Man mag von der neuen nationalkonservativen Regierung in Wien halten, was man will. Doch sie hat etwas geschafft, was bisher noch niemand in Europa fertiggebracht hat. Sie hat in ihr Regierungsprogramm als erstes Land der EU den Ausstieg aus der fossilen Stromversorgung als ganz klares Ziel aufgenommen.
Nachdem sich der Leser durch den ordnungs- und sicherheitspolitischen Klimbim gekämpft hat, mit dem die Regierung in Wien ihre Stammwähler beruhigen will, kommt zum Schluss ein Hoffnungsschimmer: Dort steht schwarz auf weiß: „100 Prozent (national bilanziell) Strom aus erneuerbaren Energiequellen bis 2030“. Das ist zwar erst einmal ein Ziel, und es ist längst nicht sicher, dass die jetzige Regierung bis dahin im Amt bleibt. Doch in dieser Klarheit hat es bisher keine Regierung in Europa ausgesprochen, hat sich auch die deutsche Kanzlerin nicht geäußert.
2030 ist (schon) in zwölf Jahren. Jetzt werden die Grundsteine gelegt, um das ambitionierte Ziel zu erreichen. „Diese Ankündigung hat Kraft. Es ist das erste Mal, dass in einem Regierungsprogramm und auch auf der anschließenden Regierungsklausur dies als eines der vorrangigen Ziele dargestellt wurde“, kommentiert Hans Kronberger, Präsident des Branchenverbandes PV Austria. „Das ist neu. Schließlich gab es in den vergangenen Jahren kaum Hinweise in Regierungsprogrammen oder Regierungserklärungen auf Energiethemen oder Stromthemen. Die Regierung wird hier nicht zurückrudern können, und sie wird immer wieder nicht zuletzt auch von uns danach gefragt werden, wie es um die Durchführung von Maßnahmen steht, um das gesteckte Ziel zu erreichen.“
Zwar liegt Österreich mit dem üppigen Angebot an Wasserkraft gut im Rennen. Immerhin mehr als die Hälfte des in Österreich verbrauchten Stroms liefern Laufwasser- oder Pumpspeicherkraftwerke. Um die Atomenergie ist die Alpenrepublik dank einer Abstimmung im Jahre 1978 herumgekommen. Damit sind schon einmal zwei Voraussetzungen erfüllt, um die Stromversorgung tatsächlich komplett mit erneuerbaren Energien zu bestreiten.
Dennoch müssen noch etwa 25,4 Prozent des Stroms, den bisher Kohle- und Gaskraftwerke liefern, durch erneuerbare Quellen ersetzt werden. Damit steht die Frage im Raum: Wie will die jetzige Regierung in Wien das bis 2030 schaffen? Schließlich liegt der Anteil der Erneuerbaren jenseits der Wasserkraft derzeit bei nur acht Prozent. Der Rest des Stroms – immerhin fast zehn Prozent – wird importiert.
Zunächst gibt es erst einmal eine integrierte Klima- und Energiestrategie. „Die Erarbeitung und der Beschluss dieser Strategie ist eines der wichtigsten Projekte meines Ressorts im ersten Halbjahr“, antwortet Elisabeth Köstinger auf die Frage, was als nächster Schritt kommt. „Damit werden wir einerseits die Ziele für Österreich in den Schlüsselbereichen erneuerbare Energien und Energieeffizienz festlegen und andererseits Rahmenbedingungen für Investitionen und Innovationen schaffen. So schaffen wir Planungssicherheit.“
Erster Entwurf kommt im März
Die noch junge ÖVP-Politikerin saß jahrelang für ihre Partei im Europäischen Parlament. Dort war sie unter anderem im Ausschuss für Umweltfragen schon mit der Materie der Energiewende beschäftigt. Nach dem Wahlsieg der jetzigen Regierungskoalition kehrte sie als Nationalrätin nach Wien zurück und wurde sogar zur Ersten Präsidentin des österreichischen Parlaments gewählt. Acht Wochen hatte sie den Vorsitz des Abgeordnetenhauses inne, bevor sie als Ministerin das Umweltressort der neuen Regierung übernahm. Inzwischen heißt ihr Ressort Nachhaltigkeit und Tourismus, doch die Verantwortung für die Energiewende ist ihr geblieben.
Der Erstentwurf dieser Klima- und Energiestrategie soll noch bis zum März fertig sein. „Danach diskutieren wir ihn mit allen wichtigen Experten“, beschreibt Köstinger den Zeitplan. „Ziel ist ein Beschluss im Ministerrat noch vor dem Sommer.“
Investitionen fördern
Ein zentraler Teil dieser Strategie wird nach Angaben der Ministerin eine Reform der Ökostromförderung sein. Diese soll in Zukunft so gestaltet werden, dass mehr Ökostromanlagen mit den Fördergeldern gebaut werden können und gleichzeitig mehr Ökostrom für jeden Fördereuro produziert wird. „Um die Effizienz zu erhöhen, legen wir den Schwerpunkt auf Marktprämien und Investitionsförderungen unter Einbeziehung von Ausschreibungsmodellen“, beschreibt Elisabeth Köstinger das Ziel der Umgestaltung.
Wie diese Ausschreibungen aussehen könnten, ist bisher noch unklar. Schließlich hat Österreich noch keinerlei Erfahrungen damit. Die Förderung muss aber europarechtlichen Vorgaben genügen. Da kommt die Alpenrepublik in Zukunft nicht ohne Auktionen aus, wenn auch große Anlagen gebaut werden sollen. „Besonders bei Windkraft und Photovoltaik werden wir uns zum Beispiel das deutsche Modell anschauen“, sagt Köstinger. „Bei den Ausschreibungen sind aber auch technologische und regionale Unterschiede zu berücksichtigen“, kündigt sie an. Damit fällt die Übernahme des deutschen Auktionssystems schon mal flach.
Eigenverbrauch ohne Steuern
Kleinere Anlagen, die unter der von der Europäischen Kommission festgelegten Bagatellgrenze liegen, werden auch ohne Auktionen gefördert. Hier werde die Regierung vor allem Wert auf die Investitionsförderung legen und die Einspeisevergütungen komplett abschaffen.
Damit trifft sie genau den Nerv der Photovoltaikbranche. Schließlich fordert PV Austria schon seit Jahren die Abschaffung der Einspeisevergütung als Förderinstrument, um mehr Photovoltaikleistung errichten zu können und gleichzeitig den Eigenverbrauch anzureizen. „Doch dazu muss der Eigenverbrauch auch komplett steuerfrei sein“, betont Hans Kronberger von PV Austria. „Bisher gilt das nur für die ersten 25.000 Kilowattstunden selbst verbrauchten Solarstroms pro Jahr. Um das Ziel einer dezentralen Stromversorgung zu erreichen, die komplett mit erneuerbaren Energien abgedeckt wird, muss die Eigenverbrauchssteuer verschwinden.“
Eine integrierte Klima- und Energiestrategie würde ihrem Namen aber nicht gerecht, wenn sie nicht den Schwerpunkt auf die Reduzierung der Treibhausgasemissionen insgesamt legen würden. Da ist die Stromproduktion aus regenerativen Quellen auch in Österreich nur ein Teil der Lösung.
Die eigentlichen Problemkinder sind der Wärme- und der Verkehrssektor. „Diese Sektoren sind für die Erreichung der Klimaziele essenziell“, betont die Ministerin. „Das zeigt uns die aktuelle Treibhausgasbilanz.“ Diese ist immerhin bisher negativ. 2016 haben die Österreicher ein Prozent mehr Kohlendioxid ausgestoßen als noch ein Jahr zuvor.
30 Terawattstunden mehr Strom
Um den Verkehr zu dekarbonisieren, legt die neue Regierung den Schwerpunkt auf die Elektromobilität. Zwar ist auch Österreich hier noch nicht weit vorangekommen. Aber immerhin nimmt die Alpenrepublik mit einem Anteil von 1,2 Prozent Elektroautos an den gesamten Neuzulassungen einen Spitzenplatz in Europa ein. „Stärkere Vernetzung von Strom-, Wärme- und Mobilitätssystemen ist das Ziel”, erklärt Köstinger. „Daher wollen wir erneuerbaren Strom auch verstärkt in den Wärmesektor und in den Verkehr bringen.”
Doch eine Umstellung von Verkehr und Wärmeerzeugung auf Strom birgt eine zusätzliche Herausforderung für die Regierung. „Wir gehen davon aus, dass Österreich bis 2030 30 Terawattstunden mehr Strom braucht“, sagt Hans Kronberger. Das wäre eine Steigerung um satte 40 Prozent im Vergleich zum derzeitigen Verbrauch. Dieser Strom muss dann zusätzlich vor allem mit Photovoltaikanlagen und Windrädern produziert werden, um das 100-Prozent-Ziel zu erreichen. „Denn wir müssen überlegen, wo dieser Strom herkommen soll“, sagt der Chef von PV Austria.
Er verweist auf eine Berechnung der österreichischen Stromversorger. Die gehen davon aus, dass ein Drittel dieses zusätzlichen Stroms mit Wasserkraft, ein Drittel mit Windkraft und ein Drittel mit Photovoltaik produziert werden soll. „Diese Rechnung wird nicht aufgehen“, betont Kronberger. „Denn die Wasserkraft in dieser Zeit um ein Drittel auszubauen wird nicht gehen, zumal deren Potenzial schon weitgehend ausgereizt ist. Ob die Windkraft ein zusätzliches Drittel schafft, ist zumindest fraglich.“
Deshalb muss vor allem die Photovoltaik kräftig ausgebaut werden. Hans Kronberger geht davon aus, dass ab 2030 etwa die Hälfte des zusätzlichen Stroms aus Solaranlagen kommen muss. „Das heißt, wir müssen bis dahin ungefähr 15 Gigawatt Anlagenleistung installieren“, rechnet er vor. Bisher hat es Österreich auf etwa 1,3 Gigawatt geschafft. Rein rechnerisch muss Anlagenleistung in dieser Größenordnung aber jedes Jahr neu dazukommen. Schließlich ist der Zeitraum, innerhalb dessen die Regierung ihr Ziel erreichen will, ziemlich knapp bemessen.
100.000 Dächer für die Photovoltaik
Diese Installationszahlen werden sicherlich nicht aus dem Stand erreicht. Vielmehr muss es ein jährliches Marktwachstum geben. Als einen ersten konkreten Schritt will die Regierung ein 100.000-Dächer-Programm auflegen und mit einer Investitionsförderung unterstützen. „Das kann viel Leistung sein, aber es kann auch wenig Leistung sein, die im Rahmen eines solchen Programms installiert wird“, warnt Kronberger vor zu viel Euphorie. „Wenn man sich schon auf Dächer spezialisiert, geht es dabei vor allem um Wohnhäuser oder kleinere Gewerbebetriebe. Da geht es um relativ kleine Anlagenleistungen von durchschnittlich fünf bis zehn Kilowatt.“
Der Gesamtzubau, den man mit einem solchen Programm erreichen kann, läge bei maximal einem Gigawatt. Es sei denn, das Programm gibt vor, dass die komplette Dachfläche genutzt werden muss. Doch selbst dann wird es nicht reichen, um den notwendigen Zubau zu stemmen. „Ein solches Programm taugt allenfalls als Startmotor, um den Markt zu beleben“, meint Hans Kronberger.