In der Historie der Deutschen spielen Wälder eine besondere Rolle: Die Schlacht vom Teutoburger Wald beispielsweise: Sie ist so etwas wie der Gründungsmythos unserer Nation. Freilich, damals gab es nur die germanischen Stämme, von Deutschland oder den Teutonen war für die nächsten neunzehnhundert Jahre keine Rede.
Der Deutsche liebt seine Wälder, eigentlich
Aus historischen Gründen ist der Deutsche seinen Wäldern verbunden, besingt sie in Literatur, Musik und auf Wanderschaft. Wälder sind das Synonym für Freiheit und Glück. Thüringer Wald, Schwarzwald, Spreewald oder Bayerischer Wald sind die Schätze unseres Landes. Und gerade in diesem Dürresommer haben wir einmal mehr erkannt, wie wichtig die Wälder sind: Sie halten die Feuchtigkeit lange vor, schützen die Quellen und verhindern die Erosion des staubtrockenen Bodens.
Der erste, der die Bedeutung des Waldes für die Germanen erkannte, war der römische Geschichtsschreiber Tacitius. Vor zweitausend Jahren schrieb er im Auftrag seines Kaisers eine Abhandlung über die merkwürdigen Waldmenschen östlich des Limes. Ihnen bescheinigte er eine unerhörte Freiheitsliebe: Die Weiber seien den Männern ebenbürtig, schrieb er, und wenn es zum Kampfe komme, würden sie sogar mit ihren Männern in den Krieg ziehen. Lieber würden sie sterben, als den Eroberern lebend in die Hände zu fallen.
Wie die Sache ausging, ist bekannt: Arminius (eingedeutscht: Hermann) und seine Hinterwäldler lehrten die Römer im Teutoburger Forst das Fürchten. Die Macht Roms, der größten Zentralgewalt der Antike, zerbrach am flexiblen und zähen Widerstand der germanischen Guerrilla. Tatsächlich hatten sie Weiber dabei, in Waffen und schrecklicher Kriegsbemalung.
RWE dringt in die Fluren ein
Nun tobt erneut eine Schlacht, die man durchaus als historisch bezeichnen kann. Im Hambacher Forst, in den beiden NRW-Landkreisen Düren und Rhein-Erft gelegen, kämpfen erneut furchtlose Germanen, Frauen und Männer, gegen einen gut gerüsteten Eindringling. Denn die Kohlebagger des Energiekonzerns RWE sollen den uralten Buchenwald fressen. Von einst 12.000 Hektar werden – gemäß den Plänen der Bosse – nur 300 Hektar bleiben.
Der BUND hat nun gedroht, aus der Kohlekommission auszusteigen, wenn die irrwitzigen Pläne nicht auf Eis gelegt werden. Zumindest so lange, bis die Kommission einen konkreten Ausstiegsplan für die Braunkohle vorgelegt hat. Die RWE-Bosse wettern dagegen, berufen sich auf juristisches Recht, das jedoch die vitalen Rechte der Menschen mit den Füßen tritt.
Die alten Zöpfe aus NRW
Klar kriegen sie Rückendeckung aus der Landespolitik. Die schwarzgelbe Regierung in Düsseldorf hängt an alten Zöpfen, wie seinerzeit die Römer. Erinnern wir uns: Was Arminius im Teutoburger Wald übte, war Notwehr. Das war kein heroischer Geburtsakt einer Nation, das war die blanke Selbstverteidigung. Denn die Römer drückten über den Rhein, in ihrer arroganten und herrschsüchtigen Art. Sie rückten vor, mit gezogenen Schwertern, und es brauchte blutige Schwerter, um sie zurückzutreiben.
Heute, im Hambacher Forst: Unablässig rücken die Bagger vor, mit breiten Schaufeln aus Stahl. Im uralten Baumbestand regieren Kettensägen und Ketten von Polizisten, die Demonstranten jagen und mit schwerem Gerät von den Bäumen holen. Ich frage: Was muss passieren, um die Verantwortlichen im Düsseldorfer Kabinett und in den Chefetagen von RWE zur Vernunft zu bringen?
Wie viele Verhaftungen, Übergriffe und Verletzungen – bei den Demonstranten und den Beamten der Polizei – braucht es noch, bis die Regierung von Armin Laschet (CDU) begreift, dass der soziale Frieden auf dem Spiel steht? Ich frage, ganz im Ernst: Muss wirklich erst Blut fließen?
Sozialer Frieden in Gefahr
Der soziale Frieden ist in Gefahr, nicht nur in NRW, sondern in ganz Deutschland. Die Kohle hat mittlerweile ein ähnliches Image wie die Atomkraft. Die Arroganz der Bosse von RWE steht den römischen Kaisern nicht nach, doch Hochmut kommt vor dem Fall. Das lehrt die Geschichte, nicht nur am Ausgang der Antike.
Wer im Hambacher Forst protestiert, ist im Recht. Es ist ein Naturrecht, Notwehr im ursprünglichen Sinn dieses Wortes. Es ist das Recht auf Überleben und menschliche Würde. Da nützt es den Bossen und den Politikern überhaupt nichts, clever gestrickte Paragrafen ins Feld zu führen. Klar hat RWE seine Investitionen gut abgesichert, aber das Recht ist nichts Statisches, nichts, was nicht denselben Veränderungen unterliegt wie die Gesellschaft.
Es ist die Aufgabe der Politik, diese Veränderungen aktiv zu gestalten. Wer heute noch darauf beharrt, Wälder für Braunkohle abzuholzen oder alte Dörfer beiseite zu schieben und die Menschen zu entwurzeln, der ist längst aus der Zeit gefallen. Mehr noch: Ich behaupte, dass diese Handlungsweise kriminell ist. Wir wissen, dass uns der Klimawandel zusetzt, und dass die alten Braunkohlemeiler eine wesentliche Ursache für die Emissionen sind. Und dass jeder Quadratmeter abgeholzter Wald in der Schlussbilanz menschlicher Überlebensfähigkeit fehlen wird.
Den Wald auf ihrer Seite
Arminius hatte den Wald auf seiner Seite, hier war er zu Hause. Das war der Grund, warum die Macht Roms am Limes endete. Niemals wurde Germania eine römische Provinz. Im Gegenteil: Als die germanischen Stämme ihre Kräfte gesammelt hatten, durchbrachen sie den Limes, fluteten ins Reich. Die Völkerwanderung fegte die römischen Herren hinweg, bis schließlich die Metropole am Tiber fiel, und das ganze morsche Machtgebäude der Antike in den Staub der Geschichte sank.
Auch der Protest der Hunderten, der Tausenden im Hambacher Forst ist Notwehr, auch sie haben den Wald auf ihrer Seite. Und sie haben unsere Solidarität, unsere volle Unterstützung.
Bewusst benutze ich dieses scheinbar angestaubte Wort: Solidarität, wie solar und solide: Die Solarbrache bietet saubere Alternativen zur Braunkohle. Kein Lobbyist der Kohlekonzerne und kein korrupter Politiker kann sich mehr herausreden. Niemand braucht mehr die Kohle. Wir brauchen Sonne, Wind und Wälder, viel mehr Wälder.
Der Wald: die letzte Hoffnung
Denn in Zeiten des sich rapide erwärmenden Klimas ist der Wald die letzte Hoffnung, die letzte Bastion gegen die Wüste. Sind die Menschen, die im Hambacher Forst kämpfen, unser aller Hoffnung. Verdammt noch mal, sie haben das Recht! Statt die Wälder weg zu baggern und die Braunkohle in stinkenden Kraftwerken zu verfeuern, müssen wir die Dreckschleudern endlich abschalten und den guten alten Wald der Germanen aufforsten.
Der Kampf gegen die Energiekonzerne hat in diesem Land eine lange Tradition, und er ist eng mit unseren Wäldern verknüpft. 1970, ganz am Anfang der ökologischen Bewegung, stand der Bayerische Wald. Damals wurde er – nach langer Hängepartie der Münchener Staatskanzlei – zum ersten Nationalpark Deutschlands erhoben.
Heute bildet er mit dem benachbarten, gleichfalls geschützten Böhmerwald das größte zusammenhängende Waldstück Europas. Mitte der achtziger Jahre sollte ein AKW in die Oberpfalz geklotzt werden, unmittelbar an den Rand des Schutzgebiets: Wackersdorf wurde zum Synonym für den Widerstand gegen die Konzerne.
Protest als Bürgerpflicht
Auch Gorleben liegt inmitten von Wäldern, unmittelbar westlich der Elbe. Wir kennen die Bilder von den Schlachten am Gleis der Castortransporte. Östlich der Elbe war und ist es kaum anders: So wurde der Umsturz in der DDR Ende der achtziger Jahre maßgeblich durch Proteste gegen die Tagebaue in Sachsen und in der Lausitz angefacht.
Doch noch immer bedroht die Braunkohle den einzigartigen Spreewald. Noch immer hält die abgewirtschaftete Landesregierung Brandenburgs an der Kohle fest. Ob Schwarz-gelb in Düsseldorf oder Rot-rot in Potsdam – das ist einerlei. Ohne machtvolle Proteste wird sich in diesem Land nichts ändern.
Deshalb sind die Proteste eine Bürgerpflicht! Wackersdorf, Gorleben, Spreewald und Hambacher Forst: In den Wäldern sind wir zu Hause, sie sind auf unserer Seite. Grün war die Erde am siebten Tag, und sie wird es wieder sein. Weil es immer mehr Menschen wollen.