Wie ich darauf komme? Mitten im Sommerloch regte Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) eine interessante Debatte über den Zivilschutz an. Die Medien meldeten: „De Maiziere warnt vor Gefahr eines großangelegten Angriffs auf das deutsche Stromnetz!“ Er könne sich vorstellen, dass böswillige Gruppen oder Staaten „angesichts der enormen Abhängigkeit von der Energieversorgung testen wollen, wie anpassungsfähig die deutsche Gesellschaft sei.“
Und Christoph Unger sekundierte: „Der langanhaltende, flächendeckende Stromausfall ist für uns die zentrale Herausforderung, der wir uns gegenübersehen.“ Der Konflikt in der Ukraine habe gezeigt, dass die Energieversorgung nunmehr ein wichtiges Ziel in der Kriegführung sei. Zur Erläuterung: Herr Unger ist Chef des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz, also ein hochrangiger Mitarbeiter des Ministers, dem er direkt untersteht.
Nehmen wir einmal an, diese beiden Spitzenfunktionäre unserer Republik wurden auf der Erde geboren, haben die übliche Ausbildung genossen und im Laufe ihrer Karriere ein gewisses Maß an sachlicher Erfahrung gesammelt. Wie können sie dann solchen Unfug behaupten?
Fangen wir mit der Ukraine an: Der ganze Krieg mit den Russen und ihrer fünften Kolonne, euphemistisch als Konflikt beschönigt, dreht sich um die Energieversorgung von Millionen Menschen, um Liefermengen von Erdgas und die Kohle aus dem Donbass. Dieser Krieg hat nicht gezeigt, dass die Kraftwerke und Stromnetze ein neues Ziel sind. Vielmehr dreht sich dieser Krieg ausschließlich um Energieressourcen, um Kraftwerke, Pipelines und Brennstoffe. Denn sie sichern die Hegemonie des Kremls: Wenn der Rubel rollt, ist Moskau eine Metropole. Wenn nicht, ein Dorf.
Weil das Versorgungssystem Russlands und der Ukraine noch gänzlich auf Kohle, Gas und Uran basiert, weil die überkommene Energiewirtschaft schwerreiche Oligarchen begünstigt und despotische Regierungen finanziell über Wasser hält, war der Kampf unausweichlich. So führte der Aufstand vom Maidan zwangsläufig in den Krieg gegen Russland. Anders werden sich die Ukrainer niemals befreien können. Das ist auch der Grund, warum das Land nun verstärkt nach Wegen sucht, um seine Abhängigkeit von Gas und Kohle zu verringern.
Oligarchen sind nicht nur die Bosse von Gazprom oder Rosneft, sondern auch die Bosse von RWE und Eon. Auch sie ziehen die Strippen der Politik, wenngleich in Berlin und nicht in Moskau oder Kiew. Hier schließt sich der Kreis, Herrn de Maiziere betreffend. Denn dieser Minister gehört zu Großen Koalition, die seit Jahren nichts anderes tut, als unsere Abhängigkeit vom bestehenden Energiesystem zu erhalten. Statt in die dezentrale Energieversorgung zu investieren, werden die großen Konzerne hofiert. Statt die leicht verwundbaren Großkraftwerke abzuschalten, erhalten sie staatliche Förderung und verdeckte Subventionen. Deshalb werden teure Stromtrassen gebaut, die in einem modernen Versorgungssystem keine Zukunft haben.
Statt in erneuerbare Energien zu buttern, werden die alten Dreckschleudern künstlich am Leben erhalten. Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) ist ganz offiziell für Gazprom unterwegs, um die russische Pipeline durch die Ostsee zu bringen, mit Anschluss nach Schwedt/Oder. Damit Deutschland endlich am selben Tropf hängt wie die Ukraine. Weitere Länder werden über die Südroute durchs Schwarze Meer angeschlossen. Hat unsere Regierung wirklich so wenig aus dem Konflikt um den Donbass und die Krim gelernt?
Nee, nicht wirklich. Mensch, der Gerhard und der Sigmar Gabriel, Junge, verstehen die sich super! Dicke Kumpels, echte Sozis: Erfolgreich blockiert Gabriel die Energiewende, damit wir weiterhin am Gas hängen, damit das Geschäftsmodell Schröder/Putin weiterhin funktionieren kann. Die Sozi-Bosse, die Gazprom-Bosse, der Kremlchef, obendrein die Gewerkschaften – alle sitzen im selben Boot. Und alle riskieren den Energiekonflikt, sehenden Auges.
Dagegen wurden im Juli in Deutschland nur rund 80 Megawatt Photovoltaik zugebaut. Das ist armselig, ein Tiefpunkt, aber politisch durchaus gewollt. Das ist der eigentliche Skandal: Die vorsätzliche Vernachlässigung der Pflicht von Staat und Regierung, die Versorgung des Bürgers mit Energie vorausschauend zu sichern. Statt die Energieversorgung grundlegend zu wandeln, kungelt Gabriel mit den Konzernen. Und Thomas de Maiziere streut den Leuten Sand in die Augen, unverhohlen und offensichtlich.
Nein, Herren Schröder, Gabriel und de Maiziere, wir sind nicht hinterm Mond! Wir lassen uns nicht verschachern! Es ist die Politik Ihrer Bundesregierung, die das Risiko der Abhängigkeit und der Verletzbarkeit unserer Energieversorgung künstlich erhöht. Sie selbst sind das Problem, dessen sich der Zivilschutz annehmen müsste! Zivilschutz im Sinne des Bürgers, der seine demokratischen Rechte wahrnehmen will: Schutz der Civitas. Womit wir wieder beim Maidan wären.
Die Amerikaner sind weiter, in Sachen Demokratie ohnehin. In Übersee entstehen mittlerweile gigantische Solarparks. Spätestens seit dem Hurrikan Sandy im Herbst 2012 wissen die Amis (und wir auch), dass Solaranlagen und Windräder viel robuster als große Kraftwerke gegen Katastrophen sind, seien es natürliche oder von Menschen inszenierte.
Hier greifen gleich zwei Gesetze, die das Risiko minimieren: Zum einen sind kleine, verteilte und intelligente Systeme per se anpassungsfähiger als große, schwerfällige Einheiten. Deshalb hat die kleine Ratte (Säugetier, relativ großes Gehirn) den Dinosaurier (Reptil, nur sehr kleines Gehirn) überlebt. Deshalb gingen die Solarkraftwerke und die Windrotoren auf Long Island nur kurz vom Netz, als der Hurrikan über die Insel raste. Dagegen brauchten die Großkraftwerke auf dem Festland nahezu zwei Tage, um ihre Leistung erst zu reduzieren und anschließend wieder hochzufahren.
Und der zweite Punkt: Die Brennstoffe der fossil-nuklearen Energiewirtschaft bergen selbst enorme Risiken. Wenn Kohle verpufft, muss die Feuerwehr ran. Erdgas ist leicht flüchtig und brennbar, jeder Gasspeicher ist eine potenzielle Bombe. Auch der Bergbau ist gefährlich und eine Riesensauerei. Die Abgase aus den Schloten versauern die Böden und den Regen, heizen die Atmosphäre auf. Schwermetalle und Ruß verursachen Leukämie und vergiften unsere Kinder. Der eigentliche Knackpunkt jedoch: Der Zugriff auf die Lagerstätten bedeutet geopolitische Macht. Er birgt bereits den Keim kommender Kriege, wie sich alle Kriege der Neuzeit um Kohle, Öl und Gas drehten.
Ganz zu schweigen vom Uran, siehe die Unfälle von Three Mile Island (1979) oder Tschernobyl (1986). Der jüngste Blackout in Tokio im Frühjahr 2011 war eine Folge des Supergaus in Fukushima, eine Folge der unzähligen Schlampereien, Bestechungen und Korruption, um die nukleare Gelddruckmaschine möglichst nahe ans Meer zu bauen, trotz der Warnungen vor den Beben und den Tsunamis.
Da reden wir nicht davon, ob die atomaren Kathedralen mit ihren weithin sichtbaren Kuppeln ausreichend gegen terroristische Anschläge gesichert sind. Ganz zu schweigen von Atommüll, mit dem sich kommende Generationen herumschlagen müssen. Mir scheint, Herren de Maiziere und Unger: Die ganze klassische Energiewirtschaft ist ein riskantes Geschäft!
Und wir sprechen nicht von den Risiken für die Budgets der Volkswirtschaften. In Tschernobyl und Fukushima hat sich gezeigt, dass die Unfälle rein finanziell eine Katastrophe sind. Über Jahrzehnte laufen Unsummen auf, um die verstrahlten Meiler zu sichern. Die Verfügbarkeit von Öl und Gas zu sichern, ist viel teurer, als diese Brennstoffe wirtschaftlich auszubeuten. Da muss man sämtliche Militäretats einrechnen. Und sogar die Kohle, früher einmal schwarzes Gold genannt, verursacht den Konzernbossen und den Politikern nur noch Kopfschmerzen. Damit ist kein Pappenstiel mehr zu gewinnen, da lauern milliardenteure Altlasten, siehe Saarland, Rheinland und die Lausitz.
Würde sich die sonnenreiche Ukraine mit Solarparks selbst versorgen, würde sie in der windigen Steppe und am Ufer des Schwarzen Meeres ausreichend Windräder installieren, gäbe es den Konflikt mit den Russen überhaupt nicht. Und genauso sollte eine Bundesregierung ihren Dienst am Bürger verstehen: Erneuerbare Energien helfen uns, ALLE Risiken der Energiewirtschaft zu reduzieren. Das geht überhaupt nur mit erneuerbaren Energien. Und es geht nur mit Politikern und Beamten, die nicht hinterm Mond leben. Sondern die den gesunden Menschenverstand zum politischen Leitmotiv erheben.
Okay, das war eine Story aus dem Sommerloch, von der dunklen Seite des Mondes. Ist schon wieder aus dem Blätterwald verrauscht. Die gute Nachricht: De Maizieres Auftritt hat den Speichermarkt beflügelt. Nie haben die Hersteller von Stromspeichern so viele Geräte verkauft wie dieses Jahr im August und im September. Was das bedeutet? Der Bürger nimmt die Sache selbst in die Hand. Und das ist ein wirklich gutes Zeichen.
Zum Kampf um die Energiewende und die Erfahrungen aus dem Hurrikan Sandy hat der Autor einen Roman geschrieben: „Zen Solar“, soeben erschienen im Berliner Cortex Unit Verlag. Leseproben und Details finden Sie hier.