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Energiepark Witznitz (1)

Risiken im Voraus erkennen

Minutenlang dauert die Fahrt, scheinbar endlos, durch Solarfelder rechts und links der Straße. Sie windet sich durch eine Gegend, die von der Kohle gezeichnet ist. Von Tagebauen und Abraumhalden, von Betonbahnen und jungem Grün, aufgeforstet nach dem Ende der Förderung. Unübersehbar thront das Kraftwerk Lippendorf über der Kulturlandschaft, stößt Rauch und Dampf zum Himmel.

Der Motor des Wagens brummt, rauscht nach Lobstädt, einem Ortsteil von Neukieritzsch, etwa 30 Kilometer südlich von Leipzig gelegen. 650 Megawatt leistet der Energiepark Witznitz, der auf dem ehemaligen Kippengelände der Kohleförderung entstanden ist. Keine Übertreibung: Es ist der größte Solarpark Europas, das größte Konversionsprojekt der Energiewende in Deutschland. Weg von Kohle, hin zu Sonnenstrom.

Lehrstück für Solarprojekte

Ein Lehrstück für Solarprojekte dieser Größenordnung, obendrein privat finanziert – ohne EEG, sondern über ein Power Purchase Agreement (PPA) finanziert. Doch dazu später. Denn der Wagen erreicht den Firmensitz von Move On Energy, eine alte Villa in Lobstädt.

Move On Energy hat den Energiepark Witznitz entwickelt, geplant, gebaut und übernimmt die Betriebsführung. Spatenstich war im Juni 2022. Das erste Teilstück (605 Megawatt) wurde im ersten Quartal 2024 in Betrieb genommen. Der zweite Bauabschnitt mit rund 45 Megawatt wird bis zum dritten Quartal fertiggestellt.

Durchatmen für alle Beteiligten, die sich im Besprechungszimmer der Villa versammelt haben. „Die erste Idee für den Solarpark kam 2019 auf“, erinnert sich Wolfgang Pielmaier von Move On Energy. „Im September 2019 haben wir nach nutzbaren Flächen in der Region gesucht, entlang der Freileitungen von 50Hertz. Dabei stießen wir auf das Kippengelände des früheren Tagebaus Witznitz.“

Alter Hase im Projektgeschäft

Wolfgang Pielmaier ist ein alter Hase im Projektgeschäft. Schon 2006 hat er erste Kleinanlagen gebaut. 2008 war er in Spanien dabei, „bei der Rallye“, wo er für verschiedene spanische Unternehmen große Projekte entwickelte und installierte. Nach einer Zwischenstation bei Qcells machte er sich selbstständig. Einen Teil des Solarparks in Neuhardenberg errichtete er mit seinem Unternehmen, der PV Backoffice GmbH.

Rund 500 Megawatt gingen auf sein Konto, bevor er sich an das Riesending von Witznitz wagte: „Der Großteil der Fläche befindet sich im Besitz einer einzigen Familie“, erläutert er. „Für 650 Megawatt brauchten wir 500 Hektar, von denen rund 300 Hektar mit Solarmodulen bebaut sind. Außerdem haben wir 160 Hektar als Ausgleichsfläche für Maßnahmen von Naturschutz und Tourismus gepachtet.“

Partner für die Finanzierung

Der Pachtvertrag läuft über 30 Jahre, mit Verlängerungsoption. Bevor der Vertrag unterschrieben wurde, brauchte Move On Energy ein Finanzierungskonzept. Sprich: Partner, die bereit waren, einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag aufzubringen. Ein Projekt dieser Größe betritt nicht nur Neuland bei der Planung, beim Bau oder beim Betrieb, sondern vor allem auch bei der Investition. „Im Sommer 2020 waren wir auf der Suche nach interessanten Projekten“, erzählt Christoph Lüken. Er ist Geschäftsführer der Firma Hansainvest Real Assets, einer 100-prozentigen Tochtergesellschaft der Konzerngruppe Signal Iduna. „Das war noch während der Beschränkungen durch Corona, als wir uns in Neuhardenberg kennenlernten.“

Hansainvest Real Assets hat die Aufgabe, die Gelder aus den Versicherungen der Signal Iduna gewinnbringend anzulegen. Das können Immobilien sein oder andere renditestarke Projekte.

Langfristiges, zuverlässiges Investment

Dem Manager ging es vor allem um langfristige und zuverlässige Investitionen. „Dass wir mit Move On Energy beim Energiepark Witznitz zusammenarbeiten, hat mehrere Gründe“, berichtet er. „Das Projekt war auf Böden geplant, die man nicht landwirtschaftlich nutzen kann, mit Bodenwerten unter 20. Zudem war der Anschluss an der 380-Kilovolt-Trasse des Kraftwerks Lippendorf auf dem Grundstück gesichert.“

Und große Abnehmer für die Energie finden sich in der Nähe, es gibt viel Industrie und die Großstadt Leipzig. Zudem wächst der Speckgürtel.

Umfangreiche Due Diligence

Für Lüken war es das erste Solarprojekt, auch persönliches Neuland. Investoren denken in Risiken, und sie denken in Jahrzehnten. Ein wichtiger Grund, der für das Projekt sprach: Die große Fläche hing zusammen, die Zahl der Eigentümer war überschaubar. „Das größte Risiko für so ein Projekt steckt in den Genehmigungen“, erläutert Lüken. „Das kann sehr kompliziert werden, denn es gelten sächsisches Baurecht und Bergbaurecht, um zwei Beispiele zu nennen. Deshalb haben wir eine umfangreiche Due Diligence mit kompetenten Beratern durchgeführt.“

Rechtliche Belange, die technische Planung oder Risiken im Betrieb wurden akribisch analysiert. „Das Projekt ist bei uns im Konzern sehr hoch aufgehängt“, erzählt Lüken. „Das ist ein echtes Leuchtturmprojekt, das durften wir nicht auf Schwemmsand bauen.“

Sein Büro befindet sich in Hamburg. Seit Sommer 2020 kam er häufiger in die Glück-Auf-Straße nach Lobstädt, denn die Kontakte vertieften sich. „Im Bau des Energieparks haben wir nicht das Risiko gesehen“, meint er rückblickend. „Denn der Bauträger brachte erhebliche Kompetenzen für Großbaustellen mit. Für uns steckte das größte Risiko in der Frage: Wie viel verdienen wir damit?“

Um es vorwegzunehmen: Der Strom wird für 15 Jahre im Rahmen eines PPA an Shell verkauft. „Für solche Lieferverträge gibt es keine Standards“, erläutert Christoph Lüken. „Das mussten wir individuell aushandeln. Auch das war Pionierarbeit.“ Damit ist der Energiepark Witznitz eines der größten privat finanzierten Solarprojekte Europas, zudem die größte Baustelle des Landkreises Leipzig. Seine elektrische Leistung entspricht rund 35 Prozent der Leistung des Kohlekraftwerks Lippendorf.

Stakeholder von Beginn eingebunden

Zunächst wollte Hansainvest Real Assets nur einen Teil des Projekts finanzieren. „Im Verlauf der Zusammenarbeit haben wir entschieden, das komplette Projekt zu betreuen und mit Move On Energy zu entwickeln“, berichtet Christoph Lüken. „Wir übernehmen 605 Megawatt. Move On baut 45 Megawatt für eigene Zwecke. Macht in der Summe 650 Megawatt.“

Ausschlaggebend für den Erfolg war nach seiner Auffassung, dass die Gemeinden und Naturschützer von Beginn an ins Projekt eingebunden waren. Diese Gemeinden sind involviert: Neukieritzsch, Böhlen und Rötha am Hainer See, einem gefluteten Tagebau. „Das war goldrichtig, das hat mich überzeugt“, bestätigt Lüken. „Deshalb sind wir schließlich voll eingestiegen, als alleinige Finanzierer.“

Mit Solarparks ist es wie in der Küche: Zu viele Köche verderben den Brei. „Bei mehreren Investoren wäre der Abstimmungsbedarf enorm geworden, sehr problematisch“, urteilt Christoph Lüken. „Erst waren genehmigungsrechtliche Schritte zu gehen. Dann mussten wir die Langläufer vorfinanzieren. Wenn es nur ein Investor ist, wird das deutlich einfacher.“

Kapitalintensive Langläufer vorfinanziert

Langläufer waren beispielsweise die Trafos für die Umspannwerke, zwei für 110 Kilovolt und zwei für 380 Kilovolt. Sie wurden von Siemens aus Dresden beziehungsweise SGB aus Regensburg geliefert, mit einem Vorlauf von zwei Jahren von der Bestellung bis zum Transport auf die Baustelle.

Solche Produkte werden nur gegen erhebliche Vorkasse geliefert. „Aber alle haben an einem Strang gezogen“, lobt Lüken. „Aus den Gemeinden gab es politische Unterstützung, die städtebaulichen Verträge und der Aufstellungsbeschluss lagen vor. Das war eine solide Ausgangslage, weshalb wir die kapitalintensiven Langläufer schließlich vorfinanzierten.“

Manche Krise bewältigt

Kein Projekt ohne Schwierigkeiten. Hinterher liest es sich oft leichter, als es in der Praxis war. „Erst hatten wir mit den Einschränkungen durch Corona zu kämpfen, danach kam die Lieferkrise für Komponenten aus Fernost“, erzählt Wolfgang Pielmaier, der das Projekt als technischer Leiter führte. „Auch im Baugrund steckte manche Überraschung.“

Der Kippenboden erwies sich als sehr weich und tückisch, mit hohem Wassergehalt, „eine riesige Badewanne“, wie Pielmaier sagt. Wenn es regnet, wird er schnell schlammig, weil er die Niederschläge nicht aufsaugen kann. Einige Flächen gaben nach, stellenweise mussten stabilisierende Deckschichten aufgetragen werden.

Die beiden Transformatoren für den Anschluss mit 380 Kilovolt wiegen 400 Tonnen – pro Stück. „Dafür mussten wir tragfähige Bodenplatten gießen“, erinnert sich Wolfgang Pielmaier. „Sonst wären sie abgesackt. Dieses Gewicht hätte der Boden nicht gehalten.“

Keinen Ärger mit Backsheets

Der erfahrene Projektierer hatte den Baugrund sorgfältig sondiert und begutachtet. Nach der Vorbereitung wurden im Dezember 2022 die ersten Pfähle gesetzt, zunächst auf einer Testfläche. Danach ging es Schlag auf Schlag: Bis Weihnachten 2023 wurden mehrere Tausend Lkw mit Solarmodulen entladen.

Verbaut wurden ausnahmslos bifaziale Glas-Glas-Module von Jinko Solar, „um keinen Ärger mit Backsheets zu haben“, wie Technikchef Wolfgang Pielmaier erklärt. Sie wurden über Rotterdam angeliefert und per Pendelverkehr nach Witznitz gekarrt. „Manchmal waren 15 bis 20 Schiffe gleichzeitig auf See“, erzählt Christoph Lüken. „Wir haben die Modultransporte in Echtzeit im Internet verfolgt und die Daumen gedrückt, dass nichts schiefgeht.“

Logistisch war der Bau eine Meisterleistung: „Zeitweise hatten wir bis zu 500 Leute auf der Baustelle“, weiß Steffen Montag, Geschäftsführer von Move On Energy.

Enorme Ausdehnung der Modulfelder

Großer Wert wurde darauf gelegt, dass die riesige Baustelle unfallfrei bleibt und die Komponenten fachgerecht installiert werden. „Das ist sehr wichtig für den späteren Betrieb des Energieparks“, erklärt Wolfgang Pielmaier. „Wir haben uns bewusst entschieden, nicht nur Planung und Bau der Anlage zu übernehmen. Wir werden auch das Monitoring und die Betriebsführung machen. Hohe Qualität ist unerlässlich, um die Kosten für Wartung und Reparaturen präventiv niedrig zu halten.“

Die Unterkonstruktion der Modultische wurde speziell für das Projekt angepasst, um jedes Modul schnell erreichen zu können. Der Solarpark hat eine Ausdehnung von vier Kilometern, schnell summieren sich Wartungsgänge oder der Austausch von schadhaften Teilen. „Jede Komponente wurde so ausgewählt und gebaut, dass der Betrieb nur wenig Kosten verursacht“, nennt Christoph Lüken ein Beispiel.

Leitwarte in der alten Villa

So wurden auch die Zulieferer ausgewählt, etwa für Edelstahlprofile und Schrauben. „Und wir haben so viel wie möglich vorgefertigt“, erzählt Wolfgang Pielmaier. „Dadurch konnten wir die Fehlerquellen bei der Installation im Feld reduzieren und viel Zeit sparen. Auch war es einfacher, angelernte Kräfte auf der Baustelle einzusetzen.“

Move On Energy hat ein 20-köpfiges Expertenteam in Lobstädt angesiedelt, um den riesigen Solargenerator in einer Leitwache zu überwachen und den Betrieb zu sichern. Die Firma partizipiert am PPA, ist also an hoher Verfügbarkeit des Solarparks interessiert. Insgesamt wurden 1,1 Millionen Solarmodule installiert. Sie liefern Strom für über 200.000 Haushalte.

Christoph Lüken von Hansainvest Real Assets (links) war für die Finanzierung zuständig. ­Wolfgang ­Pielmaier (rechts) ist Technikchef von Move On ­Energy. Bei ihm liefen alle Planungen für die ­Errichtung des Solarparks zusammen.

Foto: Heiko Schwarzburger

Christoph Lüken von Hansainvest Real Assets (links) war für die Finanzierung zuständig. ­Wolfgang ­Pielmaier (rechts) ist Technikchef von Move On ­Energy. Bei ihm liefen alle Planungen für die ­Errichtung des Solarparks zusammen.
Von Beginn an wurden großzügige Flächen für den Naturschutz eingeplant.

Foto: Move On Energy

Von Beginn an wurden großzügige Flächen für den Naturschutz eingeplant.
Jinko hat mehr als eine Million Solarmodule geliefert. Bei dieser Menge kostet jedes kleine Detail viel Geld.

Foto: Move On Energy

Jinko hat mehr als eine Million Solarmodule geliefert. Bei dieser Menge kostet jedes kleine Detail viel Geld.
Der Energiepark Witznitz nutz die Leitungen der 50 Hertz Transmission zum Netzanschluss.

Foto: Move On Energy

Der Energiepark Witznitz nutz die Leitungen der 50 Hertz Transmission zum Netzanschluss.
Trafostation im Modulfeld zur Sammlung der Solarenergie.

Foto: Move On Energy

Trafostation im Modulfeld zur Sammlung der Solarenergie.
Die Finanzierung der beiden Umspanntrafos für 110 Kilovolt erfolgte, bevor der erste Spatenstich am Modulfeld getan werden konnte.

Foto: Heiko Schwarzburger

Die Finanzierung der beiden Umspanntrafos für 110 Kilovolt erfolgte, bevor der erste Spatenstich am Modulfeld getan werden konnte.
Umspanntrafo für 380 Kilovolt: Auch seine Fertigung und Anlieferung musste vorfinanziert werden, zumal der Solarpark zwei solcher Transformatoren braucht.

Foto: Heiko Schwarzburger

Umspanntrafo für 380 Kilovolt: Auch seine Fertigung und Anlieferung musste vorfinanziert werden, zumal der Solarpark zwei solcher Transformatoren braucht.

Next Kraftwerke

Sonnenstrom aus dem Energiepark Witznitz über PPA verkauft

Mit einem Power Purchase Agreement (PPA) vermarktet Next Kraftwerke einen Großteil des Stroms aus dem Energiepark Witznitz. Das Tochterunternehmen von Shell übernimmt damit die Bilanzkreisverantwortung und Direktvermarktung des Stroms.

Als Bilanzkreisverantwortlicher ist das Unternehmen für Abregelung, Dispatch und ­Redispatch zuständig. Auch stellt Next Kraftwerke das Monitoring und die Steuerung des Solarparks sicher.

Der Ernergiepark Witznitz südlich von Leipzig produziert seit Ende 2023 sauberen Sonnen­strom. Der Projektierer Move On Energy hat die Anlage gemeinsam mit Hansa­invest Real Assets und ohne staatliche Zuwendung auf einem ehemaligen Kippen­gelände des Kohleabbaus errichtet. „Dies zeigt einmal mehr, wie wettbewerbs­fähig Photovoltaik­anlagen mittlerweile auf den Strommärkten sind und dass sich eine ­Investition lohnt“, sagt Hendrik Sämisch, CEO von Next Kraftwerke.

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