, braucht erneuerbare Energien. Nur die dezentrale Energiewende bringt Arbeit in strukturschwache Regionen, kurbelt die Innovationen an, entlastet die öffentlichen Haushalte. Frankreich ist der westliche Nachbar der Schweiz. Dort hat sich der neue Staatspräsident Macron auf die Fahnen geschrieben, Europas Atomnation Nummer Eins nach vorne zu bringen. En marche!, lautet seine Parole.
Macron wird die Abstimmung in der Schweiz nicht ignorieren können. Die französischen Kantone am Neuenburger See, um Lausanne und Genf haben eindeutig für die Energiewende votiert. Nun sollte auch Macron erkennen, dass er mit den alten Schrottmeilern des staatlichen Energiekonzerns EDF keinen Blumentopf mehr gewinnen kann. Angesichts einer Jugendarbeitslosigkeit von 27 Prozent müsste die Grande Nation viel mehr Geld in Bildung und Ausbildung stecken. Die grauenhaften Banlieues der französischen Großstädte ähneln zunehmend den Armenvierteln von Rio de Janeiro oder von Mexico City. Da wartet viel Arbeit auf den neuen Herren im Palais de l´Élysée. Mit der Atomkraft gibt es keine Zukunft, keinen Aufbruch, keine Hoffnung in den Herzen.
Die Ignoranz der deutschen Politiker
Auch die deutschen Politiker müssen sich langsam fragen, wie lange sie die Meinung der Bevölkerung zwischen Nordsee und Alpenrand, zwischen Rhein und Oder noch ignorieren wollen. Die Zustimmung zur Energiewende ist in unserem Land noch viel deutlicher als bei den Eidgenossen, auch die Deutschen haben gute Gründe. Letztlich entscheidet sich an dieser Frage, welche Daseinsberechtigung die politische Kaste generell hat, wenn sie an den Leuten vorbei – oder über deren Köpfe hinweg – regiert. Kein Wunder, dass der Unmut wächst.
Die jüngste Abstimmung der Eidgenossen ist ein wichtiger Tag für uns alle, ein Meilenstein der solaren Energiewende – nicht nur für Europa. Die Energiewende lässt sich weder ideologisch noch durch Lügen aufhalten. Das ist ein starkes Signal, das Mut macht. Genau zur richtigen Zeit: eine Woche vor der nächsten Intersolar in München.