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Flechten

„Präventiv handeln ist sinnvoll“

Flechten sind ein wachsendes Problem. Soll heißen: Es dauert eine Weile, bis sie sich auf Modulen ansiedeln und wachsen. Wie bewerten Sie dieses Thema?

Michael Mattstedt: Wir beobachten zunehmendes Flechtenwachstum an Photovoltaikanlagen seit 2008. Mittlerweile sind nach ein paar Jahren Laufzeit die Mehrzahl der Photovoltaikanlagen von Flechten in unterschiedlichem Ausmaß betroffen.

Woher kommen denn die Flechten, die auf den Modulen siedeln? Welche ­Anlagen sind besonders betroffen?

Es beginnt meist auf den Dachziegeln. Ist dort die Flechte etabliert, wandert sie mit zeitlichem Versatz auf die Solaranlage. Auf landwirtschaftlichen und Gewerbebetrieben kann die Flechte auch direkt die Module besiedeln, ohne den Umweg über die Dacheindeckung zu nehmen.

Hier sind die Flechten von der Eindeckung des Dachs auf die Module ­gewandert.

Foto: Mattstedt

Hier sind die Flechten von der Eindeckung des Dachs auf die Module ­gewandert.

Welche Einflüsse fördern das Wachstum der Flechten?
Welche behindern es?

Die spezielle Flechtenart, die auf Ziegeldächern und Solarmodulen anzutreffen ist, braucht organischen Eintrag bei geringer Säure. Säurehaltige Schadstoffe behindern das Flechtenwachstum. Deshalb kannte man früher in den meisten Regionen aufgrund des sauren Regens keinen Befall auf Dachziegeln. Mittlerweile hat sich die Schadstoffmixtur in der Luft verändert. Schwefeldioxid, der Gegenspieler zur Flechte, hat abgenommen. Feinstäube und Stickoxide nahmen zu. Sie fördern grassierendes Wachstum. Zudem begünstigen Futtermittelstäube und Abluft aus Ställen die Flechten, ebenso die Abluft mancher Produktionsbetriebe.

Wie gelangt die Flechte aufs Solarmodul? Wie kann sie sich ansiedeln?

Das Spaltmaß zwischen Solarglas und Rahmen ist bei den meisten Solarmodulen eng definiert. Dadurch dauert es lange, bis die kleinen Sporen in diesen Schlitz gelangen. Lässt man der Pflanze ausreichend Zeit, sich innerhalb der Nut zu entwickeln, füllt sie den Rahmenschlitz vollständig aus. Es wird sehr schwer, die Flechte wieder komplett aus der Nut zu entfernen. Verbleibende Pflanzenreste werden auf Dauer die Eindichtung marodieren und zum Laminat vordringen.

Sind mechanische Schäden die Folge?

Wir können eindeutige Zusammenhänge von Rahmenaufbiegung, dem Marodieren der Eindichtung bis zur Delamination durch Pflanzenwachstum feststellen. Bei besonders starkem Befall auf dem Frontglas gibt es natürlich auch Fälle von Minderertrag. Das Flechtenwachstum auf Solarmodulen ist ähnlich zu bewerten wie reaktiver Schmutz aus Verbrennungsprozessen. Auf die Dauer zersetzen sich die Materialien.

Kleinste Spalte zwischen Glas und Rahmen bieten ideale Bedingungen.

Foto: Mattstedt

Kleinste Spalte zwischen Glas und Rahmen bieten ideale Bedingungen.

Welche Maßnahmen können die Anlagenbetreiber gegen Flechtenbefall er­greifen?

Das Wichtigste ist die Kenntnis, dass es so etwas wie Flechten und Moos auf Solarmodulen überhaupt gibt. Elektriker und Betreiber nehmen dieses Problem oftmals gar nicht wahr. Daraus resultierend ist die jährliche Sichtprüfung für jeden Betreiber ein Muss. Wer Flechtenbewuchs an der Dachhaut oder schon in den Rahmenschlitzen der Module bemerkt, sollte rechtzeitig einen Reinigungsbetrieb beauftragen, um Pflanzen zu entfernen. Die fachmännische Reinigung ist auch ohne Ertragsverluste wirtschaftlich sinnvoll. Sie darf sich nicht auf das Abwaschen der Solargläser beschränken, sondern muss auch die Rahmenschlitze freischwemmen.

Kann das jeder Betrieb, der Solarreinigung anbietet?

Die Entfernung von Pflanzenbewuchs ist anspruchsvoll, erfordert spezielles Know-how und Erfahrung. Am besten gelingt dies vom Hubsteiger aus mit handgeführten Bürsten. Anhand der Praxisergebnisse von Berufskollegen sehe ich, dass Rotationsbürsten weniger geeignet sind. Deshalb propagieren einige Firmen das Besprühen kompletter Anlagen mit Algiziden.

Was sind Algizide?

Algizide töten Algen und brechen die aus Alge, Pilz und Bakterium symbiotisch lebenden Flechten auf. In der Folge stirbt die Flechte nach ein paar Wochen bis Monaten ab. Bei dieser Prozedur wird das Algizid jedoch über Monate hinweg von den Solarmodulen und der Dachfläche ins Grundwasser abgegeben. Vielen ist nicht bewusst, dass die Regenrinne nicht an das Kanalnetz der Kläranlage angeschlossen ist. Die Regenrinne führt meist in den Vorfluter, also ins nächste Gewässer, oder wird einfach ins Grundwasser versetzt.

Sind Risiken fürs Grundwasser bekannt?

Offiziell ist der Einsatz von Algiziden zulässig, da diese Produkte aufgrund von Laborversuchen in gewissem Maße als biologisch abbaubar gelten. Im Beratungsgespräch mit einem Hersteller solcher Algizide wurde mir vom Einsatz auf Biobetrieben wegen deren externen Prüfungen oder bei hochwertigen Pflanzen auf dem Gelände abgeraten. Die präventive und fachmännische Solarreinigung lässt die Problematik der Flechten gar nicht erst aufkommen.

An Modulklemmen siedeln sich Flechten besonders gern an.

Foto: Mattstedt

An Modulklemmen siedeln sich Flechten besonders gern an.

Präventiv: Was meinen Sie damit?

Grundsätzlich ist bei allen Dachflächen im Vorfeld zu prüfen, ob die Installation einer Solaranlage sinnvoll ist oder ob es zu Nutzungskonflikten kommt. Bei flechtenbewachsenen Dächern ist in der Planungsphase die Ursache zu finden. Dann kann man die potenziellen Auswirkungen auf die Solaranlage einschätzen. Man sollte das Potenzial einer möglichen Verschmutzung ermitteln, nicht nur die Solarerträge im Auge haben. So lassen sich mögliche Folgekosten abschätzen und Faktoren erfassen, die eine Minderung der Laufzeit bewirken.

Gibt es präventive Maßnahmen, die der Installation der Solarmodule auf dem Dach vorausgehen könnten?

Hat man sich für die Errichtung der Solaranlage entschieden, sollte das mit Flechten besetzte Dach vor Installation der Photovoltaik gereinigt werden. Das reduziert den Besiedlungsdruck. Im laufenden Betrieb wird die Dacheindeckung regelmäßig zumindest einmal jährlich auf Pflanzenbewuchs kontrolliert und beispielsweise bei Schweinehaltung alle paar Jahre gereinigt. Auf normalen Dächern beschränken sich die Flechten ohnehin meist nur auf First, Ortgang und die Servicegänge.

Die Anlage läuft, der Betreiber stellt Flechtenwuchs fest. Was tun?

Wird Flechtenbewuchs in den Rahmenschlitzen der Module festgestellt, sollte ein fachlich versierter Reinigungsbetrieb eingeschaltet werden. Je geringer sich der Aufwand bei der Flechtenreinigung gestaltet, desto günstiger sind die Reinigungskosten für den Betreiber. Die stärkste Flechtenentwicklung findet tatsächlich im Kontext von Schweinehaltung statt. Ob es sinnvoll ist, einen Solargenerator auf Schweineställen zu errichten, muss man anhand der Kosten-Nutzen-Abwägung eruieren.

Welche Kosten entstehen bei der Beseitigung der Flechten?

Die Entfernung von leichtem Bewuchs sollte bei einer normalen Grundreinigung mit erledigt werden. Die Nettokosten einer intensiven Grundreinigung mit üblichem Flechtenbesatz liegt zwischen 1,80 und 2,80 Euro je Quadratmeter, je nach konkreter Situation.

Welcher technische Aufwand ist dafür notwendig?

Eine fundierte Sonderreinigung kann auf liegend verbauten Anlagen meist nur mit einer Hebebühne erfolgen. Je nach Besatzstärke kann die dezidierte Reinigung bei starkem Flechtenbefall einer 50-Kilowatt-Anlage gut 2.000 Euro netto betragen. Ist durch das langjährige Flechtenwachstum kein bleibender Schaden entstanden, befindet sich die Anlage nach der Sonderreinigung wieder im optischen Neuzustand.

Die Fragen stellte Heiko Schwarzburger.

Die Reinigung hat die Flechten beseitigt, die oberen Module sind frei.

Foto: Mattstedt

Die Reinigung hat die Flechten beseitigt, die oberen Module sind frei.
Manuelle Reinigung hat sich bewährt, rotierende Bürsten eher nicht.

Foto: Mattstedt

Manuelle Reinigung hat sich bewährt, rotierende Bürsten eher nicht.
In der Nachbarschaft von Ställen für Schweine ist das ­Risiko für Flechtenwuchs ­besonders hoch.

Foto: Mattstedt

In der Nachbarschaft von Ställen für
Schweine ist das ­Risiko für Flechtenwuchs ­besonders hoch.
Haben die Flechten die Module erst einmal erobert, wachsen sie zu flächigen Fladen an.

Foto: Mattstedt

Haben die Flechten die Module erst einmal erobert, wachsen sie
zu flächigen Fladen an.
Bei diesem Modul siedelten die Flechten zunächst im Modulrahmen. Danach breiteten sie sich über das Deckglas aus.

Foto: Mattstedt

Bei diesem Modul siedelten die Flechten zunächst im Modulrahmen. Danach breiteten sie sich über das Deckglas aus.

Im Interview

Michael Mattstedt

ist Inhaber der Ökologischen Solarreinigung, eines Handwerksbetriebs für die nachhaltige Reinigung von Photovoltaikanlagen. Er hat sich spezialisiert auf aktives Management des Lebenszyklus: Reinigung, Beratung und Prävention haben das Ziel einer möglichst langen Nutzungsdauer von Photovoltaikanlagen.

Dies beinhaltet vor allem die Prävention von Schäden und Materialdegradation durch rechtzeitige Maßnahmen bei chemisch-reaktivem Schmutz sowie bei Ansiedelung von pflanzlichen Organismen und Tieren.

Michael Mattstedt berät darüber hinaus in der Planungsphase von Photovoltaikanlagen zur Minimierung der Servicekosten im Betrieb. Elektrikern und Gutachtern gibt er sein Wissen und seine Erfahrungen im Erkennen und Bewerten von Schmutzarten und deren Materialwirkung gern weiter. Seit 2020 bietet er Schulungen zum Photovoltaikbeauftragten in Gewerbebetrieben mit großen Solaranlagen.

Foto: Ökologische Solarreinigung

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