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“Auf die Hinterbeine stellen“

Wer regelt die Flächenverwendung für die Braunkohleunternehmen?

Siegfried de Witt: Die jetzt im Braunkohlebergbau aktiven Unternehmen sind an die geltenden Braunkohlepläne gebunden, die der Landesgesetzgebung entspringen. Sie sehen für bereits im Abbau befindliche, aber auch für die Abbaukippen bestimmte Ziele vor. Wenn Sie sich diese Pläne für die Lausitz anschauen, dann sind da Restlöcher, die zu Seen werden sollen, Landwirtschafts- und Forstflächen und etwas Naturschutz. Mehr ist den Planern tatsächlich nicht eingefallen.

Was wäre zu tun, um daran etwas zu ändern?

Der Gesetzgeber hat durchaus die Möglichkeit, Änderungen der Braunkohlepläne vorzunehmen. Er könnte Vorrangflächen für Wind oder Photovoltaik festlegen. Das ginge übrigens auch im Rahmen der Regionalplanung für die Flächen, die von der LMBV saniert werden. Der jeweilige Landesgesetzgeber hat also einen sehr starken Einfluss auf die künftige Nutzung.

Haben die Braunkohleunternehmen ein Mitspracherecht?

Die Leag beispielsweise ist ja Grundstückseigentümer und kann deshalb auch entscheiden, was auf ihren Flächen im Rahmen der Pläne passiert oder nicht. Wenn das Unternehmen keine Photovoltaik bauen will, kann man es nicht zwingen. Deshalb wäre ein weiterer wichtiger Punkt hilfreich: Es müsste gesetzlich geregelt werden, dass ein Solar- oder Windpark ab einer bestimmten Größe dem Allgemeinwohl dient. Dann nämlich könnte die Gemeinde eine entsprechende Bauleitplanung machen und diese Flächen sogar enteignen, um sie als Photovoltaik- oder Windpark zu nutzen.

Welche Argumente sprechen für das Gemeinwohl eines Solarparks?

Das ist eine politische Entscheidung. Wenn man für die künftige Energieversorgung erneuerbare Energien nutzen will, könnte es im Interesse des Gemeinwohls sein, sie dort zu produzieren, wo die Infrastruktur bereits besteht. Anders formuliert: Ein Solarpark auf einer dieser Flächen mit einer Mindestgröße von beispielsweise fünf Hektar dient dann dem Wohl der Allgemeinheit. Voraussetzung ist aber die Änderung des Braunkohleplans für zukünftige und bereits aktive Abbauflächen.

Die Restlöcher, die zu Seen werden, könnten ja mit schwimmender Photovoltaik ausgestattet werden. Gäbe es für solche Ideen andere Wege?

Wenn das Restloch zum Kraftwerk mit schwimmender Photovoltaik auf der Wasseroberfläche wird, gilt das gleiche Prinzip. Der Kohleplan müsste diese Fläche von der Erholungsfläche zur Kraftwerksfläche umwidmen. Und da in der Lausitz bereits viele Seen als Erholungsfläche ausgewiesen sind, gibt es da sicher Möglichkeiten für solche Flächennutzungen.

Was sind die anstehenden praktikablen Schritte?

Eine Gesetzesinitiative auf Landesebene ist ein realistischer Schritt. Die Änderung des Braunkohleplans sollte sich allerdings nicht auf die noch nicht aufgeschlossenen Flächen beschränken, sondern auch die bereits abgebauten einbeziehen. Der Braunkohleplan wirkt wie ein Regionalplan. Da kann eine Gemeinde keine konträre Bauleitplanung aufstellen. Deshalb muss der Braunkohleplan zuerst geändert werden.

Wären bei einem vorzeitigen Kohleausstieg Entschädigungen an die Braunkohleunternehmen zu zahlen?

Ohne Entschädigung wird es nicht gehen. Das sind genehmigte Anlagen. Das Argument, dass die Anlagen bereits abgeschrieben sind, wirkt nicht. Diese Frage stand auch beim ersten Atomausstieg im Raum: Wie lange müssten die Meiler laufen, bis sie entschädigungslos enteignet werden können? Das kann man letztlich erst wissen, wenn man das Bundesverfassungsgericht mit einem Urteil verlässt. Eine Vertragslösung mit allen Eigentümern und Betreibern wäre der richtige Weg.

Das Lausitzer Revier erstreckt sich auf Brandenburg und Sachsen. Gilt da ein gemeinsamer Braunkohleplan?

Nein. Jedes Land hat seinen eigenen und müsste diesen Plan auch jeweils für sich ändern. Aber Brandenburg und Sachsen müssen keine gemeinsame Planung machen, sondern nur eine Planung, die zusammenpasst. Aber ich beobachte da wenig Engagement.

Welche Macht haben die Gemeinden?

Die Gemeinden sollten sich auf die Hinterbeine stellen und von den Landesregierungen eine Anpassung der Braunkohleplanung verlangen. Sie könnten auch eigene Bauleitpläne im Widerspruch zu den Braunkohleplänen aufstellen mit der Maßgabe, dass diese wirksam werden, wenn sich der Braunkohleplan geändert hat. Dabei muss jeder Braunkohleplan sorgfältig geprüft werden, welche Spielräume für eine kommunale Nutzung bleiben. Denn der Braunkohleplan ist ein Regionalplan mit verbindlichen Zielen. Ein Bebauungsplan und ein Flächennutzungsplan dürfen nicht in Widerspruch zu diesen Zielen stehen. Wenn diese Ziele abstrakt sind, kann ich mir durchaus vorstellen, dass da noch Spielräume für erneuerbare Energien zu finden sind. Das ist der schwierigere Weg, einfacher wäre es, die Braunkohlepläne zu ändern.

Welche Initiativen können die betroffenen Bürger ergreifen?

Theoretisch können sie gegen all diese Pläne klagen. Aber an der Garzweiler-Entscheidung ist zu sehen, dass das Bundesverfassungsgericht die Enteignung zugunsten des Braunkohletagebaus aufrechterhalten hat. Daran wird sich auch so schnell nichts ändern. Ich sehe für den betroffenen Bürger kaum Aussichten für den Erfolg einer solchen Klage.

Könnten die Gemeinden aufgrund der Schadstoffemission den Betrieb der Kraftwerke unterbinden, ähnlich wie beim Dieselfahrverbot?

Nein, das können sie nicht. Sie sind dafür nicht zuständig. Die Kraftwerke haben eine Genehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz. Die hat zwar eine eingeschränkte Bestandskraft, das heißt, es können auch nachträglich Auflagen erlassen werden. Aber diese müssen immer verhältnismäßig sein. Und wenn die Grenzwerte eingehalten werden, dann gibt es auch keinen Spielraum für nachträgliche Auflagen. Wenn die Emissionen allerdings über den erlaubten Werten liegen, dann muss natürlich eingegriffen werden. Dafür sind die Landesbehörden zuständig.

Was hat aus ihrer Sicht beim Kohleausstieg Priorität?

Meine Empfehlung wäre, zuerst eine sichere Prognose über die künftige Energieversorgung zu erarbeiten. Es soll ja nicht so sein, dass wir beschließen, die Kohlekraftwerke abzuschalten, und dann den Kohlestrom aus Polen oder den Atomstrom aus Frankreich beziehen. Deshalb ist die erste Frage, wie es mit der Energieversorgung insgesamt aussieht. Das ist nicht nur eine Frage der Erzeugung, sondern auch des Verbrauchs und der Netze.

Und was käme danach?

Das Zweite wäre, eine Vertragslösung zu finden, in der die Auslaufzeiten geregelt sind und auch viele soziale Fragen. In der Braunkohle sind ja mehr Menschen beschäftigt als in der Kernenergie. Die Folgen für diese Menschen müssen abgefedert werden. Und weil ja sicher einige Qualifikationen der jetzigen Braunkohlemitarbeiter auch in Betreibergesellschaften von Erneuerbaren-Energien-Anlagen gebraucht werden, ist es genau richtig, an diesen Standorten solche Anlagen zu planen, zumal es ja auch die entsprechende Infrastruktur dort gibt.

Sie haben Gemeinden und Bürger in der Lausitz bei Entschädigungsvereinbarungen unterstützt. Sind diese Entschädigungen nicht per Gesetz vorgesehen?

Nach dem Gesetz bekommen betroffene Bürger den Verkehrswert ihrer Immobilie als Entschädigung. Doch ein 60 Jahre altes Haus hat keinen hohen Verkehrswert. Mit dem Geld könnten sie nie ein neues Haus bauen. Deshalb haben wir den Wiedererrichtungswert als Entschädigung ausgehandelt. Es sind ja auch kommunale Einrichtungen betroffen. Ein Dorfanger in der Mitte des neuen Dorfes, eine Kirche und ein Gemeindehaus – wie das gebaut wird, ist nicht aus dem Gesetz abzuleiten. Da gilt es, Spielräume vertraglich zu füllen.

Das Gespräch führte Petra Franke.

www.dewitt-berlin.de

Bejulo

Riesiger Solarpark auf ehemaliger Tagebaufläche in Ungarn

150 Kilometer östlich von Budapest, im Norden Ungarns, entsteht eine 33 Hektar große Freiflächenanlage auf einer Konversionsfläche aus dem Kohleabbau. In nur vier Monaten Bauzeit – bis Dezember 2018 – soll die Anlage stehen. Sie wird das größte Photovoltaikkraftwerk Ungarns sein mit einem jährlichen Ertrag von rund 29.000 Megawattstunden. Der Zeitplan ist sportlich und erfordert eine gut durchdachte Logistik.

Bis zu 8.500 Module werden pro Tag verbaut. Die Solaranlage wird auf einer Fläche errichtet, die vor zehn Jahren mit Abraum gefüllt wurde. Seitdem ist sie stillgelegt. „In einem Land, das traditionell auf Atomstrom setzt, steht dieses Projekt für einen Aufbruch in Richtung erneuerbare Energien, in Richtung Solarenergie“, sagt Bejulo-Geschäftsführer Martin Görner. Der Tagebau Bükkábrány ist ein aktiver Braunkohletagebau.

Vor Beginn der Arbeiten für das Solarkraftwerk wurde die Beschaffenheit des Untergrundes untersucht und daraus die Statik für die Unterkonstruktionen berechnet. Es werden besonders lange Pfosten in die Erde gerammt, um die Standsicherheit dauerhaft zu gewährleisten.

Bodenproben empfehlen sich bei allen Bauvorhaben. Darüber hinaus waren keine außergewöhnlichen Maßnahmen erforderlich, lediglich die üblichen Flächenvorbereitungsarbeiten wie zum Beispiel Entfernung von Bewuchs und Bodennivellierung.

www.bejulo.de

Siegfried de Witt

ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Einer seiner Arbeitsschwerpunkte heute ist das Umwelt-, Energie- und Atomrecht. Er beriet unter anderem Gemeinden und Bürger in der Lausitz bei Umsiedlungs- und Entschädigungsvereinbarungen. Anfang der 2000er-Jahre arbeitete er als Berater für die rot-grüne Bundesregierung und war an der Ausarbeitung des Atomkonsens beteiligt.

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